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Vielfältige Funktionen, mangelnde Standards

Potenzial, Nutzen und Risiken von Diabetes-Apps

<p class="article-intro">Immer mehr Menschen mit Diabetes mellitus nehmen den potenziellen Nutzen von Diabetes-Apps wahr. Anhand vielfältiger Funktionen der Apps kann ein erfolgreiches Therapiekonzept vervollständigt werden – wenn die Qualität der App einerseits und die korrekte Anwendung der App andererseits gewährleistet werden. Gerade die wachsende Zahl angebotener Diabetes-Apps stellt sowohl Patienten als auch behandelnde Ärzte vor immer neue Herausforderungen – sowohl in Bezug auf die zahlreichen Funktionen als auch im Hinblick auf die Qualitätssicherung. Jüngste Entwicklungen auf übernationaler Ebene lassen jedoch hoffen, dass eine Vereinheitlichung und Einhaltung gewisser qualitativer Mindestanforderungen von Diabetes-Apps bevorstehen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Diabetes-Apps bieten vielf&auml;ltige Funktionen, welche therapierelevante Entscheidungen f&uuml;r Patienten, Bezugspersonen und behandelnde &Auml;rzte erleichtern.</li> <li>Es ist davon auszugehen, dass die Verwendung von Diabetes-Apps einen festen Platz in der ganzheitlichen Diabetesbehandlung einnehmen wird.</li> <li>In den letzten f&uuml;nf Jahren wurden bedeutende Schritte in Richtung einer vermehrten Standardisierung und Validierung von Diabetes-Apps unternommen. Eine endg&uuml;ltige Empfehlung zur Implementierung von Diabetes-Apps in den Therapiealltag kann mangels Standardisierung und Validierung sowie aufgrund der fehlenden pragmatischen Evidenz noch nicht ausgesprochen werden.</li> </ul> </div> <h2>Was im Alltag schon m&ouml;glich ist</h2> <p>Hannes S. ist 38 Jahre alt, Vater zweier Kinder und lebt seit zw&ouml;lf Jahren mit seiner Lebenspartnerin zusammen. Er ist leidenschaftlicher Bergsteiger und seit seinem 13. Lebensjahr Typ-1-Diabetiker. Mit der Behandlung seiner Diabeteserkrankung h&auml;lt er es wie mit der Ausr&uuml;stung im Bergsport &ndash; immer auf dem neuesten Stand der Technik. Seine Zuckerwerte werden w&auml;hrend ausgedehnter Bergtouren kontinuierlich mittels eines subkutan gelegten Sensors gemessen und automatisch auf sein Smartphone &uuml;bertragen, welches gleichzeitig auch seine Insulinpumpe via Bluetooth-Verbindung zu steuern vermag (Abb. 1). Damit Hannes sein Smartphone w&auml;hrend der Kletterei nicht aus dem Rucksack herausnehmen muss, koppelt er den Sensor und seine Insulinpumpe &uuml;ber das Smartphone mit seiner Smartwatch. Ein Blick auf das Handgelenk zeigt den aktuellen Blutzucker, ein Vibrationsalarm verr&auml;t, wenn ein zuvor eingestellter glyk&auml;mischer Grenzwert unter- oder &uuml;berschritten worden ist. Zeitgleich kann seine Lebenspartnerin von zu Hause oder jedem anderen Ort weltweit aus seine aktuellen Koordinaten und seine Blutzuckerwerte auf ihrem Smartphone bzw. ihrer Smartwatch mitverfolgen &ndash; besonders praktisch, wenn sie Hannes beim Klettern an der Felswand sichert. Zu Hause werden alle gesammelten Messungen automatisch auf den Heim-PC &uuml;bertragen, sobald das Smartphone sich mit dem WLAN zu Hause verbindet. Alle Diabetesdaten (Hannes&rsquo; Blutzuckerwerte, glyk&auml;mische Sensorzuckerverl&auml;ufe, seine Basal- und Bolusdosis, die eingetragenen Ern&auml;hrungsdaten und sein Aktivit&auml;tsprofil) werden regelm&auml;&szlig;ig in einer gesicherten Daten-Cloud hinterlegt, zu der seine behandelnde Diabetologin einen Nutzer- und passwortgesch&uuml;tzten Zugang hat. <br />Solche und &auml;hnliche Vorgangsweisen sind durch die rasante technische Weiterentwicklung und die fl&auml;chendeckende Verbreitung elektronischer Endger&auml;te (Smartphones, Tablet-PCs, Smartwatches) im Leben einzelner Patienten bereits Realit&auml;t. Wenn man ein wenig optimistisch die derzeitigen politischen und marktregulatorischen Entwicklungen beurteilt, werden die Verwendung und Verkn&uuml;pfung von Diabetes-Apps in Zukunft einen festen Platz in der Behandlung des Diabetes mellitus haben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s34_1.jpg" alt="" width="1455" height="1063" /></p> <h2>Jugendliche Typ-1-Diabetiker nutzen zunehmend Internet und Apps</h2> <p>Technische Endger&auml;te sind zu einer festen St&uuml;tze in der Therapie und dem Monitoring bei Diabetes mellitus geworden. Die Steigerung der Anwendungsvielfalt beruht auf der Entwicklung installierter Softwareprogramme, sogenannter &bdquo;Apps&ldquo;. Als &bdquo;App&ldquo; (Abk&uuml;rzung f&uuml;r &bdquo;Software-Application&ldquo;) bezeichnet man ein Programm, welches den Benutzer in einem bestimmten Bereich unterst&uuml;tzt und sofort einen direkten Wert erbringt.<sup>1</sup> Rezente Studien haben ergeben, dass 64 % aller jugendlichen Typ-1-Diabetiker das Internet als Informationsquelle f&uuml;r ihre Erkrankung nutzen. Zwar nutzen nur 5 % aller Jugendlichen Internetforen oder Diabetes-Apps als Informationsquelle in Notfallsituationen, doch gaben 67 % der befragten Jugendlichen an, auf Diabetes-Apps und das Internet in &bdquo;heiklen&ldquo; Diabetessituationen (Hypoglyk&auml;mien ohne Fremdhilfe oder n&auml;chtliche Hypoglyk&auml;mien) zu vertrauen.<sup>2, 3</sup> Mit der &bdquo;Diabetes MILES Youth-Australia&ldquo;-Studie wurden Faktoren identifiziert, welche mit der Nutzung von Diabetes-Apps assoziiert sind. Mittels Online-Frageb&ouml;gen wurden pers&ouml;nliche und klinische Informationen von jugendlichen Diabetikern, ihre Verwendung von Diabetes-Apps, ihre Motivation und Beweggr&uuml;nde gesammelt. Von den knapp 400 eingeschlossenen Jugendlichen verwendeten 21 % regelm&auml;&szlig;ig Diabetes-Apps. Genutzt wurden diese in absteigender Reihenfolge zur Kohlenhydratberechnung, als Blutzucker- und Insulintagebuch, zur Aufzeichnung von K&ouml;rperaktivit&auml;ten und zur Berechnung der Bolusinsulindosis. Nutzer von Diabetes-Apps stammten h&auml;ufiger aus sozio&ouml;konomisch besser gestellten Familien, hatten eine k&uuml;rzere Diabetesdauer, f&uuml;hrten h&auml;ufiger kapillare Blutzuckermessungen durch und wurden zu 50 % mit einer Insulinpumpe behandelt.<sup>4</sup></p> <h2>mHealth-Apps bringen vielf&auml;ltige Funktionen mit</h2> <p>Aktuell stehen auf Online-Plattformen (Google Play Store&reg; und Apple iTunes&reg;) knapp 4 Mio. Apps zum Download bereit. Mehr als 165 000 dieser Apps befassen sich mit der Aufgabe, einzelne Krankheitsentscheidungen zu vereinfachen, und bilden damit den Sektor der &bdquo;mobile health&ldquo; (mHealth).<sup>5</sup> Ca. 9 % dieser mHealth-Apps lassen sich einzelnen Krankheiten zuordnen, darunter Apps, welche sich definierten oder allgemeinen Aspekten des Diabetes mellitus widmen (Abb. 2).<sup>1</sup> Eine einfache Schlagwortsuche nach dem Begriff &bdquo;Diabetes&ldquo; ergibt 250 Apps in den gro&szlig;en Online-Stores (Google Play Store&reg; und iTunes&reg;). Die angebotenen Funktionen sind vielf&auml;ltig: Von allgemeiner, passiver Wissensvermittlung zum Thema Diabetes mellitus &uuml;ber manuelle oder automatisierte Blutzuckertageb&uuml;cher, Ern&auml;hrungstageb&uuml;cher, Fitness-Tracker und Medikamenten-Reminder bis hin zu komplexeren Kohlenhydratrechnern, Boluskalkulatoren oder spezifischen Programmen zum Erkennen von Abweichungen bei Diabetes-relevanten K&ouml;rperfunktionen kann jeder (relevante) Therapiefaktor durch eine Diabetes-App identifiziert, dokumentiert und interpretiert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s34_2.jpg" alt="" width="1455" height="1039" /></p> <h2>Metaanalysen untersuchen Nutzen, Usability und Qualit&auml;t</h2> <p>Welchen Nutzen bringen Diabetes-Apps? Eine rezente Metaanalyse hat sich dieser Frage angenommen und 13 randomisiert-kontrollierte Studien zwischen den Jahren 2008 und 2016 zusammengefasst. Knapp 1000 Kinder und Erwachsene mit Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2, welche sich in regelm&auml;&szlig;iger medizinischer Behandlung befanden und elf unterschiedliche Diabetes-Apps nutzten, wurden eingeschlossen. Das Funktionsspektrum der Diabetes-Apps umfasste passive Wissensvermittlung zu ausgew&auml;hlten Diabetesthemen, motivationale Behandlungsstrategien, Unterst&uuml;tzung bei Ern&auml;hrung und Fitness, Werte-Dokumentation mit oder ohne Feedback-Funktion, Alarme bei fehlender Medikamenten-Compliance, Boluskalkulatoren und/oder Kontaktaufnahme und Datentransfer zu medizinischem Fachpersonal. Als prim&auml;rer Endpunkt wurde die Ver&auml;nderung des prozentualen Anteils an glykiertem H&auml;moglobin A1c (HbA1c) gew&auml;hlt. Insgesamt konnte eine signifikante studien&uuml;bergreifende Verbesserung des HbA1c um 0,44 % errechnet werden, das Risiko (schwerer) Hypoglyk&auml;mien war vergleichbar mit dem bei Standardbehandlung ohne Diabetes-App.<sup>6</sup> Sekund&auml;re Endpunkte umfassten Fastenglukose, K&ouml;rpergewicht, systolischen und diastolischen Blutdruck und Blutfette, wenngleich ohne signifikante Ver&auml;nderungen.<sup>6</sup><br />Eine weitere Metaanalyse aus dem Jahr 2017 befasste sich &ndash; neben den eben schon erw&auml;hnten Verbesserungen des HbA1c &ndash; mit der &bdquo;usability&ldquo;, also der Bedienbarkeit und Nutzerfreundlichkeit von Diabetes-Apps f&uuml;r Typ-2-Diabetiker. Zw&ouml;lf Studien zur klinischen Effektivit&auml;t und acht Studien zum Thema der Nutzerfreundlichkeit wurden eingeschlossen. Die klinische Effektivit&auml;t entsprach den Ergebnissen der oben genannten Metaanalyse. Das HbA1c konnte um Werte von 0,15 bis 1,9 % gesenkt werden. Die Ergebnisse zum Thema Nutzerfreundlichkeit waren ern&uuml;chternd: So wurde die Bedienbarkeit der analysierten Apps von Nutzern und Gesundheitsexperten als &bdquo;moderat bis ungen&uuml;gend&ldquo; bezeichnet. Als wichtigste Faktoren schlechter Bedienbarkeit wurden die manuelle Werteeingabe, Fehler in der Wertekorrektur, schlechtes Display-Design, unverst&auml;ndliche Funktionsbeschreibung und ungen&uuml;gende Interaktion mit anderen Medizinprodukten genannt. Die Autoren schlussfolgerten, dass Diabetes-Apps zwar ein gewisses Potenzial zur Verbesserung vordefinierter klinischer Endpunkte h&auml;tten, ihre Anwendbarkeit aber durch mitunter deutliche Designm&auml;ngel eingeschr&auml;nkt sei.<sup>7</sup><br />Die Ergebnisse der oben genannten Metaanalyse sind bezeichnend f&uuml;r die zurzeit ung&uuml;nstige Situation am Markt der Diabetes-Apps. Die Zahl (und Redundanz) der zur Verf&uuml;gung stehenden Diabetes-Apps ist gro&szlig;, deren Funktionsvielfalt &uuml;berw&auml;ltigend und nicht wenige Apps konnten bereits in explanativen Studien ihre tats&auml;chliche Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen beweisen. Allerdings fehlen pragmatische Studien, welche den Wirkungsgrad von Diabetes-Apps, deren Sicherheit und Risiken unter &bdquo;allt&auml;glichen Bedingungen&ldquo; evaluieren. Zurzeit werden weder Standardisierungen in der Entwicklung noch eine Verpflichtung zur Validierung nach dem Marktrelease vorgeschrieben, um eine Diabetes-App auf Online-Plattformen anbieten zu d&uuml;rfen. So finden sich Gesundheits-Apps, welche die Abweichung von mittels Sensor gemessenen Zuckerwerten korrigieren und eine Insulindosis vorschlagen, neben Smartphone-Spielen und Social-Community-Programmen. <br />Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 befasste sich n&auml;her mit der Qualit&auml;t von Boluskalkulatoren. Als Boluskalkulator wird eine Software bezeichnet, welche Messwerte (z.B. kapill&auml;re Blutzuckermesswerte, Kohlenhydratmengen, K&ouml;rpergr&ouml;&szlig;e, Gewicht, Insulindosis in internationalen Einheiten) und Sch&auml;tzwerte (Insulinresistenzfaktor, Wirkdauer des Insulins, gesch&auml;tzte Kohlenhydrate) mithilfe eines Rechenalgorithmus interpretiert und eine &bdquo;gesch&auml;tzt optimale&ldquo; Insulindosis f&uuml;r eine Mahlzeit empfiehlt. Gerade das Berechnen einer ad&auml;quaten Insulindosis bedarf intuitiv einer besonderen Umsicht, und Diabetes-Apps, welche sich dieser Thematik annehmen, sollten unter besonders gro&szlig;em Aufwand qualitativ gesichert werden. Huckvale et al. haben 46 auf Online-Plattformen angebotene Boluskalkulatoren gem&auml;&szlig; einem eigens entwickelten &bdquo;Qualit&auml;tsraster&ldquo; bewertet. Die Ergebnisse der Studie waren desastr&ouml;s: Bei 67 % aller Kalkulatoren wurde ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r falsche Dosisberechnungen vermutet, 59 % berechneten eine Bolusdosis trotz fehlender Werteeingabe (beispielsweise der Insulinsensitivit&auml;t), 37 % ignorierten Updates von Nutzern und 14 % aller Kalkulatoren widersprachen der angegebenen Berechnungsformel.<sup>8</sup></p> <h2>CHARISMHA: Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps</h2> <p>Die bislang gr&ouml;sste Metaanalyse zum Thema mHealth wurde vom Deutschen Bundesministerium f&uuml;r Gesundheit in Zusammenarbeit mit dem Reichertz Institut f&uuml;r Medizinische Informatik und der Medizinischen Hochschule Hannover im Jahr 2016 ver&ouml;ffentlicht. Ziel des Projekts &bdquo;Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA)&ldquo; war es, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Rahmenbedingungen f&uuml;r den Einsatz von Gesundheits-Apps in Deutschland im Kontext der Bem&uuml;hungen anderer L&auml;nder der Europ&auml;ischen Union vorzunehmen. Insgesamt wurden 121 Studien zum Thema &bdquo;Health-Apps und Diagnostik&ldquo; und 289 Studien zum Thema &bdquo;Health-Apps und Therapie&ldquo; bestimmter Erkrankungen analysiert, davon 53 Studien, die sich mit Diabetes-Apps befassten. Die Kernaussagen zum Thema &bdquo;Nutzen und Risiken der Verwendung von (Diabetes-)Apps&ldquo; der CHARISMHA-Studie erbrachten Folgendes: (Diabetes-)Apps k&ouml;nnen helfen, das Arzt-Patienten-Verh&auml;ltnis zu verbessern, die Therapietreue und die Eigenst&auml;ndigkeit der Therapieumsetzung patientenseitig zu steigern, die glyk&auml;mische Kontrolle (in Einzelstudien) zu optimieren und die Peer-Group-Vernetzung zu f&ouml;rdern. Allerdings fehlen Standards und notwendige juristische/technische/ethische Regularien, sowohl Patienten als auch behandelnde &Auml;rzte sind im Umgang mit Apps oft zu wenig geschult, was zu einer mitunter heiklen &bdquo;Eigenbehandlung&ldquo; der Patienten f&uuml;hren kann. Zudem sind gro&szlig;e Themen wie Datenschutz und Achtung der Privatsph&auml;re im Umgang mit Gesundheitsdaten noch ungekl&auml;rt.<sup>5</sup><br />Gem&auml;&szlig; einer Definition des Deutschen Bundesamtes f&uuml;r Arzneimittel und Medizinprodukte gilt eine Software dann als Medizinprodukt, wenn sie der Untersuchung, Erkennung, Verh&uuml;tung, &Uuml;berwachung, Behandlung oder Linderung einer Krankheit dient, worunter per definitionem fast alle Diabetes-Apps fallen. Rein juristisch/ethisch m&uuml;ssten Diabetes-Apps damit den Mindestanforderungen des jeweiligen nationalen Medizinproduktegesetzes entsprechen und nach den geltenden Verfahren zugelassen werden. Noch gibt es keine l&auml;nder&uuml;bergreifende Reglementierung, welche bestimmt, wie Diabetes-Apps regulatorisch und ethisch &bdquo;marktreif&ldquo; gemacht werden m&uuml;ssen.<sup>9</sup></p> <h2>Wohin geht die Entwicklung?</h2> <p>Sind &Auml;nderungen in Sicht? Tats&auml;chlich wurden in den letzten f&uuml;nf Jahren bedeutende Schritte in Richtung einer vermehrten Standardisierung von Gesundheits-Apps gesetzt. Im Jahr 2013 wurde von der Europ&auml;ischen Union ein unionsweiter Aufruf zur Entwicklung einer Standardempfehlung zum Thema Datenschutz und Privatsph&auml;re bei Gesundheits-Apps gestartet. 2016 wurde letztlich der &bdquo;Code of Conduct on Privacy for mHealth Apps&ldquo; zur formalen Beurteilung durch den &bdquo;Arbeitskreis Datenschutz&ldquo; eingereicht.<sup>10</sup> Dieser &bdquo;Verhaltenskodex&ldquo; definiert Mindestanforderungen, um Gesundheitsdaten und die Privatsph&auml;re von Nutzern zu sch&uuml;tzen. Sobald dieser vom zust&auml;ndigen EU-Gremium abgesegnet und in geltender Fassung ver&ouml;ffentlicht worden ist, k&ouml;nnen sich App-Hersteller freiwillig gem&auml;&szlig; den Statuten des Code of Conduct zertifizieren lassen. Damit erf&uuml;llt das Zertifikat eine &auml;hnliche Aufgabe wie die &bdquo;Conformit&eacute; Europ&eacute;enne&ldquo; (CE-Zertifikat), welche garantiert, dass in der Herstellung technischer Ger&auml;te eine Standardnorm erf&uuml;llt wurde. Damit k&ouml;nnte in Zukunft gew&auml;hrleistet werden, dass die angepriesene Funktion einer Diabetes-App auf technischer Seite erf&uuml;llt wird. <br />Aber wie kann die pragmatische Funktion einer Diabetes-App &uuml;berpr&uuml;ft werden? Hier wird die Situation bereits schwieriger, da Faktoren mit Einfluss auf die Wirksamkeit einer Diabetes-App entgegen ihrer rein technischen Programmierung einer noch viel breiteren Streuung unterliegen. Eine vielversprechende M&ouml;glichkeit wurde im August 2017 ver&ouml;ffentlicht. Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes &amp; Technologie (AGDT) f&uuml;hrte in Zusammenarbeit mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), deutschen Diabetesverb&auml;nden und dem Bochumer Zentrum f&uuml;r Telematik und Telemedizin (ZTG) das &bdquo;DiaDigital&ldquo;-App-Siegel ein. DiaDigital beurteilt den Nutzen von Diabetes-Apps f&uuml;r Behandler, Nutzer und Hersteller in einem mehrstufigen Testverfahren, welches eine Selbstauskunft der Hersteller, eine technische Pr&uuml;fung und Berichterstattung durch das AGDT, eine Testphase durch Nutzer und ein finales Fazit beinhaltet. Bislang wurden f&uuml;nf Diabetes-Apps mit dem DiaDigital-Siegel ausgezeichnet. Der Erwerb des Siegels ist freiwillig und k&ouml;nnte helfen, Diabetes-Apps mit gesicherter Qualit&auml;t zu identifizieren.<sup>11</sup><br />Um auch selbstst&auml;ndig eine Diabetes-App einer gewissen Qualit&auml;tspr&uuml;fung zu unterziehen, kann eine im Jahr 2016 ver&ouml;ffentlichte Checkliste zum Thema &bdquo;Qualit&auml;t und Datenschutz&ldquo; verwendet werden.<sup>12</sup> Anhand dieser Liste lassen sich mit einer h&ouml;heren Gesamtqualit&auml;t assoziierte Faktoren &uuml;berpr&uuml;fen, welche jede Diabetes-App bieten sollte, um als gewisserma&szlig;en unbedenklich zu gelten. Auch gen&uuml;gendes Training und Verst&auml;ndnis nicht nur der App-Funktion, sondern auch der zugrunde liegenden physiologischen und therapeutischen Aspekte k&ouml;nnen helfen, das Therapiekonzept des Diabetes mellitus mithilfe von Apps abzurunden. Eine Studie von Parkin et al. hat im Jahr 2015 zudem f&uuml;nf Grundregeln f&uuml;r den richtigen Umgang mit Boluskalkulatoren f&uuml;r Patienten und Behandler ver&ouml;ffentlicht, anhand deren das notwendige Verst&auml;ndnis, die Interpretationsf&auml;higkeit und notwendige Sicherheitshandlungen definiert, erkl&auml;rt, &uuml;berpr&uuml;ft und trainiert werden k&ouml;nnen.</p> <h2>Res&uuml;mee</h2> <p>Die Funktionsvielfalt von Diabetes-Apps und j&uuml;ngste regulatorische Weiterentwicklungen lassen vermuten, dass Apps einen festen Platz in der ganzheitlichen Diabetesbehandlung einnehmen werden. Dass Diabetes-Apps einst wie Medizinprodukte behandelt werden, bevor sie auf dem Markt erh&auml;ltlich sind, ist unwahrscheinlich. Allerdings wird eine zunehmende Standardisierung und auch Validierung notwendig sein, um Patienten den Umgang mit Diabetes-Apps empfehlen zu k&ouml;nnen. Aktuell sollte man sich mit jeder Diabetes-App unter Zuhilfenahme publizierter Checklisten individuell auseinandersetzen und mit Patienten gemeinsame Anwendungsbereiche und Ziele definieren, um den gr&ouml;&szlig;tm&ouml;glichen Nutzen bei &uuml;berschaubaren Risiken zu erhalten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Grundlegende technische Definitionen, Gr&uuml;nderszene. https://www.gruenderszene.de/lexikon/begriffe/app. <strong>2</strong>&nbsp;Balkhi AM et al.: Paging Dr. Google: parents&rsquo; report of internet use for type 1 diabetes management. Diabetes Care 2015; 38(2): e18-9 <strong>3</strong>&nbsp;Pollock AJ et al.: Online resources for pediatric type 1 diabetes: What adolescents want. J Diabetes Sci Technol 2016; 10(6): 1419-20 <strong>4</strong>&nbsp;Trawley S et al.: The use of mobile applications among adolescents with type 1 diabetes: results from Diabetes MILES Youth-Australia. Diabetes Technol Ther 2016; 18(12): 813-9 <strong>5</strong>&nbsp;Albrecht U: Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA). http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=60002 <strong>6</strong> Bonoto BC et al.: Efficacy of mobile apps to support the care of patients with diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. JMIR Mhealth Uhealth 2017; 5(3): e4 <strong>7</strong> Fu H et al.: Usability and clinical efficacy of diabetes mobile applications for adults with type 2 diabetes: a systematic review. Diabetes Res Clin Pract 2017; 131: 70-81 <strong>8</strong> Huckvale K et al.: Smartphone apps for calculating insulin dose: a systematic assessment. BMC Medicine 2015; 13: 106 <strong>9</strong> Bundesinstitut f&uuml;r Arzneimittel und Medizinprodukte. Orientierungshilfe Medical Apps. https://www.bfarm.de/EN/MedicalDevices/differentiation/medical_apps/_node.html <strong>10</strong> Code of Conduit for Data Privacy. https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/code-conduct-privacy-mhealth-apps-has-been-finalised <strong>11</strong> DiaDigital Siegel. https://diadigital.de/ <strong>12</strong>&nbsp;Die gro&szlig;e Checkliste. http://www.diabass.ch/wp-content/uploads/2017/06/checkliste-app.pdf</p> </div> </p>
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