Früher Gestationsdiabetes
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Michael Leutner, MSc, PhD
Universitätsklinik für Innere Medizin 3 Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel Medizinische Universität Wien
E-Mail: michael.leutner@meduniwien.ac.at
Gestationsdiabetes (GDM) ist mit einem erhöhten Risiko für perinatale Komplikationen verbunden. Dazu zählen unter anderem neonatale Hypoglykämie, Makrosomie, Schulterdystokie, Geburtstrauma, Atemnotsyndrom sowie eine erhöhte Kaiserschnittrate. Auch langfristige Risiken sind relevant.
Frauen mit GDM haben langfristig ein erhöhtes Risiko, später an Diabetes mellitus Typ2 oder kardiovaskulären Erkrankungen zu erkranken. Bei Kindern besteht ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Adipositas im späteren Leben.1
Zeitpunkt der Diagnostik: „early“ vs. „late“ GDM
Laut Eltern-Kind-Pass wird der orale Glukosetoleranztest (oGTT) routinemäßig zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche empfohlen. Bei Risikokonstellationen – etwa bei vorangegangenem GDM, der Geburt eines Kindes mit einem Geburtsgewicht über 4500g oder dem Auftreten diabetesspezifischer Symptome – sollte die Diagnostik jedoch bereits frühzeitig im ersten Trimenon erfolgen.2 In einer retrospektiven Datenanalyse konnte gezeigt werden, dass bereits im ersten Trimenon erhöhte Nüchternglukosewerte mit einem gesteigerten Risiko für ungünstige Schwangerschaftsverläufe assoziiert sind. Nach Einteilung in verschiedene Glukosekategorien zeigte sich, dass Frauen mit den höchsten Nüchternglukosewerten (100–105mg/dl) das größte Risiko für Kaiserschnittentbindungen, übermäßiges fetales Wachstum („large for gestational age“; LGA) sowie Makrosomien aufwiesen.3
In einer Metaanalyse, die insgesamt 13 Kohortenstudien einschloss, wurde gezeigt, dass ein früh diagnostizierter Gestationsdiabetes – im Vergleich zu einer späteren Diagnose – nicht nur mit einem erhöhten Risiko für neonatale Hypoglykämie, sondern auch mit einer höheren perinatalen Mortalität sowie einem häufigeren Einsatz einer Insulintherapie assoziiert ist.4 Frühere Studien bestätigten, dass ein verspäteter Therapiebeginn bei „early GDM“ mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte neonatale Ereignisse zusammenhängt(Odds-Ratio [OR]: 1,59; 95%CI: 1,18–2,12).1
Therapiebeginn zur richtigen Zeit
Der Einfluss des Zeitpunkts des Therapiebeginns bei GDM auf das neonatale Outcome wurde auch in einer randomisierten, placebokontrollierten, multizentrischen Studie genauer untersucht. Eingeschlossen wurden schwangere Frauen zwischen der 4.und 20.Schwangerschaftswoche mit diagnostiziertem GDM. Ziel der Studie war es, zu evaluieren, inwieweit ein sofortiger Therapiebeginn im Vergleich zu einem verzögerten oder ausbleibenden Therapiestart (abhängig von den Ergebnissen des wiederholten oGTT zwischen der 24. und 28.SSW) das Risiko für unerwünschte neonatale Ereignisse beeinflusst. Die Ergebnisse zeigten auch hier, dass ein umgehender Therapiestart mit einem geringeren Risiko für unerwünschte neonatale Ereignisse (zusammengesetzt aus Geburt vor der 37. SSW, Geburtstrauma, Geburtsgewicht ≥4500g, Atemnotsyndrom, Phototherapie, Totgeburt, neonatale Todesfälle oder Schulterdystokien) im Vergleich zu der Kontrollgruppe verbunden war (24,9% vs. 30,5%). Der beobachtete Unterschied wurde vor allem durch eine geringere Häufigkeit von neonatalem Atemnotsyndrom in der Interventionsgruppe beeinflusst.
Interessanterweise zeigten weiterführende Subanalysen, dass insbesondere Frauen mit höheren Glukosewerten im oralen Glukosetoleranztest (nüchtern ≥95mg/dl, 1h ≥191mg/dl, 2h≥162mg/dl) von einem sofortigen Therapiebeginn profitierten. In dieser Gruppe führte die frühzeitige Intervention zu einer signifikanten Reduktion unerwünschter neonataler Ereignisse. Ein ähnliches Muster zeigte sich auch bei Frauen, bei denen der oGTT bereits vor der 14.Schwangerschaftswoche durchgeführt wurde. Während ein sofortiger Therapiebeginn bei Frauen mit höheren Glukosewerten mit einem positiven Effekt auf das Risiko unerwünschter neonataler Ereignisse verbunden war, wurde in der Gruppe mit niedrigeren Glukosewerten ein erhöhtes Risiko für „small for gestational age“ (SGA) beobachtet.5
Einfluss eines „early GDM“
Die Bedeutung eines diagnostizierten „early GDM“, der jedoch in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche im oGTT nicht mehr bestätigt werden kann, wurde in einer weiteren prospektiven kontrollierten Studie untersucht. Von insgesamt 802 eingeschlossenen Frauen mit diagnostiziertem „early GDM“ wurden zwei Gruppen gebildet: eine Gruppe, bei der sofort mit der Therapie begonnen wurde, und eine zweite Gruppe, bei der zunächst abgewartet wurde. In der zweiten Gruppe wurde der oGTT zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche wiederholt, wobei bei 31% der Frauen eine sogenannte GDM-Regression beobachtet wurde, das heißt, die Diagnose konnte im zweiten oGTT nicht bestätigt werden. Interessanterweise zeigte sich, dass die Frauen mit GDM-Regression ein vergleichbares Outcome in der Schwangerschaft aufwiesen wie Frauen ohne GDM. Ein besonders erhöhtes Risiko hatten jene Frauen mit diagnostiziertem „early GDM“, bei denen die Diagnose in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche erneut bestätigt wurde. Im Vergleich zur GDM-Regressionsgruppe wies diese bestätigte GDM-Gruppe ein deutlich höheres Risiko für beispielsweise Aufnahmen auf der neonatologischen Intensivstation, Frühgeburten vor der 37.Schwangerschaftswoche, Atemnotsyndrom sowie Geburtsverletzungen auf. Diese Gruppe dürfte besonders von einem frühzeitigen Therapiebeginn profitieren.6
Fazit
Praxistipp
Bei vorliegenden Risikofaktoren ist es wichtig, frühzeitig mit der Diagnostik betreffend GDM zu beginnen.Zusammengefasst ist ein „early GDM“ mit einem schlechteren Geburts-Outcome assoziiert. Eine frühzeitige Therapie zeigt insbesondere in der Gesamtgruppe positive Effekte. Subanalysen deuten darauf hin, dass vor allem Frauen mit höheren Glukosewerten besonders vom sofortigen Therapiestart profitieren. Aktuelle Analysen unterstreichen zudem, dass Frauen mit „early GDM“, bei denen die Diagnose auch in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche bestätigt wird, einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind.
Literatur:
1 Simmons D et al.: Perinatal outcomes in early and late gestational diabetes mellitus after treatment from 24-28 weeks’gestation: a TOBOGM secondary analysis. Diabetes Care 2024; 47(12): 2093-101 2 Kautzky-Willer A et al.: Gestationsdiabetes (GDM) (Update 2023). Wien Klin Wochenschr 2023; 135: 115-28 3 Riskin-Mashiah S et al.: First-trimester fasting hyperglycemia and adverse pregnancy outcomes. Diabetes Care 2009; 32: 1639-43 4 Immanuel J, Simmons D: Screening and treatment for early-onset gestational diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis. Curr Diab Rep 2017; 17: 115 5 Simmons D et al.: Treatment of gestational diabetes mellitus diagnosed early in pregnancy. NEJM 2023; 388: 2132-446 Simmons D et al.: Regression from early GDM to normal glucose tolerance and adverse pregnancy outcomes in the treatment of booking gestational diabetes mellitus study. Diabetes Care 2024; 47(12): 2079-84
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