<p class="article-intro">Patientenregister für familiäre Hypercholesterinämie (FH) in Österreich und Deutschland sollen dazu beitragen, den Behandlungs- und Versorgungsstatus von Patienten mit FH zu dokumentieren, aber auch kardiovaskulären Erkrankungen – immerhin Todesursache Nummer 1 in der westlichen Welt – vorzubeugen. Denn nach wie vor ist nicht hinlänglich bekannt, dass eine unbehandelte FH mitunter bereits im frühen Alter zu Herzinfarkt & Co führen kann.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Familiäre Hypercholesterinämie ist eine nach wie vor unterdiagnostizierte und untertherapierte Erkrankung, die unbehandelt zu frühzeitiger Atherosklerose und in der Folge zu koronarer Herzerkrankung und verwandten Pathologien führen kann.</li> <li>Mit dem Aufbau nationaler FH-Register in Österreich und Deutschland soll der Versorgungs- und Behandlungsstatus von FH-Patienten dokumentiert werden, und mittels Kaskadenscreenings sollen weitere von FH betroffene Verwandte ersten und zweiten Grades detektiert werden.</li> <li>Durch frühzeitige Diagnose und Therapie der FH soll kardiovaskulären Erkrankungen vorgebeugt werden. Dies kommt nicht nur den Betroffenen zugute, sondern erspart den jeweiligen öffentlichen Gesundheitssystemen hohe Kostenbelastung durch Folge­erkrankungen, Arbeitsausfälle u.Ä.</li> </ul> </div> <p>Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen die häufigste Todesursache in Österreich und Deutschland sowie in anderen Industrieländern dar. Trotzdem gab es bislang keine Programme zur frühzeitigen Identifizierung von Personen mit sehr hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass LDL-Cholesterin auf molekularer wie zellulärer Ebene an der Pathogenese der Athero­sklerose beteiligt ist, die den klassischen kardiovaskulären klinischen Endpunkten wie Myokardinfarkt und Schlaganfall zugrunde liegt.<sup>1</sup> Epidemiologische Studien zeigen übereinstimmend eine Korrelation der Höhe des Serum-LDL-Cholesterins mit Myokardinfarkt und kardiovaskulären Todesfällen.<sup>2</sup> Studien mit Mendel’scher Randomisierung konnten nachweisen, dass die genetisch determinierte Regulation des LDL-Cholesterin mit klinischen kardiovaskulären Ereignissen, insbesondere dem Risiko für Myokardinfarkte, korreliert.<sup>3</sup></p> <h2>Familiäre Hypercholesterinämie</h2> <p>Joseph Goldstein und Michael Brown legten in den 1970er-Jahren mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen zur Aufnahme von LDL-Partikeln über ­Rezeptor-vermittelte Endozytose (die 1985 zum Nobelpreis für Medizin und Physiologie führten) nicht nur den Grundstein für unser Verständnis eines damals völlig neuen zellbiologischen Vorganges der Aufnahme von Liganden über Zellmembranen,<sup>4</sup> sondern klärten damit auch den molekulargenetischen und zellulären Mechanismus auf, der bei den meisten von familiärer Hypercholes­terin­ämie (FH) betroffenen Personen für diese Stoffwechselstörung verantwortlich ist, nämlich Mutationen im LDL-Rezeptorgen.<sup>5</sup> Mittlerweile sind mehr als 1.700 verschiedene Mutationen im Gen des LDL-Rezeptors bekannt, die zu verschieden starken Ausprägungen von FH führen und für ca. 75 % aller FH-Fälle verantwortlich sind.<sup>6, 7</sup> Die restlichen 25 % werden durch Mutationen im Gen für Apolipoprotein B (das Trägerprotein für LDL-Cholesterin und damit Hauptligand des LDL-Rezeptors), PCSK9, LDL-Rezeptor-Adapter-Protein (LDLR-AP) sowie Mutationen in noch unbekannten Genen verursacht. Die klassische Form der FH folgt einem auto­somal-dominanten Erbgang, eine Ausnahme sind die seltenen Mutationen im LDLR-AP, die autosomal-rezessiv vererbt werden. Die extrem hohe Anzahl an FH-Mutationen erklärt auch, warum die allermeisten homozygoten FH-Patienten eigentlich compound-heterozygot sind (d.h. 2 verschieden mutierte Allele tragen); Ausnahmen bilden natürlich Patienten aus Kulturen, in denen die Eltern häufig miteinander blutsverwandt sind.<br /> FH ist mit einer Prävalenz von 1:500 bis 1:250 eine der häufigsten monoge-nen Stoffwechselstörungen und ist, bedingt durch die reduzierte oder defekte Clearance von LDL-Partikel, durch eine Erhöhung v.a. von LDL-Cholesterin im Serum gekennzeichnet (LDL-Cholesterin bei Heterozygoten 190–450mg/dl, bei Homozygoten >400mg/dl), die, wie oben beschrieben, Ursache frühzeitiger kardiovaskulärer Ereignisse ist.<sup>8</sup> Diese Ereignisse (Herzinfarkte, Schlaganfälle etc.) können bei unbehandelter homozygoter FH zu Todesfällen bereits im Kindes- und Jugendalter führen. Leider ist FH in Österreich und Deutschland, wie in vielen anderen Ländern auch, stark unterdiagnostiziert. Bei einer geschätzten Prävalenz von ca. 1:300 sind in Österreich bis zu 27.000, in Deutschland knapp 270.000 Personen von FH betroffen.<br /> Die vorliegenden Prävalenzdaten, verbunden mit unserem Wissen über den Mechanismus der Entstehung von FH und der seit 30 Jahren möglichen (und seit Kurzem durch die Entwicklung neuer Lipidsenker dramatisch verbesserten) kurativen Behandlungsmöglichkeit von FH, lassen es vollkommen unverständlich erscheinen, dass es in den meisten Ländern (u.a. in Deutschland und Österreich) keine oder nur höchst unvollständige Registerdaten für FH gibt. Das erklärt auch die Tatsache, dass mehr als 90 % der FH-Patienten in Deutschland und Österreich weder dia­gnostiziert noch adäquat therapiert sind. Eine löbliche Ausnahme in Europa bilden die Niederlande, in denen bereits seit über 20 Jahren ein landesweites FH-Register aufgebaut wird und die bzgl. Erfassung der FH weltweit an der Spitze stehen (Abb. 1).<sup>9</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1604_Weblinks_Seite7.jpg" alt="" width="799" height="824" /></p> <h2>Screening auf FH und Aufbau eines nationalen Registers</h2> <p>Die Diagnose FH wird in den meisten Fällen erst nach dem Auftreten von schweren Folgeerkrankungen gestellt. Durch eine frühzeitige Therapie mit cholesterinsenkenden Medikamenten kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen jedoch vermindert werden. Mittels Kaskadenscreening können, ausgehend von einem betroffenen Indexpatienten, Verwandte ersten und zweiten Grades untersucht und nach erfolgter Diagnose frühzeitig vorbeugend behandelt werden.<br /> In anderen europäischen Ländern wurden bereits erfolgreich Präventionsprogramme in Form von Kaskadenscreenings etabliert. Diesem Beispiel wollen wir in Österreich und Deutschland nun folgen. Daher haben die Österreichische Atherosklerosegesellschaft (AAS) und die D•A•CH-Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e.V. unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Hans Dieplinger, Gabriele Hanauer-Mader, Univ.-Prof. Dr. Winfried März und Dr. Nina Schmidt im Raum Wien, Graz, Innsbruck bzw. Mannheim Pilotprojekte initiiert, um ein Kaskadenscreening auf FH zu etablieren und den Aufbau eines landesweiten und flächendeckenden Patientenregisters zu ermöglichen. Beraten wird das Projekt durch Dr. Peter Lansberg, der federführend am niederländischen Register mitgewirkt hat.<sup>11</sup> Beide Register kooperieren eng mit dem internationalen FH-Register der European Atherosclerosis Society (FH-SC). Nach einer erfolgreichen Pilotphase im Jahr 2015 wurden beide Projekte Anfang des Jahres 2016 auf weitere Regionen ausgeweitet.<br /> Bei der Durchführung des Kaskadenscreenings und dem Aufbau des Patientenregisters ist die Hilfe der niedergelas­senen Ärzte und der Spezialambulanzen unerlässlich. Deshalb werden niedergelassene Ärzte, Spezialambulanzen und Reha-Kliniken von Studienassistenten angesprochen sowie über Ärztemedien und weitere Multiplikatoren auf die Krankheit FH und das Registerprojekt aufmerksam gemacht. Die Ärzte sollen anhand der vorliegenden Laborwerte und der Familienanamnese ihrer Patienten mittels des sogenannten Dutch Lipids Clinics Network Score (DLCN, Tab. 1) mögliche FH-Betroffene identifizieren und anhand von Ein- und Ausschlusskriterien gegebenenfalls in die Studie einschließen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1604_Weblinks_Seite8_1.jpg" alt="" width="800" height="713" /></p> <p>Patienten müssen mindestens zwei der Einschlusskriterien erfüllen. Diese umfassen eine LDL-Cholesterin-Konzen­tration >190mg/dl, eine Gesamtcholesterin-Konzentration >290mg/dl, frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankung, Sehnenxanthome, nahe Verwandte mit Hypercholesterinämie oder frühem Myokardinfarkt. Nach Einschluss werden die Patienten von den Studienassistenten zur Familien- und Eigenanamnese befragt. Gemeinsam mit den Patienten sollen möglicherweise ebenfalls betroffene Verwandte identifiziert werden. Der Patient wird gebeten, diese Verwandten über die Studie zu informieren, und erhält Informationsmaterial über die Erkrankung und das Projekt. Eine direkte Ansprache der Verwandten durch die Studienassistenten erfolgt nicht. Die FH-Diagnose wird beim Indexpatienten und bei den untersuchten Verwandten (auf freiwilliger Basis) mittels genetischer Analyse abgesichert. Dabei werden die Gene für den LDL-Rezeptor, ApoB-100, PCSK9 und LDLR-AP untersucht und die Patienten humangenetisch beraten. Ärzte und Patienten erhalten eine Rückmeldung über die Diagnose und Behandlungsopti­onen. Die Entscheidung über weitere diagnostische Maßnahmen und Therapieänderungen trifft in allen Fällen der behandelnde Arzt. Die Studie wurde bzw. wird in allen österreichischen und deutschen Bundesländern den Ethikkom­mis­sionen zur Begutachtung vorgelegt. Ein Workflow des genauen Studien­ab­laufes ist in Abbildung 2 zu sehen.<br /> Das Projekt wird in beiden Ländern in Kooperation mit den entsprechenden FH-Patientenorganisationen (FHchol Austria und Cholco e.V.) durchgeführt und von Industriepartnern (Amgen, ­Sanofi-Aventis, Pfizer, AOP Orphan Pharmaceuticals) finanziell unterstützt. Weitere Unterstützungen durch öf­fentliche Förderstellen werden angestrebt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1604_Weblinks_Seite8_2.jpg" alt="" width="801" height="753" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Durch diese Projekte sollen Erkenntnisse über den Versorgungs- und Behandlungsstatus von Patienten mit FH in Österreich und Deutschland gewonnen werden. Die Effektivität eines Früherkennungsprogramms zur Erfassung von FH in der Bevölkerung mittels Kaskadenscreening und die Akzeptanz eines Screenings außerhalb der onkologischen Thematik sollen beurteilt werden. Es sollen nationale Register für FH-Patienten in beiden Ländern aufgebaut werden. Mittelfristig soll dadurch die Diagnoserate für FH von weniger als 2 % auf 20 % gesteigert werden sowie der Behandlungsstatus verbessert und damit das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen der betroffenen Patienten verringert werden.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Custodis F, Laufs U: LDL-Cholesterol--Is there an „LDL hypothesis“? Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(10): 761-4<br /><strong>2</strong> Kannel WB et al: Serum cholesterol, lipoproteins, and the risk of coronary heart disease. The Framingham study. Ann Intern Med 1971; 74(1): 1-12<br /><strong>3</strong> Burgess S et al: Using multivariable Mendelian ran­domization to disentangle the causal effects of lipid fractions. PLoS One 2014; 9(10): e108891<br /><strong>4</strong> Brown MS, Goldstein JL: Expression of the familial ­hypercholesterolemia gene in heterozygotes: mechanism for a dominant disorder in man. Science 1974; 185(4145): 61-3<br /><strong>5</strong> Goldstein JL, Brown MS: Binding and degradation of low density lipoproteins by cultured human fibroblasts. Comparison of cells from a normal subject and from a patient with homozygous familial hypercholesterolemia. J Biol Chem 1974; 249: 5153-62<br /><strong>6</strong> Hobbs HH et al: The LDL receptor locus in familial ­hypercholesterolemia: mutational analysis of a membrane protein. Annu Rev Genet 1990; 24: 133-70<br /><strong>7</strong> Leigh SE et al: Update and analysis of the University College London low density lipoprotein receptor familial hypercholesterolemia database. Ann Hum Genet 2008; 72(Pt 4): 485-98<br /><strong>8</strong> Hopkins PN et al: Familial hypercholesterolemias: prevalence, genetics, diagnosis and screening recommendations fromthe National Lipid Association Expert ­Panel on Familial Hypercholesterolemia. J Clin Lipidol 2011; 5(3 Suppl): S9-17<br /><strong>9</strong> Besseling J et al: Screening and treatment of familial hypercholesterolemia – lessons from the past and ­opportunities for the future (based on the Anitschkow Lecture 2014). Atherosclerosis 2015; 241(2): 597-606<br /><strong>10</strong> Nordestgaard BG et al: Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general ­population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease: consensus statement of the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J 2013; 34(45): 3478-90a<br /><strong>11</strong> Defesche JC et al: Advanced method for the identification of patients with inherited hypercholesterolemia. ­Semin Vasc Med 2004; 4(1): 59-65<br /><br /></p>
</div>
</p>