
Nicht traditionelle kardiovaskuläre Risikofaktoren
Autor:
Prof. Dr. med. Jean-Paul Schmid
Chefarzt Kardiologie
Klinik Gais
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Das kardiovaskuläre Gesamtrisiko wird neben den klassischen Risikofaktoren durch klinische Faktoren oder Begleiterkrankungen sowie durch krankheitsmodifizierende Faktoren beeinflusst. Letztere tragen zu einer optimierten Risikoeinschätzung bei.
Keypoints
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Neben den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren gibt es eine Vielzahl von risikomodifizierenden Faktoren oder spezifischen Krankheitsbildern, welche für eine differenzierte Risikobeurteilung herangezogen werden müssen.
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Die Berücksichtigung von risikomodifizierenden Faktoren ist besonders bei Individuen nützlich, deren Gesamtrisiko nahe an einem Interventionsschwellenwert liegt, und ermöglicht eine entsprechende Einordnung in eine höhere Risikoklasse.
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Die Kenntnis von klinischen Faktoren oder Krankheitsbildern, welche mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen, gehört zu den Grundanforderungen präventiv tätiger Kardiologen und Internisten und fördert den gezielten Einsatz diagnostischer und therapeutischer Massnahmen.
Die Erkennung und Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren ist ein zentrales Element sowohl der Primär- wie auch der Sekundärprävention. In den letzten Jahrzehnten wurden dazu mehrere kausal hauptverantwortliche Risikofaktoren identifiziert, welche als die «klassischen» Risikofaktoren gelten. Es sind dies die Apo-Lipoprotein B enthaltenden Serum-Lipoproteine (mit LDL-Cholesterin als dem mengenmässig wichtigsten Vertreter), hoher Blutdruck, Rauchen, Diabetes mellitus und Adipositas.1 Neben den klassischen Risikofaktoren wird das kardiovaskuläre Gesamtrisiko aber auch durch zusätzliche klinische Faktoren oder Krankheitsbilder beeinflusst. Die Kenntnis dieser «nicht traditionellen» kardiovaskulären Risikofaktoren und ihrer Wichtigkeit für die Prävention, der gezielte Einsatz diagnostischer Untersuchungen sowie deren Bedeutung für die Behandlung gehören zu den Grundanforderungen präventiv tätiger Kardiologen und Internisten.2
In der Primärprävention stehen zur Abschätzung des Risikos für das Auftreten eines kardiovaskulären Ereignisses Risikorechner wie bspw. der AGLA-Risikorechner zur Verfügung, deren Algorithmen vor allem auf den klassischen Risikofaktoren, unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und der Familienanamnese, basieren.3 Zur Verbesserung der individuellen Risikobeurteilung ist der Einbezug verschiedener risikomodifizierender Faktoren sinnvoll (Tab.1).
Risikomodifizierende Faktoren
Die Berücksichtigung von risikomodifizierenden Faktoren zur Optimierung der kardiovaskulären Risikoeinschätzung ist besonders bei Individuen nützlich, deren Gesamtrisiko nahe an einem Interventionsschwellenwert liegt. Sie erlaubt eine breitere Risikoabschätzung und in gewissen Fällen die Zuordnung in eine höhere oder niedrigere Risikoklasse.
Psychosoziale Faktoren
Psychosozialer Stress zeigt eine deutliche Dosis-Wirkungs-Beziehung in Bezug auf die Entwicklung und Progression der koronaren Herzerkrankung, unabhängig vom Geschlecht und von anderen konventionellen Risikofaktoren. Als hauptsächlich auslösende Faktoren haben sich Symptome einer psychischen Erkrankung, Einsamkeit, kritische Lebensereignisse und vitale Erschöpfung herauskristallisiert, wobei Letztere als besonders diskriminierender Faktor gilt. Im Gegensatz dazu senken Indikatoren psychischer Gesundheit wie Optimismus oder Selbstbewusstsein das Risiko. Neben den direkten Auswirkungen hat psychosozialer Stress über sozioökonomische Faktoren und Verhaltenseigenschaften (z.B. Rauchen oder schlechte Compliance) einen indirekten negativen Einfluss auf die Gesundheit.4
Ein niedriger sozioökonomischer Status und Stress am Arbeitsplatz sind unabhängige Risikofaktoren beider Geschlechter und prognostisch bedeutsam. Besonders relevant sind dabei ein geringes Einkommen und die Konstellation von hohen Anforderungen und geringer Kontrolle am Arbeitsplatz sowie ein Ungleichgewicht zwischen Einsatz und Belohnung (berufliche Gratifikationskrise).5 Aufgrund der Wichtigkeit psychosozialer Faktoren für die kardiovaskuläre Gesundheit wird ein generelles Screening von Herzpatienten auf diese Faktoren empfohlen.6
Bildgebende Verfahren
Die Erfassung des koronaren Kalziumscores eignet sich gut für eine Reklassifizierung des kardiovaskulären Risikos.7 Bei Abweichung von alters- und geschlechteradaptierten Normwerten kann das Risiko als deutlich erhöht oder erniedrigt eingeschätzt werden. Der Kalziumscore erlaubt allerdings keine Aussage betreffend die gesamte Plaquelast oder das Ausmass einer Stenose und kann bei Vorhandensein von weichen, nicht kalzifizierten Plaques niedrig ausfallen. Im Gegensatz dazu ermöglicht die Kontrast-CT-Angiografie, Stenosen zu identifizieren und kardiale Ereignisse vorauszusagen. Allerdings bleibt es unklar, ob die CT-Angiografie bezüglich Reklassifizierung dem Kalzium-Score überlegen ist.
Eine systematische Bestimmung der Intima-Media-Dicke (IMD) wird aufgrund der fehlenden methodologischen Standardisierung sowie des limitierten zusätzlichen Nutzens in der Risikobeurteilung nicht empfohlen. Allerdings kann der Nachweis einer Karotis-Plaque (fokale Wandverdickung ≥50% im Vergleich zur umgebenden Gefässwand oder fokale, ins Lumen hineinragende IMD-Verdickung ≥1,5mm) als Risikomodifikator nützlich sein, falls kein Kalzium-Score verfügbar ist.
Eine ebenfalls limitierte Rolle wird dem Nachweis eines pathologischen Ankle-Brachial-Index (ABI) zugesprochen, obwohl bei 12−27% der Individuen im mittleren Alter ein ABI <0,9 nachgewiesen werden kann, wovon 50−89% keine typischen Claudicatio-Beschwerden aufweisen.
Ähnlich wie mit der IMD- oder ABI-Bestimmung verhält es sich mit der Messung der arteriellen Steifigkeit, welche zwar zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse voraussagen kann und somit für die Risiko-Reklassifizierung nützlich ist, aber methodologischen Unsicherheiten unterworfen ist. Der Nutzen der transthorakalen Echokardiografie schliesslich wird als sehr begrenzt eingeschätzt.
Familiengeschichte
Eine positive Familiengeschichte hinsichtlich einer frühzeitig aufgetretenen kardiovaskulären Erkrankung ist ein einfacher Indikator für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und widerspiegelt das Zusammenspiel zwischen genetischer Prädisposition und Umweltfaktoren.8 Auch wenn die Familiengeschichte die Risikovoraussage im Vergleich zu den konventionellen Risikofaktoren nur beschränkt verbessert, ist sie doch eine einfache Information, die zumindest bei betroffenen Individuen ein entsprechendes Risiko-Assessment rechtfertigt.
Klinische Krankheitsbilder
Tab. 2: Klinische Krankheitsbilder mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko (adaptiert nach Visseren et al.)1
Nebst den verschiedenen risikomodifizierenden Faktoren gibt es auch spezifische Krankheitsbilder, welche mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko und schlechterer Prognose vergesellschaftet sind. Diese werden in der individuellen Risikobeurteilung häufig nicht mitberücksichtigt (Tab. 2).
Chronische Nierenerkrankung
Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung, definiert als strukturelle Veränderungen oder eine reduzierte Nierenfunktion (Albumin/Kreatinin-Ratio >30mg/g im Spot-Urin oder eine eGFR <60ml/min/1,73m2) über eine Dauer von >3 Monaten, beeinflussen kardiovaskuläre Erkrankungen hauptsächlich die Morbidität und Mortalität. Das Risiko, an einer kardiovaskulären Erkrankung zu sterben, nimmt mit der Abnahme der Nierenfunktion auf 15ml/min/1,73m2 um das 3-Fache zu.9 Auch nach der Korrektur für die bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren steigt die kardiale Mortalität bei Nierenpatienten progressiv mit der Verschlechterung der Nierenfunktion an, weshalb diese Patienten einem hohen kardiovaskulären Risiko zugeordnet werden. Sie haben eine hohe Prävalenz traditioneller Risikofaktoren wie Diabetes mellitus und Hypertonie und sind zusätzlich Urämie-bedingten Stressoren wie chronischer Entzündung, oxidativem Stress und Promotoren vaskulärer Verkalkungen unterworfen.
Vorhofflimmern
Das lebenslange Risiko, ein Vorhofflimmern zu entwickeln, wird in Europa bei einem Indexalter von 55 Jahren auf 1:3 geschätzt. Das Vorhofflimmern geht mit einer erhöhten kardiovaskulären und Gesamtmortalität (2-fach erhöhte Gesamtmortalität bei Frauen, 1,5-fach bei Männern) einher und ist mit einem erhöhten Risiko für einen ischämischen Hirninfarkt (Inzidenz 5% pro Jahr, entsprechend den Komorbiditäten) und einer verminderten kognitiven Funktion assoziiert.
Das Vorhofflimmern nimmt als kardiovaskulärer Risikofaktor eine besondere Stellung ein (Abb. 1). Es ist Ausdruck einer Vielzahl anderer, teils modifizierbarer, teils nicht modifizierbarer Risikofaktoren und beeinflusst durch seine Pathogenizität nachhaltend die Prognose der betroffenen Individuen.10 Die Kontrolle der ursächlich verantwortlichen Risikofaktoren des Vorhofflimmerns ist daher ebenso wichtig wie die Behandlung.
Abb. 1: Die Rolle von Risikofaktoren und Komorbiditäten beim Vorhofflimmern (adaptiert nach Visseren et al.)1
Betreffend die regelmässige körperliche Aktivität als Grundlage eines gesunden Lebensstils mit positiven Auswirkungen auf eine Vielzahl von kardiovaskulären Risikofaktoren hat sich in den letzten Jahren eine U-förmige Beziehung hinsichtlich des Auftretens von Vorhofflimmern gezeigt. Dies bedeutet eine deutliche Abnahme des Vorhofflimmerns bei moderater bis hoher körperlicher Aktivität und ein erneuter Anstieg bei sehr hohem Aktivitätsniveau. Die auslösenden Mechanismen sind dabei allerdings unterschiedlich und das Schlaganfallrisiko ist bei den hochaktiven Individuen deutlich geringer als bei den sedentären.
Herzinsuffizienz
Die Herzinsuffizienz ischämischer Ursache ist eine schwerwiegende Manifestation der arteriosklerotischen Herzerkrankung. Umgekehrt erhöht das Vorhandensein einer Herzinsuffizienz (hauptsächlich bei ischämischer Genese) das Risiko für einen Myokardinfarkt, Arrhythmien, ischämischen Hirnschlag und kardiovaskulären Tod noch einmal deutlich. Sowohl die asymptomatische wie auch das ganze Spektrum der symptomatischen linksventrikulären Dysfunktion (d.h. reduzierte, «mid-range» und erhaltene systolische Funktion) erhöhen die Rate der notfallmässigen Hospitalisationen (einschliesslich Verschlechterung der Herzinsuffizienz) sowie die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität. Diese Patienten entsprechen daher einer Höchstrisikopopulation, bei der ein aggressives, sekundärpräventives therapeutisches Vorgehen angezeigt ist.
Krebserkrankungen
Die Risikofaktoren für Krebserkrankungen zeigen eine gewisse Überlappung mit denjenigen für kardiovaskuläre Erkrankungen, welche gemeinsame biologische Mechanismen und genetische Prädispositionen teilen. Die Prävention und Behandlung dieser Risikofaktoren vermindern sowohl das kardiovaskuläre wie auch das Krebsrisiko. Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, da aufgrund der Fortschritte in der Behandlung und der verbesserten Prognose von Krebserkrankungen in den letzten Jahren die kardiovaskuläre Mortalität diejenige der Krebserkrankungen übertreffen könnte.
Besonders beachtet werden muss auch die grosse Anzahl an neu zugelassenen onkologischen Therapien mit potenziell breiten frühen und späten kardiovaskulären Nebenwirkungen, einschliesslich Kardiomyopathie, linksventrikulärer Dysfunktion, Hypertonie, koronarer Herzerkrankung, Arrhythmien und weiterer Organbeteiligungen. Dazu gehören auch die Beachtung der Latenz und des Ausmasses der Kardiotoxizität der Radiotherapie sowie der Beschleunigung einer Arteriosklerose und zerebrovaskulären Erkrankung. Diese sind abhängig von der Strahlendosis, dem bestrahlten Herzvolumen, zusätzlich verabreichten kardiotoxischen Medikamenten und von Patientenfaktoren wie einem jüngeren Alter, traditionellen Risikofaktoren und einer Herzerkrankung in der Vorgeschichte.
Neben einer engmaschigen Kontrolle der linksventrikulären Funktion (bevorzugt durch den myokardialen Strain, welcher der Abnahme der linksventrikulären Auswurffraktion vorangeht) zeigt Ausdauertraining ein grosses Potenzial zur Vorbeugung Chemotherapie-induzierter Toxizität. Deshalb wird eine regelmässige körperliche Aktivität dringend empfohlen.11
COPD
Patienten mit COPD haben verglichen mit gleichaltrigen Kontrollen ein um das 2- bis 3-Fache erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, auch wenn für das Rauchen korrigiert wird. Zudem besteht für Patienten mit mässiger bis mittelschwerer COPD ein 8- bis 10-mal höheres Risiko, an einer arteriosklerotischen Erkrankung als an Ateminsuffizienz zu sterben. Bei weniger als einem Drittel der an COPD erkrankten Patienten mit EKG-Veränderungen im Sinne eines Myokardinfarktes wurde vorgängig eine kardiovaskuläre Erkrankung diagnostiziert. Dabei steigt die kardiovaskuläre Mortalität um 28% und die Häufigkeit nicht tödlicher koronarer Ereignisse um 20% für jede 10%ige Abnahme der FEV1.
Akute Exazerbationen der COPD, hauptsächlich aufgrund von Infekten, sind häufig und erhöhen die kardiovaskuläre Ereignisrate um das 4-Fache. Drei Monate nach einer akuten Exazerbation ist sowohl das Risiko für einen Myokardinfarkt als auch jenes für einen Hirnschlag erhöht.
Die hohe Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen bei Patienten mit COPD ist durch das Vorliegen gemeinsamer Risikofaktoren wie Rauchen, arterielle Hypertonie und Dyslipidämie erklärbar. Bei einem Drittel der COPD-Patienten findet man ein metabolisches Syndrom kombiniert mit reduzierter körperlicher Aktivität, über die Hälfte leidet an arterieller Hypertonie, 39% an Adipositas und 44% an einer Hyperglykämie. Systemische Entzündung und oxidativer Stress fördern zudem das vaskuläre Remodeling, die Gefässsteifigkeit und die Entwicklung arteriosklerotischer Veränderungen und sind für einen prokoagulativen Zustand verantwortlich.
Die Schwere der COPD korreliert mit kognitiver Verschlechterung und Demenz, wahrscheinlich im Zusammenhang mit mikrovaskulären zerebralen Schäden. Patienten mit COPD haben ein um 20% erhöhtes Risiko sowohl für ischämische als auch hämorrhagische Hirnschläge; gleichzeitig nimmt das Risiko für einen ischämischen oder hämorrhagischen Hirnschlag bei einer Exazerbation um den Faktor 7 zu. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit findet sich bei 9% der COPD-Patienten und auch die Prävalenz von Karotis-Plaques ist abhängig von der Schwere der Erkrankung erhöht. Schliesslich ist COPD auch positiv assoziiert mit abdominalen Aortenaneurysmata, und dies unabhängig vom Rauchstatus.
Kardiale Arrhythmien sind häufig und wahrscheinlich Ausdruck von hämodynamischen Effekten der COPD (pulmonale Hypertonie, diastolische Dysfunktion, strukturelle Vorhofveränderungen und elektrisches Remodeling), verursacht durch eine Kombination von autonomer Dysbalance und abnormer ventrikulärer Repolarisation.
Ein Vorhofflimmern bei COPD ist häufig und direkt assoziiert mit der Abnahme des FEV1. Es wird gewöhnlich durch akute Exazerbationen hervorgerufen und ist ein indirekter Prädiktor für die Spitalmortalität.
COPD ist auch ein Risikofaktor für ventrikuläre Tachykardien und plötzlichen Herztod, unabhängig von der linksventrikulären Auswurffraktion und vom kardiovaskulären Risikoprofil. Eine linksventrikuläre Dysfunktion wird bei COPD-Patienten häufig verkannt und die Prävalenz einer Herzinsuffizienz ist 3,8-mal häufiger als in einer Kontrollgruppe. Aufgrund dieser Tatsachen ist es äusserst wichtig, COPD-Patienten auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen zu untersuchen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die COPD die Verlässlichkeit der diagnostischen Tests negativ beeinflussen kann.
Entzündliche Zustände
Entzündliche Zustände erhöhen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse sowohl im akuten Stadium als auch langfristig. Am besten bekannt ist diese Assoziation bei der rheumatoiden Arthritis, welche die Risikorate für kardiale Ereignisse um etwa 50% erhöht, unabhängig von bereits etablierten Risikofaktoren. Bei diesen Patienten ist daher eine niedrige Schwelle für entsprechende Vorsorgeuntersuchungen angezeigt, abhängig von der Basisaktivität der Erkrankung.
Auch Patienten mit einer aktiven entzündlichen Darmerkrankung zeigen ein um 20% erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Andere chronische Erkrankungen wie Psoriasis oder ankylosierende Spondylarthritis können ebenfalls ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweisen, was in der Betreuung von Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen berücksichtigt werden muss.
Infektionen (HIV, Influenza, Parodontitis)
Eine HIV-Infektion ist mit einem um 19% erhöhten Risiko für peripherarterielle und koronare Erkrankungen assoziiert, unabhängig von zusätzlich vorliegenden traditionellen Risikofaktoren; dies gilt insbesondere bei einer anhaltend niedrigen CD4-Zellzahl von <200/mm3.
Eine Assoziation zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Influenza ist schon seit Längerem bekannt, insbesondere wegen der Überlappung der höchsten Inzidenz während der Wintermonate. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass die kardiovaskuläre Mortalität während Influenzaepidemien erhöht ist. Kardiovaskuläre Komplikationen, einschliesslich des akuten Koronarsyndroms sowie – wenn auch weniger häufig – des ischämischen Hirnschlags beeinflussen die Morbidität und Mortalität der Influenzaerkrankung massgeblich.
Das Risiko für einen Myokardinfarkt oder Hirnschlag ist nach einer akuten Infektion des Atemtraktes um mehr als das 4-Fache erhöht, mit dem höchsten Risiko in den ersten drei Tagen. Die Vermeidung von Influenzaerkrankungen, insbesondere durch die Impfung, kann diese Komplikationen entsprechend verhindern. Auch die Parodontitis ist mit Arteriosklerose und kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert, sodass eine aktive Behandlung und Prävention wichtig sind.
Migräne
Die Migräne ist eine sehr häufige Erkrankung und betrifft ca. 15% der Gesamtpopulation. Sie erhöht sowohl das Risiko für einen ischämischen Hirnschlag wie auch für eine ischämische Herzerkrankung um das bis zu 1,5-Fache. Die Assoziation ist dabei grösser bei der Migräne mit Aura. Epidemiologische Daten weisen zudem darauf hin, dass das Auftreten von kardiovaskulären Komplikationen durch Rauchen und die Einnahme von kombinierten Hormonpräparaten erhöht wird.
Schlafstörungen und obstruktive Schlafapnoe
Schlafstörungen und kurze Schlafdauer sind ebenfalls mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Eine Schlafdauer von 7 Stunden scheint dabei optimal für die kardiovaskuläre Gesundheit zu sein. In der Allgemeinbevölkerung beträgt die Prävalenz von generellen Schlafstörungen 32,1% (Schlaflosigkeit, Parasomnie, Hypersomnolenz, Restless-legs-Syndrom und obstruktive Schlafapnoe). Die Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe durch CPAP-Applikation konnte allerdings keine Verbesserung harter kardiovaskulärer Endpunkte bei Patienten mit etablierter koronarer Erkrankung nachweisen. Dementsprechend sind Interventionen, welche auf Lebensstilveränderungen (Reduktion von Adipositas und Alkoholabstinenz), Schlafhygiene und Stressreduktion abzielen, gefordert.
Psychische Erkrankungen
Die Prävalenz psychischer Erkrankungen liegt in Europa zwischen 27% und 38%. Alle psychischen Erkrankungen (Angsterkrankungen, somatoforme Erkrankungen, Substanzabusus, Persönlichkeitsstörungen, Depressivität und psychotische Erkrankungen) sind bei beiden Geschlechtern mit der Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung und erhöhter Mortalität vergesellschaftet. Gleichzeitig ist einerseits die Diagnose einer kardiovaskulären Erkrankung mit einem um das 2- bis 3-Fache erhöhte Risiko für eine psychische Erkrankung assoziiert. Andererseits liegt die 12-Monats-Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei kardiovaskulären Patienten bei 40% und kann auch zu einer Verschlechterung der Prognose beitragen. Dementsprechend ist die Erfassung psychischer Erkrankungen, insbesondere von Depressivität und Ängstlichkeit, in der kardiologischen Nachbetreuung von grosser Bedeutung.
Geschlechtsspezifische Zustände
Die Präeklampsie tritt in etwa 12% aller Schwangerschaften auf und erhöht das kardiovaskuläre Risiko um etwa das 1,5- bis 2,7-Fache. Ebenso ist das Risiko für die Entwicklung einer Hypertonie um das 3-Fache und das Auftreten eines Diabetes mellitus um das 2-Fache erhöht. Das polyzystische Ovarialsyndrom ist ebenfalls mit einem um das 2- bis 4-Fache erhöhten Risiko für einen Diabetes mellitus vergesellschaftet. Dementsprechend bedürfen beide Entitäten eines periodischen Screenings.
Eine frühe Menopause steigert die Inzidenz einer kardiovaskulären Erkrankung um das 1,5-Fache. Männer mit erektiler Dysfunktion zeigen ein erhöhtes Risiko sowohl für die Gesamtmortalität als auch für die kardiovaskuläre Mortalität. Die erektile Dysfunktion und kardiovaskuläre Erkrankungen teilen die gleichen klassischen Risikofaktoren und dementsprechend auch die pathophysiologische Basis der Erkrankung. Entsprechend strikt sollte bei Männern mit erektiler Dysfunktion ein kardiovaskuläres Screening erfolgen.
Literatur:
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