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Low-carb: der neue Goldstandard bei Typ-2-Diabetes mit Adipositas?
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Stefan Kabisch
Autor:
Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer
Dt. Institut für Ernährungsforschung, Potsdam-Rehbrücke Arbeitsgruppe für Klinische Ernährung/DZD<br> Deutsches Zentrum für Diabetesforschung<br> E-Mail: stefan.kabisch@dife.de
30
Min. Lesezeit
29.08.2019
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<p class="article-intro">Bei Ernährungs- und Diätempfehlungen spielen oft auch Modetrends eine wichtige Rolle. Als Beispiele für Diäten, die derzeit im Gespräch sind, seien hier Low-carb-, Low-fat- oder die Paläo-Diät genannt. Am erfolgversprechendsten für Diabetiker mit Übergewicht kristallisieren sich derzeit die mediterrane Ernährung und Low-carb-Diäten heraus.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Low-carb-Diäten sind relativ gut untersucht.</li> <li>Durch Low-carb-Diäten ist es etwas einfacher, Gewicht zu verlieren, als durch Low-fat- Diäten.</li> <li>Menschen mit Diabetes dürften noch stärker profitieren.</li> <li>Low-carb-Diäten dürften sicher sein, im Detail sind jedoch noch Fragen, z. B. in Bezug auf den Lipidstoffwechsel, offen.</li> <li>Entscheidend für den Erfolg ist, wie bei allen Ernährungsumstellungen, die langfristige Compliance.</li> </ul> </div> <p>In den letzten Jahrzehnten beruhten Ernährungsempfehlungen für Normalgewichtige und Adipöse, Gesunde und Typ- 2-Diabetiker auf dem Prinzip der Fettreduktion. Epidemiologisch wissen wir inzwischen, dass dieses Vorgehen wenig erfolgreich war. Zum einen wurde fettarme Kost kaum akzeptiert, zum anderen wurden gleichzeitig gerade die nachteiligen einfachen Kohlenhydrate in noch mehr Lebensmittel integriert. Softdrinks, aber auch zahlreiche andere hochverarbeitete Lebensmittel – von Milchprodukten über Getreideflocken bis zu Wurstwaren – sind mit klassischem Zucker, vermeintlich gesünderen Alternativen wie Honig oder Dicksäften oder sogar dem besonders fruktosereichen Maissirup versetzt worden.<sup>1</sup> Die Diabetes-Inzidenz und der durchschnittliche BMI stiegen kontinuierlich an, und damit auch die typischen Folgeerkrankungen des metabolischen Syndroms. Es stellt sich die Frage – hätte man stattdessen eher von fettreicher, kohlenhydratarmer Ernährung profitiert?</p> <h2>Zu welchen Resultaten kommen Studien zur Low-carb-Diät?</h2> <p>In Kohortenstudien wie der 2018 publizierten ARIC-Studie ist dies auf den ersten Blick zu verneinen. Ein Kohlenhydratanteil von über, aber auch von unter 50 % der täglichen Energiezufuhr ist in dieser Studie mit einer höheren Mortalität assoziiert. Trennt man jedoch die Low-carb-Fraktion nach ihren Proteinquellen auf, so entpuppt sich pflanzlich betonte Low-carb-Ernährung als sehr protektiv.<sup>2</sup><br /> Das bestätigt die Erkenntnisse der im Jahr 2013 erschienenen PREDIMED-Studie, einer der bislang grössten randomisierten kontrollierten Lebensstilstudien weltweit. Sie zeigte wie auch weitere Folgestudien, dass Nahrungsfaktoren der traditionellmediterranen Diät – vor allem Olivenöl, aber auch Nüsse – die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse signifikant reduzieren.<sup>3, 4</sup> Das Nährstoffverhältnis dieser Patienten wies einen Kohlenhydratanteil von unter 40 Energieprozent auf, war also moderat Low-carb. Leider kommen meist nur Studien aus dem Mittelmeerraum zu ähnlich guten Ergebnissen; die Compliance im gleichen Design ist z. B. in England deutlich schlechter und reduziert den Nutzen der mediterranen Ernährungsvorgaben.<sup>5</sup><br /> Auch die «Healthy Nordic Diet» baut auf marinen und pflanzlichen Fettquellen, Kohlenhydratquellen mit niedrigem glykämischen Index (Vollkornbrot, Hülsenfrüchte) und einer breiten Auswahl an frischen, unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln (insbesondere Wurzelgemüse, Beeren) mit einem gewissen Fokus auf regionale Produkte auf.</p> <h2>Welcher Weg ist bei Low-carb-Diäten gangbar?</h2> <p>Gibt es einen akzeptablen, ähnlich gesunden Weg für Mitteleuropäer, die Fisch, Meeresfrüchte, grosse Mengen Olivenöl und fleischarme Mahlzeiten eher scheuen?<br /> Bereits Verzicht auf Zucker ist ein wichtiger Startpunkt. Viele Interventionsstudien zum Zucker weisen zwar Interessenkonflikte mit der zuckerverarbeitenden Industrie auf, zeigen aber dennoch das Risiko. Im realistischen hyperkalorischen Setting ist Zucker von Nachteil. Besonders Fruktose führt in diesem Setting zu Übergewicht und Fettleber, wie es auch epidemiologische Daten belegen.<sup>6</sup> Isokalorisch oder hypokalorisch zeigt sich hingegen kaum ein negativer Effekt des Zuckers. Das ignoriert aber die appetitanregende Wirkung, die in natura praktisch nie eine ausgeglichene, geschweige denn negative Energiebilanz ermöglicht.<sup>7</sup> Es spricht also viel dafür, den Zuckergebrauch zu beschränken. Während die WHO-Empfehlungen 25 g Tagesverzehr für Zucker als akzeptablen Grenzwert anführen, liegt die durchschnittliche Zufuhr in Deutschland eher beim Vierfachen. Ein Verzicht auf Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln ist ein gut umsetzbarer Ansatz; eine schärfere Massnahme wäre der Ausschluss auch von natürlichen Zuckerquellen: Honig, Obst sowie bestimmte Gemüse.<br /> Schränkt man im Speiseplan auch komplexe Kohlenhydrate aus stärkereichen Knollen und Gemüsen sowie Getreideprodukten ein, resultiert in der Regel eine Lowcarb- bis Very-low-carb-Diät mit einem Energieanteil von unter 25 % bzw. unter 10 % an Kohlenhydraten. Etwa bei Kohlenhydratmengen von unter 50 g pro Tag schaltet der Körper weitgehend kontinuierlich in den ketogenen Stoffwechsel um. Der eigene Effekt der Ketonkörper (Stimulation stoffwechselgünstiger Prozesse, verstärkte Sättigung u. v. m.) ist noch Gegenstand der aktuellen Forschung. Relevanter sind vielleicht der automatisch höhere Anteil an sättigendem Eiweiss und die fehlende Möglichkeit, den Energiebedarf mit der sehr spärlichen Auswahl an Lebensmitteln vollständig zu decken. Hierdurch ist die strenge Umsetzung einer ketogenen Diät schwer über längere Zeit durchzuhalten, führt aber wegen der praktisch immer negativen Energiebilanz zu deutlicher Gewichtsreduktion.</p> <h2>Sind Low-carb-Diäten tatsächlich überlegen und empfehlenswert?</h2> <p>Low-carb-Diäten sind anders als viele alternative Ernährungsformen vergleichsweise gut untersucht, es gibt mehr als 60 kleinere und grössere Studien an unterschiedlichen Personengruppen, sodass für viele Outcomes bereits Metaanalysen publiziert wurden. Speziell bei kurzen Diätphasen zeigen diese Auswertungen einen Vorteil der Low-carb-Gruppen im Hinblick auf Nüchternglukose und den HbA<sub>1c</sub>-Wert, den Blutdruck sowie das Körpergewicht.<sup>8–10</sup> Gerade die vorteilhaften Wirkungen auf die Glykämie sind bei Typ-2-Diabetikern sogar noch stärker ausgeprägt.<sup>11</sup> Beim Lipidprofil profitieren Low-carb-Nutzer von stärker sinkenden Triglyzeriden. Das LDL-Cholesterin steigt meist parallel zum HDL-Cholesterin, das atherogene Potenzial dieser Entwicklung ist noch nicht abschliessend bewertet.<sup>12</sup><br /> Zu anderen, u. a. auch sicherheitsrelevanten Aspekten, z. B. der Harnsäure, dem Entzündungshaushalt, der Nierenfunktion oder der Leberverfettung ist aus Mangel an Daten noch kein verlässlicher Vergleich möglich. Gegenwärtig gibt es aber im hypokalorischen Kontext der meisten Low-carb- Studien keine Hinweise auf ein Schadenspotenzial. Bezüglich der Nierenfunktion müssen aber Patienten mit bekannter Niereninsuffizienz eine Obergrenze von 0,8 g Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht einhalten. Analysen aus High-protein-Studien zeigten bei dieser Risikogruppe die Gefahr der Verschlechterung der renalen Situation.</p> <h2>Kann man eine Low-carb-Diät längerfristig durchhalten?</h2> <p>Die langfristige Compliance der Patienten, die auf eine Low-carb-Diät umstellen, ist strittig. Eine gesunde Ernährung – unabhängig vom Makronährstoffverhältnis oder vom Kalorienziel – baut jedoch immer auf einem grossen Anteil an Gemüse auf. Die Low-carb-Diät profitiert zudem vor allem von Pflanzenölen und Nüssen (ungesättigte Fette) sowie Hülsenfrüchten und Fisch als Eiweissquellen mit geringem Anteil an gesättigtem Fett. Die optimale Low-fat-Variante baut stark auf Cerealien und Hülsenfrüchten auf, da diese ein hohes Mass an antidiabetisch wirksamen unlöslichen Ballaststoffen (Cellulose, Hemicellulose) bereitstellen. Viele Low-carb-Nutzer betonen aber eher Fleisch und Milchprodukte, während Low-fat-Probanden den niedrigen Fettanteil weniger durch Fettreduktion als durch relativ hohe Kohlenhydratlast erreichen. Während Low-carb-Probanden durch den hohen Eiweisseintrag oftmals dennoch ein hypokalorisches Muster entwickeln, gelingt dies Probanden mit «ungesunder Lowfat- Diät» oftmals nicht. Somit äussert sich selbst eine qualitativ eher ungünstig designte Low-carb-Diät mitunter metabolisch vorteilhafter als eine Low-fat-Diät, bei der eine negative Energiebilanz per se schwerer zu erreichen ist. Low-carb-Produkte sind etwas einfacher abzugrenzen (wenig verarbeitete Lebensmittel, viele naturbelassene Produkte; daher oft auch als «Paläo-Diät» beworben), aber arbeitsintensiver und wenig abwechslungsreich. Low-fat-Buffets sind vielfältiger, laufen aber durch den schwächer sättigenden, grossen Kohlenhydratanteil (vor allem bei einfachen Kohlenhydraten) Gefahr, hyperkalorisch zu bilanzieren.<br /> Sehr radikale Low-carb-Diäten sind somit in ihrer Praktikabilität limitiert, aber auch in den gesundheitsfördernden Facetten. Sowohl unlösliche Ballaststoffe aus Cerealien als auch lösliche Fasern aus Obst werden dabei kaum zugeführt. Um Darmperistaltik und metabolischen Benefit zu unterstützen, empfehlen sich Low-carb- Diäten nur mit ausreichender Zufuhr von Gemüse und – speziell für unlösliche Ballaststoffe – Hülsenfrüchten.<br /> Ob eine Low-carb-Diät im Einzelfall bei Gewichtsreduktion und Stoffwechseloptimierung erfolgreich ist, lässt sich bislang nur schwer vorhersagen. Bisherige Studien waren oftmals sehr kurz, zumeist an weiblichen Kohorten erhoben und von sehr unterschiedlichem Design (Anzahl der Beratung, Intensität der Diät, zusätzliche Motivationsangebote). Die meisten Testreihen haben sich an Personen mit Übergewicht oder Adipositas gerichtet, ein manifester Diabetes ist nur bei einem kleinen Teil der Studien Einschlusskriterium. Prädiktive Parameter für Compliance und Response lassen sich bislang nicht ableiten. Empfehlenswert ist daher immer die Durchführung unter ärztlicher Kontrolle, sodass auch Sicherheitsaspekte (Lipidprofil, Harnsäure, Entzündungswerte, Nierenfunktion, Gallensteine) im Blick bleiben.</p> <h2>Welche Rolle spielt die Gewichtsreduktion?</h2> <p>Bei aller Euphorie über die stärkere Gewichtsreduktion unter Low-carb-Diäten ist zudem einzuräumen, dass allein zum willentlichen Gewichtsverlust keine Daten zum kardiovaskulären oder globalen Langzeitoutcome (Mortalität) aus Interventionsstudien vorliegen. Das ist insbesondere für die meist älteren Typ-2-Diabetiker relevant. Zahlreiche epidemiologische Studien verweisen immer wieder auf das Adipositasparadoxon: Ein mässig erhöhter BMI im höheren Alter ist mit der geringsten Mortalität verknüpft und Gewichtsverlust (unwillentlich und gezielt herbeigeführt) geht mit erhöhter Sterblichkeit einher.<sup>13</sup><br /> Eine starke Gewichtsreduktion (unabhängig vom diätetischen Modell) geht in den allermeisten klinischen Studien mit einer Verbesserung von metabolischen Risikofaktoren einher, die britische DIRECT-Studie sieht ein hohes Potenzial zur Diabetesremission bei starkem Gewichtsverlust.<sup>14</sup> Zu beachten ist aber, dass gerade ältere Patienten (ab 65 Jahren) durch eine Gewichtsreduktion oft Muskelmasse und günstige Fettdepots (anstelle von viszeralem Fett) verlieren, sodass aus einer Reduktionsdiät auch Insulinresistenz, Sarkopenie und Mangelernährung resultieren können. Gewichtsreduktion per se sollte also bei älteren Patienten nicht im Fokus stehen, sondern allenfalls ein beiläufiges Resultat einer ausgewogeneren, auf metabolische Nachhaltigkeit ausgerichteten Ernährung sein.</p> <h2>Wie steht es um die Diskussion um Süssstoffe?</h2> <p>Last, but not least: Süssstoffe (Saccharin, Aspartam, Sucralose etc.) oder Zuckerersatzstoffe (z. B. Xylit, Sorbit, Erythrit) ersetzen zwar Zucker, helfen aber kaum bei der Gewichtsreduktion. Eingesparter Zucker wird wahrscheinlich durch andere Lebensmittel kompensiert.<sup>15</sup> Ob Zuckerersatzmittel eine eigenständige metabolische Wirkung entfalten – diskutiert werden verschiedene denkbare Mechanismen –, ist noch nicht ausreichend geklärt. Es fehlen klare Belege zum Abraten und zum Zuraten.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Eine gemässigt kohlenhydratreduzierte Ernährung mit Orientierung an den Elementen der traditionellen mediterranen Diät hat die besten Aussichten auf metabolischen Erfolg, in der Klinik und der Forschung sind aber weitere Anstrengungen nötig, um die optimale Ernährungsform (von der Compliance bis zur metabolischen Response) für den einzelnen Patienten zu identifizieren.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Narain A et al.: Int J Clin Pract 2016; 70: 791-805 <strong>2</strong> Seidelmann SB et al.: Lancet Public Health 2018; 3: e419-28. <strong>3</strong> Estruch R et al., for the PREDIMED Study Investigators: N Engl J Med 2013; 368: 1279-90 <strong>4</strong> Godos J et al.: Int J Food Sci Nutr 2017; 68: 138-48 <strong>5</strong> Jebb SA et al., for the RISCK Study Group: Am J Clin Nutr 2010; 92: 748-58 <strong>6</strong> Jamnik J et al.: BMJ Open 2016; 6: e013191 <strong>7</strong> Chiu S et al.: Eur J Clin Nutr 2014; 68: 416-23 <strong>8</strong> Snorgaard O et al.: BMJ Open Diabetes Res Care 2017; 5: e000354 <strong>9</strong> Schwingshackl L et al.: Eur J Epidemiol 2018; 33: 157-70 <strong>10</strong> Hashimoto Y et al.: Obes Rev 2016; 17: 499-509 <strong>11</strong> Huntriss R et al.: Eur J Clin Nutr 2018; 72: 311-25 <strong>12</strong> Mansoor N et al.: Br J Nutr 2016; 115: 466-79 <strong>13</strong> Kwon Yet al.: PLoS One 2017; 12: e0168247 <strong>14</strong> Lean ME et al.: Lancet 2018; 391: 541-51 <strong>15</strong> Miller PE, Perez V: Am J Clin Nutr 2014; 100: 765-77</p>
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