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Wie ich eine disseminierte intravasale Gerinnung diagnostiziere und behandle

Der disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) können verschiedenartige Auslöser zugrunde liegen, weshalb die Diagnose und die Behandlung der Grunderkrankung einen überaus wichtigen Stellenwert haben. Die DIC muss als dynamischer Prozess begriffen werden, zu deren Beurteilung und Verlaufskontrolle verschiedene Scores dienen können. ImFolgenden werden die Hintergründe, Diagnostik und Therapieoptionen der DIC genauer beleuchtet.

Pathophysiologie

Tab. 1: DIC-Score der International Society on Thrombosis and Haemostasis (adaptiert nach Egi et al.)1

Eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC, aus dem Englischen übernommen: «disseminated intravascular coagulation») ist meist die Folge einer Exposition von Gewebefaktor gegenüber Blut. Das dann entstehende Übergewicht prokoagulanter Faktoren triggert eine vermehrte Thrombinbildung, die ihrerseits die plasmatische Gerinnungskaskade in Gang setzt, Thrombozyten aktiviert und zu einer disseminierten Bildung von zunächst Mikrothromben führt. Es kommt ausserdem zur Induktion endothelialer und leukozytärer zellulärer Reaktionen. Dies führt einerseits zur Bildung von «neutrophil extracellular traps» oder «NETs» (intrazelluläre Bestandteile inkl. freier DNA, die ihrerseits wieder gerinnungsaktivierend wirken); andererseits verursacht die Stimulation von Endothelzellen (durch Zytokine und gestörte mikrovaskuläre Durchblutung) die Freisetzung von Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA) aus Endothelzellen. Wie bei einer Gesamtaktivierung des Gerinnungssystems zu erwarten wird also in der DIC auch der fibrinolytische Weg aktiviert. Das erklärt, warum im Rahmen einer DIC sowohl Blutungen wie auch Thrombosen auftreten können.

Der Auslöser des prokoagulanten Triggers kann, wie erwähnt, vielgestaltig sein. Häufige Trigger sind u.a.:

  • Infektionen, insbesondere septische Verläufe (v.a. mit gramnegativen Organismen: deren Endotoxine induzieren vermehrt zelluläre Reaktionen und die Exposition von Gewebefaktoraktivität);

  • maligne Tumoren (besondere Beispiele sind Adenokarzinome des Pankreas und der Prostata sowie die akute Promyelozytenleukämie);

  • Polytraumata und protrahierte Schockzustände, die über einen ischämen Gewebeschaden zur o.g. Kaskade führen;

  • Komplikationen in der Geburtshilfe (z.B. vorzeitige Plazentalösung, induzierte Aborte, intrauteriner Fruchttod, Fruchtwasserembolie) durch Kontakt von Plazentagewebe (mit Gewebefaktoraktivität) mit dem mütterlichen Kreislauf.

Aber auch andere (seltenere) Ursachen wie andere Verletzungen, Verbrennungen, Erfrierungen, schwere Hämolyse oder Gefässmissbildungen kommen als Auslöser einer DIC vor.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die DIC nicht ein separates Krankheitsbild ist, sondern kausal immer auf dem Boden einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung entsteht. Will man also eine DIC erfolgreich behandeln, muss man die zugrunde liegende Erkrankung erfolgreich behandeln.

Klinisches Bild und Diagnostik

Das Auftreten einer DIC verschlechtert die Prognose der zugrunde liegenden Erkrankung. Die 30-Tage-Sterblichkeit erreicht bei solchen Patienten bis 50%, wenn die DIC zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme bestand. Und eine DIC kommt bei bis zu 1% aller hospitalisierten Patienten vor.

Eine DIC sollte differenzialdiagnostisch immer dann in Betracht gezogen werden, wenn es im Rahmen typischer Erkrankungen zum Auftreten einer Thrombozytopenie, einer Blutungsneigung oder von Thrombosen kommt. Dabei können Thrombosen primär als Mikrothrombosen auftreten und sich somit primär als sich verschlechternde Organfunktionen präsentieren.

Typische Veränderungen im Rahmen einer DIC sind (hier sind nicht nur Analyten dargestellt, die im Rahmen der Scores, s.u., erhoben werden):

Tab. 2: Score für Sepsis-induzierte Koagulopathie (SIC) (adaptiert nach Iba et al.)2

  • neues Auftreten einer Blutungsneigung

  • sich verschlechternde Organfunktionen, v.a. renal, pulmonal und hepatisch, später auch kardial

  • Thrombozytopenie in wechselndem Ausmass

  • Erniedrigung von Quick-Wert, Fibrinogen, Antithrombin, anderen Gerinnungsfaktoren

  • Erhöhung von INR, aPTT, D-Dimer

Wichtig ist zu erwähnen, dass diese Parameter zu Beginn einer DIC-Entwicklung noch nicht oder nur gering verändert sein können; daher ist in unklaren Situationen oder bei klinischer Differenzialdiagnose einer DIC die frühe labormässige und klinische Kontrolle zwingend, um eine potenzielle Dynamik rechtzeitig erfassen zu können.

Um eine DIC zu identifizieren bzw. definieren, wurden, wie erwähnt, verschiedene Scores erstellt, so z.B. der ISTH(«International Society on Thrombosis and Haemostasis»)-Score, der das Ausmass der Thrombozytopenie, der Veränderung der Prothrombinzeit/INR, den Verbrauch von Fibrinogen, das Ausmass der D-Dimer-Erhöhung und das Vorliegen einer mit einer DIC-Entstehung assoziierten Erkrankung betrachtet. Da sich eine DIC über eine geraume Zeit entwickeln kann, ist die dynamische und wiederholte Beurteilung des verwendeten Scores wichtig.

Die vergangenen Jahre haben aber auch gezeigt, dass erkrankungsspezifische Scores besser geeignet scheinen, eine DIC frühzeitig und adäquat zu identifizieren. Daher wurden insbesondere der «Sepsis-induced coagulopathy»(SIC)-Score und der für die Schwangerschaft adaptierte ISTH-Score entwickelt. Der SIC-Score verzichtet auf einen Teil der klassischen Hämostasemarker und verwendet nur die INR und die Thrombozytenzahl, schliesst dafür aber Marker der pulmonalen, kardialen, hepatischen und renalen Dysfunktion ein. Der schwangerschaftsadaptierte ISTH-Score verzichtet aufgrund der schwangerschaftsbedingten Veränderungen auf die D-Dimer-Messung.

Unterschiedliche Manifestationen

Tab. 3: Schwangerschaftsadaptierter ISTH-Score. Eine schwangerschaftsassoziierte DIC ist sehr wahrscheinlich bei Score ≥26 (adaptiert nach Erez et al.)3

Forschung und Erfahrung haben gezeigt, dass sich eine DIC in verschiedenen «Phänotypen» manifestieren kann. Halten sich prokoagulatorische Signale und fibrinolytische Aktivität die Waage und ist der Stimulus ausgeprägt, so sind dies Voraussetzungen dafür, dass es nach einer gewissen Latenz zu einem ausgeprägten Verbrauch aller beteiligten Komponenten und damit zu einer ausgeprägten Blutungsneigung kommt. Überwiegt die fibrinolytische Komponente, so ergibt sich in der Regel eine leichte bis mittlere Blutungsneigung. Überwiegt hingegen die prokoagulante Komponente, so führt dies vermehrt zu Mikrothrombosen und damit zur Verschlechterung der Organfunktionen.

Dabei unterstützt die fibrinolytische Aktivität – parallel zum Verbrauch von Thrombozyten, Gerinnungsfaktoren und natürlichen Antikoagulanzien – die Auflösung sich bildender Thromben; dabei entstehende Fibrinogen- und Fibrin-Spaltprodukte entwickeln selber eine relevante antikoagulante Aktivität, die zur Blutungsneigung beiträgt. Der parallele Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren führt einerseits zu einer erhöhten Blutungsneigung, andererseits aber auch zu intravaskulären Mikrothromben, woraus sich potenziell Perfusionsdefizite ergeben können – im schlimmsten Fall mit der Entwicklung eines Multiorganversagens. Deshalb muss in diesen Situationen auch immer in Betracht gezogen werden, dass die parallel ablaufende fibrinolytische Aktivität einen kompletten Verschluss der Mikrozirkulation in den betroffenen Stromgebieten verhindert.

Es wurde bereits mehrfach auf die mögliche Dynamik im Rahmen der Entwicklung einer DIC wie auch auf den «Phänotyp» der DIC hingewiesen. Auf dem Boden des klinischen Bildes kann man sich hierzu folgende Überlegungen machen:

Die klinisch «akut» auftretende DIC präsentiert sich sehr häufig mit einer relevanten Blutung. Nach dem bisher Gesagten erklärt sich dies in der Regel daraus, dass einerseits die Fibrinolyse aktiviert ist, andererseits der Verbrauch an Gerinnungsfaktoren die Syntheserate der Leber und der Verbrauch von Thrombozyten die Freisetzungsrate des Knochenmarks übersteigt und der Gesamtprozess rasch fortschreitet. Das heisst, dass zum Zeitpunkt des Auftretens der Blutung der Prozess der DIC schon für einige Zeit «gelaufen» sein muss. Anders ausgedrückt: Die DIC ist in diesem Fall ein kontinuierlicher, an Intensität rasch zunehmender Prozess, der sich dann (scheinbar plötzlich) als relevante Blutung äussert – sobald die Kompensationsfähigkeit des Gesamtsystems aus Prokoagulatoren und Fibrinolyse erschöpft ist.

Demgegenüber kann man die «kompensierte», «chronische» oder «non-overt» DIC abgrenzen. Hier ist der Prozess der DIC ebenfalls initiiert, jedoch kompensiert (d.h., die Syntheserate der Leber von Gerinnungsfaktoren und die Freisetzungsrate von Thrombozyten des Knochenmarks halten sich die Waage mit dem Verbrauch dieser Komponenten) oder allenfalls nur sehr langsam progredient. Dieser Phänotyp der DIC ist klinisch häufig «still» und kann nur durch Laboranalysen detektiert werden. Ist die Progression fehlend oder gering, resultiert daraus häufig eine fehlende oder nur geringe Blutungsneigung (wenig und geringe Schleimhautblutungen, blaue Flecken). Kommt es jedoch zu einer raschen Progression mit hoher Thrombinkonzentration, dann kann es via Mikrothrombosierungen zu raschem Verlust der Organfunktion kommen. Betrifft dies die Leber, dann kompliziert dies den DIC-Verlauf weiter, da dadurch das hämostatische Gleichgewicht noch weiter gestört wird.

Daraus ergibt sich folgende, grundlegende, parallel gestaltete Vorgehensweise, die zur Kontrolle einer DIC notwendig ist:

  • Diagnose der zugrunde liegenden Erkrankung

  • Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung

  • Alles andere (auch die hämostaseologische Therapie) dient der Zeitgewinnung, um die suffiziente Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung zu ermöglichen.

Abb. 1: Verschiedene Phänotypen der DIC (adaptiert nach Wada et al.)4

Therapiemöglichkeiten

Aus diesen grundlegenden Überlegungen lassen sich folgende therapeutische Vorgangsweisen ableiten:

  • Blutprodukte nach Notwendigkeit (bei blutenden Patienten oder bei sehr hohem Blutungsrisiko und positivem DIC-Score): Ersatz verlorener Prokoagulanzien (Thrombozyten, Faktorkonzentrate, «fresh frozen plasma»), Erythrozytenkonzentrate

  • raschest möglich (sobald klinisch vertretbar) Blockade des Pathomechanismus, also der Thrombingenerierung, mittels Heparinbehandlung

  • engmaschige Überwachung der Behandlung

  • bei Antithrombinverlust Substitution in Betracht ziehen, um die Heparinwirkung (Thrombinblockade) sicherzustellen; bei der allfälligen Antithrombinsubstitution ist es wichtig, diese nicht ohne Risikostratifizierung und nur als Ersatz eines nachgewiesenen Verlustes durchzuführen

Die Dosierung der Heparintherapie und eines allfälligen Antithrombinersatzes wird sich dabei nach der jeweiligen Situation richten; in der Praxis hat sich ein Beginn mit tiefen Dosen, engmaschiger Überwachung und Dosisanpassung nach Klinik, initial im Intervall von 8–12 Stunden, bewährt. Kürzlich durchgeführte metaanalytische Untersuchungen weisen darauf hin, dass septische Patienten vom Einsatz niedrigmolekularer Heparine profitieren.

Früher geprüfte Therapieverfahren wie die risiko- und konzentrationsunabhängige Gabe von Antithrombin oder die Gabe von aktiviertem Protein C werden heute bei insgesamt negativ verlaufenen Interventionsstudien nicht mehr empfohlen.

Fallbeispiel

Ein 68-jähriger Afrika-Rückkehrer präsentiert sich mit Fieber, Verschlechterung des Allgemeinszustands und Kopfschmerzen. Die Abklärung ergibt das Vorliegen einer Malaria bei Plasmodium-falciparum-Infektion. Eine entsprechende Therapie wird eingeleitet.

Abb. 2: 68-jähriger Patient mit Sepsis-induzierter DIC infolge von Malaria. Verlauf der Gerinnungswerte unter adäquater Malaria- und Heparintherapie

Am folgenden Tag erfolgt ein hämatologisches Konsil wegen einer (weiter zunehmenden) Thrombozytopenie. Es zeigt sich ein SIC-Score von 5 Punkten (INR 1,3, Thrombozyten <100G/l, Bilirubin und Kreatinin erhöht) und belegt eine SIC. Die erneute Abklärung zeigt eine progrediente Parasitämie.

Es werden der Wechsel der Antimalariatherapie und der Beginn einer Therapie mit Heparin (15000 Einheiten/24 h) sowie ein Antithrombin-Monitoring in die Wege geleitet. Unter adäquater Therapie der Malaria und bedarfsgerechter Substitution ist der weitere Therapieverlauf günstig. Die Thrombozytenzahl und die Kreatinin-Konzentration normalisieren sich.

Zusammenfassung

Die DIC ist ein dynamischer, prokoagulanter Prozess, der aus einer übermässigen Thrombinbildung auf dem Boden einer vorbestehenden Erkrankung entsteht. Bei einem entsprechenden Verdacht oder bei gestellter Diagnose muss der Dynamik durch eine engmaschige klinische und labormässige Kontrolle Rechnung getragen werden.

Grundlage jeder erfolgreichen Behandlung einer DIC ist die adäquate Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung. Um mehr Zeit für diese kausale Therapie gewinnen zu können, ist es sinnvoll, die hämostaseologischen Komplikationen der zugrunde liegenden Erkrankung – eben die DIC – parallel zu behandeln. Ziel dieser Behandlung ist es, die überschiessende Thrombinbildung zu blockieren und das Gerinnungssystem der Patienten in Kompensation zu bringen und zu halten, bis die kausale Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung greift. Dies erfordert ein individualisiertes Vorgehen.

Die Thrombinbildung wird vorzugsweise durch Heparin blockiert, wobei neuere Daten einen Vorteil beim Einsatz von niedrigmolekularem Heparin vermuten lassen. Die Wirksamkeit des Heparins sollte durch Kontrolle – und bei Bedarf Substitution – des Antithrombingehalts sichergestellt werden. Da die DIC eine prothrombotische Komplikation mit mikrovaskulären Thrombosen ist, sollten Prokoagulanzien nur so lange verabreicht werden wie unbedingt nötig, und auf antifibrinolytische Therapien sollte verzichtet werden, insbesondere bei Hinweisen auf eingeschränkte Organfunktionen.

1 Egi M et al.: Non-overt disseminated intravascular coagulation scoring for critically ill patients: the impact of antithrombin levels. Thromb Haemost 2009; 101(4): 696-705 2 Iba T et al.: New criteria for sepsis-induced coagulopathy (SIC) following the revised sepsis definition: a retrospective analysis of a nationwide survey. BMJ Open 2017; 7(9): e017046 3 Erez O et al.: DIC score in pregnant women--a population based modification of the International Society on Thrombosis and Hemostasis score. PLoS One 2014; 9(4): e93240 4 Wada H et al.: Diagnosis and treatment of disseminated intravascular coagulation (DIC) according to four DIC guidelines. J Intensive Care 2014; 2(1):15

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