
Einseitige Ertaubung: Wen versorgen wir wann und wie?
Autorin:
Priv.-Doz. DDr. Valerie Dahm
Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Medizinische Universität Wien
E-Mail: valerie.dahm@meduniwien.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die einseitige Ertaubung ist eine relativ häufige Hörstörung. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern stellt die Cochlea-Implantation den Goldstandard der Therapie dar, wobei nicht alle Betroffenen dafür geeignet sind. Die rasche Abklärung ist insbesondere auch bei einseitig taub geborenen Kindern entscheidend.
Keypoints
-
Der Goldstandard der Therapie bei einseitiger Ertaubung ist das Cochlea-Implantat.
-
Die Möglichkeit einer Cochlea-Implantation hängt von Zeitpunkt und Dauer der Ertaubung ab sowie unter anderem vom Vorhandensein eines Hörnervs.
-
Die beidseitige Durchführung des Neugeborenen-Hörscreenings und die Abklärung von einseitig auffallenden Befunden sind von großer Bedeutung.
Eine einseitige Ertaubung oder hochgradige Schwerhörigkeit (Hörschwelle ≥70dB) bei kontralateralem gutem Hörvermögen (Hörschwelle ≤30dB) wird auch als „single-sided deafness“ (SSD) bezeichnet.
Eine Ertaubung oder hochgradige Schwerhörigkeit (Hörschwelle ≥70dB) bei gleichzeitig bestehender Hörminderung kontralateral (Hörschwelle >30dB und ≤55dB) wird hingegen als asymmetrisches Hören bezeichnet.1 Diese Unterscheidung ist wichtig, da sie die Therapie signifikant beeinflusst. Ebenso ist die Kenntnis des Zeitpunktsund der Dauer der Ertaubung essenziell, um die beste Therapieoption zu finden.
Ursachen für Taubheit
Die Ursache und die Therapie der einseitigen Ertaubung unterscheiden sich meist bei Kindern und Erwachsenen. Erwachsene ertauben meist plötzlich an einem Ohr durch einen Hörsturz. Die Genese dieser Erkrankung ist bisher nicht abschließend geklärt und hat wahrscheinlich nicht immer die gleiche Ursache.
Zum Ausschluss eines Vestibularisschwannoms sollte jedenfalls eine Magnetresonanzuntersuchung bei diesen Patienten erfolgen. Da es sich hierbei um einen langsam wachsenden gutartigen Tumor im inneren Gehörgang handelt, muss diese Untersuchung nicht unmittelbar, jedoch Wochen bzw. Monate nach dem Hörsturz, durchgeführt werden. Einseitige Ertaubungen können auch durch Unfälle, als Folge von Infektionen (z.B. Mumps), nach Knalltrauma oder im Rahmen einer Mittelohrentzündung entstehen.
Therapieoptionen bei Erwachsenen
Nach einer ausführlichen Abklärung haben Betroffene mehrere Therapieoptionen (Tab. 1). Bei Patienten mit einseitiger Ertaubung, also gutem Hören auf dem kontralateralen Ohr, gibt es natürlich die Möglichkeit, keine Therapie wahrzunehmen und mit dem einen hörenden Ohr zu leben.
Hörgeräte
Eine Hörgeräteversorgung mittels CROS („contralateral routing of signals“) stellt eine Option dar. Bei dieser Variante bekommt man zwei Hörgeräte, eines auf dem tauben Ohr, das Signale aufnimmt und zum Gerät auf dem gesunden Ohr sendet, welches Töne und Sprache dann mit diesem hört. Der Vorteil ist, dass auch eintreffende Signale/Sprache auf der tauben Seite wahrgenommen werden. Der Nachteil (für die meisten Patienten) ist, dass zwei Hörgeräte getragen werden müssen.
Knochenleitungshörhilfe
Eine Alternative zur CROS-Versorgung stellt die Verwendung einer Knochenleitungshörhilfe dar. Hierbei wird auf der tauben Seite ein Knochenleitungshörgerät verwendet oder ein Implantat operativ gesetzt. Diese Art der Hörverbesserung funktioniert über die Knochenvibration des Schädels, welche das gesunde Innenohr anregt. So wird, trotz Eintreffen der Sprache auf der tauben Seite, das kontralaterale Innenohr direkt angesteuert. Die Vorteile sind ähnlich wie bei CROS-Versorgung. Der Nachteil ist, dass kein Richtungshören möglich ist und mit dem progredienten Hörverlust der guten Seite, welcher jeden unweigerlich im Laufe des Alters einholt, der Benefit zunehmend schwindet.
Cochlea-Implantat
Die Cochlea-Implantation ist die invasivste, aber für das binaurale Hören auch die beste Variante zur Versorgung einer einseitigen Ertaubung, da der Hörnerv des tauben Ohrs direkt elektrisch stimuliert wird. Die Cochlea-Implantation (mit nachfolgendem intensivem Hörtraining) stellt bei Patienten mit einseitiger Ertaubung den Goldstandard der Therapie dar.
Das Richtungshören ist bei dieser Art der Versorgung deutlich gebessert. Es ist unabhängig vom Verlauf der guten Seite, da das Hören auf dem tauben Ohr wiederhergestellt wird. Zusätzlich haben Studien gezeigt, dass der für die meisten Patienten quälende Tinnitus durch das Cochlea-Implantat signifikant verbessert wird.2
Ein Nachteil ist die Notwendigkeit der operativen Einsetzung des Implantates. Der Eingriff stellt allerdings an den entsprechenden Kliniken eine Standardoperation dar und ist mit minimalen Risiken verbunden. Nicht alle Patienten mit einseitiger Ertaubung sind geeignet für eine Cochlea-Implantation. Auf diese komplexe Thematik wird weiter unten nochmals eingegangen.
Ertaubung bei Kindern
Bei Kindern sind die Gründe für eine einseitige Ertaubung andere als bei Erwachsenen. Bei einseitig taub geborenen Säuglingen steht die Hörnerv-Aplasie (Fehlen des Hörnervs) im Vordergrund. In Studien konnte gezeigt werden, dass diese für bis zu 46% der Fälle verantwortlich ist.3
Weitere Gründe für eine einseitige Ertaubung, vor allem bei Kindern, stellt das sogenannte LVAS („large vestibular aqueduct syndrome“) dar, welches eine Erweiterung der Flüssigkeitsräume im Labyrinth zur Folge hat, oder die kongenitale CMV(Zytomegalie-Virus)-Infektion.Sowohl bei dem LVAS als auch bei der CMV-Infektion ist eine progrediente Ertaubung des kontralateralen Ohrs in weiterer Folge möglich. Daher sind sowohl eine gute Abklärung bezüglich der Genese der einseitigen Ertaubung als auch regelmäßige Kontrollen des gesunden Ohrsnotwendig, um eine etwaige Verschlechterung zeitnahe zu erkennen.3
Versorgung bei Kindern
Bei Kindern sind die sinnvollen Versorgungsoptionen bei einer einseitigen Ertaubung deutlich eingeschränkter als bei Erwachsenen. Auch bei Kindern gibt es die Option, mit einem hörenden Ohr zu leben, allerdings wissen wir heute, dass es zu einer deutlich größeren Höranstrengung kommt als bei Kindern, die zwei gut hörende Ohren haben.4 Diese Höranstrengung ist vergleichbar mit derjenigen von bilateral hörgeschädigten Kindern. Da die Versorgung mit einem CROS-Hörgerät wie auch mit einem Knochenleitungshörgerät nicht zu einer Aktivierung des tauben Ohrs führt und damit nicht zu einer Nervenstimulation, kommt es zu keiner Verbesserung des Richtungshörens oder des Hörens im Störlärm. Daher wird die Verwendung dieser Hörgeräte bei Kindern nur in Spezialfällen empfohlen.3 Auch hier stellt die Cochlea-Implantation den Goldstandard der Therapie dar.
Eine Cochlea-Implantation ist nur bei Patienten (Kinder und Erwachsene) möglich, die einen Hörnerv haben, da die Stimulation in der Hörschnecke erfolgt und das Implantat auf die Reizweiterleitung durch den Hörnerv angewiesen ist. Es sind sowohl die Dauer als auch der Zeitpunkt der Ertaubung in die Entscheidung über eine mögliche Cochlea-Implantation miteinzubeziehen. Studien konnten zeigen, dass es bei einseitig taub geborenen Kindern schon nach 2 Jahren zu einer zentralen Reorganisation kommt, die dazu führt, dass akustische Reize am tauben Ohr zunehmend schlechter wahrgenommen werden.5 Das bedeutet, dass einseitig taub geborene Kinder möglichst bald Cochlea-implantiert werden sollten, um von der Implantation auch profitieren zu können. Diese rasche Reorganisation unterstreicht die große Bedeutung der beidseitigen Testung beim Neugeborenen-Hörscreening und die dringende Notwendigkeit einer Abklärung bei einseitig auffälligen Befunden.
Sollte eine Ertaubung im späteren Leben eintreten, ist die Dauer der Ertaubung ebenfalls von Bedeutung. Etliche Studien konnten bereits zeigen, dass Patienten mit kurzer Ertaubungsdauer (1 bis 2 Jahre) deutlich mehr von einer Cochlea-Implantation profitieren als Patienten mit einer längeren Ertaubungsdauer.6
Fazit
Die einseitige Ertaubung ist eine relativ häufige Hörstörung, bei der es einige Optionen der Versorgung gibt. Die Cochlea-Implantation stellt heutzutage den Goldstandard der Therapie bei diesen Patienten dar. Vor allem bei taub geborenen Kindern ist eine rasche und gute Abklärung wichtig, um weitere Schritte planen zu können. Der Zeitpunkt und die Dauer der Ertaubung müssen vor allem bei Erwachsenen, die eine Cochlea-Implantation anstreben, in Betracht gezogen werden.
Literatur:
1 Van de Heyning P et al.: Towards a unified testing framework for single-sided deafness studies: a consensus paper. Audiol Neurootol 2016; 21(6): 391-8 2 Daher GSet al.: Cochlear implantation outcomes in adults with single-sided deafness: a systematic review and meta-analysis. Otol Neurotol 2023; 44(4): 297-309 3 Park LR et al.: American Cochlear Implant Alliance task force guidelines for clinical assessment and management of cochlear implantation in children with single-sided deafness. Ear Hear 2022; 43(2): 255-67 4 Bess FH et al.: Listening-related fatigue in children with unilateral hearing loss. Lang Speech Hear Serv Sch 2020; 51(1): 84-97 5 Kral A, Sharma A: Developmental neuroplasticity after cochlear implantation. Trends Neurosci 2012; 35(2): 111-22 6 Cohen SM, Svirsky MA: Duration of unilateral auditory deprivation is associated with reduced speech perception after cochlear implantation: a single-sided deafness study. Cochlear Implants Int 2019; 20(2): 51-6
Das könnte Sie auch interessieren:
Von „Klassikern“ bis zu „Raritäten“: Einführung in die Radiofrequenztherapie
Die Radiofrequenztherapie ist mittlerweile bei HNO-Eingriffen vielfältig einsetzbar. Aufgrund des steilen Temperaturgradienten wird das umliegende Gewebe geschont und es treten keine ...
Fachärztemangel in Österreichs Spitälern
Der Fachärztemangel in Österreichs Spitälern ist kein abstraktes Problem, sondern ein sehr reales, das uns im Alltag ständig begleitet. Um eine Erklärung für dieses Phänomenzu finden, ...
AC102: ein vielversprechender Wirkstoffkandidat bei Hörsturz
Hörsturz führt häufig zu dauerhaftem Hörverlust und Begleiterkrankungen wie Tinnitus. Glukokortikoide werden für den Off-Label-Einsatz verschrieben, obwohl es keine klinischen Beweise ...