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Strategien der Krankheitsbewältigung bei koronarer Herzkrankheit

<p class="article-intro">Ob im Krankenhaus, in Akutambulanzen oder in Ordinationen – wir begegnen vielen Personen, die erstmalig mit Krankheit, insbesondere mit koronarer Herzkrankheit, umgehen müssen. Je jünger die Patienten, desto eher ist dies auch die erste Erkrankung, durch die sie mit regelmäßiger Einnahme von Medikamenten, Abhängigkeit vom medizinischen System und Lebensstiländerungen konfrontiert werden. Dies stellt eine Herausforderung an ihr bisheriges Vertrauen in Körper und Psyche sowie für das soziale Umfeld dar.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Strategien zur Krankheitsbew&auml;ltigung sind individuell und h&auml;ngen von der subjektiven Krankheitstheorie ab.</li> <li>Sie orientieren sich sehr an Vorerfahrungen wie der Art und Schwere der Erkrankung, eigenen Bew&auml;ltigungserfahrungen, Fremderfahrungen.</li> <li>Krankheitsbew&auml;ltigung ist sinn- und hoffungsorientiert.</li> <li>Die Strategien bed&uuml;rfen einer gemeinsamen Therapieplanung und Zielfindung sowie einer Ressourcenaktivierung und sozialer Unterst&uuml;tzung.</li> </ul> </div> <p>Fr&uuml;he Beratung, Motivation und Rehabilitation erleichtern den Prozess der Krankheitsbew&auml;ltigung, doch gelingt es nicht allen Patienten gleich zu Beginn ihrer Krankheit, zus&auml;tzliche Ver&auml;nderungsschritte hinsichtlich der durch die akute Erkrankung pl&ouml;tzlich eintretenden Lebensver&auml;nderung zu setzen.<sup>1</sup> Der Begriff Krankheitsbew&auml;ltigung, oder auch &bdquo;Coping&ldquo; umfasst die Bem&uuml;hungen erkrankter Menschen, die subjektiv erlebten inneren und &auml;u&szlig;eren Belastungen, welche im Rahmen der Erkrankung auftreten und mit ihr assoziiert werden, zu meistern. Er umfasst sowohl bewusste Prozesse wie handlungsbezogene Bew&auml;ltigung (z.B. Ablenkung, aktive Informationssuche), kognitionsbezogene Bew&auml;ltigung (z.B. Relativieren, Bagatellisieren, Problemanalyse) als auch unbewusste Abwehrbem&uuml;hungen (z.B. Verleugnung, Verdr&auml;ngung).<sup>2</sup><br /> Die wissenschaftlich unter verschiedenen Gesichtspunkten zusammengefassten h&auml;ufigsten Krankheitsbew&auml;ltigungsstile sind:</p> <ul> <li>verleugnender Bew&auml;ltigungsstil</li> <li>sinnsuchender Bew&auml;ltigungsstil</li> <li>aktiver Bew&auml;ltigungsstil</li> <li>Suche nach sozialer Einbindung und sozialer Unterst&uuml;tzung</li> </ul> <h2>Krankheitsverarbeitungsprozesse</h2> <p>Diese Prozesse verlaufen nicht linear, sondern einander &uuml;berspringend, sich abwechselnd, wiederholend oder auch parallel zueinander laufend. Das nachfolgend geschilderte Phasenmodell soll dem Verst&auml;ndnis dienen, in welcher Situation sich ein Patient gerade befindet.</p> <p><strong>Schock/Verleugnung</strong><br /> Die Konfrontation mit der Diagnose kann zu einem Schock, zu Unruhe, Angst und einem Verlust bew&auml;hrter intellektueller F&auml;higkeiten f&uuml;hren. H&auml;ufig wird versucht, die Bedrohung mittels Verleugnung zu reduzieren. Dies f&uuml;hrt zu einer Verlangsamung der Krankheitswahrnehmung und erm&ouml;glicht ein schrittweises Annehmen der Krankheit.</p> <p><strong>Aggression</strong><br /> Ungeduld, Ablehnung der Behandlungsangebote und noch mehr der &bdquo;hilfreich&ldquo; gemeinten Ratschl&auml;ge, Sinnfragen wie &bdquo;Warum gerade ich?&ldquo; pr&auml;gen diese Phase. Es besteht oft eine Verwicklungsgefahr durch Schuldzuweisungen und Projektion auf Behandler und Angeh&ouml;rige.</p> <p><strong>Depression</strong><br /> Aktuelle Funktionseinschr&auml;nkungen, Ver&auml;nderungen der sozialen Rolle, des Selbstbildes (&bdquo;Was bin ich noch wert?&ldquo;), existenzielle Sorgen f&uuml;hren zu einer depressiven Phase. Patienten, die sich in dieser Phase befinden, scheinen st&auml;ndig Hilfe zu fordern, sind aber nicht in der Lage, diese auch anzunehmen. Gerade jetzt braucht es eine aufrechterhaltene Beziehung, sodass die Patienten sp&uuml;ren k&ouml;nnen, dass ihre Depressivit&auml;t als Reaktion auf die Erkrankung verstanden und auch akzeptiert wird.</p> <p><strong>Verhandeln</strong><br /> Hierbei wird nicht nur mit &Auml;rzten verhandelt, sondern auch mit dem &bdquo;Schicksal&ldquo;. Lebenskonzepte m&uuml;ssen angesichts der Erfahrung von realer Todesdrohung neu definiert werden, und dar&uuml;ber die Kontrolle zu behalten stellt eine besondere Herausforderung dar.</p> <p><strong>Akzeptanz/Annehmen</strong><br /> In dieser Phase der Krankheitsverarbeitung kann die Erkrankung angenommen werden, neue Rollendefinitionen werden gefunden und in das weitere Lebenskonzept integriert.</p> <h2>Verf&uuml;gbare Ressourcen</h2> <p>Dabei werden die pers&ouml;nlichen Ressourcen beansprucht. Individuelle Ressourcen sind bewusst oder unbewusst und h&auml;ngen eng mit dem Selbstbild und dem Beziehungsverhalten zusammen. Soziale Ressourcen sch&ouml;pfen Patienten vor allem aus emotionaler Unterst&uuml;tzung, aber auch aus der Verf&uuml;gbarkeit therapeutischer Angebote. Forschungsergebnisse unterstreichen die wichtige Rolle der Arzt-Patienten-Beziehung bei der Krankheitsverarbeitung.<sup>3</sup> Die INTERHEART-Studie zeigte bereits den hohen protektiven Faktor der Kontroll&uuml;berzeugung. Das Konstrukt bezieht sich auf das Ausma&szlig;, mit dem eine Person glaubt, dass das Auftreten eines Ereignisses abh&auml;ngig vom eigenen Verhalten ist, ob also der Ort der Kontrolle innerhalb oder au&szlig;erhalb des Individuums liegt.<sup>4</sup></p> <h2>Abwehrmechanismen</h2> <p>Nat&uuml;rliche Bew&auml;ltigungsstrategien werden oft von Abwehrmechanismen gebremst, auch sie treten unbewusst oder bewusst auf. Beispiele daf&uuml;r sind Verleugnung, Intellektualisierung und Projektion. Sie helfen, unertr&auml;gliche Affekte wie Angst, &uuml;berschwemmende Wut oder Scham auf ein ertr&auml;gliches Ma&szlig; zu senken und damit Situationen zu kontrollieren. So findet man verleugnende Reaktionen, welche bewusst ablaufen, vor allem auf Intensivstationen, nach Herzinfarkten, welche als bedrohlich erlebt wurden, nach Eingriffen, welche die pers&ouml;nlichen Verarbeitungsm&ouml;glichkeiten &uuml;berschritten haben.<br /> W&auml;hrend man bei Resignation, Selbstbeschuldigung, Hadern, pers&ouml;nlichem R&uuml;ckzug und Bagatellisierung von einem depressiven Coping spricht, dr&uuml;ckt sich aktives Coping durch die aktive Suche nach Information und Unterst&uuml;tzung, die Problemanalyse, das Relativieren von Risiken und sozialen Vergleichen aus. Optimismus, Selbstermutigung oder adaptive Ablenkung unterst&uuml;tzen diese Bew&auml;ltigungsprozesse.<sup>5</sup></p> <h2>Anpassungsst&ouml;rungen</h2> <p>K&ouml;nnen Abwehrmechanismen nicht &uuml;berwunden, belastende Situationen nicht oder nur mangelhaft verarbeitet werden und gelingt die Anpassung an die ge&auml;nderten k&ouml;rperlichen, psychischen und sozialen Gegebenheit inad&auml;quat, so sprechen wir von Anpassungsst&ouml;rungen (Tab. 1). Diese k&ouml;nnen in unterschiedlichem Ausma&szlig; auftreten und nehmen Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Mortalit&auml;t.<sup>6</sup><br /> Neben protrahierter depressiver Verstimmung, anhaltenden, vor allem herzbezogenen &Auml;ngsten und Schlafst&ouml;rungen, welche im Sinne von l&auml;nger anhaltenden Anpassungsst&ouml;rungen auftreten k&ouml;nnen, ist es wichtig, auch Zeichen einer posttraumatischen Belastungsst&ouml;rung zu erkennen. Manche Patienten beschreiben Erinnerungsl&uuml;cken, eine erh&ouml;hte Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz, Konzentrationsschwierigkeiten, Albtr&auml;ume und eine anhaltende Reizbarkeit. Zus&auml;tzlich sind einige Risikofaktoren f&uuml;r die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsst&ouml;rung bekannt (Tab. 2).<sup>7, 8</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite69_abb1+2.jpg" alt="" width="1414" height="1161" /></p> <h2>Genderspezifische Unterschiede</h2> <p>Es zeigen sich auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Krankheitsbew&auml;ltigung. Frauen profitieren von sozialer Unterst&uuml;tzung, Zuh&ouml;ren und emotionsl&ouml;sungsorientierten Strategien. Nach einem Infarkt wie auch nach kardiovaskul&auml;ren Eingriffen profitieren sie eher von geschlechtsspezifischen Therapieangeboten als M&auml;nner. Bei beiden Geschlechtern erm&ouml;glichen stressreduzierende Programme wie Entspannungsgruppen und themenzentrierte psychoedukative Therapieangebote eine Reduktion des Stresserlebens bei famili&auml;ren und beruflichen Belastungen und eine deutliche Senkung von &Auml;ngsten.<sup>9</sup> In rehabilitativen Einrichtungen zeigen M&auml;nner weniger stark das Bed&uuml;rfnis nach sozialer Unterst&uuml;tzung, profitieren eher von konkreten Ratschl&auml;gen und probleml&ouml;sungsorientierten Strategien bez&uuml;glich Ern&auml;hrung und Lebensstilmodifikation, aber auch von der Unterst&uuml;tzung durch die Partnerin.<sup>10</sup></p> <h2>Sozioemotionaler R&uuml;ckhalt</h2> <p>&bdquo;Gesundheit ist ein Zustand des vollst&auml;ndigen k&ouml;rperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.&ldquo; (Definition von Gesundheit gem&auml;&szlig; WHO, New York, 22. Juli 1946)<br /> Eine der grundlegenden Bedingungen von Gesundheit ist der sozioemotionale R&uuml;ckhalt. Die Teilhabe an einem sozialen Netzwerk, das wechselseitige emotionale Wertsch&auml;tzung und Vertrauen vermittelt. R&uuml;ckhalt, auch in kritischen Situationen, wie auch die Bereitschaft, Wissen und Erfahrung zu teilen und Unterst&uuml;tzung in angemessener Qualit&auml;t und Quantit&auml;t zu erfahren, sind gesundheitsf&ouml;rdernd. Freundschaften, gute zwischenmenschliche Beziehungen und ein starkes, st&uuml;tzendes soziales Netz verbessern die Gesundheit zu Hause, am Arbeitsplatz und in der sozialen Gemeinschaft. Daher sind gruppentherapeutische Angebote und Rehabilitation in Zentren Einzelbehandlungen vorzuziehen. Lediglich Patienten mit einer mittelschweren bis schweren Depression brauchen mehr Einzelunterst&uuml;tzung, wogegen &Auml;ngstliche besonders von den sozialen Kontakten in der Rehabilitation profitieren.<br /> Die subjektiven Krankheitstheorien verweisen zu etwa 40 % auf einen krankheitsf&ouml;rdernden Lebensstil, ebenso viel wird allgemeinem und beruflich bedingtem Stress zugeschrieben und der Rest verweist auf die genetische Disposition und andere Faktoren. Im Bereich des Lebensstils liegen die subjektiven Ursachen beim Rauchen und bei der Fehlern&auml;hrung, seltener wird Bewegungsmangel angegeben. So zeigt sich die Wichtigkeit, die subjektiven Krankheitstheorien in die Therapieplanung miteinzubeziehen und je nach Motivation der Patienten zu ber&uuml;cksichtigen und zu f&ouml;rdern. Einheitliche, strikt leitlinienorientierte Therapieprogramme greifen oft zu kurz und halten nicht l&auml;nger als im streng kontrollierten Rahmen an. Ziel sei es jedoch, gesundheitsf&ouml;rdernde Ver&auml;nderungen zu implementieren, welche auch nach der Phase-II-Rehabilitation greifen und eine anhaltende Wirkung entfalten k&ouml;nnen.<br /> Eine Metaanalyse aus 83 Studien ging der Frage des Einflusses von Optimismus und k&ouml;rperlicher Gesundheit auf die Krankheitsbew&auml;ltigung nach. Eine optimistische Grundhaltung zeigte sich als signifikante Wirkungsvariable in Bezug auf kardiovaskul&auml;re Erkrankungen.11 So konnte auch gezeigt werden, dass positive Affekte wie Optimismus, Freude, Angeregtheit, Wohlbehagen, Enthusiasmus und Gl&uuml;cksempfinden die kardiovaskul&auml;re Mortalit&auml;t bei Gesunden um 29 % reduzieren konnten.<sup>12</sup></p> <h2>Was k&ouml;nnen wir tun?</h2> <p><strong>Erkennen</strong><br /> Indem der biopsychosozialen Anamnese ein besonderer Stellenwert einger&auml;umt wird.</p> <p><strong>Benennen</strong><br /> Indem die Diagnose um subjektive Krankheitstheorie, Motivation zu Ver&auml;nderung, psychosoziale Last erweitert wird.</p> <p><strong>Individuelle Strategien</strong><br />Diese sollen gemeinsam mit den Patienten entwickelt werden &ndash; Therapie als &bdquo;shared decision&ldquo;.</p> <p><strong>Bewusstmachen und verankern</strong><br />Psychosomatische und rehabilitative Ma&szlig;nahmen k&ouml;nnen nur greifen, wenn sie in Aus- und Fortbildung sowie in der Gesundheitspolitik verankert sind.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Weibel L et al: Eur J Cardiovasc Nurs 2014; 15(4): 213-22 <strong>2</strong> Sch&uuml;ssler G; in: Leitfaden f&uuml;r Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Deutscher &Auml;rzteverlag 2006, 220ff <strong>3</strong> Muthny FA: Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung. FKV 1996 <strong>4</strong> Yusuf S et al: L ancet 2 004; 3 64: 9 37-52 <strong>5</strong> Bard&eacute; B, Jordan J: Klinische Psychokardiologie. Frankfurt: Brandes &amp; Apsel, 2015 <strong>6</strong> Ladwig KH et al: Der Kardiol 2013; 7(1): 7-27 <strong>7</strong> Gander M et al: Eur J C ardiovasc Prev Rehabil 2006, 13: 165-72 <strong>8</strong> Kubzansky LD et al: Health Psychol 2009, 28: 125-30 <strong>9</strong> Orth-Gom&eacute;r K: Biopsychosoc Med 2012; 6(1): 5 <strong>10</strong> Hermann-Lingen C et al: Psychokardiologie. K&ouml;ln: Deutscher &Auml;rzteverlag, 2014, 100ff <strong>11</strong> Rasmussen HN et al: Ann Behav Med 2009; 37(3): 239-56 <strong>12</strong> Chida Y, Steptoe A: Psychosom Med 2008; 70(7): 741-56</p> </div> </p>
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