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„Therapie Aktiv“ wirkt

<p class="article-intro">Prim. Dr. Reinhold Pongratz, MBA, berichtet im Gespräch mit JATROS Diabetologie & Endokrinologie über Erfolge und Evaluierungsergebnisse des strukturierten Patientenbetreuungsprogramms „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“, stellt die Vorteile für den Patienten und seinen behandelnden Arzt dar und entkräftet Vorurteile.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Primarius Pongratz, Sie sind als Leitender Arzt der Steierm&auml;rkischen Gebietskrankenkasse seit etwa f&uuml;nf Jahren mit der Weiterentwicklung des ersten und einzigen Disease-Management- Programms (DMP) &Ouml;sterreichs &bdquo;Therapie Aktiv &ndash; Diabetes im Griff&ldquo; betraut. Wie hat sich &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; in diesen Jahren ver&auml;ndert und entwickelt?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Wir beobachten, dass die regional und &uuml;berregional ergriffenen Ma&szlig;nahmen der Sozialversicherung wirken und sich &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; immer mehr etabliert. Das zeigt sich deutlich an den Einschreibezahlen (Abb. 1). Derzeit profitieren bereits 62 628 Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 von den Vorteilen des Programms. Sie werden von 1556 teilnehmenden &Auml;rztinnen und &Auml;rzten betreut. Seit 1. 1. 2017 wird &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; in allen Bundesl&auml;ndern &Ouml;sterreichs angeboten.<br /> Auch inhaltlich und organisatorisch entwickelt sich das Programm laufend weiter. Zur Unterst&uuml;tzung der &Auml;rzte, damit diese ihre eigenen Therapiestrategien optimieren, werden von der Sozialversicherung j&auml;hrlich Feedbackberichte anonymisiert zur Verf&uuml;gung gestellt. Die Behandlungspfade, die kontinuierlich auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse abgestimmt werden, sind ein weiteres unterst&uuml;tzendes Werkzeug f&uuml;r den &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;-Arzt. Die Administration wird laufend vereinfacht und das Betreuungsservice durch die &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;- Teams intensiviert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s8_abb1.jpg" alt="" width="1418" height="781" /></p> <p><strong>Und was sagen die Evaluierungsergebnisse? K&ouml;nnen die Ziele des Programms erreicht werden?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Mithilfe einer wissenschaftlichen Evaluierung des Disease- Management-Programms durch die Studienleiterin Univ.-Prof. DI Dr. Andrea Berghold vom Institut f&uuml;r Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation an der Medizinischen Universit&auml;t Graz konnte die Wirkung von &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; klar dargestellt werden (Tab. 1). Durch das strukturierte Betreuungsprogramm wurde eine um 35 Prozent niedrigere Mortalit&auml;tsrate im Vergleich zur Kontrollgruppe erreicht. Anhand der vorhandenen station&auml;ren Daten lie&szlig; sich darstellen, dass &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;-betreute Patienten 2,3 Tage weniger im Spital verbringen, was sich in einer Kostenreduktion von etwa 15 Prozent im station&auml;ren Bereich niederschl&auml;gt und gleichzeitig eine gute Nachricht f&uuml;r jeden einzelnen Patienten ist. Denn jeder Tag zu Hause statt im Spital bedeutet einen Lebensqualit&auml;tsgewinn. Auch die Zahl der Schlaganf&auml;lle als Sp&auml;tfolge von Typ- 2-Diabetes ist um 10 Prozent niedriger als in der Kontrollgruppe. Mit diesen Ergebnissen sind die erwarteten Erfolge jetzt auch wissenschaftlich belegt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s9_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="664" /></p> <p><strong>Wo sehen Sie die zentralen Vorteile des Programms f&uuml;r den einzelnen Patienten?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Menschen mit Diabetes erhalten einerseits eine strukturierte und leitliniengem&auml;&szlig;e &auml;rztliche Betreuung, zum Beispiel durch die regelm&auml;&szlig;igen Kontrollen der F&uuml;&szlig;e und Augen, und andererseits mehr Wissen &uuml;ber ihre Erkrankung &ndash; z.B. durch Schulungen und Unterlagen. Und Wissen motiviert! Durch gezielte Wissensvermittlung und regelm&auml;&szlig;ige &auml;rztliche Therapiezielvereinbarungen, in denen realistische und erreichbare Ziele gemeinsam mit dem Arzt festgelegt werden, wird der Patient in die Lage versetzt, seinen Lebensstil aktiv und positiv zu beeinflussen. Dadurch k&ouml;nnen unangenehme Folgeerkrankungen verringert bzw. hinausgez&ouml;gert und somit die Lebensqualit&auml;t der Betroffenen langfristig verbessert werden (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s9_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="837" /></p> <p><strong>Eine m&ouml;glichst fl&auml;chendeckende Verbreitung ist ja das Ziel jedes Disease- Management-Programms. Mit welchen Argumenten m&ouml;chten Sie noch mehr &Auml;rzte vom Programm &uuml;berzeugen?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> &Auml;rzte stehen vor der Herausforderung, in ihren Ordinationen tagt&auml;glich mit unterschiedlichsten Diagnosen und Therapien konfrontiert zu werden. Zu der gro&szlig;en Bandbreite an Themen kommt die knappe zur Verf&uuml;gung stehende Zeit pro Patient dazu. Je strukturierter ich als Arzt arbeiten kann, desto geringer ist die Gefahr, Wichtiges zu &uuml;bersehen. Da kommt bei Diabetes das strukturierte Behandlungsprogramm &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; wie gerufen. Der Dokumentationsbogen ist der rote Faden, also der Leitfaden f&uuml;r wichtige Untersuchungen und zur Erhebung von Zielwerten. Zus&auml;tzlich geben die gemeinsam mit der &Ouml;sterreichischen Diabetes Gesellschaft entwickelten und laufend &uuml;berpr&uuml;ften wissenschaftlichen Leitlinien und Behandlungspfade mehr diagnostische und therapeutische Sicherheit.</p> <p><strong>Welche Kritikpunkte an &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; h&ouml;ren Sie am h&auml;ufigsten von &Auml;rzten und welche L&ouml;sungen k&ouml;nnen jetzt schon angeboten werden?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Teilweise herrscht noch immer das Meinungsbild vor, dass ein enormer administrativer Aufwand besteht. Die Stimmen gegen das Programm kommen jedoch zumeist von &Auml;rzten, die &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; nicht kennen bzw. nach Abschluss des Basis-Seminars nie damit begonnen haben, Patienten einzuschreiben. Aktive &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;- &Auml;rztinnen und -&Auml;rzte kommen zu einer anderen Schlussfolgerung. Um den administrativen Aufwand so gering wie m&ouml;glich zu halten, wurde der Dokumentationsbogen im Fr&uuml;hjahr 2017 zudem nochmals verschlankt. Dieses Formular einmal im Jahr auszuf&uuml;llen, dauert jeweils nur wenige Minuten. Von der Sozialversicherung werden kostenlose IT-L&ouml;sungen f&uuml;r die Dokumentation und Einschreibung der Patienten angeboten. Aber auch die Integration von &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; in die jeweilige Ordinationssoftware rechnet sich schnell. Ein weiteres Service zur Vereinfachung der Administration sind die quartalsweise versendeten Informationslisten, die &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;-&Auml;rzte &uuml;bersichtlich an jene eingeschriebenen Patienten erinnern, bei denen die j&auml;hrliche Dokumentation ansteht.</p> <p><strong>Haben Sie Tipps f&uuml;r &Auml;rzte, die &uuml;berlegen, bei &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; aktiv zu werden? Wie k&ouml;nnen sie sich den Einstieg m&ouml;glichst leicht und praktisch gestalten?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Sie sollen m&ouml;glichst kurz nach der Schulung anfangen. Jeder Arzt, der &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; anbieten will, besucht ein Basis-Seminar, das laufend in den Bundesl&auml;ndern bzw. bei gro&szlig;en &Auml;rzte-Tagungen, wie dem &Ouml;GAM-Kongress, abgehalten wird. Alternativ kann er auch eine Online-Schulung machen. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass der Arzt gleich nach Erhalt des Zertifikats mit der Einschreibung der ersten Patienten startet, sodass das Geh&ouml;rte noch pr&auml;sent ist. Viele Aufgaben kann die Ordinationsassistenz abnehmen, f&uuml;r die ebenfalls eigene praxisorientierte Seminare angeboten werden. Tatkr&auml;ftige Unterst&uuml;tzung bekommen &Auml;rzte und Assistenz von den &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;- Teams der jeweiligen Gebietskrankenkasse. Sie kommen in die Ordinationen, erkl&auml;ren vor Ort die wichtigen Schritte und beantworten Fragen.</p> <p><strong>Zahlt es sich f&uuml;r einen niedergelassenen Arzt aus, &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;-Arzt zu werden? Wie viele Patienten braucht man, damit es sich rechnet?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Im Durchschnitt erh&auml;lt ein niedergelassener Arzt pro Patient und Jahr 100 Euro zus&auml;tzlich. Ohne Frage bedarf es einer gewissen Umorganisation, um den Ablauf in der Ordination effizienter zu gestalten. Dabei ist die gezielte Einbindung der Ordinationsassistenz zu beachten, denn viele organisatorische und administrative T&auml;tigkeiten k&ouml;nnen von ihr &uuml;bernommen werden. Ich w&uuml;rde sagen, ab 10 bis 15 Patienten rechnet sich der Aufwand auf jeden Fall, dann hat man auch ausreichend Routine f&uuml;r eine fl&uuml;ssige Administration.</p> <p><strong>Wie erfolgt die &auml;rztliche Fortbildung im Rahmen von &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Die &auml;rztliche Fortbildung ist ein integraler Bestandteil von &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;. Die Basisschulung vermittelt dem Arzt nicht nur organisatorische Informationen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Studienergebnisse hinsichtlich der Diagnosestellung und Therapie von Menschen mit Diabetes stehen im Vordergrund. Um sich dieses Wissen auch zeit- und ortsunabh&auml;ngig anzueignen, bietet die Sozialversicherung zus&auml;tzlich eine E-Learning- Option zur Absolvierung der Basisschulung. Diese bequeme und zeitsparende Online-Fortbildung umfasst sieben Module mit &Uuml;bungsfragen und einem Abschlusstest.</p> <p><strong>Eine h&auml;ufige Forderung von &auml;rztlicher Seite ist die st&auml;rkere Verkn&uuml;pfung des DMP mit den Diabetesschulungen. Welche Wege werden da f&uuml;r die Zukunft angedacht?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Diabetesschulungen sind von gro&szlig;er Bedeutung, damit Patienten den Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung lernen. &Ouml;sterreichweit liegt der Anteil der geschulten Patienten zwischen 40 und 70 Prozent. Die Sozialversicherung arbeitet daran, diese Quote zu erh&ouml;hen, indem Call/Recall-Ma&szlig;nahmen gesetzt werden. 2018 werden Informationen &uuml;ber Schulungstermine an nicht geschulte Patienten bzw. deren &Auml;rzte verschickt. Die ersten Evaluierungsergebnisse eines Pilotprojektes in der Steiermark zeigen, dass diese zielgerichtete Ma&szlig;nahme sowohl von &Auml;rzten als auch Patienten sehr gut angenommen wird.</p> <p><strong>Wie sch&auml;tzen Sie den Nutzen der &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;- Informationsmaterialien f&uuml;r Patienten ein?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Patienten haben unterschiedlichste Vorlieben in Bezug auf Informationsbeschaffung. W&auml;hrend sich die einen gerne in Schulungen informieren und gleichzeitig mit Gleichgesinnten austauschen, bevorzugen andere eine E-Learning-Variante oder das Nachlesen in den eigenen vier W&auml;nden. Mit dem &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;-Patientenhandbuch sowie unterschiedlichsten Brosch&uuml;ren und Merkbl&auml;ttern zu diabetesrelevanten Themen bieten wir qualit&auml;tsgesicherte Informationen an. Mit der &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;-Website decken wir die Informationsquelle Internet ab und f&uuml;r Menschen, die nicht gerne lesen, gibt es eine DVD. Generell versuchen wir, auf alle Bed&uuml;rfnisse einzugehen und sehen zum Beispiel bei diversen Patientenveranstaltungen, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.</p> <p><strong>Wo sehen Sie pers&ouml;nlich zuk&uuml;nftige Ausbaum&ouml;glichkeiten bei &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Die aktuellen Ausbaupl&auml;ne betreffen den Patienten in der Schulung. So soll die Bewegung in der Patientenschulung einen h&ouml;heren Stellenwert bekommen. Gleichzeitig wird die M&ouml;glichkeit gepr&uuml;ft, auch f&uuml;r Patienten neue Schulungsvarianten zum Beispiel als Auffrischungsschulung via E-Learning anzubieten. Die Integration einer Telemonitoring-Komponente im Rahmen von &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; wird &uuml;berlegt, wobei zu diskutieren ist, f&uuml;r welche Patientengruppen dies ein gangbarer Weg w&auml;re. Auch die Einrichtung von Erinnerungssystemen ist ein m&ouml;gliches Ausbauszenarium. Eine SMS &bdquo;Ihr j&auml;hrlicher Augenarzt-Termin steht an. Vereinbaren Sie bitte einen Termin&ldquo; k&ouml;nnte f&uuml;r manche Patienten hilfreich und erw&uuml;nscht sein.</p> <p><strong>Wie sch&auml;tzen Sie die Zukunft des generellen Modells &bdquo;Disease-Management-Programm&ldquo; ein? Wird es weitere f&uuml;r andere Indikationen geben?</strong></p> <p><strong>R. Pongratz:</strong> Aus meiner Sicht empfiehlt sich ein weiteres isoliertes DMP derzeit nicht so sehr. Ich f&auml;nde es interessant, m&ouml;gliche modulare Erweiterungen zu &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; anzudenken und zu diskutieren.</p> <p><strong>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p>
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