
HIV-Glasgow 2022: Einblicke in aktuelle und zukünftige Herausforderungen
Bericht:
Mag. Birgit Leichsenring
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Von 23. bis 27. Oktober 2022 fand einer der beiden renommierten europäischen HIV-Kongresse statt, die „Conference on HIV Drug Therapy“. Der Kongress wechselt sich jedes Jahr mit der Konferenz der EACS, der European Clinical AIDS Society, ab. Während die EACS eine Wanderkonferenz anbietet, hat sich die „HIV Drug Therapy“ fix im schottischen Glasgow etabliert, weshalb sie seit Jahren unter dem Namen „HIV-Glasgow“ läuft.
Mit etwa 2400 HIV-Ärzten und Forschern aus 91 Ländern feierte die Konferenz ihr 30-Jahre-Jubiläum im Hybridformat. Der thematische Fokus lag wie gewohnt auf Daten aus klinischen Studien und aktuellen Entwicklungen in der HIV-Forschung. Mit dem Kommentar „Science is political“ wurde jedoch zusätzlich veranschaulicht, dass Wissenschaft allein nicht ausreicht. Der Erfolg aller medizinischen Errungenschaften ist ohne adäquate gesellschaftliche, strukturelle oder finanzielle Rahmenbedingungen kaum oder nur unzureichend nutzbar. Neben HIV zeigen dies aktuelle Themen deutlich auf, z.B. in Zusammenhang mit Covid-19, humanen Affenpocken und Ebola oder auch mit Migrationsbewegungen, den Frauenrechten im Iran oder der Situation in der Ukraine.
Ukrainische Flüchtlinge in HIV-Betreuung in Polen
Mit etwa 1,2 Millionen Menschen hält sich der Großteil der ukrainischen Flüchtlinge derzeit in Polen auf. Die Unterschiede in der HIV-Epidemiologie der beiden Länder zeigen sich deutlich: Vor Kriegsbeginn erhielten in der Ukraine etwa 130000 Menschen eine HIV-Therapie, in den 17 Behandlungszentren in Polen waren es 15000 Patienten. Seit März wurden 2252 HIV-positive Menschen aus der Ukraine in die HIV-Betreuung in Polen aufgenommen. 71% der dieser HIV-Patienten waren weiblich und das Durchschnittsalter lag bei 40 Jahren. Transmissionen erfolgten, sofern bekannt, zu 71% heterosexuell, 13,2% über IV-Drogenkonsum, zu 6,3% über Sex unter Männern, 1,9% vertikal und 0,6% nosokomial. 29,7% wiesen HVC(Hepatitis-C-Virus)-Antikörper auf.1 91,8% hatten bereits in der Ukraine eine HIV-Therapie eingenommen. 70,32% nahmen das Single-Tablet-Regime aus Tenofovir Disoproxilfumarat, Lamivudin und Dolutegravir (TLD, Abb.1). Da es sich hierbei um eine HIV-Therapie handelt, welche nur in ressourcenlimitierten Regionen abgegeben wird, ist sie in der Form in Polen nicht verfügbar.
Abb. 1: Daten zur antiretroviralen Behandlung (ART) von ukrainischen Flüchtlingen in Polen (modifiziert nach Parczewski M et al. 2022)1
Insgesamt wurden 93,5% aller HIV-Therapien umgestellt, zumeist auf die Kombinationen Tenofovir Disoproxilfumarat, Emtricitabin und Dolutegravir (TDF/FTC+DTG) sowie Tenofovir Alafenamid, Emtricitabin und Bictegravir (TAF/FTC/BIC). Bei 31 therapienaiven Personen und in 19 Fällen eines Therapieversagens wurden zusätzlich HIV-Subtyp und Resistenzmutationen bestimmt. 88% hatten Subtyp A6, 14% eine NNRTI- und 2% eine NRTI bzw. PI-Resistenz. Die Studie zeigte auf, dass der Anstieg der HIV-Patienten in Polen um 13% nicht nur eine aktuelle Herausforderung bezüglich personeller und finanzieller Ressourcen ist.1
Dynamik in PrEP-Implementierung in der Ukraine
Programme für den breiteren Einsatz der HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) in der Ukraine zeigten sich in den letzten Jahren erfolgreich. In etwa 250 Landesweiten Anlaufstellen erhielten 2021 etwa 4850 Menschen eine HIV-PrEP. Die Dynamik der PrEP-Starts zeigt den Anstieg vor allem in Großstädten: In Odessa nahmen im Jänner 2021 nur 38 Personen eine PrEP, im Jänner 2022 waren es 880. In Kiew stiegen die PrEP-Starts im gleichen Zeitraum von 303 auf 1005. Im Vergleich zu PrEP-Kohorten westlicher Industriestaaten zeigen sich Unterschiede in den Charakteristika der PrEP-Klienten. 26% sind weiblich, 42% gaben Sex unter Männern, 18% IV-Drogengebrauch und 2% Sexarbeit an. Bei 32% wurde die PrEP in serodifferenten Partnerschaften eingesetzt. Letzteres dürftemit der geringeren Therapieabdeckung zusammenhängen, wodurch der Schutz vor HIV durch die effiziente Therapie der HIV-positiven Person nicht immer gegeben ist.
Die in Glasgow präsentierte PrEP-Dynamik in der Ukraine spiegelt den Krieg wider, insbesondere die landesinterne Ost-West-Migration ist sichtbar. Während z.B. der Zuwachs an PrEP-Klienten in Odessa um ca. 530% sank, stieg er im gleichen Zeitraum in Lviv um über 800% an.2 Trotz der Kriegshandlungen, zerstörter Infrastruktur und fehlender Ressourcen haben jedoch weitere 2600 Personen seit Jahresbeginn 2022 mit einer HIV-PrEP gestartet. Eine Diskussion machte unter anderem auf zwei Punkte aufmerksam: einerseits, dass eine Nachfrage nach PrEP auch in Zusammenhang mit sexueller Gewalt im Krieg stehen könne. Und andererseits, dass positiv anzuerkennen sei, wie großflächig die PrEP in der Ukraine trotz geringerer Ressourcen eingesetzt wird.
Schwangerschaft bei Frauen mit vertikaler HIV-Transmission
Eine britische Studie berichtete von der steigenden Anzahl an Schwangerschaften bei Frauen, deren HIV-Infektion auf eine vertikale Transmission zurückzuführen ist. Insgesamt wurden zwischen 2006 und 2021 fast 17500 Schwangerschaften von HIV-positiven Frauen registriert.3 Bei 131 dieser Frauen erfolgte die HIV-Diagnose bereits im Kindesalter, 37% waren im Vereinigten Königreich und 54% in afrikanischen Staaten geboren. Bei diesen Frauen kam es im Beobachtungszeitraum zu 202 Schwangerschaften.
Das Durchschnittsalter bei Geburt war deutlich jünger als bei Frauen mit heterosexuell akquirierter HIV-Infektion (24 vs. 33 Jahre). Weniger Frauen wiesen eine CD4-Zellzahl über 500/µl (35% vs. 42%) auf. Und wurde bereits bei Empfängnis eineHIV-Therapie eingenommen, hatten weniger Frauen mit vertikaler Transmission eine supprimierte Viruslast unter 50/ml im Vergleich zu Frauen mit heterosexueller Transmission (82% vs. 94%). Es kam häufiger zu Frühgeburten (Gestationsalter >37 Wochen: 81,6% vs. 87,5%) sowie zu geringerem Geburtsgewicht (Gewicht >2,5kg: 75,5% vs. 86,3%). Die Ursachen oder Hintergründe für diese Unterschiede sind nicht geklärt.
Infolge der weltweit voraussichtlich steigenden Anzahl an Frauen, die mit HIV aufgewachsen sind und ins gebärfähige Alter kommen, wird die Betreuung der Schwangerschaften in dieser Generation in Zukunft mehr Aufmerksamkeit benötigen.
Abb. 2: Prof. Dr. Miłosz Parczewski, Präsident der polnischen AIDS-Gesellschaft, präsentierte Daten zur HIV-Therapie von ukrainischen Flüchtlingen in Polen
Ort der HIV-Infektion bei immigrierten MSM
Einige europäische Studien zeigten, dass MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) ein höheres Risiko für eine HIV-Infektion sowie eine spätere Diagnose haben, wenn sie in einem anderen Land geboren sind und eine Migrationsgeschichte haben. Eine Studie in HIV-Behandlungszentren im Großraum Paris untersuchte die Charakteristika von 997 MSM mit Geburtsort außerhalb Frankreichs (28,7% Lateinamerika, 20,9% Europa, 17,4% Nordafrika, 14,8% Asien, 14,5% Subsaharaafrika). Als häufigste Grund für die Migration wurden Chancen in Ausbildung bzw. Arbeitsplatz und sexuelle Orientierung angegeben.
Mit 83% (829 Personen) immigrierte der Großteil der Männer nach dem 15. Geburtstag nach Frankreich. Das Durchschnittsalter in dieser Gruppe lag bei 27 Jahren und viele befanden sich in schwierigen sozioökonomischen Situationen: 25% ohne Aufenthaltstitel, 12% ohne Krankenversicherung, 27% arbeitssuchend, 45% ohne eigene Wohnung. Bei mindestens 38% von ihnen erfolgte die HIV-Infektion nach der Migration.4
Die Daten zeigen deutlich auf, dass die Situation von Migranten auch in Bezug auf HIV verbessert werden muss, um nachhaltig Erfolge in der Reduktion von HIV-Inzidenz und Prävalenz zu erreichen.
Literatur:
1 Parczewski M: Clinical perspective on Ukrainian war refugee HIV care in Poland. HIV-Glasgow 2022: Präsentation O11 2 Koval A: New challenges of PrEP implementation during Russian-Ukrainian war. J int AIDS Soc 2022; 25(S6): Abstract O12 3 Peters H: Pregnancy characteristics and outcomes of women with vertically-acquired HIV in the UK. HIV-Glasgow 2022: Poster P001 4 Palich R: High proportion of born-abroad MSM acquire HIV after migration in France: First results from the ANRS-MIEGanymede study. HIV-Glasgow 2022: Poster P111
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