
Glukosemanagement bei physischer Aktivität und Sport in der Ära von kontinuierlichen Glukosemessgeräten
Autor:
Univ.-Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Othmar Moser1,2
1 Abteilung Exercise Physiology & Metabolism
Institut für Sportwissenschaft
Universität Bayreuth, Deutschland
2 Schwerpunktambulanz für Diabetes, Physische Aktivität und Sport
Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
E-Mail: othmar.moser@medunigraz.at
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Menschen mit Typ-1-Diabetes befinden sich bei physischer Aktivität und Sport in latenter Gefahr, eine schwere Hypoglykämie zu erleiden.Geräte zur kontinuierlichen Glukosemessung haben gezeigt, dass sie das Risiko für Dysglykämie reduzieren, obwohl für die Verwendung dieser Geräte bei Sport keine Empfehlungen existieren. Das „Wann, Wie und Warum“ wird in dieser Empfehlung erklärt, um Menschen mit Typ-1-Diabetes sicheres Sporttreiben und zugleich einen flexiblen Lebensstil zu ermöglichen.
Keypoints
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Kontinuierliche Glukosemessgeräte, aber auch Hybrid-Closed-Loop-Systeme ermöglichen Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 sicheres Sporttreiben und einen flexiblen Lebensstil.
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Bei unterschiedlichen Intensitäten der Belastung folgt die Blutglukosekonzentration drei Mustern: Abfall, Äquilibrium oder Anstieg.
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Therapieanpassungen vor dem Sport sollten immer unter Betrachtung des zu erwartenden Glukoseverlaufs gewählt werden.
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„Glycemic Threshold Carbohydrate Consuming“ ermöglicht bei Einsatz eines CGM spontanes und flexibles Sporttreiben. Bei HCL-Systemen steht ein Sportmodus zur Verfügung.
Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen die Kohlenhydrat- und Proteinzufuhr mit der passenden Menge an exogen appliziertem Insulin ausbalancieren, um einerseits Hypoglykämien (Insulin > Kohlenhydrate) und andererseits Hyperglykämien (Insulin < Kohlenhydrate) zu verhindern.1 Durch physische Aktivität und Sport wird das glykämische Management erschwert, da Glukose aus dem Blutstrom insulinunabhängig durch Muskelkontraktion in den intrazellulären Raum aufgenommen wird.2 Dieser physiologische Mechanismus ist essenziell, um die Muskulatur mit Energie zu versorgen; zugleich erschwert die insulinunabhängige Glukoseabsorption das Therapiemanagement für Menschen mit Typ-1-Diabetes, um die Blutglukose im Äquilibrium zu halten (Muskelkontraktion vs. Insulin vs. Kohlenhydrate).
Blutglukosekonzentration unter Belastung
Grundsätzlich muss erwähnt werden, dass während unterschiedlicher Intensitäten der Belastung die Blutglukosekonzentration drei Mustern folgen kann: Abfall, Äquilibrium oder Anstieg. Der Abfall der Blutglukosekonzentration entsteht durch den zuvor erwähnten Mechanismus verbunden mit einer niedrigen Glykogenolyserate (z.B. niedrige Belastungsintensität). Das Blutglukoseäquilibrium wird erreicht, wenn die insulinunabhängige intrazelluläre Glukoseaufnahme im Gleichgewicht mit der Glykogenolyse- bzw. Glukoneogeneserate ist (z.B. Krafttraining mit moderater Belastungsintensität). Der Anstieg der Blutglukosekonzentration ist häufig verbunden mit hohen Katecholaminwerten, die vor allem die hepatische Glykogenolyserate massiv erhöhen, wie z.B. Krafttraining/Intervalltraining mit hoher Belastungsintensität (Abb. 1).3,4
Abb. 1: Mögliche Glukoseverläufe in Abhängigkeit von Intensität, Form und Modus der Belastung bei Menschen mit DM1. Modifiziert nach Moser et al. 20203,4
Möglichkeiten von CGM-Systemen bei Sport
Diese divergenten Glukoseverläufe während, aber auch nach dem Sport lassen kaum eine Vereinheitlichung der Therapieempfehlungen zu. Dennoch ermöglichen Geräte zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM-Systeme) eine holistische Betrachtung endogener und exogener Prozesse, die das glykämische Management während physischer Aktivität und Sport vereinfachen können.5
CGM-Systeme vereinen retrospektive (historischer Verlauf), aktuelle (interstitieller Glukosewert) und prospektive Informationen (Trendpfeil) und ermöglichen dadurch den Transfer von allgemeinen Therapieempfehlungen zu individualisierten Anpassungen beim Sport. Therapieanpassungen vor dem Sport sollten immer unter Betrachtung des zu erwartenden Glukoseverlaufs gewählt werden:
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minus 25% des prandialen Insulins für leichte Glukoseabfälle
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minus 50% des prandialen Insulins für moderate Glukoseabfälle
minus 75% des prandialen Insulins für hohe Glukoseabfälle
Diese Anpassungen können sowohl bei Insulin-Pen- (MDI) als auch bei Insulin-Pumpen-Therapie (CSII) vorgenommen werden. Zusätzlich können Menschen mit CSII nach Abschätzung des Glukoseverlaufs die Basalrate ca. 120min vor dem Sport um 50–80% reduzieren.3,4 Neben den positiven Effekten von CGM-Systemen auf die glykämische Kontrolle ergibt sich durch deren Nutzung eine höhere Flexibilität in der Therapieanpassung beim Sport. Durch die ganzheitliche Betrachtung der Glukosekurven während des Sports kann das „Glycemic Threshold Carbohydrate Consuming“ (GTCC) angewandt werden. Das GTCC gibt an, bei welchem Sensor-Glukosewert, verbunden mit dem Trendpfeil, welche therapeutische Maßnahme gewählt werden muss (Kohlenhydratzufuhr vs. Insulinkorrektur). Zusätzlich wird bei dieser Therapiemethode nach Hypoglykämierisiko, Sporterfahrung und Alter unterschieden(Tab. 1).3,4
Hybrid-Closed-Loop-Systeme bei Sport
PraXiStiPP
Sport ist auch mit Typ-1-Diabetes gut möglich. CGM- und HCL-Systeme erleichtern dies. „Glycemic Threshold Carbohydrate Consuming“ funktioniert gut, ohne dass man Angst vor einer Gewichtszunahme haben muss.Für Menschen, die ein sogenanntes „Hybrid Closed Loop“(HCL)-System verwenden, sind diese Empfehlungen nicht geeignet.3,4 Unter HCL-Systemen versteht man die direkte Kommunikation zwischen dem CGM-System und der Insulinpumpe, wobei über eine Erhöhung/Verminderung der Insulindosis der Glukosewert in einem Zielbereich von ca. 120mg/dl stabilisiert wird. Bei physischer Aktivität und Sport besteht die Möglichkeit, den Zielwert zwei Stunden vor dem Sport auf ca. 150mg/dl zu heben (Sportmodus), um das Risiko für Dysglykämien zu verringern. Dennoch kann ein HCL-System während des Sports „unterstützt“ werden, indem kleinste Mengen an Kohlenhydraten zugeführt werden (z.B. 5Gramm Kohlenhydrate), wenn Blutglukoseabfälle erwartet werden.
„Glycemic Threshold Carbohydrate Consuming“
Abschließend muss erwähnt werden, dass GTCC spontanes und flexibles Sporttreiben ermöglicht, wobei zugleich nicht davon auszugehen ist, dass diese kleinen Mengen an Kohlenhydraten eine Gewichtszunahme verursachen, da primär intramuskuläre bzw. hepatische Glykogenreserven aufgefüllt werden.2
Literatur:
1 Kostopoulou E et al.: The role of carbohydrate counting in glycemic control and oxidative stress in patients with type 1 diabetes mellitus (T1DM). Hormones 2020; 19(3): 433-8. https://doi.org/10.1007/s42000-020-00189-8 2 Moser O et al.: Type 1 diabetes and physical exercise: Moving (forward) as an adjuvant therapy. Curr Pharm Des 2020; 26(9): 946-57. https://doi.org/10.2174/1381612826666200108113002 3 Moser O et al.: Glucose management for exercise using continuous glucose monitoring (CGM) and intermittently scanned CGM (isCGM) systems in type 1 diabetes: position statement of the European Association for the Study of Diabetes (EASD) and of the International Society f. Diabetologia 2020; 63(12): 2501-20. https://doi.org/10.1007/s00125-020-05263-9 4 Moser O et al.: Glucose management for exercise using continuous glucose monitoring (CGM) and intermittently scanned CGM (isCGM) systems in type 1 diabetes: position statement of the European Association for the Study of Diabetes (EASD) and of the International Society f. Pediatr. Diabetes 2020; 21(8): 1375-93. https://doi.org/10.1111/pedi.13105 5 Moser O et al.: Interstitial glucose and physical exercise in type 1 diabetes: Integrative physiology, technology, and the gap in-between. Nutrients 2018; 10(1): 93
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