
GLP-1-Rezeptoragonist oder SGLT2-Inhibitor?
Bericht:
Regina Scharf, MPH,
Redaktorin
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Verschiedene Studien bestätigen die kardio- und nephroprotektiven Effekte der GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren. Während Patienten mit Typ-2-Diabetes und einer Herz- und/oder Niereninsuffizienz bevorzugt mit SGLT2-Inhibitoren behandelt werden sollten, scheinen die Medikamente in den übrigen Fällen eine gleichwertige pharmakologische Option darzustellen. Am SGAIM-Frühjahrskongress erläuterten Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Luzern, und PD Dr. med. Stefan Bilz, St. Gallen, aus welchen Gründen sie eher die eine oder andere Substanzklasse einsetzen.
Pro GLP-1-Analoga
Für Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Departementsleiter und Chefarzt Innere Medizin am Luzerner Kantonsspital, ist die pleiotrope antiinflammatorische Wirkung der GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) ein klarer Vorteil.
Die Entdeckung und Isolierung des «glucagon-like peptide 1», kurz GLP-1, gelang vor mehr als 40 Jahren. «Das Hormon wird von den L-Zellen des Gastrointestinaltrakts sezerniert und wirkt wie ein Insulin-Booster mit kurzer Halbwertszeit», erklärte der Spezialist. Die synthetisch hergestellten und subkutan (s.c.) injizierbaren GLP-1-RA wirken effektiver und langanhaltend. Neben ihrer antidiabetischen Wirkung besitzen die GLP-1-RA antiinflammatorische Effekte.1 Das spielt deshalb eine wichtige Rolle, weil viele Patienten mit Typ-2-Diabetes (DM2) zusätzlich an einer Adipositas leiden. Wie man heute weiss, produziert das Fettgewebe eine Reihe von Entzündungsmediatoren, darunter Interleukin 6 (IL-6), IL-1β, TNF-α und prokoagulatorische Peptide, die eine Atherosklerose und Insulinresistenz propagieren respektive verstärken können. Durch die Therapie mit GLP-1-RA kann die chronische Entzündung reduziert und die Diabeteskontrolle verbessert werden. Doch nicht nur der Krankheitsverlauf des Diabetes wird durch die pleiotropen Effekte der GLP-1-RA positiv beeinflusst. «Fast alle Organe verfügen über GLP-1-Rezeptoren», sagte Henzen. Das Potenzial der GLP-1-RA in der Behandlung von Organerkrankungen mit einer entzündlichen Pathogenese ist daher vielversprechend.
Studie zeigt positiven Effekt bei stoffwechselbedingter Lebererkrankung
Im Durchschnitt reduziert die antidiabetische Therapie mit s.c. GLP-1-RA das HbA1c um ca. 1% und das Körpergewicht um ca. 3kg.2 «Je höher der hyperglykämische Ausgangswert, desto grösser ist der Behandlungseffekt», sagte Henzen. Eine wichtige Eigenschaft der GLP-1-RA ist, dass die Behandlung nicht zu Hypoglykämien führt. Dagegen entwickeln ca. 10% bis 30% der Patienten zu Beginn der Behandlung – zumeist vorübergehende – gastrointestinale Beschwerden wie Nausea, Erbrechen oder Diarrhö.3 Bezüglich des kardiovaskulären (CV) Outcomes wurde ein klarer Nutzen für die Behandlung mit GLP-1-RA gezeigt. So konnte der primäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall) in der SUSTAIN-6-Studie bei Patienten mit DM2 und einem hohen kardiovaskulären Risiko im Vergleich zu Placebo durch die Behandlung mit Semaglutid signifikant reduziert werden (HR: 0,74; p<0,001).4
In der Zwischenzeit haben weitere Studien gezeigt, dass die Therapie mit GLP-1-RA das Auftreten oder die Progression einer chronischen Nierenerkrankung («chronic kidney dysfunction, CKD») verzögern kann.5 Einer aktuellen Publikation zufolge profitieren auch Patienten mit einer MAFLD («metabolic fatty liver disease») von der Behandlung mit GLP-1-RA.6
Neu auch in oraler Formulierung
Die seit über einem Jahr zugelassene orale Formulierung von Semaglutid hat einen in etwa vergleichbaren Effekt auf das HbA1c und das Körpergewicht wie die s.c. Darreichungsform.7
Verglichen mit dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin führte die Behandlung mit Semaglutid (oral) in der PIONEER-2-Studie bei Patienten, deren DM2 mit Metformin alleine ungenügend behandelt war, zu einer signifikant stärkeren HbA1c-Reduktion.8 Die als Surrogatmarker für das proinflammatorische Risiko gemessenen CRP-Werte wurden unter dem GLP-1-RA ebenfalls deutlich stärker reduziert. Bei bis zu 20% der Patienten, die mit GLP-1-RA behandelt wurden, traten vorübergehend gastrointestinale Beschwerden auf. Ein wichtiger Punkt, der bei der Behandlung mit GLP-1-RA zu berücksichtigen ist, sind die vergleichsweise hohen Behandlungskosten. «Auf der anderen Seite kauft man sich damit eine pleiotrope, globale antiinflammatorische Wirkung, die längerfristig sehr wichtig ist», so der Spezialist.
Pro SGLT2-Inhibitoren
Aus Sicht von PD Dr. med. Stefan Bilz, Leiter der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Osteologie und Stoffwechselerkrankungen am Kantonsspital St. Gallen, sind SGLT2-Inhibitoren die Substanzklasse mit dem mit Abstand grössten kardiovaskulären und renalen Benefit.
Von der Isolierung des ersten «sodium glucose co-transporter 1 und 2», kurz SGLT1 und SGLT2, im Jahr 1835 bis zur Beschreibung seiner Wirkung auf den renalen Glukosestoffwechsel in den 1980er-Jahren vergingen mehr als 150 Jahre. Kurz danach begann die Entwicklung der selektiven SGLT2-Inhibitoren (SGLT2-I). 2015 erschienen die Ergebnisse der Landmark-Studie EMPA-REG OUTCOME.9 Diese zeigten, dass die Therapie mit dem SGLT2-I Empagliflozin die CV Mortalität bei Patienten mit DM2 signifikant reduzieren kann. «Zahlreiche Nachfolgestudien haben den kardio- und renoprotektiven Effekt der SGLT2-I, insbesondere die Verbesserung der Herzinsuffizienz und die verzögerte Progression der Niereninsuffizienz, bei Patienten mit/ohne DM2, die an Herzinsuffizienz und/oder CKD leiden, bestätigt und unser Verständnis von der kardiorenalen Prävention fundamental verändert», sagte Bilz.
Multiple Effekte der SGLT2-Inhibitoren
Pro Tag werden ca. 180g Glukose in den Glomeruli filtriert. Davon werden ca. 160g durch SGLT2 in den proximalen Nierentubuli und 20g über SGLT1 in den distalen Tubuli rückresorbiert. Durch die Inhibierung von SGLT2 gelangt automatisch mehr Glukose in den distalen Tubulus. Die dort ansässigen SGLT1 können den Ausfall teilweise kompensieren. Etwa 60g Glukose pro Tag werden jedoch mit dem Urin ausgeschieden. Parallel mit dem Glukoseverlust nimmt die Natriumausscheidung zu. Die Folgen sind eine verbesserte glykämische Kontrolle mit einer HbA1c-Senkung um ca. 1%, eine Abnahme des Körpergewichts um 1 bis 2kg und eine Reduktion des systolischen Blutdrucks. Das Risiko für eine Hypoglykämie ist bei der Behandlung mit SGLT2-I nicht erhöht.10
Bei einem DM2 und erhöhten Blutzuckerwerten wird in den Glomeruli deutlich mehr Glukose filtriert. Die Folge ist eine vermehrte Rückresorption von Glukose, Natrium und Flüssigkeit in den proximalen Tubuli. Die niedrige Natriumkonzentration wird von der im distalen Tubulus gelegenen Macula densa registriert und führt über den tubuloglomerulären Feedback-Mechanismus zu einer Zunahme der Filtrationsrate.11 «Hemmt man SGLT2, gelangt mehr Natrium in den distalen Tubulus und die Hyperfiltration, das pathologische Hauptmerkmal der diabetischen Nephropathie, wird reduziert», sagte der Spezialist.
Ein weiterer wichtiger Effekt der SGLT2-I ist die diuretische Wirkung.12 Während konventionelle Diuretika neben der Flüssigkeit auch zu einer vermehrten Ausscheidung von Natrium, Kalium und Magnesium führen, nimmt durch die Behandlung mit SGLT2-I lediglich die Natriumausscheidung zu. Die Kombination von SGLT2-I und einem konventionellen Diuretikum führt zu einer ausgeprägten Natriurese. Dagegen wird der Verlust von Kalium und Magnesium durch die Behandlung mit dem SGLT2-I ausgeglichen. Wie man aus Untersuchungen weiss, nimmt mit zunehmender Nierenfunktionseinschränkung die glukosurische Wirkung der SGLT2-I ab. Die natriuretische Wirkung bleibt jedoch erhalten. Veränderungen des Intermediär-, v.a. des Ketonkörperstoffwechsels, und antiinflammatorische und antioxidative Effekte tragen ebenfalls zum kardiorenalen Benefit bei, der bei Patienten mit und ohne Diabetes vorhanden ist.
Einfluss der Studienergebnisse auf Guidelines
In welchem Umfang das Risiko für tödliche und nicht tödliche CV Ereignisse in den Studien mit CV Outcome mit SGLT2-I reduziert wurde, war abhängig von dem «Background-Risiko» der untersuchten Population. Das relative Risiko für eine Herzinsuffizienz oder eine Herzinsuffizienz-bedingte Hospitalisation konnte jedoch in allen Studien mit CV Endpunkt mit SGLT2-I um ca. 30% reduziert werden.9,13–15 Auch das Risiko für renale Endpunkte konnte durch die Behandlung mit SGLT2-I hochsignifikant reduziert werden.16,17
Einige Guidelines wurden angesichts dieser Studienergebnisse bereits geändert. Die American Diabetes Association (ADA) und die European Association for the Study of Diabetes (EASD) empfehlen die Therapie mit SGLT2-I unabhängig von der glykämischen Kontrolle und dem Einsatz von Metformin bei Patienten mit einer atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung und einem hohen CV Risiko, mit Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurffraktion oder mit CKD und Albuminurie.18 Die Clinical Practice Guideline for Diabetes Management in Chronic Kidney Disease (KDIGO) empfiehlt, als First-Line-Therapie bei Patienten mit einer diabetischen Nephropathie Metformin plus SGLT2-I einzusetzen.19
«Die absolute Reduktion des kardiorenalen Risikos ist mit den SGLT2-Hemmern gleich gross oder grösser als die Effekte von anderen in der kardiovaskulären Prävention eingesetzten Therapiestrategien, wie beispielsweise GLP-1-Agonisten, lipidsenkenden Kombinationstherapien oder niedrig dosierten direkten oralen Antikoagulanzien», sagte Bilz.
Quelle:
Frühjahrskongress der SGAIM, 19.–21. Mai 2021
Literatur:
1 Katsiki N, Ferannini E: Anti-inflammatory properties of antidiabetic drugs: a «promised land» in the COVID-19 era? J Diabetes Complications 2020; 34: 107723 2 Madsbad S: Review of head-to-head comparisons of glucagon-like peptide-1 receptor agonists. Diab Obes Metab 2016; 18: 317-32 3 Trujillo JM et al.: GLP-1 receptor agonists: a review of head-to-head clinical studies. Ther Adv Endocrinol Metab 2015; 6: 19-28 4 Marso SP et al.: Semaglutide and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 1834-44 5 Mann JFE et al.: Liraglutide and renal outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 839-48 6 Newsome PN et al.: A placebo-controlled trial of subcutaneous semaglutide in nonalcoholic steatohepatitis. N Engl J Med 2021; 384: 1113-24 7 Husain M et al.: Oral semaglutide and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 381: 841-51 8 Rodbard HW et al.: Oral semaglutide versus empagliflozin in patients with type 2 diabetes uncontrolled on metformin: the PIONEER 2 trial. Diabetes Care 2019; 42: 2272-81 9 Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117-28 10 Abdul-Ghani MA et al.: Novel hypothesis to explain why SGLT2 inhibitors inhibit only 30-50% of filtered glucose load in humans. Diabetes 2013; 62: 3324-8 11 Vallon V, Thomson SC: The tubular hypothesis of nephron filtration and diabetic kidney disease. Nat Rev Nephrol 2020; 16: 317-36 12 Verma A et al.: SGLT2 inhibitor: not a traditional diuretic for heart failure. Cell Metab 2020; 32: 13-14 13 Neal B et al.: Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 644-57 14 Wiviott SD et al.: Dapagliflozin and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 380: 347-57 15 Cannon CP et al.: Cardiovascular outcomes with ertugliflozin in type 2 diabetes. N Engl J Med 2020; 383: 1425-35 16 Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2019; 380: 2295-2306 17 Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med 2020; 383(15): 1436-1446 18 American Diabetes Association. 9. Pharmacologic approaches to glycemic treatment: standards of medical care in diabetes-2021. Diabetes Care 2021; 44 (Suppl 1): S111-24 19 Diabetes Work Group: KDIGO 2020 Clinical Practice Guideline for Diabetes Management in Chronic Kidney Disease. Kidney Int 2020; 98: S1-S115