
©
Getty Images/iStockphoto
Management von Patienten mit ST-Hebungsinfarkt, Klappenerkrankung oder peripherer arterieller Erkrankung
Leading Opinions
30
Min. Lesezeit
21.12.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Eine neue ESC-Leitlinie zum Management des STEMI bringt unter anderem neue Zeitvorgaben sowie wichtige Änderungen und Anpassungen im Hinblick auf die perkutane Koronarintervention. Die neue ESC-Guideline zu Klappenerkrankungen gibt präzise Anweisungen inklusive Algorithmen für die Indikationsstellung zu Eingriffen an den Herzklappen. Für die TAVI wird eine Reihe von Faktoren gelistet, die die Indikationsstellung leiten sollten. Die neue Leitlinie zum Management von peripheren arteriellen Erkrankungen gibt detaillierte Empfehlungen zu Interventionen, zu konservativer Therapie und zum Gerinnungsmanagement.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Die Uhr beginnt mit der STEMI-Diagnose zu ticken</h2> <p>Die neue ESC-Leitlinie zum Management des akuten Myokardinfarkts mit ST-Streckenhebung (STEMI) enthält im Vergleich zum Vorgängerdokument aus dem Jahr 2012 einige wichtige Neuerungen und Ergänzungen.<sup>1</sup> Insgesamt umfasst die Guideline 159 Empfehlungen, basierend auf 477 Referenzen. Von diesen Empfehlungen haben 23 Evidenz-Level A und 47 Evidenz-Level B, 92 Empfehlungen haben Klasse 1. «Das bedeutet, wir sind der Ansicht, dass man das so machen sollte», sagt dazu der Vorsitzende der ESC Task Force, Prof. Dr. med. Stefan James.<br /> Eine der wichtigsten neuen Empfehlungen betrifft den Zeitrahmen der Massnahmen (Abb. 1). James erläuterte: «Bislang war unklar, ab wann wir die Uhr stellen sollen.» Diese Frage wurde nun eindeutig beantwortet. Alle Zeitvorgaben beginnen mit der Diagnose einer Hebung der ST-Strecke im EKG. Dies kann im Rettungswagen erfolgen oder, falls es an entsprechender Ausrüstung oder Personal fehlt, nach dem Eintreffen im Krankenhaus. Damit lautet nun die zentrale Vorgabe: 90 Minuten nach der Diagnose soll eine verschlossene Koronararterie wieder offen sein. Der Zeitpunkt der EKG-Diagnose sei von zentraler Bedeutung, da man – so James – zuvor ja nicht wisse, ob es sich um einen STEMI handelt oder nicht. James unterstrich, dass alle unscharfen oder mehrdeutigen Terminologien aus der Leitlinie entfernt wurden. Das betrifft den Zeitpunkt des «Auftretens der ersten Symptome » ebenso wie «Door-to-door»- oder «Door-to-balloon»-Zeiten. Dies sei nicht zuletzt auch dem aktuellen Vorgehen der Notärzte geschuldet, da heute eine Therapie ja bereits im Krankenwagen beginnen könne. Das betrifft insbesondere die Fibrinolyse, die maximal 10 Minuten nach der STEMI-Diagnose begonnen werden sollte, während laut der alten Version der Guideline dafür 30 Minuten Zeit blieben. Fibrinolyse als Reperfusionsstrategie ist dann indiziert, wenn nicht innerhalb von 120 Minuten ein PCI-Zentrum erreicht werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1706_Weblinks_s29_abb1.jpg" alt="" width="1418" height="979" /><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1706_Weblinks_s29_abb1_.jpg" alt="" width="1418" height="979" /><br /><br /> <strong>Neue Empfehlung für die komplette Revaskularisierung</strong><br /> Ist es möglich, den Patienten innerhalb von 120 Minuten in ein PCI-Zentrum zu bringen, ist der Intervention der Vorzug zu geben. Wichtige Änderungen gibt es auch bei der Katheterintervention. Die Empfehlung für den radialen Zugang wurde auf Klasse 1 verstärkt, ebenso die Empfehlung für den Einsatz von «drug-eluting stents» statt «bare metal stents». Während in der Guideline von 2012 lediglich empfohlen wurde, das vom Infarkt direkt betroffene Areal zu revaskularisieren, eröffnet die Leitlinie 2017 auch die Option der kompletten Revaskularisation. Die Basis dafür bilden, so James, mehrere Studien, die einen Benefit durch vollständige Revaskularisierung zeigen. Auf Basis neuerer Daten gibt es auch eine Änderung in Bezug auf die Thrombusaspiration: Sie wird nicht mehr empfohlen. Auch ein verzögertes Stenting nach Öffnung des Koronargefässes sollte unterbleiben. Die Sauerstofftherapie wird auf Basis der DETO2X-Studie<sup>2</sup> nicht empfohlen, falls die Sauerstoffsättigung des Patienten über 90 % liegt.<br /> Eine Verlängerung der dualen Antiplättchentherapie kann bei ausgewählten Patienten sinnvoll sein. Der Myokardinfarkt ohne Obstruktion von Koronargefässen («myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries», MINOCA) wird in einem eigenen Kapitel berücksichtigt. Aufgrund der unterschiedlichen Genese dieser Fälle ist hier eine individualisierte Therapie indiziert, die von den generellen STEMI- Empfehlungen abweichen kann.</p> <h2>Upgrade für die TAVI</h2> <p>Die neue ESC-Leitlinie zu den Klappenerkrankungen ist nach einem neuartigen Konzept strukturiert und relativ kurz gehalten.<sup>3</sup> Sie ist mit den entsprechenden Abschnitten im ESC Textbook verlinkt, wo sehr viel detailliertere Informationen abgerufen werden können.<br /> Besonderes Augenmerk wurde auf die Rolle des Heart-Teams gelegt. Die Autoren unterstreichen, dass es eine klare Assoziation zwischen der Frequenz, mit der bestimmte Eingriffe an einem bestimmten Zentrum durchgeführt werden, und der Qualität dieser Eingriffe gibt. Aber es werden keine Zahlen als «Untergrenze» angegeben, da dafür die Evidenz fehlt. Stattdessen werden «Heart Valve Centers» gefordert, also Zentren, an denen die entsprechende personelle Expertise sowie technische Ausstattung in Chirurgie, Bildgebung und interventioneller Kardiologie vorhanden sind. CT, MRT und nach Möglichkeit auch PET sollten zur Verfügung stehen. Ein gründlicher innerer Audit-Prozess sowie die Teilnahme an überregionalen Registern werden gefordert.<br /> Eine entscheidende Neuerung stellen die Empfehlungen für die Transkatheter- Aortenklappen-Implantation (TAVI) dar. TAVI kann nun bei sehr unterschiedlichen Patienten mit mittlerem bis hohem Operationsrisiko als Alternative zum chirurgischen Klappenersatz erwogen werden. Dabei hält die Leitlinie fest, dass Risiko- Scores alleine nicht ausreichen, um die Indikation für eine TAVI zu stellen. Die Guideline enthält Tabellenmaterial, das die Entscheidung für oder gegen eine TAVI erleichtern soll. Als Faustregel gilt, dass die TAVI vor allem bei Patienten jenseits des 75. Lebensjahrs zum Einsatz kommen soll. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Datenlage bei dieser Patientenpopulation besser ist. Auch die Datenlage zur langfristigen Haltbarkeit von TAVI ist nach wie vor begrenzt. Grundsätzlich sollen auch interventionelle Klappenimplantationen immer an einem Heart Valve Center durchgeführt werden, an dem sämtliche chirurgischen und kardiologischen Optionen verfügbar sind.<br /> Auch Empfehlungen für die Antikoagulation werden gegeben. Sie bestätigen die Rolle von DOAK bei Patienten mit Klappenerkrankungen bzw. einer Aortenklappenbioprothese und Vorhofflimmern. Keine Empfehlung besteht für DOAK bei moderater bis schwerer Mitralstenose in Kombination mit Vorhofflimmern. Die Kontraindikation von DOAK bei Patienten mit mechanischen Klappen bleibt aufrecht.</p> <h2>Aus einer PAD werden viele PADs</h2> <p>Die neue Leitlinie gibt detaillierte Empfehlungen zu Interventionen, zu konservativer Therapie und zum Gerinnungsmanagement.<br /> Die aktuelle ESC-Leitlinie 2017 zum Management peripherer arterieller Erkrankungen wurde erstmals gemeinsam mit der European Society for Vascular Surgery (ESVS) erstellt.<sup>4</sup> Neu ist auch ein Detail im Titel. Statt wie bisher «peripheral artery disease» heisst es nun «peripheral arterial diseases», denn die Guideline deckt, so Prof. Dr. med. Petr Widimsky von der Karls- Universität Prag, «alle Arterien mit Ausnahme der Koronarien» ab. Dementsprechend werden detaillierte Empfehlungen zu den einzelnen Gefässsystemen gegeben. Dabei gibt es einige wichtige Änderungen.<br /> Ist in der vorigen Leitlinie bei asymptomatischer Karotisstenose grundsätzlich eine Revaskularisierung gefordert worden, so empfiehlt die aktualisierte Guideline eine Revaskularisierung nur noch bei hohem Schlaganfallrisiko oder bei Symptomen. Im Falle der Nierenarterien besteht nun auf Basis aktueller Evidenz eine starke Empfehlung gegen eine Revaskularisierung und gegen ein Stenting.<br /> Ausführlich geht die neue Guideline auch auf die medikamentösen Therapieoptionen ein. So ist ein eigenes Kapitel der Antiplättchentherapie und der Antikoagulation gewidmet. Darin finden sich detaillierte und spezifische Empfehlungen zu den unterschiedlichen Erkrankungen und den verfügbaren Substanzen. Eine einfache antithrombotische Therapie ist der neuen Guideline zufolge für alle Patienten mit relevanter Karotisstenose, unabhängig von klinischen Symptomen oder einer möglichen Revaskularisierung, indiziert. Auch beim Management der symptomatischen arteriellen Erkrankung der Extremitäten spielt die antithrombotische Therapie eine wichtige Rolle. Die duale Antiplättchentherapie für einen Zeitraum von mindestens einem Monat ist nach einer Intervention an der Karotis indiziert. Im Gegensatz dazu wird eine Antikoagulation nur dann empfohlen, wenn dafür Gründe abseits einer PAD bestehen. Auch eine Kombination von Antikoagulation und Antiplättchentherapie ist möglich.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ibanez B et al.; ESC Scientific Document Group; 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2017 [epub ahead of print] <strong>2</strong> Hofmann R et al.; DETO2X–SWEDEHEART Investigators: Oxygen therapy in suspected acute myocardial infarction. N Engl J Med 2017; 377: 1240-9 <strong>3</strong> Baumgartner H et al.; ESC Scientific Document Group: 2017 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. Eur Heart J 2017; 38: 2739-91 <strong>4</strong> Aboyans V et al.; ESC Scientific Document Group: 2017 ESC Guidelines on the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases, in collaboration with the European Society for Vascular Surgery (ESVS): Document covering atherosclerotic disease of extracranial carotid and vertebral, mesenteric, renal, upper and lower extremity arteries. Endorsed by: the European Stroke Organization (ESO), The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases of the European Society of Cardiology (ESC) and of the European Society for Vascular Surgery (ESVS). Eur Heart J 2017 [epub ahead of print]</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
ESC-Guideline zur Behandlung von Herzvitien bei Erwachsenen
Kinder, die mit kongenitalen Herzvitien geboren werden, erreichen mittlerweile zu mehr 90% das Erwachsenenalter. Mit dem Update ihrer Leitlinie zum Management kongenitaler Vitien bei ...
ESC gibt umfassende Empfehlung für den Sport
Seit wenigen Tagen ist die erste Leitlinie der ESC zu den Themen Sportkardiologie und Training für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen verfügbar. Sie empfiehlt Training für ...
Labormedizinische Fallstricke bei kardialen Markern
Bei Schädigung oder Stress des Herzmuskels werden kardiale Marker in den Blutkreislauf freigesetzt. Ihre labormedizinische Bestimmung spielt eine Schlüsselrolle in der Diagnostik, ...