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ESC-Guidelines: Was ist neu?
Leading Opinions
30
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01.11.2018
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<p class="article-intro">2017 wurden verschiedene ESC-Guidelines aktualisiert. In unserer Zusammenfassung informieren wir Sie über Änderungen in den Behandlungsempfehlungen zum akuten ST-Hebungs-Infarkt (STEMI), zur dualen Plättchenhemmung und zu den peripheren arteriellen Erkrankungen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die überarbeiteten Guidelines zum Management des akuten Myokardinfarkts mit ST-Hebung (STEMI)<sup>1</sup> enthalten neu ein Kapitel zum Myokardinfarkt ohne atherosklerotische Obstruktionen, kurz MINOCA («myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries»). «Dieses enthält zwar keine spezifischen Behandlungsempfehlungen, aber Hinweise darauf, wie die Patienten evaluiert werden sollten», sagte Prof. Dr. med. Stefan James von der Universität Uppsala, Schweden, an der gemeinsamen ESC-SGK-Guidelines- Session am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK).<br /> Zu Qualitätszwecken wurden einige Begriffe, darunter der «erste medizinische Kontakt» und der Zeitpunkt, ab dem die Zeit bis zur Wiedereröffnung der Koronararterie gemessen wird, klar definiert (Abb. 1). Der Begriff «door to balloon» wurde dagegen eliminiert.<br /> Die Guidelines empfehlen eine primäre Behandlung mittels Fibrinolyse, wenn aufgrund systembedingter Behandlungsverzögerungen damit zu rechnen ist, dass die Zeit bis zur Reperfusion 120 Minuten überschreitet. Eine primäre perkutane Koronarintervention (PCI) wird empfohlen, wenn dieses Zeitintervall unter 120 Minuten liegt. «Das Ziel ist jedoch, in weniger als 90 Minuten ab der Diagnose eine Reperfusion zu erzielen», so James. Für Patienten, die zum Zeitpunkt des Ereignisses bereits in einem Spital mit einem Herzkatheterlabor hospitalisiert sind, wurde die angestrebte Reperfusionszeit auf unter 60 Minuten reduziert.<br /> Neu ist die Empfehlung, für die Revaskularisationsbehandlung einen radialen Zugang zu wählen. Zudem sollte «drug eluting» Stents (DES) der Vorrang vor «Bare metal»-Stents (BMS) gegeben werden. Die Frage, ob zusätzliche Koronarstenosen, die im Rahmen des STEMI entdeckt wurden, präventiv mitbehandelt werden sollten, wird kontrovers diskutiert. Aufgrund zusätzlicher Studienergebnisse empfehlen die Guidelines, eine Revaskularisierung zusätzlich betroffener Gefässe vor der Spitalentlassung zu erwägen.<br /> Verschiedene Studienergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Sauerstoffzufuhr bei Patienten mit einem unkomplizierten Myoardinfarkt negativ auswirken könnte. Eine Sauerstoffbehandlung wird deshalb nur bei Patienten mit einer arteriellen Sauerstoffsättigung (SaO<sub>2</sub>) =90 % empfohlen. Neuigkeiten gibt es auch in der Behandlung der Risikofaktoren. Basierend auf den Ergebnissen der IMPROVE-IT- und der FOURIER-Studie empfehlen die Guidelines bei Hochrisikopatienten, die unter maximal tolerierter Statindosis das LDL-C-Ziel von <1,8mmol/l nicht erreichen, eine ergänzende lipidsenkende Therapie.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s52_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="858" /></p> <h2>Duale Plättchenhemmung<sup>2</sup></h2> <p>22 Jahre sind vergangen, seit die erste Studie gezeigt hat, dass die duale Plättchenhemmung («dual antiplatelet therapy », DAPT) mit Acetylsalicylsäure (ASS) und einem P2Y<sub>12</sub>-Inhibitor (P2Y<sub>12</sub>-I) der konventionellen Antikoagulation nach PCI und Stentimplantation überlegen ist. In der Zwischenzeit wird die DAPT nicht nur zur vorbeugenden Behandlung von Stentthrombosen eingesetzt, sondern auch zur Sekundärprävention kardiovaskulärer (CV) Ereignisse. Das Blutungsrisiko unter DAPT nimmt proportional zur Behandlungsdauer zu. Aus diesem Grund sollte die DAPT immer unter Abwägung des individuellen Risikos für ischämische Ereignisse und Blutungen festgelegt werden. Zwei Risiko-Scores, die den Behandler zum Zeitpunkt der Intervention und nach Ablauf von 12 Monaten dabei unterstützen sollen, Nutzen und Risiko der DAPT einzuschätzen, sind der PRECISE-DAPT und der DAPT-Score. «Diese sind nicht perfekt, aber ein erster Schritt in Richtung einer individualisierten Behandlung», sagte Prof. Dr. med. Marco Valgimigli von der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Bern.</p> <h2>Stenttyp sollte Dauer der DAPT nicht beeinflussen</h2> <p>Wie der Behandlungsalgorithmus zeigt, sind für die Dauer und Zusammensetzung der DAPT zunächst die Indikation und das damit verbundene Ischämierisiko entscheidend (Abb. 2). Anschliessend gilt es das individuelle Blutungsrisiko einzuschätzen. Um das Risiko für gastrointestinale Blutungen unter der DAPT zu reduzieren, wird generell eine Behandlung mit einem Protonenpumpenhemmer empfohlen. Der verwendete Stenttyp sollte die Dauer der DAPT nicht beeinflussen.<br /> Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (ACS) und niedrigem Blutungsrisiko sollten für mindestens 1 Jahr eine DAPT, bevorzugt mit ASS plus Prasugrel oder Ticagrelor, erhalten. Eine verlängerte DAPT (>12 Monate) wird empfohlen bei Patienten, die einen Myokardinfarkt erlitten haben und bei denen unter der 12-monatigen DAPT keine Komplikationen aufgetreten sind. Die verlängerte DAPT sollte bevorzugt mit Ticagrelor (2x 60mg/d) durchgeführt werden. Ist das Blutungsrisiko nach ACS und PCI hoch, empfehlen die Guidelines für 6 Monate eine DAPT, bevorzugt mit ASS plus Clopidogrel oder Ticagrelor. Bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK) und niedrigem Blutungsrisiko beträgt die empfohlene DAPT-Dauer nach PCI 6 Monate und für Patienten mit hohem Blutungsrisiko mindestens einen Monat. In beiden Fällen ist der P2Y<sub>12</sub>-I Clopidogrel das Mittel der Wahl.<br /> Patienten mit einem ACS, die mit einer Bypassoperation behandelt wurden und ein niedriges Blutungsrisiko haben, erhalten für die Dauer von mindestens 12 Monaten eine DAPT. Das Gleiche gilt für ACS-Patienten mit einem niedrigen Blutungsrisiko, die konservativ behandelt wurden. Keine Indikation für eine DAPT besteht für Patienten mit stabiler KHK nach Bypassoperation oder mit alleiniger medikamentöser Therapie. Die Guidelines heben hervor, dass die Empfehlungen zur DAPT gleichermassen für Frauen und Männer gelten.<br /> Überprüft und angepasst wurden auch die Zeitintervalle, während deren die DAPT für einen chirurgischen Eingriff unterbrochen werden muss. Zudem gibt es neue Empfehlungen, betreffend die Behandlungsumstellung auf einen anderen P2Y<sub>12</sub>-I.<br /> Die DAPT ist bei Patienten, bei denen zusätzlich eine Indikation für eine orale Antikoagulation (OAK) besteht, keine einfache Angelegenheit. Etwas einfacher wird es durch die Regelung, dass bei der Tripeltherapie von den P2Y<sub>12</sub>-I einzig Clopidogrel infrage kommt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s52_abb2.jpg" alt="" width="1418" height="1798" /></p> <h2>Periphere arterielle Erkrankungen</h2> <p>Eine grosse Errungenschaft der aktuellen ESC-Guidelines zur Diagnose und Behandlung der peripheren arteriellen Erkrankungen (PAD) ist, dass diese zusammen mit der Europäischen Gesellschaft für vaskuläre Chirurgie (ESVS) erarbeitet wurden.<sup>3</sup> Die Guidelines weisen auf das erhöhte kardio- und zerebrovaskuläre Risiko und den erforderlichen multidisziplinären Ansatz bei der Behandlung der betroffenen Patienten hin und empfehlen, zu diesem Zweck in grösseren Behandlungszentren vaskuläre Teams einzurichten. Den Schwerpunkt ihres Referats legte Prof. Dr. med. Lucia Mazzolai, Leiterin der Klinik für Herz- und Gefässerkrankungen und Chefärztin der Angiologie an der Universitätsklinik in Lausanne, auf das Kapitel periphere arterielle Verschlusskrankheit der unteren Extremitäten («lower extremity artery disease», LEAD).<br /> Der Standardtest für das Screening und die Diagnose einer LEAD ist der Knöchel- Arm-Index («ankle-brachial index», ABI; Tab. 1). Daneben kann der ABI zur Stratifizierung des CV Risikos eingesetzt werden. Ein niedriger ABI (=0,9) ist mit einer 2- bis 3-fach erhöhten kardiovaskulären und Gesamtmortalität assoziiert. Ein hoher ABI (>1,4) weist auf eine erhöhte Arteriensteifigkeit sowie ein erhöhtes CV Risiko hin und findet sich oft bei Patienten mit Diabetes mellitus oder chronischen Nierenerkrankungen.<br /> Die LEAD verläuft oft asymptomatisch (Tab. 2). «Besonders im fortgeschrittenen Lebensalter oder bei Personen mit einer Herzinsuffizienz bleiben die Symptome der LEAD oft unentdeckt, weil sich die Betroffenen wenig bewegen», sagte die Spezialistin. Um eine «maskierte LEAD» zu entdecken, empfehlen die Guidelines, einen Gehtest durchzuführen.<br /><br /> Das moderne Management symptomatischer Patienten mit intermittierender Claudicatio basiert auf der strengen Kontrolle der CV Risikofaktoren kombiniert mit einer Bewegungstherapie. Schwer eingeschränkte Patienten sollten im Hinblick auf eine Revaskularisationsbehandlung abgeklärt werden. Die Indikation dazu sollte immer multidisziplinär gestellt werden.<br /> Patienten mit einer chronischen, für die Extremitäten bedrohlichen Ischämie («chronic limb-threatening ischaemia», CLTI) sind unverzüglich an ein Behandlungszentrum mit einem vaskulären Team zu überweisen. Die Guidelines empfehlen neuerdings die Anwendung der WIFi-Klassifikation zur Stratifizierung des Amputationsrisikos. Diese basiert auf folgenden Faktoren: Wunden (W), Ischämie (I) und Fussinfektion (Fi). Bei einem hohen Amputationsrisiko wird zum Schutz der Extremität zu einer frühen Revaskularisierung geraten. Bei symptomatischen Patienten werde eine antithrombotische Behandlung mit ASS oder Clopidogrel empfohlen, so Mazzolai. Der Nutzen einer antithrombotischen Therapie bei asymptomatischen LEAD-Patienten ist nicht belegt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s52_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="704" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s52_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="801" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: SGK-Jahrestagung, 6.–8. Juni 2018, Basel
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ibanez B et al.: 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2018; 39: 119-7 <strong>2</strong> Valgimigli M et al.: 2017 ESC focused update on dual antiplatelet therapy in coronary artery disease developed in collaboration with EACTS: The Task Force for dual antiplatelet therapy in coronary artery disease of the European Society of Cardiology (ESC) and of the European Association for Cardio- Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2018; 39: 213- 60 <strong>3</strong> Aboyans V et al.: 2017 ESC Guidelines on the diagnosis and treatment of peripheral arterial diseases, in collaboration with the European Society for Vascular Surgery (ESVS): Document covering atherosclerotic disease of extracranial carotid and vertebral, mesenteric, renal, upper and lower extremity arteries. Endorsed by: the European Stroke Organization (ESO)The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases of the European Society of Cardiology (ESC) and of the European Society for Vascular Surgery (ESVS). Eur Heart J 2018; 39: 763-816</p>
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