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Strukturierte Betreuung im Praxisteam: Diabetes mellitus Typ 2
Jatros
Autor:
Dr. Susanne Rabady
Vizepräsidentin der ÖGAM<br> Ärztin für Allgemeinmedizin, Windsteig<br> E-Mail: susanne@rabady.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Qualität in der Behandlung chronisch Kranker ist nur in Zusammenarbeit mit den Patienten und in der Betreuung im Team zu erreichen. Ein Programm zur strukturierten Betreuung, zum Beispiel ein Disease-Management-Programm (DMP) wie „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“, stärkt und erleichtert die mitverantwortliche Einbindung des betroffenen Menschen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Ein solches DMP erleichtert und begünstigt die Teambildung innerhalb der Praxis und die Vernetzung der Versorgung mit anderen Fachgebieten und Gesundheitsberufen, da es einerseits eine klare Führungsstruktur voraussetzt, andererseits die Delegierung von einzelnen Aufgaben.</p> <h2>Herausforderung chronische Krankheit</h2> <p>Der Umgang mit chronischen Krankheiten ist sowohl für die betroffenen Menschen als auch für das Gesundheitssystem und nicht zuletzt auch für uns Allgemeinärzte eine Herausforderung. Wer eine chronische Krankheit hat, hat meist mehrere. Behandlung und Betreuung von chronisch Kranken und Multimorbiden sind Kerngebiet und Kernkompetenz der Hausarzt- und Familienmedizin: Die Allgemeinmedizin ist das Fach, das die erforderliche fachliche Breite hat, um mit allen Aspekten der unterschiedlichen Krankheiten zusammenschauend und mit Blick auf den ganzen Menschen umgehen zu können, denn die Allgemeinmedizin ist spezialisiert auf den ganzen Menschen. Die hausärztliche Tätigkeit ermöglicht Langzeitbeziehung, Kenntnis des Umfelds des Patienten, seiner Wertvorstellungen und sozioökonomischen Verhältnisse, seiner Familie und seiner Vorgeschichte. Damit sind wesentliche Voraussetzungen für eine vertrauensvolle, solide Arzt-Patient-Beziehung geschaffen, die für die erfolgreiche Betreuung und Behandlung chronisch kranker Menschen unabdingbar ist.<br /> Qualität in Behandlung und Betreuung von chronischer Krankheit ist anders zu sehen als in der Akutmedizin. Es geht dabei meist nicht um rasche und effiziente Behebung des aktuellen Zustands, es sei denn, bei akuten Komplikationen. Das Ziel ist ein gutes Leben mit der Krankheit, also die Verhütung von Komplikationen und Verzögerung des Fortschreitens, Krankheitsbewältigung und das Einfügen der Krankheit in ein möglichst normales Leben. Dies ist nur zu erreichen, wenn die vielen Faktoren in ihrem Zusammenspiel beachtet werden, beim Diabetes etwa: Blutdruckeinstellung, Bewegung, Gewicht, Blutfettprofil, psychische Situation etc. Die Senkung eines einzelnen Risikofaktors, eines isolierten Parameters (wie beim Diabetes z.B. des Hba<sub>1c</sub>) hat sich als nicht zielführend erwiesen.<br /> Gute Betreuung chronisch Kranker muss daher vorausschauend und strukturiert erfolgen. Sie ist eine eigene Kompetenz mit einer veränderten Methodik, die sich in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat und sich auch weiterhin entwickelt.</p> <h2>Bedeutung von Teamarbeit und strukturierter Betreuung</h2> <p>Diabetiker brauchen wie die meisten chronisch Kranken eine zentrale koordinierende Behandlungsstelle, die den Überblick über alle vorhandenen Krankheiten und Besonderheiten (Unverträglichkeiten etc.) behält, für Koordination und Planung von nötigen Untersuchungen – und den Schutz vor unnötigen Untersuchungen – zuständig ist und wo die Zusammenschau aller Behandlungsmaßnahmen und Medikationen geschieht. Das ist auch für ein gutes Team keine leichte Aufgabe – Zeit ist in der Hausarztpraxis Mangelware, Planung ist schwierig angesichts der vielen akuten Ereignisse und Unterbrechungen. Hilfreich sind Betreuungsprogramme wie das DMP Diabetes Typ 2 („DMP DM2“), weil sie eine klare Struktur vorgeben und die Praxisorganisation unterstützen.</p> <h2>Disease-Management Diabetes mellitus Typ 2</h2> <p>DMP ist ein Betreuungs- und Behandlungsprogramm, das sich aktiv um den Patienten und seine chronische Krankheit kümmert, anstatt zu warten, ob und wann der Patient von alleine kommt und wie viel Zeit dann gerade ist. Es hilft auch dabei, dass nicht im üblichen Praxistrubel auf die notwendigen Untersuchungen und Kontrollen zum rechten Zeitpunkt vergessen wird. Auch ist der Umfang der benötigten Zeit für die geplanten Termine in etwa bekannt, was die Zeiteinteilung erleichtert, und auch der Patient weiß, was ihn bei Untersuchung und Gespräch erwartet.</p> <h2>Das österreichische „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“-Programm</h2> <p><strong>Das DMP hat folgende Bestandteile:</strong></p> <ul> <li>Unterlagen für Patienten (Anleitungen und Tipps, Informationsmaterial und Patientenpass) und Ärzte (Behandlungspfade entsprechend dem Stand der Wissenschaft)</li> <li>Ärzteschulung</li> <li>Patientenschulung</li> <li>In einigen Bundesländern werden auch Schulungen für Ordinationsassistentinnen angeboten.</li> </ul> <p><strong>So läuft das DMP ab:</strong></p> <ul> <li>Patienten, die die Kriterien erfüllen, werden informiert und bei Zustimmung eingeschrieben (in Papierform oder elektronisch). Kriterien sind die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 und die geistige und körperliche Fähigkeit, am Programm teilzunehmen.</li> <li>Kontrollen und Untersuchungen erfolgen regelmäßig und geplant; üblicherweise in dreimonatigen Abständen, Minimum ist einmal pro Jahr (Honorierungsvoraussetzung).</li> <li>Zwischen Patient und Arzt werden jedes Mal Ziele vereinbart, die bis zum nächsten Termin erreicht werden sollten.</li> </ul> <p><strong>Kontrolliert werden:</strong></p> <ul> <li>Blutdruck (am besten in Form von Selbstmessungen – ein Vergleich des Patientengerätes mit dem in der Ordination ist dringend zu empfehlen).</li> <li>Gewicht</li> <li>Laborwerte (Blutzucker, Hba<sub>1c</sub>, Fette, Nierenfunktion)</li> <li>Zustand der Füße (Durchblutung, Funktion der Nerven)</li> </ul> <p><strong>Zielvereinbarungen betreffen:</strong></p> <ul> <li>Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Ernährung und Bewegung</li> <li>Blutdruckeinstellung</li> <li>Blutfettwerte</li> <li>Blutzuckerwerte (Hba<sub>1c</sub>)</li> <li>Gewicht</li> </ul> <p>Wenn die Aufgaben im Team gut verteilt und organisiert sind, bleibt für das Gespräch ausreichend Zeit. Diese Gespräche können und sollen auch beinhalten, wie der Patient mit seiner Erkrankung bzw. seinen Erkrankungen zurechtkommt, wo es Schwierigkeiten gibt, ob in der Familie, oder im Beruf, welche weiteren Faktoren ihm möglicherweise die Lebensstilanpassung erschweren (Schichtarbeit, Kummer bis hin zur Depression, mangelndes Wissen etc). Dabei kann auch immer wieder eine kontinuierliche Schulung stattfinden, wo dem Patienten individuell und kontinuierlich erklärt wird, was immer er wissen möchte und sollte.<br /> An Dokumentationserfordernissen gibt es lediglich ein einseitiges Formular, das einmal jährlich auszufüllen und abzusenden ist. Das kann elektronisch gemacht werden, entweder über die Ordinationssoftware (bei den meisten Anbietern kostenpflichtig), oder einfach über die Gina-Box.<br /> Die Verantwortung für das Erreichen der Ziele teilen sich Arzt und Patient: Durch eine geeignete Behandlung muss der Arzt die Voraussetzungen schaffen, dass der Patient erfolgreich das Seine tun kann. Wichtig ist, dass die Ziele so gewählt werden, dass sie erreicht werden können: Nichts ist so motivierend wie Erfolg – wiederholte Niederlagen schlagen auf die Stimmung und sind demotivierend.<br /> Dieses Programm verlangt nach Teamarbeit, sonst ist es sehr schwer zu organisieren – und vor allem macht es im Team sehr viel mehr Freude. Nicht nur können die Aufgaben geteilt werden, es verlangt auch nach Austausch von Information und Erkenntnissen und damit Gemeinsamkeit und mehr Qualifikation.</p> <h2>Welche Aufgaben können Assistentinnen übernehmen?</h2> <p>Die Assistentinnen haben sehr guten, vertrauensvollen Kontakt zu den Patienten. Sie können sie auf das Programm aufmerksam machen (Risikogruppen, Medikamentenabholer) und die Patienten zur Teilnahme motivieren.<br /> Je nach Ausbildung ist vielfältige Teilnahme an der medizinischen Betreuung durch die Assistentin möglich; von Blutdruckmessen, Gewichtskontrolle, EKG, Blutabnahme bis hin zu einzelnen Aspekten des Beratungsgesprächs. Wenn sich beim Blutdruckmessen, Wiegen oder bei der Vorbereitung zu Untersuchungen Zeit für entspanntes Plaudern zwischen Assistentin und Patient findet, kann Sicherheit vermittelt und motiviert werden. Viel wertvolle Information über Schwierigkeiten und Lebenswirklichkeit werden in dieser Situation gewonnen und können mit dem Arzt besprochen werden.</p> <h2>Hilfsmittel Diabetes-Pass</h2> <p>Die ÖGAM hat in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) und dem Hauptverband einen handlichen „Diabetes-Pass“ entwickelt, der beim Patienten bleibt und neben einigen Informationsseiten eine gute Dokumentationsmöglichkeit bietet. Die wichtigsten Werte und Untersuchungen können übersichtlich eingetragen werden, sodass für Arzt und Patient ein Überblick über den Verlauf eines ganzen Jahres möglich ist und über die vereinbarten Ziele. Der Pass ist kostenfrei bei den Gebietskrankenkassen zu bekommen – auch für Ärzte, die nicht ins DMP eingeschrieben sind.</p> <h2>Wie wird man DMP-Arzt?</h2> <p>Dazu ist eine kurze Schulung nötig, die entweder in Form eines E-Learnings erfolgen kann oder in einer Anwesenheitsschulung, die in den Bundesländern, in denen das Programm ausgerollt ist, immer wieder stattfindet; Termine können bei Ärztekammer oder Gebietskrankenkasse erfragt werden. Die Schulung umfasst vor allem die organisatorischen Aspekte sowie eine kurze Vorstellung der derzeit gültigen Empfehlungen für Behandlungspfade. Das Programm ist in den Bundesländern nicht genau gleich strukturiert, zu erfragen sind die jeweiligen Bedingungen ebenfalls entweder über die Landeskammern oder die Gebietskrankenkassen.</p></p>
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