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ÖDG-Leitlinien: Lipide – Diagnostik und Therapie bei Diabetes mellitus
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher
1. Medizinische Abteilung<br> Hanusch-Krankenhaus Wien<br> E-Mail: thomas.wascher@wgkk.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Allen Überlegungen zur Optimierung der kardiovaskulär protektiven Therapie bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 sollen zwei positive Anmerkungen vorangestellt werden. Erstens hat in Österreich die altersstandardisierte kardiovaskuläre Mortalität in den letzten 30 Jahren deutlich abgenommen. Zweitens scheint auch die bei Vorliegen eines Diabetes sowohl kardiovaskulär als auch insgesamt erhöhte Mortalität im selben Zeitraum langsam abzunehmen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das LDL-Cholesterin ist das primäre Ziel der Lipidtherapie.</li> <li>Menschen mit Diabetes haben grundsätzlich ein hohes oder sehr hohes kardiovaskuläres Risiko.</li> <li>Lebensstilmaßnahmen sind die Basis der Lipidtherapie.</li> <li>Die medikamentöse Therapieeskalation: Powerstatin, Ezetimib und PCSK9-Hemmer.</li> <li>Bei erhöhten Triglyzerid-Werten können Fibrate eingesetzt werden.</li> </ul> </div> <h2>Problemfelder bleiben bestehen</h2> <p>Es ist also in den letzten Jahrzehnten aus kardiovaskulärer Sicht vieles besser geworden. Dennoch bleiben folgende Problemfelder nach wie vor bestehen: Immer noch stehen kardiovaskuläre Todesursachen an der Spitze der Statistik, immer noch haben Menschen mit Diabetes einen substanziellen Risikoexzess gegenüber Nichtdiabetikern. Immer noch sind Frauen von diesem deutlich gesteigerten Risiko stärker betroffen als Männer. Und vor allem: Immer noch bleibt viel zu tun, um flächendeckend die evidenzbasierten Zielwerte zur Risikooptimierung zu erreichen.<br />Unter den kardiovaskulären Risikofaktoren, die einerseits durch Lebensstilmodifikation und andererseits durch medikamentöse Therapie beeinflussbar sind, nehmen die Lipide (im Speziellen das LDL-Cholesterin) insofern eine besondere Position ein, als sich durch Interventionsstudien zweifelsfrei belegen ließ, dass der Grundsatz „je niedriger, desto besser“ uneingeschränkt Gültigkeit hat. Dazu zeigt Tabelle 1 exemplarisch Statinstudien von 4S bis zu FOURIER mit den jeweils erreichten LDL-Cholesterinwerten sowie den erzielten Reduktionen des primären Endpunkts.<br /> Aufgrund der klaren Datenlage zum kardiovaskulären Risiko bei Diabetes werden Menschen mit Diabetes mellitus in den ESC-Leitlinien den Kategorien „hohes Risiko“ (ohne zusätzliche Risikofaktoren oder Endorganerkrankung) oder „sehr hohes Risiko“ (mit zusätzlichen Risikofaktoren oder Endorganerkrankung) zugeordnet. Dies gilt unabhängig vom Typ des Diabetes. Die Leitlinien der American Association of Clinical Endocrinologists attestieren Patienten mit Diabetes mellitus mit klinisch manifester kardiovaskulärer Erkrankung sogar ein „extrem hohes Risiko“ und schlagen für diese Patienten einen niedrigeren LDL-C-Zielwert von < 55 mg/dl vor.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1903_Weblinks_jatros_dia_1903_wascher_s8_tab1.jpg" alt="" width="650" height="275" /></p> <h2>Lipidstatus – welche Laborwerte sollten bestimmt werden:</h2> <p>Folgende Parameter sind Bestandteil einer kompletten Lipiddiagnostik und sollten unbedingt erhoben werden:</p> <ul> <li>Gesamtcholesterin</li> <li>Triglyzeride</li> <li>HDL-Cholesterin</li> <li>LDL-Cholesterin (gemessen oder falls nicht möglich alternativ nach der Friedewald- Formel berechnet)</li> <li>Nicht-HDL-Cholesterin (sollte bei Triglyzeriden > 200 mg/dl als sekundäres Therapieziel verwendet werden, falls kein gemessenes LDL-C vorliegt)</li> <li>Lp(a) einmalig im Leben bestimmen</li> </ul> <h2>Was kann die Lebensstilmodifikation?</h2> <p>Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Zufuhr von tierischem Fett (bzw. in erster Linie von gesättigten Fettsäuren) auf weniger als 10 % der Gesamtenergiezufuhr zu beschränken. Die erzielbare Reduktion des LDL-Cholesterins liegt dadurch bei etwa 15 %.</p> <h2>Indikation zur medikamentösen Therapie</h2> <p>Grundsätzlich qualifizieren sich auf Basis der zu erreichenden Zielwerte die meisten Patienten mit Typ-2-Diabetes sowie jene mit Typ-1-Diabetes, die eine Albuminurie oder eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen, für eine lipidsenkende Therapie. Unter 40-jährige Patienten mit Diabetes, die keine Diabeteskomplikationen haben, keine weiteren Risikofaktoren und ein LDL-C < 100 mg/dl aufweisen, benötigen möglicherweise keine lipidsenkende Therapie.</p> <h2>Die Zielwerte</h2> <p>Das primäre Ziel jeder Therapie ist das LDL-Cholesterin. Ein sekundäres Therapieziel stellt bei Triglyzeriden > 200 mg/dl das Nicht-HDL-Cholesterin dar. Folgende Zielwerte sollten – unabhängig vom Aufwand – angestrebt werden:</p> <p><br /><strong><strong>Sehr hohes Risiko</strong><br /></strong></p> <ul> <li>LDL-Cholesterin: < 70 mg/dl bzw. > 50 % Reduktion bei einem Ausgangs-LDL-CWert zwischen 70 und 135 mg/dl</li> <li>Nicht-HDL-Cholesterin: < 100 mg/dl (falls kein LDL-C vorliegt)</li> </ul> <p><strong>Hohes Risiko</strong></p> <ul> <li>LDL-Cholesterin: < 100 mg/dl bzw. > 50 % Reduktion bei einem Ausgangs-LDL-CWert zwischen 100 und 200 mg/dl</li> <li>Nicht-HDL-Cholesterin: < 130 mg/dl (falls kein LDL-C vorliegt)</li> </ul> <h2>Die initiale Therapie</h2> <p>In den meisten Fällen wird daher ein Statin zur initialen Therapie herangezogen werden. Die initiale Auswahl ist aber natürlich grundsätzlich vom Lipidstatus abhängig. Wenn nach Einleitung einer Statintherapie und Erreichen des LDL-C-Zielwertes der Triglyzerid-Wert nicht unter 200 mg/dl sinkt, sollte die zusätzliche Gabe eines Fibrates erwogen werden. Eine Fibrattherapie sollte auch bei extrem hohen Triglyzerid-Werten (900 mg/dl) in Erwägung gezogen werden.<br />Als Startdosis sollte bei Statinen mit evidenzbasierten Dosierungen (äquivalent zu 40 mg Simvastatin) begonnen werden. Eine Statintherapie sollte gemäß den oben angeführten Zielwerten bzw. bis zur höchsten tolerierten Dosis gesteigert werden.<br />Möglichkeiten der sequenziellen Erweiterung einer Statintherapie bei Nichterreichen des Therapiezieles sind Ezetimib, das das LDL-C um ca. 15 % senkt, und PCSK9- Inhibitoren in maximaler Dosis (Alirocumab 150 mg oder Evolocumab 140 mg jede zweite Woche s.c.), die das LDL-C um > 50 % reduzieren.</p> <p><strong>Algorithmus zum Erreichen des LDL-CTherapiezieles:</strong></p> <ol> <li>Statintherapie bis zur maximal tolerierten Dosis (und Statinstärke)</li> <li>Ezetimib zusätzlich, wenn Therapieziel nicht erreicht</li> <li>PCSK9-Inhibitor zusätzlich zur kombinierten Therapie mit Statin und Ezetimib, wenn das Therapieziel nicht erreicht wird</li> </ol> <h2>Monitoring und Sicherheitslabor</h2> <p>Der Effekt einer eingeleiteten Therapie sollte nach 4–6 Wochen reevaluiert werden und als Basis einer etwaigen Therapieanpassung dienen. Bei stabiler Therapie sind Kontrollen alle 12 Monate anzustreben. Laborchemische Nebenwirkungen (Muskel und Leber) sind sehr selten. CK-, GOT- und GPT-Werte sollten vor Beginn einer Statintherapie gemessen werden. Eine Routinekontrolle des CK-Werts im Follow-up wird bei asymptomatischen Patienten nicht empfohlen Auf die Möglichkeit einer (extrem seltenen) symptomatischen Myopathie muss der Patient hingewiesen werden.</p> <h2>Die Evidenzlage</h2> <p>Basis der Therapieempfehlungen sind die Leitlinien der ESC<sup>1, 2</sup>, der AACE/des ACE<sup>3</sup> sowie mehrere Metaanalysen der verfügbaren Statinstudien<sup>4–6</sup>, wobei eine dieser Studien sich spezifisch auf Patienten mit Diabetes mellitus bezieht<sup>5</sup>.<br /> Diese Metaanalysen belegen auch den klaren Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der LDL-C-Senkung und der Reduktion des vaskulären Risikos.<br /> Die Evidenz zur Kombination von Ezetimib mit einem Statin stammt aus der IMPROVE-IT-Studie.<sup>7</sup> In dieser konnte bei Patienten nach einem akuten Koronarsyndrom durch die Kombination im Vergleich zu einer Monotherapie mit Statinen eine signifikante weitere Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse beobachtet werden.<br /> Die Evidenz zu PCSK9-Hemmern auf Basis einer Statintherapie stammt aus der FOURIER-Studie (Evolocumab)<sup>8</sup> und deren Subanalysen, in denen sich Patienten mit Diabetes mellitus nicht von denen ohne Diabetes in ihren klinischen Vorteilen durch die Behandlung unterschieden. Weiters gibt es Evidenz aus der ODYSSEYOUTCOMES- Studie (Alirocumab)<sup>9</sup>, in der ebenfalls 29 % der Population zu Studienbeginn an Diabetes erkrankt waren.<br />Die Evidenz zur Therapie mit Fibraten stammt aus der VAHIT-Studie, in der eine Subgruppe von 627 Diabetikern untersucht wurde<sup>10</sup>, sowie aus Post-hoc-Analysen der FIELDS-Studie<sup>11</sup> und der ACCORD-Studie<sup>12</sup>. In den letzten beiden Studien wurde Fenofibrat meist „on top“ zur Statintherapie eingesetzt.<br />Für die Kombination verschiedener Lipidsenker gibt es mit Ausnahme der oben angeführten Studien zurzeit ausschließlich die pathophysiologischen Grundlagen und epidemiologischen Daten als Evidenz.</p> <h2>Die wichtigsten Fakten für die Praxis</h2> <p>Tabelle 2 fasst die wichtigsten Fakten zusammen. Im Zentrum der Überlegungen steht dabei das Erreichen des Zielwertes für das LDL-Cholesterin.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1903_Weblinks_jatros_dia_1903_wascher_s8_tab2.jpg" alt="" width="650" height="288" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology: 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J 2016; 37; 2315-81 <strong>2</strong> Catapano AL et al.: 2016 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidemias. Eur Heart J 2016; 37: 2999-3058 <strong>3</strong> Garber AJ et al.: Consensus statement by the American Association of Clinical Endocrinologists and American College of Endocrinology on the comprehensive type 2 diabetes management algorithm – 2018 executive summary. Endocr Pract 2018; 24: 91-120 <strong>4</strong> Baigent C et al.: Efficacy and safety of cholesterollowering treatment: prospective meta-analysis of data from 90056 participants in 14 trials of statins. Lancet 2005; 366: 1267-78 <strong>5</strong> Cholesterol Treatment Trialists Collaborators: Efficacy of cholesterol-lowering therapy in 18 686 people with diabetes in 14 randomised trials of statins: a meta-analysis. Lancet 2008; 371: 117-25 <strong>6</strong> Cholesterol Treatment Trialists Collaborators: The effects of lowering LDL cholesterol with statin therapy in people at low risk of vascular disease: meta-analysis of individual data from 27 randomised trials. Lancet 2012; 380: 581-90 <strong>7</strong> Cannon CP et al.: Ezetimibe added to statin therapy after acute coronary syndromes. N Engl J Med 2015; 372: 2387-97 <strong>8</strong> Sabatine MA et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376: 1713-22 <strong>9</strong> Schwartz GG et al.: Alirocumab and cardiovascular outcomes after acute coronary syndrome. N Engl J Med 2018 Nov 7; epub ahead of print <strong>10</strong> Rubins HB et al.: Gemfibrozil for the secondary prevention of coronary heart disease in men with low levels of high-density lipoprotein cholesterol. Veterans Affairs High-Density Lipoprotein Cholesterol Intervention Trial Study Group. N Engl J Med 1999; 341: 410-8 <strong>11</strong> Keech A et al.: Effects of long-term fenofibrate therapy on cardiovascular events in 9795 people with type 2 diabetes mellitus (the FIELD study): randomised controlled trial. Lancet 2005; 366: 1849-61 <strong>12</strong> The ACCORD Study Group: Effects of combination lipid therapy in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med 2010; 362: 1563-74 <strong>13</strong> Scandinavian Simvastatin Survival Study Group: Randomised trial of cholesterol lowering in 4444 patients with coronary heart disease: the Scandinavian Simvastatin Survival Study (4S). Lancet 1994; 344(8934): 1383-9 <strong>14</strong> LaRosa JC et al., for the Treating to New Targets (TNT) Investigators: Intensive lipid lowering with atorvastatin in patients with stable coronary disease. N Engl J Med 2005; 352(14): 1425-35 <strong>15</strong> Cannon CP et al., for the Pravastatin or Atorvastatin Evaluation and Infection Therapy-Thrombolysis in Myocardial Infarction 22 Investigators: Intensive versus moderate lipid lowering with statins after acute coronary syndromes. N Engl J Med 2004; 350(15): 1495-504</p>
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