
©
Getty Images
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
Jatros
Autor:
Dr. Sigrid Schmidl-Amann
Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe<br>Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige<br>E-Mail: dr.schmidl@utanet.at
30
Min. Lesezeit
05.10.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die gynäkologischen Erkrankungen der Kinder unterscheiden sich wesentlich von jenen in der Pubertät und im Jugend- sowie im Erwachsenenalter. Aufgrund der unterschiedlichen hormonellen Situation der Kinder kommt es zu anderen Krankheitsbildern, die zum Teil auch andere Therapien erfordern. Deshalb ist die Kenntnis der Entwicklungsperioden und der Fehlbildungen bei Kindern und Jugendlichen die wichtigste Grundvoraussetzung für eine profunde und hilfreiche kinder- und jugendgynäkologische Begutachtung.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Neben der üblichen allgemeinen Anamnese wird bei Kindern noch zusätzlich auf die Größe und auf das Gewicht geachtet, ebenso auf das Tanner-Stadium. Dieses gibt in einer sehr klaren Art und Weise den hormonellen und körperlichen Entwicklungszustand der Kinder wieder. Entsprechend den Tanner-Abbildungen werden die Brüste sowie die Schambehaarung der Kinder beurteilt und in Stadien eingeteilt. Diese Stadien entsprechen dem Bild der hormonellen Entwicklung in der Pubertät (Abb. 1).<br /> Entsprechend ihrer hormonellen Entwicklung werden Kinder drei Phasen zugeordnet: Neugeborenenphase, hormonelle Ruhephase, Pubertät. Die Hymenalentwicklung verläuft diesen hormonellen Phasen entsprechend (Abb. 2).<img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1704_Weblinks_gyn_1704_seite_9_abb1.jpg" alt="" width="1045" height="1292" /> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1704_Weblinks_gyn_1704_seite_10_abb2.jpg" alt="" width="1418" height="947" /></p> <h2>Neugeborenenphase</h2> <p>Intrauterin wirkt der Östrogenspiegel der Mutter auf den Fötus. Deshalb kommt es nach der Geburt bei weiblichen Kindern zu einer Anschwellung der Schamlippen sowie zu einem Austritt von Flüssigkeit aus der Scheide, der als neonataler Fluor vaginalis beschrieben wird und physiologisch ist. <br />Nach Abschluss der neonatalen Phase tritt das Kind in eine hormonelle Ruhephase ein, die bis zum Beginn der Pubertät anhält. Diese Phase ist gekennzeichnet durch einen sehr niedrigen Östrogenspiegel, dementsprechend ist sowohl das äußere als auch das innere Genitale nicht sehr stark durchblutet. Das Hymen stellt sich in diesem Alter als sehr zart und durchscheinend dar.<br /> In diesem Alter wird bei einer Ultraschalluntersuchung mit gefüllter Blase die Gebärmutter sehr zart dargestellt sein, das Verhältnis der Gebärmutter zum Gebärmutterhals ist noch deutlich zugunsten des Gebärmutterhalses verschoben.</p> <h2>Pubertät</h2> <p>Etwa ein bis zwei Jahre vor Beginn der Menarche beginnt das Brustwachstum der Mädchen. Die Brust schwillt an, sehr häufig schmerzhaft, und zeigt durch ihr Wachsen die Steigerung der weiblichen Hormone, der Östrogene, an.<br /> Etwa ein Jahr bevor die Menarche dann eintritt, erlebt das Kind einen deutlichen Wachstumsschub, zu diesem Zeitpunkt kommt es auch zu einer vermehrten Sekretion aus der Scheide, die oft als unangenehmer Ausfluss erlebt wird, jedoch in keiner Weise behandlungsbedürftig ist, da sie lediglich ein Ausdruck der hormonellen Veränderung ist. Die Schambehaarung kann schon vor dem Brustwachstum beginnen, teilweise auch erst mit Beginn der Brustentwicklung.<br /> Etwa zwei Jahre nach Beginn der Brustentwicklung kommt es zum Eintreten der ersten Menstruation. Diese ersten Blutungen können noch etwas unregelmäßig sein, häufig kommt es auch zum Auftreten von Regelschmerzen.</p> <h2>Warum Kinder in einer gynäkologischen Praxis vorgestellt werden</h2> <p>Die häufigsten Gründe, warum Kinder von ihren Müttern in eine gynäkologische Praxis gebracht werden, sind die Symptome Juckreiz, Ausfluss und Rötung.</p> <h2>Die Untersuchung</h2> <p>Die Untersuchung der Kinder wird in Steinschnittlage mit angezogenen und gespreizten Beinen auf einer Liege oder einem gynäkologischen Stuhl durchgeführt. Zuerst erfolgt die Inspektion mit freiem Auge bzw. mit dem Kolposkop, danach eine Separation und Traktion der Schamlippen. Dabei werden beidseits die großen Schamlippen vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger gefasst und vorsichtig nach vorne und etwas seitlich gezogen. Dabei öffnet sich der Introitus und das Hymen ist gut einsehbar. Durch die Atmung beginnt sich das Hymen zu weiten und es ist möglich, den Hymenalsaum im Kolposkop allseitig gut zu beurteilen, ebenso die Scheidenwände und eine Sekretion der Scheide.<br /> Sollte das Kind mit einer Blutung vorstellig geworden sein, muss an die Durchführung einer Vaginoskopie zum Ausschluss eines Fremdkörpers oder eines Tumors gedacht werden. In den meisten Fällen kann auf eine Vaginoskopie jedoch verzichtet werden, denn die beschriebene Inspektion ist zumeist für eine Diagnostik ausreichend.<br /> Wenn tatsächlich eine Rötung oder ein Ausfluss aus der Scheide festgestellt wird, sollte ganz vorsichtig mit einem sehr dünnen sterilen Watteträger Sekret gewonnen werden. Dabei ist streng darauf zu achten, dass mit dem Stäbchen nicht das Hymen berührt wird, da es in der hormonellen Ruhephase für die Kinder sehr schmerzhaft und damit auch traumatisierend ist. Des Weiteren muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Kultur intravaginal abgenommen wird, da im Bereich des Introitus mit sehr hoher Sicherheit Stuhlkeime zu finden sind. Diese können zu einer falschen Diagnose und nachfolgend falscher Therapie führen.</p> <h2>Hygiene und Infektionen</h2> <p>Häufig finden sich Rötungen und Fluor, die auf Hygienemängel zurückzuführen sind. Vor allem bei kleinen Mädchen, die selbstständig auf die Toilette gehen, kann es vorkommen, dass der Harn bei der zu tiefen Positionierung des Gesäßes in die Scheide zurückrinnt und dort zu einer Reizung führt. Beim Aufstehen kommt es zudem zu einem Nachtröpfeln und zu Nässe im Scheideneingangsbereich, die eine Schädigung der Haut nach sich ziehen kann. In diesen Fällen sind lediglich eine Aufklärung der Mutter und eine Veränderung des Hygieneverhaltens sowie eine Behandlung mit Fettsalben notwendig. Liegen jedoch Infektionen mit Escherichia coli, Enterokokken oder Streptokokken B vor, müssen diese natürlich behandelt werden.<br /> Vaginale Pilzerkrankungen während der hormonellen Ruheperiode sind selten, da für das Wachstum der Hyphen Östrogene notwendig sind.</p> <h2>Fehlbildungen</h2> <p>Wenn Kinder wegen Harnverlust die Praxis aufsuchen, muss einerseits daran gedacht werden, dass die Ursache, wie oben beschrieben, ein Rückfluss des Harns in die Scheide sein kann. Das anschließende Herauströpfeln aus der Scheide kann fälschlicherweise wie ein unwillkürlicher Harnverlust wirken. Andererseits sollte in diesem Zusammenhang an Nieren- und Ureterfehlbildungen mit einer eventuellen Fehleinmündung des Ureters in die Scheide gedacht werden.</p> <h2>Lichen sclerosus</h2> <p>Bei Kindern kann ein von der Mutter und dem Kind beschriebener Juckreiz mit Veränderung der Schamlippen durch Lichen sclerosus hervorgerufen werden. Die Veränderungen bei den Kindern sind aufgrund der Kratzeffekte oft sehr dramatisch, nicht selten wird dieses Bild dann mit Verletzungen durch sexuellen Missbrauch verwechselt. Die Behandlung mit einer Kortisonsalbe und fetthaltiger Pflege ist die gleiche wie bei Erwachsenen.</p> <h2>Synechien</h2> <p>Bei kleinen Kindern kann es manchmal zu Verklebungen der Vulvaränder, sogenannter Vulvasynechie, kommen, in diesem Fall ist bei Kindern in der hormonellen Ruhephase eine Therapie nur dann notwendig, wenn diese Synechie einen Abfluss des Harns beeinflussen und verringern würde. Dann ist eine Lokaltherapie mit einer östriolhaltigen Creme notwendig, die von der Mutter mittels eines Wattetupfers zweimal am Tag mit leichtem Druck aufgetragen werden sollte.<br /> Ist die Vulvasynechie nur gering, kann die Mutter durchaus beruhigt werden. In diesem Fall und wenn die Vulvasynechie nicht fortschreitet, kann bis zur Pubertät gewartet werden. Aufgrund der Östrogenentwicklung in der Pubertät lösen sich diese Vulvasynechien fast immer von selbst.</p> <h2>Zysten und Pubertas praecox</h2> <p>Immer wieder werden kleine Kinder mit unklaren Schmerzen im Unterbauch beim Röntgenarzt vorstellig, der vereinzelt dann Ovarialzysten in der Größenordnung von 1 bis 2cm findet. Diese machen den Kindern zumeist keine Beschwerden und sind kein Hinweis auf eine Pubertas praecox. Sie sollten lediglich beobachtet werden, eine Operation ist in den meisten Fällen nicht notwendig.<br /> Sollte bei einem Kind eine hormonelle Veränderung im Sinne einer Pubertät vor dem Alter von 8 Jahren beginnen bzw. bei noch jüngeren Kindern plötzlich eine Brustentwicklung oder ein überdurchschnittliches Wachstum stattfinden, sollten diese Kinder in einer gynäkologischen Praxis vorgestellt werden, da eine Pubertas praecox bzw. eine Pseudopubertas ausgeschlossen oder eventuell therapiert werden muss.</p> <h2>Monatsblutungen</h2> <p>Wie oben beschrieben kommt es etwa zwei Jahre nach Beginn der Brustentwicklung zur ersten Monatsblutung. Die ersten Monatsblutungen können sehr unterschiedlich in den Abständen und auch in der Stärke sein.<br /> Sollte es bei einem Kind zu einer außergewöhnlich starken Monatsblutung im Sinne einer juvenilen Hypermenorrhö kommen, muss an ein Von-Willebrand- Syndrom gedacht werden und eine diesbezügliche Abklärung und Therapie durchgeführt werden. Sollte eine Therapie mit Tranexamsäure keine Verbesserung bringen, muss auch bei jungen Kindern aufgrund des teilweise sehr hohen Blutverlustes eine Östrogentherapie zum Anhalten der starken Blutung angewendet werden.<br /> Dysmenorrhö tritt häufig bei Jugendlichen auf. Diese ist jedoch nur selten mit einer Endometriose als Grunderkrankung verknüpft. Wenn ein Kind jedoch starke Regelschmerzen hat, sollte unbedingt eine Ultraschalluntersuchung bei gefüllter Harnblase durch die Bauchdecke erfolgen, da ja auch Uterusfehlbildungen oder Veränderungen des Eierstockes bzw. Endometriose dafür ursächlich sein können.</p> <h2>Kontrazeption</h2> <p>Ein wichtiger Punkt in der Jugendgynäkologie ist die Frage der Verhütung. Aus rechtlicher Sicht darf in Österreich ab einem Alter von 14 Jahren eine hormonelle Verhütung gegeben werden, da Jugendliche ab 14 Jahren eingeschränkt rechtsfähig sind. Es ist jedoch notwendig, zuvor eine exakte Anamnese und Abklärung bezüglich des Thrombophilierisikos durchzuführen.<br /> Die häufigste Verhütungsform bei Jugendlichen ist die Pille, da sie eine sichere Kontrazeption bietet und gleichzeitig das Blutungsverhalten verbessert, Regelschmerzen verringert sowie Hautunreinheiten bessern kann.<br /> Als Alternativen vor allem bei Mädchen, die keine Östrogene einnehmen dürfen, kann man eine Progesteronpille (POP) geben. Auch das Setzen eines gestagenhaltigen Hormonstäbchens, das für drei Jahre wirkt, hat sich bewährt und besonders bei Mädchen mit einer mangelhaften Compliance zur täglichen Pilleneinnahme als sehr günstig erwiesen.<br /> Nach exakter Aufklärung und körperlicher Untersuchung kann auch bei Jugendlichen eine kupferhaltige intrauterine Verhütung oder eine intrauterine Hormonspirale gesetzt werden.</p> <h2>Körperliche Veränderungen</h2> <p>Bei heranwachsenden Mädchen ist auch die körperliche Veränderung ein sehr wichtiges Thema. Größe und Form der Brust oder der Schamlippen werfen Fragen für die Mädchen auf. Es ist hilfreich, ihnen ein vertrauensvolles Gespräch anzubieten, in dem sie ihre Fragen offen stellen können. So kann es bei der Brustentwicklung zu Veränderungen wie einer Tubenbrust oder unterschiedlich großen Brüsten kommen. In diesen Fällen ist eine Beratung hinsichtlich einer operativen Angleichung bzw. einer operativen Behandlung der Brust angezeigt.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>bei der Verfasserin</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Morbus Paget der Vulva
Nach Definition der WHO stellt der Morbus Paget der Vulva eine intraepitheliale Neoplasie und obligate Präkanzerose dar, die von pluripotenten Stammzellen der interfollikulären Epidermis ...
Neue Erkenntnisse zur Kolporrhaphie
Die Kolporrhaphie ist eines der etabliertesten chirurgischen Verfahren in der Beckenbodenchirurgie, welches vorrangig zur Behandlung von Beckenorganprolaps (BOP) eingesetzt wird. Die ...
Die Kunst ärztlicher Kommunikation bei Breaking Bad News
Worte haben entscheidende Wirkungen. In Gesprächen mit Patient:innen und Angehörigen gibt es meist eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der Ärztin, dem Arzt. Vor allem die Übermittlung ...