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Welche Therapien machen bei älteren Patienten mit Diabetes Sinn?

Die Prävalenz des Diabetes mellitus steigt bekanntermaßen mit zunehmendem Lebensalter an und beträgt bei über 70-Jährigen rund 25%.1Bei geriatrischen Patienten mit Diabetes mellitus ist eine an ihre individuelle Situation angepasste Definition der Behandlungsziele notwendig, unter Berücksichtigung der Problematik der Multimorbidität, der Einschränkung der funktionellen und kognitiven Fähigkeiten sowie des Risiko einer Polypharmazie.2

Keypoints
  • Bei geriatrischen Patienten hat der Erhalt der Lebensqualität eine große Bedeutung.

  • Für ältere Menschen mit Diabetes gelten grundsätzlich die gleichen Zielwerte wie für jüngere.

  • Besondere Aufmerksamkeit gilt dem erhöhten Hypoglykämierisiko.

  • Bei Nichterreichen der glykämischen Zielwerte unter Lebensstilintervention besteht eine Indikation zur medikamentösen Therapie.

  • Bei älteren Patienten ist dabei die Beachtung von Kontraindikationen, Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen besonders wichtig.

Hinsichtlich der Therapieformen müssen auch besonders Nebenwirkungen und Kontraindikationen der Klassen antiglykämischer Substanzen im Hinblick auf altersassoziierte Einschränkungen der Organfunktionen beachtet werden. Interprofessionelle und interdisziplinäre Aspekte sind im Betreuungskonzept für ältere Diabetiker besonders wichtig, da sie auch Schulungsmaßnahmen sowie die praktische Umsetzung der Therapie und das Screening auf diabetische Spätkomplikationen betreffen.

Therapieziele

Bei geriatrischen Patienten hatder Erhalt der Lebensqualität eine große Bedeutung. Dies beinhaltet die Prävention von diabetischen Komplikationen und Folgeerkrankungen, aber auch ein Vermeiden der Entwicklung bzw. Verschlechterung geriatrischer Syndrome. Das Vorliegen und der Schweregrad funktioneller und kognitiver Einschränkungen gelten deshalb als Bezugspunkte für die Therapieziele und die Therapieplanung (Tab. 1).2

Grundsätzlich gelten für ältere Menschen mit Diabetes die gleichen Zielwerte wie für jüngere. Eine Anhebung der Stoffwechselzielwerte erfolgt jedoch bei einem hohen Hypoglykämierisiko, funktioneller Einschränkung mit Pflegebedürftigkeit, Multimorbidität, höhergradiger kognitiver Einschränkung sowie begrenzter Lebenserwartung bei einer schweren Begleiterkrankung. Besondere Beachtung muss dem erhöhten Hypoglykämierisiko geschenkt werden. Gegenregulatorische Mechanismen bei Hypoglykämie sind im fortgeschrittenen Lebensalter eingeschränkt, und häufig unspezifische Symptome erschweren die Diagnostik. Folgen der Hypoglykämie, wie kardiovaskuläre Komplikationen, aber vor allem auch ein erhöhtes Sturz- und Verletzungsrisiko, gefährden ältere Menschen mit Diabetes.2,3 Aus klinischen Studien ist bekannt, dass wiederholte Hypoglykämien mit einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert sind, umgekehrt aber auch eine kognitive Einschränkung das Hypoglykämierisiko erhöht.4, 5

Geriatrische Syndrome

Die Beurteilung der funktionellen und kognitiven Fähigkeiten im Rahmen eines strukturierten geriatrischen Assessments stellt eine wichtige Basismaßnahme in der Betreuung älterer Patienten mit Diabetes dar. Geriatrische Syndrome, wie Malnutrition, Sturzneigung, kognitive Einschränkungen, Depression, chronische Schmerzen und Harninkontinenz, finden sich bei Diabetikern signifikant häufiger als in der nichtdiabetischen Vergleichspopulation.6

Empfohlen wird insbesondere ein Screening auf Frailty/Sarkopenie, da ein Vorliegen dieser geriatrischen Syndrome Auswirkungen auf die Empfehlungen zu Ernährung und Bewegungstherapie hat, aber auch prognostische Relevanz aufweist.2, 7

Therapie

Eine strukturierte, altersadaptierte Diabetikerschulung unter Einbeziehung des Betreuungsumfelds ist eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Therapieumsetzung.2, 8 Auch bei älteren Patienten gelten Lebensstilempfehlungen als Basisder Diabetestherapie. Im Hinblick auf das erhöhte Risiko geriatrischer Patienten für die Entwicklung einer Malnutrition sind strikte Diätempfehlungen für ältere Diabetiker abzulehnen. Ältere Patienten benötigen eine hochqualitative Ernährung mit ausreichender Protein-, Mineralstoff- und Vitaminzufuhr. Die Berücksichtigung individueller Vorlieben, aber auch Unterstützung bei der Verfügbarkeit der regelmäßigen Nahrungszufuhr (Diätologin, Einbeziehung des Betreuungsumfelds, Essen auf Rädern) sind wichtig, um eine Malnutrition und Hypoglykämien zu vermeiden.2 Eine an die individuellen Fähigkeiten angepasste Steigerung der körperlichen Aktivität ist für ältere Menschen günstig, auch hinsichtlich der Reduktion des Sarkopenie- und Sturzrisikos.

Bei Typ-2-Diabetes besteht bei Nichterreichen der glykämischen Zielwerte unter Lebensstilintervention eine Indikation zur medikamentösen Therapie, die entsprechend den Vorgaben der Leitlinienempfehlungen der Diabetes-Fachgesellschaften erfolgt.2 Bei älteren Patienten ist dabei die Beachtung von Kontraindikationen, Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen besonders wichtig.2, 6, 8Bei einer Reihe von Medikamenten ist esnotwendig, die Dosierung an das Lebensalter, das Körpergewicht und die Nierenfunktion anzupassen.

Metformin

Metformin gilt entsprechend nationalen und internationalen Leitlinienempfehlungen als medikamentöse Basistherapie in der Behandlung des Typ-2-Diabetes. Metformin unterliegt keiner Plasmaproteinbindung und wird praktisch unverändert renal ausgeschieden.2 Eine GFR unter 30ml/min stellt eine absolute Kontraindikation für Metformin dar, bei einer weniger starken Einschränkung der Nierenfunktion ist eine Dosisreduktion erforderlich.

In Bezug auf das Interaktionspotenzial von Metformin wird eine Beeinflussung der renalen Clearance durch Cimetidin beschrieben.9 Zu beachten ist auch eine mögliche Akkumulation von Metformin bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die die Nierenfunktion verschlechtern könnten, wie nichtsteroidalen Antirheumatika und Kontrastmitteln.10 Nebenwirkungen einer Therapie mit Metformin sind gastrointestinale Beschwerden, eine Appetitreduktion und bei langdauernder Einnahme eine Reduktion des Vitamin-B12-Spiegels. Bei geriatrischen Patienten kann Metformin als eine die Gewichtsreduktion unterstützende Substanz ungünstig sein.

Entsprechend den Leitlinienempfehlungen wird bei Nichterreichen der glykämischen Zielwerte die Basistherapie mit Metformin unter Bezugnahme auf das atherosklerotische Risiko, das Vorliegen kardiovaskulärer Erkrankungen, einer Herzinsuffizienz, Nephropathie bzw. das Hypoglykämierisiko durch weitere antidiabetische Substanzklassen ergänzt.11

SGLT2-Inhibitoren

SGLT2-Inhibitoren haben aufgrund der günstigen kardiovaskulären und nephroprotektiven Effekte in den aktuellen Leitlinienempfehlungen einen hohen Stellenwert.11,12 Studien konnten insbesondere die günstigen Effekte bei Herzinsuffizienz darlegen.13 Bei älteren Patienten ist der milde diuretische und blutdrucksenkende Effekt dieser Medikamentenklasse zu beachten, eine Anpassung der Begleitmedikation kann deshalb erforderlich sein. Als mögliche Einschränkung wird auch das Vorliegen eines diabetischen Fußsyndroms angeführt.11

GLP-1-Analoga

Auch für GLP-1-Analoga liegt eine Reihe von Studien zu günstigen kardiovaskuläre Effekten vor.11, 14 Für geriatrische Patienten kann die Notwendigkeit einer bislang parenteralen Verabreichung der GLP-1-Analoga nachteilig sein, wie auch die Appetithemmung und Gewichtsreduktion.

DPP-4-Inhibitoren

DPP-4-Inhibitoren weisen neutrale kardiovaskuläre Effekte auf. Aufgrund der geringen Nebenwirkungsrate und, mit Ausnahme von Saxagliptin, geringen Arzneimittelinteraktion werden DPP-4-Inhibitoren in der Behandlung geriatrischer Patienten häufig angewendet.11

Sulfonylharnstoff

Der Einsatz von Sulfonylharnstoffderivaten ist wegen des Hypoglykämierisikos und des Interaktionspotenzials eingeschränkt.

Pioglitazon

Für Pioglitazon ist bei der Behandlung geriatrischer Patienten die Flüssigkeitsretention, insbesondere in Kombination mit einer Insulintherapie, und bei Frauen ein erhöhtes Risiko für periphere Knochenfrakturen zu beachten.11

Insulintherapie

Gemäßden aktuellen Leitlinienempfehlungen soll die Insulintherapie bei älteren Patienten möglichst einfach und damit im Alltag umsetzbar sein. Evtl. ist eine Insulinverabreichung durch Familienangehörige oder Betreuungspersonen notwendig.

Bei Typ-2-Diabetes ist die Erweiterung einer bestehenden Therapie mit oralen Antidiabetika bzw. GLP-1-Analoga mit einem langwirksamen Basisinsulin eine meist gut umsetzbare Variante der Insulintherapie.2 Langwirksame Insulinanaloga (Insulin Glargin U 100, Insulin Detemir) und Basalinsulinanaloga der zweiten Generation (Insulin Glargin U 300, Insulin Degludec) zeigen aufgrund des flacheren Wirkprofils einim Vergleich zu NPH-Insulin deutlich reduziertes Hypoglykämierisiko. Die lange Wirkdauer von Insulin Glargin U 300 (über 30 Stunden) und von Insulin Degludec (rund 42 Stunden) ermöglicht eine Reduktion der Verabreichungsfrequenz von Insulin, was bei Insulingabe durch externe Dienste (Hauskrankenpflege) von großem Vorteil sein kann.

Die konventionelle Insulintherapie mit der Injektion eines Mischinsulins 2x täglich ist eine Alternative zur Basis-unterstützten oralen Therapie.

Eine Basis-Bolus-Insulin-Therapie bzw. funktionelle Insulintherapie kommt bei geriatrischen Patienten mit Typ-2-Diabetes nur in Ausnahmefällen zur Anwendung, kann jedoch die fortgesetzte Standardtherapie bei älteren Typ-1-Diabetikern sein.

1 Tamayo T et al.: The prevalence and incidence of diabetes in Germany. DtschArzteblInt 2016; 113: 177-82 2 Huber J et al.: Geriatrische Aspekte bei Diabetes mellitus (Update 2019). Wien Klin Wochenschr 2019; 131 (Suppl 1): S236-45 3 Berra C et al.: Hypoglycemia and hyperglycemia are risk factors for falls in the hospital population. Acta Diabetologica 2019; 56:931-8 4 Lee AK et al.: Severe hypoglycaemia, mild cognitive impairment, dementia and brain volumes in old adults with type 2 diabetes: the Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC) cohort study. Diabetologia 2018; 61: 1956-65 5 Mattishent K, Loke YK.: Bi-directional interaction between hypoglycaemia and cognitive impairment in elderly patients treated with glucose-lowering agents: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Obes and Metab 2016; 18: 135-41 6 Longo M et al.: Diabetes and aging: from treatment goals to pharmacologic therapy. Front Endocrinol2019; 10: 1-12 7 Ida S et al.: Relationship between frailty and mortality, hospitalization, and cardiovascular diseases in diabetes: a systematic review and meta-analysis. Cardiovasc Diabetol 2019; 18: 81-93 8 Libiseller A et al.: Diabetes management according to health status in older adults with type 2 diabetes staying in geriatric care facilities. J Diabetes Sci Technol 2020; Feb 13: 1932296820905827.doi:10.1177/1932296820905827 [Epub ahead of print] 9 Stage TB et al.: A comprehensive review of drug-drug interactions with metformin. Clin Pharmacokinet 2015, 54: 811-24 10 Tornio A et al: Drug interactions with oral antidiabetics agents: pharmacokinetic mechanisms and clinical implications. Trends in Pharmacol Sci 2012; 33:312-22 11 Buse JB et al.: 2019 update to: Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2018. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2020; 63: 221-8 12 Silva-Cardoso J et al.: Cardiorenal protection with SGLT2: lessons from the cardiovascular outcome trials. J Diabetes 2020; 12: 279-93 13 Butler J et al.: Management of heart failure and type 2 diabetes mellitus: maximizing complementary drug therapy. Diabetes Obes Metab 2020; Apr 3. doi: 10.1111/dom.14042. [Epub ahead of print] 14 Acharya T, Deedwanie P.: Cardiovascular outcome trials of the newer anti-diabetic medications. Prog Cardiovasc Dis 2019; 62: 342-8

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