„Die HNO hat glücklicherweise keine Nachwuchsprobleme“
Unser Gesprächspartner:
Prim. Prof. Dr. Fabian Sommer
Leiter der Abteilung für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch
E-Mail: fabian.sommer@lkhf.at
Das Interview führte Mag. Andrea Fallent
Prim. Prof. Dr. Fabian Sommer hat am 1. November 2024 die Leitung der Abteilung für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde in Feldkirch, Vorarlbergs einziger HNO-Abteilung, übernommen. Im Interview spricht er über seine Eindrücke, aktuelle Ziele und die zukünftigen Herausforderungen an das Gesundheitssystem.
Seine medizinische Laufbahn startete Prim. Prof. Dr. Fabian Sommer an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er das Studium der Humanmedizin verbunden mit Auslandsaufenthalten in Oxford (England) und St. John’s (Kanada) absolvierte. An der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO), Kopf- und Halschirurgie Ulm war er nach dem Staatsexamen zunächst als Assistenzarzt, bis 2017 als Funktionsoberarzt, bis 2020 als Oberarzt und zuletzt als geschäftsführender Oberarzt tätig. Seine umfassende wissenschaftliche Tätigkeit führte 2016 zur Habilitation mit Erteilung der Lehrbefugnis für das Fach HNO sowie im Mai 2020 zur Ernennung zum außerplanmäßigen Professor.
Mit seinem Wechsel nach Feldkirch tritt Sommer die Nachfolge von Prim. Dr. Wolfgang Elsäßer an, der die HNO-Abteilung am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch seit 2002 leitete. Im Interview spricht Sommer über die Vielfalt seines Fachbereichs und darüber, welche Entwicklungen der medizinischen Versorgung ihm Freude und welche ihm Sorgen bereiten.
Herr Prim. Sommer, warum haben Sie sich für eine medizinische Laufbahn entschieden und was hat Sie zur HNO-Heilkunde gebracht?
F. Sommer: Ursprünglich habe ich gar nicht Medizin, sondern zunächst drei Jahre Elektrotechnik studiert und dann zu Medizin gewechselt. Daraus resultiert mein großes Interesse an Technik beziehungsweise an technischen Neuerungen. Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von intraoperativer Navigation, mikroskopischen und endoskopischen Operationen und den damit verbundenen technischen Entwicklungen. Über meine Doktorarbeit bin ich damals eher zufällig auf das Fach HNO gekommen. Die HNO wird oft als eher kleines Fach tituliert, bietet aber eine unvorstellbare Breite an konservativen und operativen Möglichkeiten. Wir behandeln zudem Patienten und Patien-tinnen, die elektive Eingriffe benötigen, aber auch schwer kranke Patienten und Patientinnen, zum Beispiel solche mit onkologischen Erkrankungen. Die HNO beinhaltet große chirurgische Eingriffe, etwa bei der Tumorchirurgie. Zudem bietet sie mikroskopische und endoskopische Techniken bei der Ohr- und der Nasennebenhöhlenchirurgie sowie der Schädelbasischirurgie. All das ist sehr abwechslungsreich.
Sie waren vorher in Ulm tätig und sind seit einem Jahr am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch. Wie sind Ihre bisherigen Eindrücke?
F. Sommer: Der Wechsel von der Universitätsklinik Ulm an das Landeskrankenhaus Feldkirch war für mich sehr spannend. Medizinisch ist vieles vertraut, einige Abläufe unterscheiden sich jedoch in kleinen, aber spannenden Details. Besonders herausfordernd ist das außergewöhnlich breite Behandlungsspektrum der Klinik, das sich aus ihrer Rolle als Monopolabteilung ergibt und das mich von Anfang an überzeugt hat. Die Tätigkeit ist äußerst abwechslungsreich, das Aufgabenfeld vielseitig, und ein großartiges Team sorgt für ein sehr positives Arbeitsumfeld. Abgerundet wird das Ganze durch eine beeindruckende Umgebung – eine wirklich schöne Kombination.
Wie lautet Ihr Zwischenresümee? Welche Pläne verfolgen Sie?
F. Sommer: Das vergangene Jahr habe ich genutzt, um die vorhandenen Strukturen, den Aufbau der Klinik und die Abläufe vor Ort zu verstehen und zu analysieren. Ziel ist es, das gesamte Spektrum der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft anzubieten. Geplant ist unter anderem die Etablierung weiterer moderner Therapieverfahren: So werden voraussichtlich im Laufe des Jahres 2026 beispielsweise Zungenschrittmacher-Implantationen ins Behandlungsspektrum aufgenommen.
In der Tumorchirurgie zeichnen sich kontinuierlich bedeutende Fortschritte ab – sowohl in der konservativen als auch in der operativen Therapie –, die berücksichtigt werden müssen, um moderne Therapien anbieten zu können. Darüber hinaus streben wir mittel- bis langfristig eine Zertifizierung als Kopf-Hals-Tumorzentrum an.
Gibt es Entwicklungen, die Sie mit Sorge betrachten?
F. Sommer: Eine wesentliche Herausforderung stellt der Pflegepersonalmangel dar, der sowohl Österreich als auch Deutschland betrifft. Glücklicherweise ist die HNO-Station gut besetzt und verfügt über ein stabiles, sehr engagiertes Team. Im OP-Bereich ist der Personalmangel zwar spürbar, das wird sich aber hoffentlich in Zukunft verbessern.
Wie hoch ist der Frauenanteil unter dem ärztlichen Personal Ihrer Abteilung? Wie sieht es mit dem „Nachwuchs“ aus?
F. Sommer: Der Frauenanteil liegt derzeit bei 30% und wird voraussichtlich weiter steigen. Diese Entwicklung ist spannend und zeigt eine zunehmende Ausgeglichenheit. Nachwuchsprobleme bestehen glücklicherweise in keiner Weise. Für die HNO-Abteilung stellt es kein Problem dar, neue Interessierte für den Fachbereich zu gewinnen. Schwieriger wird es jedoch, sobald erfahrene Operateurinnen und Operateure oder Fachärztinnen und Fachärzte benötigt werden – zum Beispiel, wenn eine erfahrene Oberärztin oder ein erfahrener Oberarzt in die Niederlassung wechselt. Dieses Problem zeigt sich nicht nur in Österreich, sondern auch in der Schweiz und in Deutschland und hat in den letzten Jahren zugenommen.
Wie sehen Sie die Zukunft im Hinblick auf die medizinische Versorgung speziell in Ihrem Einzugsgebiet?
F. Sommer: Die Herausforderungen im Gesundheitswesen nehmen zu: Die Bevölkerung wird älter, Spezialisierungen nehmen zu und Therapien werden immer komplexer. Die Schwierigkeit besteht darin, einerseits die Patientenversorgung zu verbessern, andererseits aber steigende Kosten bei gleichzeitig begrenzten Budgets zu bewältigen. Diese Problematik wird in den kommenden Jahren eine bedeutende Herausforderung darstellen und erfordert strukturelle Anpassungen in der Gesundheitsversorgung. Trotz dieser Herausforderungen ist die Versorgung von schweren Erkrankungen gegenwärtig wie auch künftig gesichert.
Welche der Innovationen bzw. Entwicklungen in Ihrem Fachgebiet in der letzten Zeit sind aus Ihrer Sicht besonders bemerkenswert?
F. Sommer: Faszinierend sind die kontinuierlichen Verbesserungen bei implantierbaren Hörgeräten, die bemerkenswerte Fortschritte bei der Unterstützung oder Wiederherstellung eines Sinnesorgans möglich machen. Die endoskopischen Operationstechniken, die sich innerhalb der letzten Jahre immer weiter entwickelt haben, bieten die Möglichkeit, heute in vielen Fällen große Operationen an den Nasennebenhöhlen oder an der Schädelbasis über die Nasenlöcher ohne offene Zugänge durchführen zu können. Im onkologischen Bereich haben Antikörpertherapien bereits vieles verändert und werden für weitere Neuerungen sorgen. Ebenso wird sich die roboterassistierte Chirurgie in zahlreichen Bereichen unseres Fachgebiets weiter etablieren und präzisere, individuellere Therapien ermöglichen.
Wie stehen Sie zu künstlicher Intelligenz bzw. zum Einsatz von KI in Ihrem Fachgebiet?
F. Sommer: Künstliche Intelligenz ist grundsätzlich ein sehr wichtiger Bereich – sowohl in der Medizin im Allgemeinen als auch in der HNO. Gleichzeitig ist es entscheidend, als Nutzerin oder Nutzer eine kritische Haltung beizubehalten und nicht blind zu vertrauen. Bei medizinischen Fragestellungen können die Ergebnisse der KI ohne kritische Hinterfragung insbesondere im klinischen Kontext gefährlich sein. Die Situation lässt sich mit einer intraoperativen Navigation vergleichen: Sie dient als Zweitmeinung, während der Chirurg stets eine eigene Vorstellung davon haben muss, wo er sich mit den Instrumenten befindet.
KI wird die ärztliche Entscheidung nicht ersetzen, bietet aber als Hilfsmittel ein enormes Potenzial – etwa bei der Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Medikamenten oder bei der Analyse komplexer Daten.
Haben Sie im Moment auch noch Kapazitäten für Forschung? Falls ja, worauf liegt der Fokus?
F. Sommer: In meinem ersten Jahr in Vorarlberg hatte ich wenig Zeit für wissenschaftliche Projekte. In dieser ersten Phase lag mein Fokus vor allem darauf, die organisatorischen Abläufe und strukturellen Prozesse umfassend kennenzulernen. Grundsätzlich habe ich jedoch großes Interesse an wissenschaftlicher Arbeit, und auch mein Team bringt viel Motivation mit. Ich bin zuversichtlich, dass sich daraus künftig spannende wissenschaftliche Projekte entwickeln werden.
Rückblickend auf Ihre bisherige Forschungsarbeit, welche Schwerpunkte zählen zu Ihren Highlights?
F. Sommer: Mit meinem Team in Ulm habe ich umfangreiche Grundlagenforschung zur Rhinologie und zur Physiologie der Nase betrieben. Besonders interessant waren dabei auch die Auswirkungen endoskopischer Schädelbasiseingriffe auf die nasale und sinunasale Physiologie sowie das interdisziplinäre Vorgehen bei der Behandlung von Pathologien in dieser Region. Darüber hinaus fasziniert mich die onkologische Forschung, insbesondere im Bereich tumorerkrankungsbedingter Veränderungen der Nasenphysiologie und deren translationaler Ansätze. Diese Felder sind äußerst spannend und bieten zahlreiche Aspekte, die künftig noch vertieft werden können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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