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Disease-Management – ein Blick nach Deutschland

Verbesserte Versorgungsqualität von T2D-Patienten

<p class="article-intro">Im Rahmen des ATTD-Kongresses haben wir dem Publikum einen Überblick über das ProValue-Studienprogramm vorgestellt – einen Lösungsansatz im Hinblick auf Kostendruck, Ressourcen und „clinical inertia“ durch einen digital unterstützten Prozess. Unser Positionspapier dient zur Verbesserung der Qualität der Versorgung von Patienten mit insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes durch digital unterstützte und strukturierte Behandlungsabläufe.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Diabetestherapie wird nicht immer rasch genug und ausreichend intensiviert (&bdquo;inertia&ldquo;) &ndash; digitale Entscheidungshilfen stellen eine neue Option zur Therapieoptimierung dar.</li> <li>Im PDM-ProValue-Studienprogramm wurde evaluiert, ob diese &bdquo;inertia&ldquo; durch Einsatz des integrierten personalisierten Diabetesmanagements (iPDM) verringert werden kann.</li> <li>Das Ergebnis belegt eine fr&uuml;hzeitige, signifikante Steigerung der medikament&ouml;sen und nicht medikament&ouml;sen Therapieanpassung in der Interventionsgruppe.</li> <li>iPDM resultierte in einer signifikanten Verringerung des HbA<sub>1c</sub> und einer Verbesserung der Behandlungszufriedenheit, der Adh&auml;renz und der Zufriedenheit der &Auml;rzte mit der Behandlung.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Die Anzahl von Menschen mit Typ- 2-Diabetes (T2D) in Deutschland steigt weiterhin stark an, gleichzeitig wird die Anzahl der diabetologischen Schwerpunktpraxen (DSP) zur&uuml;ckgehen. Die Betreuung von Patienten mit T2D wird bei st&auml;ndig steigendem Kostendruck und geringerem Zeitkontingent nur durch gut strukturierte Prozesse und eine konsequente Prozessoptimierung machbar und finanzierbar sein. Gleichzeitig gelingt es vielen Patienten mit T2D nicht, unter Alltagsbedingungen ihre Therapieziele zu erreichen: &gt;30 % der Betroffenen weisen einen HbA<sub>1c</sub>-Wert oberhalb des von den Leitlinien empfohlenen 7,0 % -Zielwertes auf. Dies muss vor dem Hintergrund des kostenintensiven Einsatzes einer ganzen Reihe von neuartigen Diabetesmedikamenten und innovativen Medizinprodukten gesehen werden. Die klinische Tr&auml;gheit (&bdquo;clinical inertia&ldquo;) &ndash; d.h., die Diabetestherapie wird nicht rasch genug und ausreichend intensiviert, obwohl es angezeigt w&auml;re &ndash; wird vielfach als Grund hierf&uuml;r angef&uuml;hrt. Die Verf&uuml;gbarkeit und Einf&uuml;hrung von digitalen Hilfsmitteln als Entscheidungshilfe stellen auch in der Diabetologie eine wesentliche neue Option f&uuml;r eine Therapieoptimierung dar.<br /> Vor diesem Hintergrund wurde ein digital unterst&uuml;tzter Prozess konzipiert, der Haus&auml;rzte, Diabetologen und ihre Teams in ihrem eng getakteten Alltag so unterst&uuml;tzen soll, dass Therapieanpassungen fr&uuml;hzeitiger erfolgen. Dieser f&ouml;rdert das Gespr&auml;ch mit den Patienten, auch um diese aktiv in die individuelle Therapieplanung einzubeziehen. Die durch standardisierte Prozesse erfassten Daten stehen f&uuml;r eine rasche Auswertung zur Verf&uuml;gung. Im Rahmen eines randomisierten, kontrollierten Studienprogramms wurde evaluiert, ob dieser Ansatz zu einer nachweislichen Verbesserung bei der Glukosekontrolle und anderen Endpunkten f&uuml;hrt.</p> <h2>ProValue-Studie &ndash; Konzept, Ergebnisse</h2> <p>In einer &bdquo;Klassenstudie&ldquo; (d.h., es wurde ganz bewusst kein bestimmtes Produkt getestet) wurde im Rahmen des PDMProValue- Studienprogramms evaluiert, ob unter den Bedingungen des deutschen Gesundheitssystems durch Einsatz des integrierten personalisierten Diabetesmanagements (iPDM) die &bdquo;klinische Tr&auml;gheit&ldquo; &uuml;berwunden werden kann. Die Intervention in dieser RCT beinhaltete die Einf&uuml;hrung eines strukturierten Prozesses in die Patientenbetreuung, in den digitale Tools eingebettet sind (Abb. 1).<br /> Das Ergebnis belegt eine fr&uuml;hzeitige, signifikante Steigerung der medikament&ouml;sen und nicht medikament&ouml;sen Therapieanpassung in der Interventionsgruppe. Der Einsatz von iPDM resultierte in einer signifikanten Verbesserung der glyk&auml;mischen Kontrolle (HbA<sub>1c</sub>), einer Verbesserung von patientenberichteten Parametern (Behandlungszufriedenheit) sowie einem Anstieg der vom Arzt berichteten Adh&auml;renz und der Zufriedenheit der &Auml;rzte mit der Behandlung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1902_Weblinks_jatros_dia_1902_s25_abb1.jpg" alt="" width="550" height="517" /></p> <h2>Relevanz der Ergebnisse f&uuml;r Vorgaben zur Patientenbehandlung</h2> <p>Die Patientenzufriedenheit (deren absolutes Niveau bei Studienstart schon beachtlich hoch war) konnte trotz des hohen mit der Teilnahme an der Studie verbundenen Aufwandes noch signifikant verbessert werden. Die Verbesserung der Behandlerzufriedenheit reflektiert die positiven Effekte von iPDM, die die behandelnden &Auml;rzte wahrgenommen haben, trotz des erh&ouml;hten Arbeitsaufwandes. Der mit iPDM verbundene selbstreflektorische Prozess und die beobachteten Verbesserungen bei der klinischen Situation haben sie anscheinend motiviert. Insbesondere die gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient und das bessere Management der Datenflut wurden als positiv empfunden. Die von den Patienten in Abstimmung mit dem Arzt vorgenommenen Therapie&auml;nderungen umfassen viele Optionen, Lebensstil, Medikamente etc.</p> <h2>Umsetzung in die Praxis: umsichtige Einf&uuml;hrung von digitalen Tools</h2> <p>Der notwendige Aufwand, um bei dem PDM-ProValue-Studienprogramm die Patienten &bdquo;digital&ldquo; zu betreuen, war vergleichsweise gering. Da es keine Unterschiede in den Studienergebnissen zwischen Hausarztpraxen und DSP gab, konnten die Daten f&uuml;r die Auswertung zusammengefasst werden. Dies bedeutet auch: Das eingesetzte Betreuungskonzept funktioniert auf beiden Versorgungsebenen. Dies kann auch als Hinweis darauf gedeutet werden, dass dieses Konzept auf breiterer Ebene (= f&uuml;r andere Patientengruppen) implementierbar ist. Dieses Studienprogramm liefert eine hochgradige Evidenz f&uuml;r die Vorteile, die eine gezielte, in die allt&auml;glichen Behandlungsprozesse eingebettete Digitalisierung beim Diabetesmanagement bieten kann.<br /> Um von diagnostischen Daten zu einem relevanten medizinischen Nutzen zu kommen, gilt es, Diabetesmanagement als einen strukturierten Behandlungspfad ad&auml;quat zu implementieren. Dabei sollte der Fokus der Arbeit von behandelndem Arzt und Diabetesteam auf der patientenzentrierten Arbeit liegen, nicht auf Aufgaben, die durch technische L&ouml;sungen abgedeckt werden k&ouml;nnen. So empfehlen die europ&auml;ischen und amerikanischen Leitlinien die Ber&uuml;cksichtigung von &bdquo;clinical inertia&ldquo; und die Einf&uuml;hrung von wiederkehrenden Feedbackprozessen, um dem Charakter von chronischen Erkrankungen gerecht zu werden. &bdquo;Standardprozesse&ldquo; k&ouml;nnen an gut ausgebildete Diabetesberater delegiert werden. Sowohl f&uuml;r die &Auml;rzte und ihre Teams wie auch f&uuml;r die Patienten m&uuml;ssen diese Ver&auml;nderungen konkrete Vorteile bieten, sonst werden sie nicht auf Dauer eingesetzt.<br /> Mehr Struktur bedeutet nicht automatisch mehr Arbeit, sie erleichtert, beschleunigt und verbessert die Betreuung. Dadurch wird auch nicht die Betreuungsh&auml;ufigkeit gesteigert (was mehr Kosten verursachen w&uuml;rde), vermutlich kann die Visitenh&auml;ufigkeit sogar gesenkt werden. Aber wenn Probleme auftreten, dann wird auf solche Warnsignale fr&uuml;her und konsequenter reagiert. So kann die Messfrequenz bei der Blutzuckerselbstmessung dynamisch angepasst werden (automatisch durch digitale &bdquo;Decision support&ldquo;- Programme), bei Problemen wird h&auml;ufiger gemessen, als wenn alles &bdquo;im gr&uuml;nen Bereich&ldquo; ist.</p> <h2>Was sollte sich in der Praxis &auml;ndern?</h2> <p>Solche Konzepte haben auch Konsequenzen f&uuml;r die Schulung von Patienten, eine der tragenden S&auml;ulen der Arbeit von DSP. Es gilt sensible Punkte der Praxeninhaber und -mitarbeiter bei solchen Ver&auml;nderungen zu beachten, d.h., es muss mit emotionalen und irrationalen Reaktionen gerechnet werden. Es gilt, mit weniger Zeiteinsatz eine bessere Therapie zu erreichen. Aktuell ist das Bild der &Auml;rzte: Der Einsatz von Technologie kostet nur Zeit. Dabei ist das Hauptthema der Zeitdruck, da das Wartezimmer voll ist. Es ist notwendig, Ber&uuml;hrungs&auml;ngste anzusprechen und zu nehmen. Die Implementierung von digitalen Tools ist verbunden mit &Auml;nderungen bei den Abl&auml;ufen und Prozessen sowie dem Workflow. Neben Investitionen in Technik bedeutet dies vor allem Investition in Strukturen sowie in die Fortbildung aller Mitglieder des Diabetesteams. Das Gesundheitssystem belohnt bisher allerdings keine gute Arbeit (&bdquo;pay for performance&ldquo;). Dabei wird es DSP 2.0 nur geben, wenn sich solche Umstrukturierungen rechnen.</p> <h2>Empfehlungen f&uuml;r das Gesundheitssystem</h2> <p>Wenn z.B. das IQWiG &Auml;nderungen beim &bdquo;Disease-Management-Programm f&uuml;r Patienten mit Typ 2 Diabetes&ldquo; beabsichtigt oder die Nationale Versorgungsleitlinie f&uuml;r solche Patienten aktualisiert wird, dann sollten in diesen wichtigen Instrumenten f&uuml;r die Patientenbetreuung nicht nur HbA<sub>1c</sub>-Grenzwerte angegeben werden, sondern klare Aussagen zum Diabetesmanagement in einer digitalen Welt gemacht werden.<br /> Ausgehend von den positiven Ergebnissen des PDM-ProValue-Studienprogramms, welches bei seiner Verwendung einen eher ungew&ouml;hnlichen Ansatz (&bdquo;Real- World-Evidenz&ldquo;) f&uuml;r iPDM im Sinne eines &bdquo;proof of concept &ldquo; liefert, sind die Chancen f&uuml;r eine erfolgreiche Implementierung eines digitalen Diabetesmanagements f&uuml;r viele Patienten mit T2D ausgesprochen gut. Diese Ergebnisse stellen einen &bdquo;turning point&ldquo; dar, d.h. einen Weg in die Zukunft. Wenn der hier verfolgte Ansatz gut implementiert und umgesetzt wird, unterst&uuml;tzt dieses digitale Konzept die Patientenbetreuung essenziell.</p> <h2>Zusammenfassung und Ausblick</h2> <p>Die Erkenntnisse des PDM-ProValue- Studienprogrammes erlauben Aussagen zur Ergebnisqualit&auml;t des iPDM-Ansatzes. Wenn der hier untersuchte Ansatz gut funktioniert, gilt es im n&auml;chsten Schritt die praktische Implementierung zu unterst&uuml;tzen. Insbesondere folgende Aspekte sollten in die Versorgung von Menschen mit insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes Eingang finden:</p> <ul> <li>Glukosedaten sollten in einer visualisierten Form als Grundlage einer Entscheidung &uuml;ber den weiteren Therapieverlauf herangezogen werden.</li> <li>Behandlungsentscheidungen sollten in enger Absprache zwischen Arzt und Patient erfolgen und vom Patienten nachvollzogen und mitgetragen werden k&ouml;nnen.</li> <li>Zur Unterst&uuml;tzung der individuellen Situation der Patienten sollten dem Bedarf angemessene Schulungen durchgef&uuml;hrt werden.</li> <li>Die Behandlung sollte in Form von wiederkehrenden Zyklen (Feedback-Loops) durchgef&uuml;hrt werden.</li> </ul> <p>Konsequenterweise sollte es auch entsprechende &Auml;nderungen bei der Nationalen Versorgungsleitlinie und den DMP-Programmen geben.</p></p>
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