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Kein Einfluss auf die Wahl der Lipidtherapie nach Myokardinfarkt
Jatros
Autor:
Dr. Dominik Lautsch
Director Medical Affairs Cardiovascular & Atherosclerosis Europe & Canada, Global Medical Affairs Team Lead Atherosclerosis, Wien<br> E-Mail: dominik.lautsch@merck.com
30
Min. Lesezeit
27.10.2016
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<p class="article-intro">Patienten nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS), bei denen gleichzeitig Diabetes mellitus vorliegt, haben ein erhöhtes Risiko für weitere kardiovaskuläre Komplikationen, inklusive des Wiederauftretens eines Myokardinfarkts bzw. eines akuten Koronarsyndroms.<sup>1</sup> Die vorliegenden Leitlinien der ESC/EAS (European Society of Cardiology, European Atherosclerosis Society) zur Behandlung der Dyslipidämie<sup>2</sup> wie auch jene der ESC zum Non-ST-Hebungs-ACS<sup>3</sup> empfehlen bei diesen Patienten einen LDL-Cholesterin-Grenzwert von <70mg/dl. Anhand rezenter internationaler Daten haben wir evaluiert, ob das Vorliegen von Diabetes mellitus die Lipidtherapie nach ACS beeinflusst.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Patienten nach Myokardinfarkt, die gleichzeitig an Diabetes leiden, haben ein relativ stärker erhöhtes Risiko für einen Reinfarkt als jene, bei denen keine weiteren Risikofaktoren vorliegen.</li> <li>Der LDL-C-Zielwert liegt bei <70mg/dl, wobei die aktuellen ESC/EAS-Leitlinien (2016) eine mindestens 50 % ige Reduktion des LDL-C bei behandlungsnaiven Patienten bei einem</li> <li>LDL-C-Basiswert zwischen 70 und 135mg/dl empfehlen bzw. auch die Einleitung einer zielwertunab­hän­gigen medikamentösen Therapie nach Myokardinfarkt empfehlen.</li> <li>Das erhöhte Risiko von Patienten mit dokumentiertem Diabetes wurde in der Cholesterintherapie nach Myokardinfarkt insofern nicht berücksichtigt, als die Therapiewahl ident mit der bei Patienten ohne Diabetes war.</li> </ul> </div> <p>DYSIS II<sup>4</sup> ist eine internationale Studie, an der Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, Irland, Griechenland und Belgien teilgenommen haben und die darüber hinaus Patienten aus Asien sowie dem Nahen Osten eingeschlossen hat (Abb. 1). Die Patienten waren den Kohorten „Akutes Koronarsyndrom (ACS)“ oder „Koronare Herzerkrankung (KHK)“ zugeordnet. Einschlusskriterien waren entweder Hospitalisierung aufgrund eines ACS und ein vollständiges Lipidprofil innerhalb 24 Stunden nach Hospitalisierung oder – in der KHK-Kohorte – eine dokumentierte Herzerkrankung und Lipidtherapie über mindestens drei Monate bzw. keine Lipidtherapie. Die Patienten waren nicht in klinische Studien, die Lipidsenker untersuchten, involviert und sind während der Hospitalisierung nicht verstorben. Wir haben die Patientencharakteristika inklusive der Komorbiditäten, Lipidwerte und Therapeutika dokumentiert. Die Patienten wurden durchwegs zwischen 2012 und 2014 eingeschlossen und die Cholesterinzielwerterreichung nach den ESC/EAS Dyslipidemia Guidelines in der Fassung von 2011<sup>5</sup> evaluiert. Dies bedeutet einen LDL-C-Zielwert von <70mg/dl für Koronarpatienten mit oder ohne Begleiterkrankungen. Derselbe Zielwert wird in der vorliegenden ESC-Leitlinie zur kardiovaskulären Risikoprävention 2016 und 2012 wie auch in jener zum Non-ST-Hebungs-ACS empfohlen. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite19.jpg" alt="" width="418" height="369" /></p> <h2>Patientencharakteristik</h2> <p>Insgesamt wurden 3.876 ACS- und 6.794 KHK-Patienten in die Studie aufgenommen. Von den ACS-Patienten hatten 65,2 % bei Hospitalisierung bereits eine Lipidtherapie, unter den KHK-Patienten waren es 93,8 % . Unsere Analyse zur Differenzierung nach der Begleitdiagnose Diabetes fokussiert auf ACS-Patienten. Innerhalb der lipidtherapierten Patienten litten 41,4 % an Diabetes mellitus, während mit 22,6 % der Patienten ohne Lipidtherapie die Rate an Diabetespatienten ebenfalls hoch war.</p> <p>In der vorliegenden Analyse zum möglichen Einfluss der Diagnose Diabetes auf die Therapie wurden nur Patienten herangezogen, bei denen im CRF ausdrücklich die Diagnose angegeben wurde, da ein reines Vorliegen erhöhter Blutglukose- oder HbA<sub>1c</sub>-Werte keine Aussage auf einen potenziellen Unterschied in der Behandlung zulassen würde.</p> <p>In DYSIS II ACS wurden im Design einer prospektiven Beobachtungsstudie Patienten in der Akutphase und einer Nachbeobachtungszeit von 120 Tagen untersucht. 3.803 Patienten konnten in die vorliegende Auswertung eingeschlossen werden<sup>6</sup> (bei 73 Patienten lagen keine vollständigen Daten zu den Komorbiditäten vor). Das durchschnittliche Alter lag bei 62,3±12,1 Jahren. 76,4 % waren Männer, 36,9 % litten an Diabetes mellitus (Tab. 1). <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite20_1.jpg" alt="" width="1117" height="1044" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite20_2.jpg" alt="" width="1023" height="457" /></p> <h2>LDL-Zielwert-Erreichung</h2> <p>Bei Einschluss in die Studie in der Akutphase erreichten 23,8 % jener Patienten mit Diabetes das LDL-Cholesterin-Therapieziel <70mg/dl, allerdings nur 16,0 % der Patienten ohne Diabetes mellitus (p <0,0001). Die mediane Distanz zum LDL-Cholesterin-Zielwert („distance to target“) betrug 38mg/dl (16–66) bei Patienten mit Diabetes und 48mg/dl (24–77) bei Patienten ohne Diabetes (p <0,0001) (Tab. 2).</p> <p>Für etwa 91 % der Patienten lagen 4-Monats-Follow-up-Daten vor, wobei ähnlich wie bei Einschluss Diabetes mellitus bei 37,5 % lag. Insgesamt wurden bei nur 28 % der Post-Infarkt-Patienten die Lipidwerte innerhalb der ersten 4 Monate ermittelt,<sup>7</sup> was bedeutet, dass etwa drei Viertel der Patienten zwar Statine (bei 9 % der Patienten in Kombination mit anderen Lipidsenkern, darunter 5 % Ezetimib) nahmen, aber keine rezenten Laborwerte vorlagen.</p> <p>Unter den Patienten mit Diabetes mellitus, bei denen der LDL-Cholesterin-Wert ermittelt wurde, erreichten 38,8 % den LDL-Cholesterin-Zielwert, während nur 28,1 % der Patienten ohne Diabetes mellitus diesen erreichten (p <0,001). Somit kann bei beiden Patientengruppen durch Intensivierung der Lipidtherapie eine Verbesserung in der Zielwerterreichung um 12 % bzw. 15 % festgestellt werden. Hinsichtlich der Distanz zum Therapieziel waren beide Gruppen vergleichbar: 21,5mg/dl (9,0–42,0) für Patienten mit Diabetes und 21,0mg/dl (6,0–37,0) für jene ohne Diabetes (p=0,16).</p> <p>Tabelle 3 zeigt, dass in der Behandlung von Post-ACS-Patienten mit oder ohne Diabe­tes kein Unterschied gemacht wurde. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite21.jpg" alt="" width="992" height="474" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Ein gleichzeitig mit dem akuten Koronarsyndrom vorliegender Diabetes mellitus hatte keinen Einfluss auf die gewählte Lipidtherapie. Trotz des stark erhöhten Risikos wurde keine intensivere Lipid­therapie gewählt. Sowohl in Hinblick auf die Statindosis als auch auf die Kombination mit Ezetimib (zu beiden Substanzklassen liegen positive Endpunktstudien vor,<sup>8, 9</sup> PCSK9-Inhibitoren waren zum Zeitpunkt der Studie nicht zugelassen) ist eine Intensivierung möglich. Die niedrigeren LDL-Cholesterin-Werte und die damit verbundene bessere Zielwerterreichung bei Patienten mit Diabetes sind daher auf das veränderte Lipidprofil (kleinere Partikel bei gleicher Anzahl, daher verringerte Masse) zurückzuführen. Die LDL-Cholesterin-Zielwerterreichung war in beiden Gruppen niedrig, wobei sowohl hinsichtlich Statin­dosis als auch Kombinations­therapie (90 % hatten keine lipid­senkende Kombinationstherapie) Verbesserungen möglich sind.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Bohula et al: Circulation 2016; 134: 304 <strong>2</strong> Catapano AL et al: 2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dys­lipidaemias. Eur Heart J 2016. doi:10.1093/eurheartj/ehw272 <strong>3</strong> Hamm CW et al on behalf of Guidelines ESCCfP: ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute coronary syndromes (ACS) in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2011; 32: 2999-3054 <strong>4</strong> Gitt AK et al on behalf of DYSIS II Study Group: Still high prevalence of persistent lipid abnormalities among coronary patients despite chronic statin therapy in 2014: results of DYSIS II ACS and CHD. JACC 2016; 67(13_S): 1933 <strong>5</strong> Catapano AL et al: ESC/EAS Guidelines for the ­management of dyslipidaemias: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Atherosclerosis ­Society (EAS). Atherosclerosis 2011; 217: 3-46 <strong>6</strong> Lautsch D et al: In patients surviving an ACS event, concomitant ­diabetes mellitus does not influence lipid lowering ­treatment. Results from the dyslipidemia international study (DYSIS) II ACS. Eur Heart J 2016; ESC 2016: Poster Presentation P830. <strong>7</strong> Lautsch D et al on behalf of DYSIS II Investigators: Does diagnosis of diabetes mellitus among patients surviving an ACS event affect lipid control ­measures? Results from the dyslipidemia international study (DYSIS) II ACS. Diabetologia 2015; 58(suppl 1) <strong>8</strong> Cholesterol Treatment Trialists; Baigent C et al: Efficacy and safety of more intensive lowering of LDL cholesterol: a meta-analysis of data from 170,000 participants in 26 randomised trials. Lancet 2010; 376: 1670-8 <strong>9</strong> Cannon CP et al: Ezetimibe added to statin therapy after acute ­coronary syndromes. N Engl J Med 2015; 372: 2387-97</p>
</div>
</p>
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