
Neuigkeiten bei den Guidelines
Bericht:
Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Am SGK-Jahreskongress wurden wichtige Änderungen in den Guidelines zum Management des Vorhofflimmerns und des akuten Koronarsyndroms ohne persistierende ST-Hebung präsentiert. Einen ersten Einblick in die neuen Empfehlungen zur medikamentösen Therapie der Herzinsuffizienz gab es am Heart Failure Congress der European Society of Cardiology (ESC).
2020 VHF-Guidelines
Für die Diagnose eines Vorhofflimmerns (VHF) ist ein dokumentarischer Nachweis notwendig. Dieser erfolgte bisher mittels Standard-(12-Kanal)- oder Holter-EKG (≥30 Sekunden). Neu kann zur Diagnostik auch ein 1-Kanal-EKG eingesetzt werden (Kl. 1).1 Voraussetzung für die Diagnose ist, dass das VF über eine Dauer von mindestens 30 Sekunden aufgezeichnet und der Befund anschliessend ärztlich bestätigt wurde. In der Schweiz sind verschiedene «Smart Watches» und andere mobile EKG-Rekorder erhältlich, die die Aufzeichnung eines 1-Kanal-EKGs erlauben.
Das Management von Patienten mit VHF verfolgt einen ganzheitlichen, integrierten Ansatz in drei Schritten (ABC-Pathway):
-
A «anticoagulation/avoid stroke»
-
B «better symptom control»
-
C «comorbidities/cardiovascular risk factor management»
Eine orale Antikoagulation (OAK) kann das Risiko für ein zerebrovaskuläres Ereignis bei Patienten mit VHF deutlich reduzieren. Um herauszufinden, welche Patienten von einer OAK profitieren, muss zunächst eine Risikostratifizierung mittels CHA2DS2VASc durchgeführt werden. Ist eine OAK indiziert, sollte diese bevorzugt mit nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) durchgeführt werden (Kl. 1). Von dieser Empfehlung ausgenommen sind Personen mit einer mechanischen Herzklappe oder einer Mitralstenose. Bei Punkt «B» geht es um die viel diskutierte Frage einer Frequenz- oder Rhythmuskontrolle bei Patienten mit VHF. Eine Rhythmuskontrolle wird empfohlen, um die Symptome und die Lebensqualität von symptomatischen Patienten zu verbessern (Kl. 1, Level A). Dafür stehen zwei Behandlungsoptionen zur Verfügung: Antiarrhythmika oder die Katheterablation. Für Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung und mit normaler linksventrikulärer Funktion wird die Einnahme von Klasse-1C-Antiarrhythmika wie Flecainid oder Propafenon empfohlen. Für die Langzeit-Rhythmuskontrolle bei struktureller Herzerkrankung kann Amiodaron eingesetzt werden. Im Falle eines pharmakologischen Therapieversagens wird eine Katheterablation empfohlen (Kl. 1).
Die Katheterablation wird als Erstlinientherapie empfohlen bei Patienten mit Verdacht auf eine Tachykardie-induzierte Kardiomyopathie (Kl. 1). Bei selektionierten Patienten mit VHF und HFrEF («heart failure with reduced ejection fraction») sollte die Ablationstherapie als Erstlinientherapie in Erwägung gezogen werden, um das Überleben zu verbessern und die Herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisationen zu reduzieren (Kl. 2a). Obwohl die Rhythmuskontrolle im Hinblick auf eine symptomatische Verbesserung eingesetzt wird, hat die Ende 2020 veröffentlichte EAST-Studie gezeigt, dass das Risiko für eine kardiovaskuläre Komplikation durch eine frühe Rhythmuskontrolle um 20% reduziert werden kann.2 Die Ergebnisse sind in den aktuellen Guidelines nicht berücksichtigt, sie könnten aber die zukünftigen Therapieempfehlungen beeinflussen.
Ein VHF kommt praktisch nie alleine, deshalb sollte der Begriff des «alleinigen VHF» nicht mehr verwendet werden. Die Identifikation und das Management von Risikofaktoren sollte gemäss den Guidelines ein integraler Bestandteil des VHF-Managements sein (Kl. 1, Level B). Lifestylemodifizierende Massnahmen, wie beispielsweise eine Gewichtsreduktion, werden empfohlen, um das Auftreten von VHF zu reduzieren, die Symptome und das Outcome nach einer Katheterablation zu verbessern (Kl. 1).
2020 NSTE-ACS-Guidelines
Die Änderungen bei den Guidelines zum Management des akuten Koronarsyndroms ohne persistierende ST-Hebung («non-ST-segment elevation acute coronary syndrome», NSTE-ACS) von 2020 betreffen u.a. die Diagnostik und das Timing der Koronarangiografie.3 Die Diagnose des NSTE-ACS basiert auf der klinischen Präsentation, dem EKG-Befund und der Konzentration des kardialen Troponins. Die Guidelines von 2015 empfahlen als «Rule-in/rule-out»-Algorithmus für die Erkennung eines Myokardinfarkts die «High-sensitivity cardiac troponin»-Konzentration zum Zeitpunkt der Präsentation und eine Stunde danach (0/1h). Die Guidelines von 2020 schlagen als Alternative einen 0/2h-«rule-in/rule-out»-Algorithmus vor. Die Voraussetzung für die Anwendung des alternativen Algorithmus ist ein entsprechend validiertes Assay. Eine Tabelle mit den Assay-spezifischen Cut-off-Werten für die beiden Algorithmen findet sich ebenfalls in den Guidelines. Eine Änderung gab es auch bei den Risikogruppen. Anstelle von vier werden die Patienten in drei Risikokategorien stratifiziert. Neu sind zu der Kategorie von Patienten mit einem sehr hohen Risiko, die unverzüglich (<2h) angiografiert werden sollten, Personen hinzugekommen, deren EKG eine ST-Senkung >1mm in 6 Ableitungen plus eine ST-Hebung in aVR und/oder V1 aufweist. In die Kategorie von Patienten mit einem hohen Risiko, die innerhalb von 24 Stunden eine Angiografie erhalten sollten, fallen klassischerweise Personen mit einem bestätigten NSTE-ACS. Patienten nach einem Herzstillstand, die erfolgreich wiederbelebt wurden, hämodynamisch stabil sind und keine ST-Hebung aufweisen sowie Personen mit transienter ST-Hebung, die vorher als Patienten mit einem sehr hohen Risiko eingestuft wurden, gehören neu ebenfalls zu dieser Gruppe. Das Fehlen von Kriterien für ein hohes oder sehr hohes Risiko wird als niedriges Risiko eingestuft. Bei diesen Patienten kann anstelle einer Angiografie auch ein nicht invasiver diagnostischer Test eingesetzt werden.
Kein routinemässiges «pretreatment» mit P2Y12-Inhibitoren
Ein sogenanntes «pretreatment» mit P2Y12-Inhibitoren bei Patienten mit NSTE-ACS schien vielversprechend im Hinblick auf eine suffiziente Thrombozytenaggregationshemmung während der PCI («percutaneous coronary intervention»). Anstelle eines verbesserten ischämischen Outcomes zeigten Studien jedoch eine Zunahme des Blutungsrisikos.4,5 Die Ergebnisse der ISAR-REACT-5-Studie, die die Vorbehandlung mit dem P2Y12-Inhibitor Ticagrelor bei Diagnose des NSTE-ACS mit dem Einsatz von Prasugrel zum Zeitpunkt der PCI verglich, konnte zeigen, dass das «pretreatment» keinen Vorteil hatte.6 Basierend auf diesen Ergebnissen empfehlen die NSTE-ACS-Guidelines 2020 keine routinemässige Vorbehandlung mit P2Y12-Inhibitoren, wenn die Koronaranatomie unbekannt ist (Kl. 3, Level A). Bei Patienten mit einem NSTE-ACS und geplanter PCI sollte der Behandlung mit Prasugrel der Vorzug gegenüber Ticagrelor gegeben werden (Kl. 2a, Level B).
Antithrombotische Therapie
Patienten nach NSTE-ACS und Stentimplantation sollten, sofern keine Kontraindikationen bestehen, für 12 Monate eine DAPT («dual antiplatelet therapy») mit Aspirin und P2Y12-Inhibitoren erhalten. Während die Guidelines von 2015 bezüglich einer Verlängerung dieser Therapie eher zurückhaltend waren, wird in den neuen Guidelines die Weiterbehandlung mit einem zweiten antithrombotischen Wirkstoff zur Sekundärprävention bei Patienten mit einem hohen ischämischen Risiko ohne erhöhtes Blutungsrisiko mit einer Klasse 2a empfohlen. Verschiedene antithrombotische Strategien stehen für die verlängerte Sekundärprävention zur Verfügung.
Bei Patienten, die dauerhaft mit einer OAK behandelt werden und sich einer PCI unterziehen müssen, stellt sich die Frage einer dualen oder dreifachen antithrombotischen Therapie (DAPT/TAT). Eine Metaanalyse von vier grossen Studien hat nun gezeigt, dass die DAPT im Vergleich zur TAT («triple antiplatelet therapy») bei Patienten mit VHF und NSTE-ACS, die eine PCI erhalten hatten, zu signifikant weniger Blutungen führte, ohne dass es zu einer relevanten Zunahme der Mortalität oder von schweren ischämischen kardio- oder zerebrovaskulären Ereignissen kam.7 Allerdings nahm im Vergleich zur TAT unter der DAPT das Risiko für eine Stentthrombose zu. Basierend auf diesen Ergebnissen empfehlen die Guidelines Patienten mit VHF, die aufgrund eines NSTE-ACS eine PCI erhalten, während der Hospitalisierung bis zu sieben Tagen mit einer TAT, bestehend aus (N)OAK plus DAPT (Aspirin plus P2Y12-Inhibitor) zu behandeln (Kl. 1). Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko erhalten anschliessend eine antithrombotische Therapie mit (N)OAK plus SAPT («single antiplatelet therapy«) und nach sechs Monaten eine alleinige Therapie mit (N)OAK (Kl. 2a). Bei Patienten mit anhaltend hohem Ischämierisiko sollte die TAT bis zu einem Monat fortgesetzt und anschliessend durch die Behandlung mit (N)OAK plus SAPT ersetzt werden. Nach 12 Monaten wird eine alleinige Behandlung mit (N)OAK empfohlen. In den übrigen Fällen wird eine antithrombotische Therapie mit (N)OAK plus SAPT für 12 Monate empfohlen und anschliessend ein Wechsel auf (N)OAK alleine.
Was bringen die neuen Herzinsuffizienz-Guidelines?
Der neue Therapiealgorithmus für die HFrEF weist noch einige weisse Flecken auf. Einen Einblick konnte das Guideline-Komitee der ESC und der Heart Failure Association (HFA) am virtuellen «ESC Heart Failure»-Kongress aber bereits geben. Wie erwartet wird sich die frühe medikamentöse Herzinsuffizienztherapie auf vier Substanzklassen stützen: ACE-Inhibitoren/Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ACEi/ARNI), Betablocker (BB), Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA) und SGLT2-Inhibitoren (SGLT2-I). Neu ist die Empfehlung für eine zusätzliche Behandlung mit den SGLT2-I Dapagliflozin und Empagliflozin (Klasse 1, Level A), mit dem Ziel, die kardiovaskuläre Mortalität und die Herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisationen zu reduzieren. Anstelle eines ACEi kann von Anfang an eine Therapie mit Sacubitril/Valsartan eingesetzt werden. Zur Behandlung einer Flüssigkeitsretention können Schleifendiuretika eingesetzt werden. Die weitere Behandlung der HFrEF richtet sich nach den Phänotypen, basierend auf den unterschiedlichen Ätiologien und Komorbiditäten. Die Kategorie HFmrEF («heart failure with mid-range ejection fraction») mit einer Ejektionsfraktion von 40–49% wurde umbenannt in «heart failure with mildly reduced ejection fraction». Der Grund dafür ist, dass die HFmrEF klinisch der HFrEF mehr ähnelt als der HFpEF («heart failure with preserved ejection fraction»). Zur medikamentösen Therapie der HFmrEF empfohlen werden Diuretika, ACEi/Angiotensin-Rezeptor-Blocker, BB, MRA und ARNI.
Keine neuen Empfehlungen gibt es für die medikamentöse Therapie der HFpEF.
Quelle:
Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK), 9.–11. Juni 2021
Literatur:
1 Hindricks G et al.: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): The Task Force for the diagnosis and management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. Eur Heart J 2021; 42(5): 373-498 2 Kirchhof P et al.: Early rhythm-control therapy in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2020; 383(14): 1305-1316 3 Collet JP et al.: 2020 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2021; 42: 1289-1367 4 Montalescot G et al.: Pretreatment with prasugrel in non-ST-segment elevation acute coronary syndromes. N Engl J Med 2013; 369: 999-1010 5 Dworeck C et al.: Association of pretreatment with P2Y12 receptor antagonists preceding percutaneous coronary intervention in non-ST-segment elevation acute coronary syndromes with outcomes. JAMA Netw Open 2020; 3: e2018735 6 Schüpke S et al.: Ticagrelor or prasugrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 2019; 381(16): 1524-34 7 Gargiulo G et al.: Safety and efficacy outcomes of double vs. triple antithrombotic therapy in patients with atrial fibrillation following percutaneous coronary intervention: a systematic review and meta-analysis of non-vitamin K antagonist oral anticoagulant-based randomized clinical trials. Eur Heart J 2019; 40(46): 3757-67
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