
©
Getty Images
Verbesserte Versorgungsqualität von T2D-Patienten
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Bad Mergentheim
Autor:
Prof. Dr. Lutz Heinemann
Science Consulting in Diabetes GmbH<br> Neuss<br> E-Mail: lutz.heinemann@profil.com
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Im Rahmen des ATTD-Kongresses haben wir dem Publikum einen Überblick über das ProValue-Studienprogramm vorgestellt – einen Lösungsansatz im Hinblick auf Kostendruck, Ressourcen und „clinical inertia“ durch einen digital unterstützten Prozess. Unser Positionspapier dient zur Verbesserung der Qualität der Versorgung von Patienten mit insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes durch digital unterstützte und strukturierte Behandlungsabläufe.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Diabetestherapie wird nicht immer rasch genug und ausreichend intensiviert („inertia“) – digitale Entscheidungshilfen stellen eine neue Option zur Therapieoptimierung dar.</li> <li>Im PDM-ProValue-Studienprogramm wurde evaluiert, ob diese „inertia“ durch Einsatz des integrierten personalisierten Diabetesmanagements (iPDM) verringert werden kann.</li> <li>Das Ergebnis belegt eine frühzeitige, signifikante Steigerung der medikamentösen und nicht medikamentösen Therapieanpassung in der Interventionsgruppe.</li> <li>iPDM resultierte in einer signifikanten Verringerung des HbA<sub>1c</sub> und einer Verbesserung der Behandlungszufriedenheit, der Adhärenz und der Zufriedenheit der Ärzte mit der Behandlung.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Die Anzahl von Menschen mit Typ- 2-Diabetes (T2D) in Deutschland steigt weiterhin stark an, gleichzeitig wird die Anzahl der diabetologischen Schwerpunktpraxen (DSP) zurückgehen. Die Betreuung von Patienten mit T2D wird bei ständig steigendem Kostendruck und geringerem Zeitkontingent nur durch gut strukturierte Prozesse und eine konsequente Prozessoptimierung machbar und finanzierbar sein. Gleichzeitig gelingt es vielen Patienten mit T2D nicht, unter Alltagsbedingungen ihre Therapieziele zu erreichen: >30 % der Betroffenen weisen einen HbA<sub>1c</sub>-Wert oberhalb des von den Leitlinien empfohlenen 7,0 % -Zielwertes auf. Dies muss vor dem Hintergrund des kostenintensiven Einsatzes einer ganzen Reihe von neuartigen Diabetesmedikamenten und innovativen Medizinprodukten gesehen werden. Die klinische Trägheit („clinical inertia“) – d.h., die Diabetestherapie wird nicht rasch genug und ausreichend intensiviert, obwohl es angezeigt wäre – wird vielfach als Grund hierfür angeführt. Die Verfügbarkeit und Einführung von digitalen Hilfsmitteln als Entscheidungshilfe stellen auch in der Diabetologie eine wesentliche neue Option für eine Therapieoptimierung dar.<br /> Vor diesem Hintergrund wurde ein digital unterstützter Prozess konzipiert, der Hausärzte, Diabetologen und ihre Teams in ihrem eng getakteten Alltag so unterstützen soll, dass Therapieanpassungen frühzeitiger erfolgen. Dieser fördert das Gespräch mit den Patienten, auch um diese aktiv in die individuelle Therapieplanung einzubeziehen. Die durch standardisierte Prozesse erfassten Daten stehen für eine rasche Auswertung zur Verfügung. Im Rahmen eines randomisierten, kontrollierten Studienprogramms wurde evaluiert, ob dieser Ansatz zu einer nachweislichen Verbesserung bei der Glukosekontrolle und anderen Endpunkten führt.</p> <h2>ProValue-Studie – Konzept, Ergebnisse</h2> <p>In einer „Klassenstudie“ (d.h., es wurde ganz bewusst kein bestimmtes Produkt getestet) wurde im Rahmen des PDMProValue- Studienprogramms evaluiert, ob unter den Bedingungen des deutschen Gesundheitssystems durch Einsatz des integrierten personalisierten Diabetesmanagements (iPDM) die „klinische Trägheit“ überwunden werden kann. Die Intervention in dieser RCT beinhaltete die Einführung eines strukturierten Prozesses in die Patientenbetreuung, in den digitale Tools eingebettet sind (Abb. 1).<br /> Das Ergebnis belegt eine frühzeitige, signifikante Steigerung der medikamentösen und nicht medikamentösen Therapieanpassung in der Interventionsgruppe. Der Einsatz von iPDM resultierte in einer signifikanten Verbesserung der glykämischen Kontrolle (HbA<sub>1c</sub>), einer Verbesserung von patientenberichteten Parametern (Behandlungszufriedenheit) sowie einem Anstieg der vom Arzt berichteten Adhärenz und der Zufriedenheit der Ärzte mit der Behandlung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1902_Weblinks_jatros_dia_1902_s25_abb1.jpg" alt="" width="550" height="517" /></p> <h2>Relevanz der Ergebnisse für Vorgaben zur Patientenbehandlung</h2> <p>Die Patientenzufriedenheit (deren absolutes Niveau bei Studienstart schon beachtlich hoch war) konnte trotz des hohen mit der Teilnahme an der Studie verbundenen Aufwandes noch signifikant verbessert werden. Die Verbesserung der Behandlerzufriedenheit reflektiert die positiven Effekte von iPDM, die die behandelnden Ärzte wahrgenommen haben, trotz des erhöhten Arbeitsaufwandes. Der mit iPDM verbundene selbstreflektorische Prozess und die beobachteten Verbesserungen bei der klinischen Situation haben sie anscheinend motiviert. Insbesondere die gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient und das bessere Management der Datenflut wurden als positiv empfunden. Die von den Patienten in Abstimmung mit dem Arzt vorgenommenen Therapieänderungen umfassen viele Optionen, Lebensstil, Medikamente etc.</p> <h2>Umsetzung in die Praxis: umsichtige Einführung von digitalen Tools</h2> <p>Der notwendige Aufwand, um bei dem PDM-ProValue-Studienprogramm die Patienten „digital“ zu betreuen, war vergleichsweise gering. Da es keine Unterschiede in den Studienergebnissen zwischen Hausarztpraxen und DSP gab, konnten die Daten für die Auswertung zusammengefasst werden. Dies bedeutet auch: Das eingesetzte Betreuungskonzept funktioniert auf beiden Versorgungsebenen. Dies kann auch als Hinweis darauf gedeutet werden, dass dieses Konzept auf breiterer Ebene (= für andere Patientengruppen) implementierbar ist. Dieses Studienprogramm liefert eine hochgradige Evidenz für die Vorteile, die eine gezielte, in die alltäglichen Behandlungsprozesse eingebettete Digitalisierung beim Diabetesmanagement bieten kann.<br /> Um von diagnostischen Daten zu einem relevanten medizinischen Nutzen zu kommen, gilt es, Diabetesmanagement als einen strukturierten Behandlungspfad adäquat zu implementieren. Dabei sollte der Fokus der Arbeit von behandelndem Arzt und Diabetesteam auf der patientenzentrierten Arbeit liegen, nicht auf Aufgaben, die durch technische Lösungen abgedeckt werden können. So empfehlen die europäischen und amerikanischen Leitlinien die Berücksichtigung von „clinical inertia“ und die Einführung von wiederkehrenden Feedbackprozessen, um dem Charakter von chronischen Erkrankungen gerecht zu werden. „Standardprozesse“ können an gut ausgebildete Diabetesberater delegiert werden. Sowohl für die Ärzte und ihre Teams wie auch für die Patienten müssen diese Veränderungen konkrete Vorteile bieten, sonst werden sie nicht auf Dauer eingesetzt.<br /> Mehr Struktur bedeutet nicht automatisch mehr Arbeit, sie erleichtert, beschleunigt und verbessert die Betreuung. Dadurch wird auch nicht die Betreuungshäufigkeit gesteigert (was mehr Kosten verursachen würde), vermutlich kann die Visitenhäufigkeit sogar gesenkt werden. Aber wenn Probleme auftreten, dann wird auf solche Warnsignale früher und konsequenter reagiert. So kann die Messfrequenz bei der Blutzuckerselbstmessung dynamisch angepasst werden (automatisch durch digitale „Decision support“- Programme), bei Problemen wird häufiger gemessen, als wenn alles „im grünen Bereich“ ist.</p> <h2>Was sollte sich in der Praxis ändern?</h2> <p>Solche Konzepte haben auch Konsequenzen für die Schulung von Patienten, eine der tragenden Säulen der Arbeit von DSP. Es gilt sensible Punkte der Praxeninhaber und -mitarbeiter bei solchen Veränderungen zu beachten, d.h., es muss mit emotionalen und irrationalen Reaktionen gerechnet werden. Es gilt, mit weniger Zeiteinsatz eine bessere Therapie zu erreichen. Aktuell ist das Bild der Ärzte: Der Einsatz von Technologie kostet nur Zeit. Dabei ist das Hauptthema der Zeitdruck, da das Wartezimmer voll ist. Es ist notwendig, Berührungsängste anzusprechen und zu nehmen. Die Implementierung von digitalen Tools ist verbunden mit Änderungen bei den Abläufen und Prozessen sowie dem Workflow. Neben Investitionen in Technik bedeutet dies vor allem Investition in Strukturen sowie in die Fortbildung aller Mitglieder des Diabetesteams. Das Gesundheitssystem belohnt bisher allerdings keine gute Arbeit („pay for performance“). Dabei wird es DSP 2.0 nur geben, wenn sich solche Umstrukturierungen rechnen.</p> <h2>Empfehlungen für das Gesundheitssystem</h2> <p>Wenn z.B. das IQWiG Änderungen beim „Disease-Management-Programm für Patienten mit Typ 2 Diabetes“ beabsichtigt oder die Nationale Versorgungsleitlinie für solche Patienten aktualisiert wird, dann sollten in diesen wichtigen Instrumenten für die Patientenbetreuung nicht nur HbA<sub>1c</sub>-Grenzwerte angegeben werden, sondern klare Aussagen zum Diabetesmanagement in einer digitalen Welt gemacht werden.<br /> Ausgehend von den positiven Ergebnissen des PDM-ProValue-Studienprogramms, welches bei seiner Verwendung einen eher ungewöhnlichen Ansatz („Real- World-Evidenz“) für iPDM im Sinne eines „proof of concept “ liefert, sind die Chancen für eine erfolgreiche Implementierung eines digitalen Diabetesmanagements für viele Patienten mit T2D ausgesprochen gut. Diese Ergebnisse stellen einen „turning point“ dar, d.h. einen Weg in die Zukunft. Wenn der hier verfolgte Ansatz gut implementiert und umgesetzt wird, unterstützt dieses digitale Konzept die Patientenbetreuung essenziell.</p> <h2>Zusammenfassung und Ausblick</h2> <p>Die Erkenntnisse des PDM-ProValue- Studienprogrammes erlauben Aussagen zur Ergebnisqualität des iPDM-Ansatzes. Wenn der hier untersuchte Ansatz gut funktioniert, gilt es im nächsten Schritt die praktische Implementierung zu unterstützen. Insbesondere folgende Aspekte sollten in die Versorgung von Menschen mit insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes Eingang finden:</p> <ul> <li>Glukosedaten sollten in einer visualisierten Form als Grundlage einer Entscheidung über den weiteren Therapieverlauf herangezogen werden.</li> <li>Behandlungsentscheidungen sollten in enger Absprache zwischen Arzt und Patient erfolgen und vom Patienten nachvollzogen und mitgetragen werden können.</li> <li>Zur Unterstützung der individuellen Situation der Patienten sollten dem Bedarf angemessene Schulungen durchgeführt werden.</li> <li>Die Behandlung sollte in Form von wiederkehrenden Zyklen (Feedback-Loops) durchgeführt werden.</li> </ul> <p>Konsequenterweise sollte es auch entsprechende Änderungen bei der Nationalen Versorgungsleitlinie und den DMP-Programmen geben.</p></p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...