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Identifikation von Patienten mit hohem Frakturrisiko
Leading Opinions
30
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20.10.2016
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<p class="article-intro">Für das Osteoporosemanagement ist das unmittelbare Frakturrisiko das praxistauglichere Instrument als das 10-Jahres-Frakturrisiko. Diese Meinung vertritt jedenfalls Dr. med. Karine Briot vom Cochin-Spital in Paris. An der SVGO-Jahresversammlung in Bern stellte die Rheumatologin das neue Konzept näher vor.</p>
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<p class="article-content"><p>Eine medikamentöse Osteoporosetherapie ist in der Regel indiziert, wenn Patienten bereits eine osteoporotische Fraktur erlitten haben oder das mithilfe des FRAX-Tools aufgrund epidemiologischer Daten ermittelte 10-Jahres-Frakturrisiko deutlich erhöht ist. «Dieses Vorgehen hat aber etliche Nachteile», betonte Dr. med. Karine Briot. «Denn das FRAX-Tool hat Einschränkungen und für die Patienten sind zehn Jahre eine sehr lange Periode, in der sich viele andere gesundheitsrelevante Ereignisse wie Krebs oder ein Unfall ereignen können», so die Referentin.<sup>1</sup> Auch sind Knochenbrüche für die Patienten ein seltenes Ereignis und vor allem eine Folge von riskantem Verhalten, Stürzen oder Unfällen und weniger eine direkte Folge der Osteoporose. «All diese Gründe beeinträchtigen die Adhärenz und führen häufig zu einem vorzeitigen Therapiestopp», führte Briot aus. Vielversprechender und motivierender sei da die Konzentration auf das unmittelbare Frakturrisiko.<br /> Einige Kriterien, um Hochrisikopatienten zu identifizieren und deren unmittelbares Frakturrisiko einzuschätzen, wurden bereits identifiziert. So steigt etwa bei der glukokortikoidinduzierten Osteoporose die Inzidenz für vertebrale und nichtvertebrale Frakturen im ersten Monat nach Behandlungsbeginn stark an und sinkt nach Behandlungsende allmählich wieder auf das Ausgangsrisiko vor Therapiestart ab.<sup>2</sup> Zudem ist das Frakturrisiko bei Therapiestartern deutlich höher als bei Patienten unter einer Dauerbehandlung mit Steroiden.<sup>3</sup> «Aus diesen Erkenntnissen leitet sich bei der glukokortikoidinduzierten Osteoporose die Notwendigkeit für ein optimiertes Management insbesondere zu Beginn einer Steroidtherapie ab», erklärte Briot.</p> <h2>Erlittene Frakturen als Prädiktoren</h2> <p>Bei Frauen in der Postmenopause sind Frakturen ein Hauptrisikofaktor für weitere Knochenbrüche. «Besonders gross ist das Risiko an der alten Bruchstelle», sagte die Referentin. Die Wahrscheinlichkeit für eine Fraktur verändert sich jedoch mit der Zeit (Abb. 1).<sup>4</sup> So beträgt das relative Risiko für einen zweiten Bruch im ersten Jahr nach einer Fraktur 23 % und in den ersten fünf Jahren 54 % .<sup>5</sup> «Für Frauen nach den Wechseljahren ist es deshalb besonders wichtig, nach einer Fraktur eine adäquate Osteoporosebehandlung zu erhalten», betonte die Spezialistin.<br /> Um das unmittelbare Frakturrisiko korrekt einzuschätzen, sei es zudem zentral, die Wahrscheinlichkeit für einen Knochenbruch in bestimmten Zeitfenstern zu betrachten, so Dr. Briot. «Denn nach den Wechseljahren bleibt das Frakturrisiko nach einem Knochenbruch zwar langfristig – mindestens über 15 Jahre – erhöht, für das Frakturrisiko spielt es jedoch eine Rolle, wie lange der Bruch schon zurückliegt», sagte sie. Arbeiten konnten zeigen, dass postmenopausale Frauen nach einem frischen Bruch ein um 65 % höheres Frakturrisiko haben als Frauen nach den Wechseljahren mit einem Knochenbruch, der schon länger als fünf Jahre zurückliegt.<sup>6, 7</sup><br /> Von Bedeutung ist auch die Lokalisation der Fraktur. Kommt es später zu einer zweiten Fraktur, ereignet sich diese sehr häufig wieder an der gleichen Stelle. Studien zeigen überdies, dass das Risiko, dass es an der alten Frakturstelle irgendwann wieder einmal zu einem Bruch kommt, an der Wirbelsäule am höchsten ist. Bei nichtvertebralen Frakturen hingegen sind sturzassoziierte Risikofaktoren die besseren Prädiktoren.<sup>8</sup> «Wir müssen die Risikofaktoren für die einzelnen Lokalisationen somit auch unterschiedlich bewerten», fasste Dr. Briot zusammen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite50.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Sturzassoziierte Risikofaktoren von Bedeutung</h2> <p>Die Inzidenz eines zweiten Bruchs ist zudem abhängig von Risikofaktoren, die bereits vor der ersten Fraktur vorhanden waren.<sup>9</sup> So haben Frauen bekanntlich generell ein höheres Risiko als Männer, einen Knochenbruch zu erleiden. «Dies ändert sich auch nach einer bereits erlittenen Fraktur nicht», erläuterte Dr. Briot.<br /> Das Risiko für eine zweite Fraktur steigt auch mit zunehmendem Alter, bei Frauen insbesondere ab 70 Jahren und bei Männern ab 80 Jahren. Studien belegen weiter, dass es bei Patienten mit knochen- und sturzassoziierten Risikofaktoren (Gelenkschmerzen, Frakturen, Stürze, Polymedikation) häufiger zu einem zweiten Bruch kommt als bei Patienten mit knochen- und sturzunabhängigen Risikofaktoren wie beispielsweise Untergewicht.<sup>10</sup><br /> Welche Hauptrisikofaktoren einen zweiten Bruch innerhalb von zwölf Monaten nach einer ersten Fraktur begünstigen, sei leider noch nicht gut untersucht, so die Referentin. «Das Konzept mit dem unmittelbaren Frakturrisiko ist noch zu neu.» Etwas Aufschluss geben aber immerhin schon erste retrospektiv erarbeitete Daten, die letztes Jahr an der ASBMR-Jahresversammlung im Rahmen einer Posterpräsentation vorgestellt wurden und von eigenen Analysen von Dr. Briot gestützt werden.<sup>11</sup> Diese unterstreichen die Bedeutung von sturzassoziierten Risikofaktoren für zweite Frakturen, wie Stürzen, Mobilitätseinschränkungen, Gebrauch von Gehilfen, Alter, ZNS-Erkrankungen und anderen Komorbiditäten sowie Einnahme bestimmter Medikamente wie SSRI, Narkotika, Muskelrelaxanzien und psychoaktiver Substanzen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite51.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Frühere und bessere Prävention</h2> <p>«Ist erst einmal ein hohes unmittelbares Frakturrisiko ermittelt, können die betroffenen Patienten gezielt behandelt werden», so die Referentin. Denkbar sei beispielsweise, dass Hochrisikopatienten mit einer persistierenden Osteoporose unter Bisphosphonaten von einer Behandlung nach einem Stufenplan profitieren und Knochenbrüche verhindert werden könnten.<sup>12</sup> So ist möglicherweise bei einem Nichtansprechen auf ein schwaches Antiresorptivum ein Wechsel auf ein potenteres Medikament der gleichen Klasse angezeigt, bei Nichtansprechen auf orale Medikamente ein Wechsel auf ein parenterales Präparat und bei Nichtansprechen auf ein starkes Antiresorptivum ein rascher Wechsel auf anabol wirkende Medikamente.<sup>13</sup><br /> Hinlänglich bekannt ist, dass Gesundheitsedukation und regelmässige körperliche Aktivität Stürzen und somit Frakturen vorbeugen. Bei 70- bis 89-jährigen Männern verhindert körperliches Training im Rahmen eines speziellen Sportprogrammes Stürze und Frakturen sogar deutlich besser als Gesundheitsedukation allein (Abb. 2).<sup>14</sup> Bei den Frauen hingegen scheinen aufgrund bisheriger Daten beide Massnahmen gleich wirksam zu sein. «Wir müssen natürlich noch weitere Studien durchführen, ehe wir die Wirksamkeit einzelner Interventionen für die Sturz- und Frakturprophylaxe sicher beurteilen und konkrete Behandlungsempfehlungen abgeben können», betonte Dr. Briot. Auch müssten Prädiktoren für die Identifikation von Hochrisikopatienten weiter untersucht werden, bevor das Instrument des unmittelbaren Frakturrisikos in der Praxis auf breiter Ebene angewendet werden könne. Doch die Referentin ist überzeugt: «Einmal eingeführt, wird das neue Konzept eine frühere und bessere Frakturprävention ermöglichen.»</p></p>
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<p><strong>1</strong> Alami S et al: Barriers to effective postmenopausal osteoporosis treatment: a qualitative study of patients’ and practitioners’ views. PLoS One 2016; e0158365 <strong>2</strong> Van Staa TP et al: Use of oral corticosteroids and risk of fractures. J Bone Miner Res 2005; 20: 1487-94; discussion 1486 <strong>3</strong> Amiche MA et al: Fracture risk in oral glucocorticoid users: a Bayesian meta-regression leveraging control arms of osteoporosis clinical trials. Osteoporos Int 2016; 27: 1709-18 <strong>4</strong> van Geel TA et al: Clinical subsequent fractures cluster in time after first fractures. Ann Rheum Dis 2009; 68: 99-102 <strong>5</strong> Lindsay R et al: Risk of new vertebral fracture in the year following a fracture. JAMA 2001; 285: 320-3 <strong>6</strong> Ryg J et al: Hip fracture patients at risk of second hip fracture: a nationwide population-based cohort study of 169,145 cases during 1977-2001. J Bone Miner Res 2009; 24: 1299-307 <strong>7</strong> Clinton J et al: Proximal humeral fracture as a risk factor for subsequent hip fractures. J Bone Joint Surg Am 2009; 91: 503-11 <strong>8</strong> FitzGerald G et al: Differing risk profiles for individual fracture sites: evidence from the Global Longitudinal Study of Osteoporosis in Women (GLOW). J Bone Miner Res 2012; 27: 1907-15 <strong>9</strong> Huntjens KM et al: Risk of subsequent fracture and mortality within 5 years after a non-vertebral fracture. Osteoporos Int 2010; 21: 2075-82 <strong>10</strong> Huntjens KM et al: The role of the combination of bone and fall related risk factors on short-term subsequent fracture risk and mortality. BMC Musculoskelet Disord 2013; 14: 121 <strong>11</strong> Bonafede M et al: Predicting imminent risk for fracture in patients with osteoporosis using commercially insured claims data. ASBMR 2015 Annual Meeting. OR 1066 <strong>12</strong> Hawley S et al: Incidence and predictors of multiple fractures despite high adherence to oral bisphosphonates: a binational population-based cohort study. J Bone Miner Res 2016; 31: 234-44 <strong>13</strong> Diez-Perez A et al: Treatment failure in osteoporosis. Osteoporos Int 2012; 23: 2769-74 <strong>14</strong> Gill TM et al: Effect of structured physical activity on prevention of serious fall injuries in adults aged 70-89: randomized clinical trial (LIFE Stud y). BMJ 2016; 352: i245</p>
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