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Autoimmunerkrankungen

Das familiäre Mittelmeerfieber

<p class="article-intro">In manchen Populationen, wie in denen der Anrainerstaaten des Mittelmeeres, ist das familiäre Mittelmeerfieber eine relativ häufige Erkrankung. Die Diagnose erfolgt hauptsächlich aufgrund von Klinik und Anamnese. Gentests können, müssen aber nicht hilfreich sein. Therapie der Wahl ist Colchicin. Wird dieses nicht vertragen, so kommen vor allem Interleukin-1-Blocker infrage.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das famili&auml;re Mittelmeerfieber (FMF) ist eine genetisch determinierte, durch rezidivierende Fieberattacken und Serosa- Entz&uuml;ndungen charakterisierte Erkrankung.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Die h&ouml;chsten FMF-Pr&auml;valenzen treten &ndash; wie der Name der Erkrankung schon sagt &ndash; in Bev&ouml;lkerungsgruppen auf, die urspr&uuml;nglich aus Anrainerstaaten des Mittelmeeres stammen, d.h. bei T&uuml;rken, Armeniern, Nordafrikanern sowie Menschen j&uuml;discher oder arabischer Abstammung. In diesen Gruppen betr&auml;gt die Carrier-Rate ca. 1:7, die Erkrankungsrate ca. 1:500. In der j&uuml;dischen Bev&ouml;lkerung Israels werden je nach Herkunft Unterschiede in den Carrier-Raten beobachtet. Diese betragen bei Juden aschkenasischer Herkunft 1:8, bei Juden nordafrikanischer Herkunft 1:6 und bei Juden irakischer Herkunft 1:4.<br /> Das FMF kommt jedoch, allerdings in niedrigerer Pr&auml;valenz, auch in vielen anderen Populationen vor, z.B. in Griechenland, Italien, den USA und sogar in Japan. Ein Teil dieser Pr&auml;valenz ist allerdings wiederum durch Einwanderer aus den genannten Regionen zu erkl&auml;ren. So stammen die meisten FMF-Betroffenen in Deutschland und auch &Ouml;sterreich aus der T&uuml;rkei, w&auml;hrend sie in Frankreich eher zur aus Nordafrika stammenden Population z&auml;hlen.<br /> In Mittelmeerl&auml;ndern, wie z.B. Italien, oder auch am Balkan gibt es bez&uuml;glich des FMF ein S&uuml;d-Nord-Gef&auml;lle.</p> <h2>Genetik</h2> <p>Die genetische Basis des FMF ist zumeist, aber nicht immer eine Mutation des MEFV-Gens, das am kurzen Arm des Chromosoms 16 liegt. Derzeit werden die Mutationen E148Q im Exon 2 sowie M680I, M694I, M694V und V726A im Exon 10 als die f&uuml;nf Hauptmutationen (oder Gr&uuml;nder-Mutationen) angesehen. Der Erbgang ist zumeist autosomal-rezessiv, d.h., es m&uuml;ssen beide MEFV-Allele ver&auml;ndert sein. Personen mit nur einer MEFV-Mutation sind in 95 % der F&auml;lle asymptomatisch. In seltenen F&auml;llen k&ouml;nnen sie aber auch erkranken, weshalb man vermutet, dass es zus&auml;tzliche Manifestationsfaktoren f&uuml;r das FMF gibt. Studien haben gezeigt, dass das Vorhandensein eines mutierten MEFV-Allels das Risiko f&uuml;r die Manifestation eines FMF um den Faktor 6 bis 8 erh&ouml;ht.<br /> Auch bei homozygoten Personen h&auml;ngt der Schweregrad der Erkrankung davon ab, welche Mutation vorliegt.<br /> So zeigen Personen, die bez&uuml;glich der M694V-Mutation homozygot sind, ein besonders schweres Krankheitsbild. Diese genetische Konstellation kommt h&auml;ufig bei aus Nordafrika stammenden Juden vor. Diese Patienten ben&ouml;tigen h&ouml;here Colchicin- Dosen, um Anf&auml;lle zu verhindern bzw. hatten &ndash; vor der Einf&uuml;hrung von Colchicin als Therapeutikum &ndash; eine h&ouml;here Amyloidose- Rate.</p> <h2>Pathogenese</h2> <p>Das MEFV-Gen kodiert Pyrin, ein Protein aus 781 Aminos&auml;uren, das vor allem im Zytoplasma von Zellen der myeloischen Reihe sowie synovialen Fibroblasten und dendritischen Zellen exprimiert wird. Pyrin spielt eine wichtige Rolle im angeborenen Immunsystem, indem es an der Aktivierung des sogenannten Inflammasoms,<br /> eines zytosolischen Proteinkomplexes in Makrophagen und neutrophilen Granulozyten, beteiligt ist. Zu dieser Aktivierung kommt es normalerweise infolge einer Infektion, z.B. mit Clostridium difficile, wobei Pyrin hier eine Art Sensorfunktion f&uuml;r die Aktivit&auml;t bakterieller Toxine aus&uuml;bt. Wird eine solche Toxinaktivit&auml;t detektiert, so aktiviert Pyrin das Inflammasom. Die f&uuml;r das FMF verantwortlichen MEFV-Mutationen scheinen dazu zu f&uuml;hren, dass die ver&auml;nderten Pyrin-Molek&uuml;le auch ohne infekti&ouml;sen Stimulus das Inflammasom aktivieren k&ouml;nnen. Dies bedeutet, dass Entz&uuml;ndungsmediatioren wie Interleukin 1 (IL-1) oder 18 (IL-18) vermehrt gebildet werden, was wiederum zu einer Anlockung von neutrophilen Granulozyten f&uuml;hrt und eine FMF-Attacke ausl&ouml;st. Man spricht hier von einer &bdquo;gain of function mutation&ldquo;.<br /> Ein &auml;hnlicher Mechanismus liegt auch anderen Erkrankungen, wie z.B. den Cryopyrin- assoziierten periodischen Syndromen (CAPS) oder dem &bdquo;familial cold autoinflammatory syndrome&ldquo; (FCAS), zugrunde.</p> <h2>Klinik</h2> <p>Die beiden wesentlichen Symptome sind einerseits sporadische, aber meist rezidivierende Fieberanf&auml;lle (meist 38&ndash; 40&deg;C), andererseits Serosa-Entz&uuml;ndungen, die sich je nach Lokalisation der Serositis (h&auml;ufiger) als Bauch- oder (seltener) als Brustschmerzen &auml;u&szlig;ern.<br /> Die Erstmanifestation erfolgt meist schon im Kindesalter; 65&ndash;90 % der F&auml;lle manifestieren sich vor dem 20. Lebensjahr. Nur in seltenen F&auml;llen erfolgt eine Erstmanifestation jenseits der 50.<br /> Die Anf&auml;lle dauern meist einen bis drei Tage, dazwischen sind die Patienten symptomfrei.<br /> Der Zeitraum, in dem die Anf&auml;lle auftreten, ist &ndash; selbst intraindividuell &ndash; &auml;u&szlig;erst variabel; es k&ouml;nnen Wochen, Monate oder auch Jahre sein.<br /> Auch ein konstanter Ausl&ouml;ser ist selten festzumachen. Allerdings sind starke k&ouml;rperliche Anstrengung, K&auml;lteexposition, emotionaler Stress, M&uuml;digkeit, chirurgische Eingriffe sowie Menstruation als Ausl&ouml;ser genannt worden.<br /> Der Verlauf eines FMF w&auml;hrend der Schwangerschaft ist uneinheitlich: Etwa in einem Drittel der F&auml;lle kommt es zu einer Besserung, in einem Drittel zu einer Verschlechterung und in einem Drittel zu keiner Ver&auml;nderung.<br /> Weitere Symptome k&ouml;nnen Gelenksschmerzen, erysipeloide Hautver&auml;nderungen und selten auch Myalgien, Perikarditiden, Kopfschmerzen und aseptische Meningitiden sein.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Diagnose FMF sollte bei Personen mit rezidivierenden Fieberattacken, die von Peritonitis, Pleuritis, Synovitis oder rezidivierenden Erysipel-artigen Hauterscheinungen begleitet werden, vermutet werden.<br /> Die Diagnose FMF beruht letztlich auf einer Kombination der Anamnese (fr&uuml;here klinische Symptome, ethnische Herkunft, Familienanamnese) mit der aktuellen Symptomatik.<br /> Selbst ein Gentest ergibt nicht immer konklusive Resultate &ndash; manchmal kann die Diagnose erst ex juvantibus, d.h. nach einigen Monaten Probetherapie, erfolgen. Tabelle 1 zeigt Diagnosekriterien und ihre Anwendung.<br /> M&ouml;gliche l&auml;ngerfristige Komplikationen des FMF sind sekund&auml;re Amyloidose, Obstruktion des D&uuml;nndarms und Infertilit&auml;t. Am h&auml;ufigsten von der Amyloidablagerung betroffen ist die Niere, aber auch Milz, Leber, Gastrointestinaltrakt und sp&auml;ter Herz, Schilddr&uuml;se und Hoden k&ouml;nnen betroffen sein.<br /> Die renale Amyloidose kann auch das erste und einzige Symptom eines FMF sein &ndash; in diesem Fall besteht eine asymptomatische Proteinurie.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1801_Weblinks_s9_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1855" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Das Ziel der Therapie eines FMF ist die Verhinderung von Anf&auml;llen und die weitestm&ouml;gliche Reduktion der subklinischen Entz&uuml;ndung im Intervall, weiters die Verhinderung der Entstehung bzw. Progression einer Amyloidose.<br /> Die Therapie der ersten Wahl, die allen FMF-Patienten empfohlen wird, ist Colchicin per os. Da die hoch dosierte Gabe von Colchicin nur w&auml;hrend eines FMF-Anfalls nicht vor der subklinischen Entz&uuml;ndung und der daraus oft resultierenden Amyloidose sch&uuml;tzt, ist eine Dauertherapie notwendig. Diese wird nach Alter und K&ouml;rpergewicht dosiert.<br /> Die Adh&auml;renz ist h&ouml;her, wenn die Tagesdosis auf einmal und nicht in zwei Teildosen verabreicht wird.<br /> Ca. 5 bis 10 % der FMF-Patienten sprechen nicht auf Colchicin an, und 2 bis 5 % vertragen es nicht (meist wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen). In diesem Fall kommt als Second-Line-Therapie eine IL-1-Blockade infrage. Neben dem IL- 1-Blocker Anakinra kommen auch der IL- 1-Betablocker Canakinumab sowie theoretisch Rilonacept (das jedoch nicht auf dem Markt ist) infrage. Eine Zulassung f&uuml;r die Therapie von FMF besitzt nur Canakinumab, das allerdings wesentlich teurer ist als Anakinra.<br /> Andere Substanzen, f&uuml;r die ein Ansprechen von FMF-Patienten berichtet wurde, sind Thalidomid, Etanercept, Adalimumab, Infliximab und Tocilizumab. Zu all diesen Substanzen fehlen jedoch kontrollierte Studien.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Giftiger Dienstag Spezial, „Fieber unbekannter Ursache“, Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Clemens Scheinecker, Universitätsklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien: „Familiäres Mittelmeerfieber und seine Bedeutung in Österreich“, 19. Dezember. 2017, Gesellschaft der Ärzte, Wien </p>
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