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Auch für klinische Pharmazeuten ein Thema?
Jatros
Autor:
Leonie Meemken
Pharmazeutin<br> E-Mail: info@meettheexperts.at<br> Web: www.meettheexperts.at
30
Min. Lesezeit
05.06.2019
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<p class="article-intro">Bericht vom 20<sup>th</sup> Clinical Pharmacology Workshop zu HIV, Hepatitis und anderen antiviralen Medikamenten in Noordwijk, Niederlande</p>
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<p class="article-content"><p>Seit März 2018 werden Patienten in einem Zentrum in Marseille bezüglich ihres Substanzkonsums befragt. Die Kohorte besteht aus 286 Patienten. 75 % der Befragten sind Männer in einem Alter von 19 bis 83 Jahren. Die Auswertung zeigte, dass jeder dritte Patient der Kohorte illegale Drogen konsumiert. 28 % dieser Patienten injizieren die Substanzen. 42 % der Patienten konsumieren an einem Abend mehr als eine Droge.<br />Dabei handelt es sich überwiegend um die folgenden Substanzen: Cannabis (42 %), Poppers (17 %), Kokain (16 %), Ecstasy/MDMA (7 %), GHB/GBL (5 %), Cathinone (4 %), Methamphetamin-Derivative (2 %), Ketamin (2 %), synthetische Cannabinoide (1 %) und LSD (1 %).<sup>1</sup><br />Cathinone wie das Mephedron sind neue psychoaktive Substanzen. Sie sind verwandt mit der Gruppe der Amphetamine und werden auf der Straße „Khat“ oder „Badesalz“ genannt. Cathinone sind dem Antidepressivum Bupropion sehr ähnlich, sodass dieses Antidepressivum für den Entzug eingesetzt wird.<br />Da 62 % dieser Substanzkonsumenten eine ART bekommen, ist ein Interaktions- Check essenziell. Diskutiert werden insbesondere Interaktionen mit den pharmakologischen Boostern Ritonavir und Cobicistat über das Isoenzym CYP2D6. Hier werden erhöhte Spiegel von MDMA, Methamphetamin, Cathinonen und Ketamin diskutiert (10 Fälle). Weiter könnte eine CYP2C9- Inhibition von Cannabis mit Efavirenz oder Etravirin zu vermehrten Nebenwirkungen führen (5 Fälle). Die Kombination von Kokain und Rilpivirin induziert eine verlängerte QT-Prolongation. Bei dem Interaktionspotenzial von GHB/GBL herrscht Unklarheit. Da GHB/GBL eine geringe therapeutische Breite besitzt, können erhöhte GHB/GBL-Spiegel eine lebensbedrohliche Toxizität auslösen.<br />Letztendlich sind die theoretischen Überlegungen zum Interaktionspotenzial mit der klinischen Praxis abzugleichen. Der folgende hypothetische Fall zeigt auf, wo es noch Bedarf für Forschung gibt.</p> <h2>Interaktion von ART und Begleitmedikation unter ChemSex</h2> <p>Ein 53-jähriger HIV-positiver Patient konsumiert während des Sex dreimal Methamphetamin. Das entspricht in etwa einer Menge von insgesamt ca. 30 mg Methamphetamin. Weiter konsumierte er Sildenafil 100 mg, was in Kombination mit Darunavir/ Ritonavir und Tenofovir/Emtricitabin zu erhöhten Sildenafil-Spiegeln führen kann. Die empfohlene Sildenafil-Dosis unter einem Booster beträgt 25 mg. Während des Sex bekommt der Patient Kopfschmerzen. Er kennt die Beschwerden und nimmt aufgrund seiner guten Erfahrung bei Kopfschmerzen Rizatriptan 10 mg ein.<br />Als Einschlafhilfe nach dem Substanzkonsum hat er sich Zopiclon in der Dosis von 7,5 mg zugelegt. Da die Kopfschmerzen am nächsten Tag nicht verschwinden, nimmt er eine weitere Tablette Rizatriptan 10 mg. Leider tritt der gewünschte Effekt nicht ein. Er fühlt sich zunehmend unwohler. Da er noch einen Freund vom Flughafen abholen möchte, „reißt er sich zusammen“. Nach der Rückkehr vom Flughafen fühlt er sich völlig kaputt. Er interpretiert es als einen grippalen Infekt mit Durchfall und Erbrechen. Doch neben der leicht erhöhten Temperatur beschleunigen sich der Puls und die Atmung. Er kann die ganze Nacht nicht schlafen, ist agitiert bis depressiv und versucht noch mehrmals zu erbrechen. Am nächsten Tag lassen die Symptome langsam nach. Trotzdem sucht er seinen Arzt auf. Dieser vermutet ein Serotoninsyndrom.<br />Rizatriptan ist ein Serotoninagonist und kontraindiziert mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, zu denen auch Methamphetamin bzw. Crystal Meth gehört. Serotonin- Wiederaufnahmehemmer können in Verbindung mit der Höchstdosis Rizatriptan (20 mg innerhalb von 24 Stunden) ein Serotoninsyndrom auslösen.<sup>4</sup> Weiter weist der Arzt auf die reduzierte Dosis des Phosphodiesterase-V-Hemmers Sildenafil in Kombination mit Boostersubstanzen hin.<sup>5</sup><br />Gerade in der Kombination von verschreibungspflichtigen Medikamenten mit illegalen Substanzen liegen oft Risiken, die den Anwendern nicht bewusst sind. Umso wichtiger ist es, dass die Substanzkonsumenten mit ihren Ärzten offen und ohne verurteilt zu werden über ihr Konsumverhalten sprechen können. Die psychischen Auswirkungen des Serotoninsyndroms und die Nachwirkung des Crystal-Meth-Konsums überlagerten sich und führten zu einer als sehr unangenehm empfundenen körperlichen und psychischen Verfassung.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 20<sup>th</sup> International Workshop on Clinical Pharmacology of
HIV, Hepatitis & Other Antiviral Drugs, May 14 – 16, 2019. Noordwijk, the Netherlands
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Martin T et al.: 20<sup>th</sup> International Workshop on Clinical Pharmacology of HIV, Hepatitis & Other Antiviral Drugs; Abstract #6 <strong>2</strong> Welch RD et al.: Ann Emerg Med 1991; 20(2): 154-7 <strong>3</strong> David Stuart, INXFO Expertenrat, www.inxfo.de 2016 <strong>4</strong> Siegfried Schwarze, Serotinagonisten INXFO, Fall- Letter. 2019 <strong>5</strong> University of Liverpool. HIV Drug Interactions. https://www.hiv-druginteractions.org</p>
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