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Erkrankungen der Schilddrüse
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20.04.2017
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<p class="article-intro">Trotz der hohen Prävalenz von Schilddrüsendysfunktionen gibt es keinen Konsens für ein Screening. Im Rahmen des Update Refresher Innere Medizin referierte PD Dr. med. Jan Krützfeldt vom Universitätsspital Zürich über den aktuellen Stand der Diagnostik und der Therapie von Schilddrüsenfunktionsstörungen.</p>
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<p class="article-content"><p>Die laborchemische Diagnose der Schilddrüsen(SD)-Dysfunktion basiert auf der TSH-Bestimmung. Ist der TSHWert erhöht, erlaubt die Bestimmung von fT4 die Differenzierung einer manifesten von einer subklinischen Hypothyreose. «Bei vermindertem TSH ist es nötig, sowohl fT3 als auch fT4 zu messen, um zwischen einer manifesten oder subklinischen Hyperthyreose zu unterscheiden», sagte PD Dr. med. Jan Krützfeldt, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung am Universitätsspital Zürich. Als Grund nannte der Spezialist das Auftreten von isolierten fT3-Hyperthyreosen.<br /> Der TSH-Assay zur Bestimmung der SD-Dysfunktion ist präzise, aber nicht perfekt. Faktoren wie Alter und Übergewicht können zu falsch hohen, Nikotin und Kortison zu falsch niedrigen Werten führen. Als Nachteil wertete der Spezialist auch das Fehlen altersabhängiger Referenzbereiche. Der altersabhängige Einfluss des TSH-Werts zeigt sich besonders eindrücklich am kardiovaskulären Risiko. So ist eine leichte SD-Unterfunktion im Alter zwischen 50 und 70 Jahren mit einem Anstieg des kardiovaskulären Risikos verbunden, während bei den über 80-Jährigen eine gewisse Schutzfunktion beobachtet wurde.<sup>1</sup> Neben dem Patientenalter ist bei der Therapieentscheidung auch der prognostische Wert einer TSH-Verschiebung zu berücksichtigen. Wie eine Beobachtungsstudie bei über 55-Jährigen mit einer subklinischen Hypothyreose zeigte, veränderte sich der initiale TSH-Wert von 5–10mU/l bei der Mehrheit der Patienten während des mittleren Follow-up von ca. 3 Jahren nicht. Im Unterschied dazu entwickelten 40 % der Patienten, die einen initialen TSH-Wert über 10mU/l hatten, eine manifeste Unterfunktion.<sup>2</sup> «Diese Unterschiede im Verlauf sind einer der Gründe dafür, weshalb ein Ersatz der Schilddrüsenhormone ab einem TSH-Wert von =10mU/l empfohlen wird, während die Therapieentscheidung bei Werten zwischen 5 und 10mU/l individuell getroffen wird», sagte Krützfeldt.<br /> Obwohl die Prävalenz mit 3 % für die Hypothyreose und 0,8 % für die Hyperthyreose hoch ist, gibt es auch in den aktuellen Guidelines (2015) keinen Konsens für ein TSH-Screening.<sup>3, 4</sup> Mit ausschlaggebend dafür dürfte sein, dass ca. 85 % der SD-Dysfunktionen subklinisch sind und es – anders als zum Beispiel bei einem Diabetes mellitus – keine spezifischen Folgeerkrankungen der Schilddrüsenstörungen gibt, die es erlauben würden, einem Laborwert einen eindeutigen Krankheitswert zuzuordnen.</p> <h2>Diagnostik und Behandlung der Hypothyreose</h2> <p>Die SD-Unterfunktion zeigt sich an einer persistierenden TSH-Erhöhung und wird fast immer durch eine Autoimmunthyreoiditis verursacht. Die Diagnose gelingt in 90 % der Fälle durch die Anamnese, die klinische Untersuchung sowie die laborchemische Bestimmung von TSH und fT4. Anamnestisch wichtig sind Fragen nach einer Thyreoidektomie, einer Radiojodbehandlung oder einer Bestrahlung. Zudem muss an andere glanduläre Autoimmunerkrankungen gedacht werden. Bei der Medikamentenanamnese sind onkologische Therapien, beispielsweise mit Antikörpern, zunehmend bedeutsam. «Diese haben ein hohes Potenzial, eine Autoimmunthyreoiditis auszulösen», sagte Krützfeldt.<br /> Zu den häufigsten Differenzialdiagnosen (DD) der Autoimmunthyreoiditis gehören die chronische Autoimmun- bzw. Hashimoto-Thyreoiditis, die stumme Thyreoiditis oder die bis zu 12 Monate nach einer Schwangerschaft auftretende Postpartum- Thyreoiditis. Die ebenfalls zu den DD gehörende subakute Thyreoiditis tritt einige Monate nach einem viralen Infekt auf und ist typischerweise sehr schmerzhaft. Voraussetzung für die Diagnose ist eine Erhöhung des CRP und der Blutsenkungsgeschwindigkeit. Das Vorliegen einer Leukozytose ist für die Diagnose nicht erforderlich. Die Behandlung der subklinischen Hypothyreose mit LT4 erfolgt üblicherweise ab einem TSH-Wert >10,0mU/l. Der TSH-Zielwert liegt bei jüngeren Patienten zwischen 0,5 und 2,5mU/l, bei älteren Patienten zwischen 4 und 6mU/l. Bei TSH-Werten von 5–9mU/l sollte individuell über die Behandlung entschieden werden. Gründe für eine Behandlung sind klinische Zeichen einer SD-Unterfunktion und das Vorhandensein kardiovaskulärer Risikofaktoren. Nicht behandelt werden sollten TSH-Werte von 5–9mU/l bei betagten Patienten (>85 Jahre). Bei Patienten mit bekannter KHK sollte die Einstiegsdosis von LT4 zudem nicht höher als 25(50)µg/d gewählt werden.</p> <h2>Schilddrüsenüberfunktion</h2> <p>Die häufigste Ursache für eine primäre Hyperthyreose ist der Morbus Basedow, gefolgt von der funktionellen Autonomie. Die Lebenszeitprävalenz für M. Basedow beträgt bei Frauen ca. 3 % und bei Männern ca. 0,5 % . Bis zu 30–50 % der Betroffenen entwickeln eine endokrine Orbitopathie. «Die plötzliche hohe Zufuhr von Jod kann einen M. Basedow auslösen und sollte vermieden werden», so der Spezialist.<br /> Je eindeutiger die klinische Präsentation bei der SD-Überfunktion ist, desto weniger Diagnostik ist nötig. Typisch für den M. Basedow sind junges Alter und weibliches Geschlecht, symmetrische Struma, endokrine Orbitopathie, sehr selten auch prätibiale Myxödeme. Ist die Klinik nicht eindeutig, ist die Bestimmung der TSH-Rezeptor- Antikörper (TRAK) indiziert. Die SD-Szintigrafie ist nur indiziert bei negativen TRAK oder wenn zusätzlich Knoten vorhanden sind. Die thyreostatische Therapie erfolgt heute fast ausschliesslich mit Carbimazol (Neo-Mercazole<sup>®</sup>). Der Wirkstoff Propylthiouracil (PTU) wird nur noch bei Schwangeren im ersten Trimenon eingesetzt. Die Dauer der medikamentösen Therapie beträgt 12 bis 18 Monate. Entscheidend für den Beginn und die Steuerung der Therapie sind die Werte der freien peripheren SD-Hormone fT3 und fT4, bis der TSH-Wert wieder in den Normbereich gestiegen ist. Abhängig von der Schwere der Überfunktion beträgt die Initialdosis in der Regel 3x 2 Tbl. à 5mg oder 3x 3 Tbl. à 5mg täglich. Die erste Kontrolle der SD-Werte sollte 2 bis 3 Wochen nach dem Therapiebeginn erfolgen. Ist die SD-Funktion gemessen an den freien SD-Werten euthyreot, ist eine rechtzeitige Dosisreduktion erforderlich. Die übliche Erhaltungstherapie beträgt 5–15mg/d. Ist der M. Basedow nach der Behandlung von 18 Monaten noch aktiv, ist eine definitive Behandlung mittels Radiojodtherapie oder Thyreoidektomie indiziert.<br /> «Was die SD-Autonomie betrifft, so ist nicht jedes autonome Adenom behandlungsbedürftig », so Krützfeldt. Sinnvoll ist die Behandlung der subklinischen Hyperthyreose bei SD-Autonomie mit TSH-Werten <0,5mU/l bei Personen über 65 Jahre, Frauen in der Postmenopause mit einer Osteoporose und bei Personen mit Herzerkrankungen, speziell Vorhofflimmern. Bei allen Übrigen ist erst ab einem TSH-Wert <0,1mU/l eine Behandlung erforderlich.</p> <h2>Schilddrüsenknoten</h2> <p>Die Technisierung hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren immer häufiger SD-Karzinome diagnostiziert wurden. Dabei handelt es sich häufig um indolente Mikrokarzinome, die vor allem bei älteren Menschen häufig auftreten, wie Autopsiestudien zeigten. «Um die Detektion von Mikrokarzinomen zu vermeiden, sollte bei Patienten mit einer SD-Unterfunktion und normalem Palpationsbefund die Ultraschalluntersuchung mit Bedacht eingesetzt werden», riet der Spezialist. Klinisch relevante Knoten finden sich bei ca. 5 % der über 50-Jährigen. Diese werden entweder bei Patienten mit Symptomen oder bei einer routinemässigen SD-Palpation entdeckt. Eine klinisch auffällige Schilddrüse wird anhand ihrer Grösse in die Schweregrade Struma I–III eingeteilt. Der Spezialist empfiehlt, sich bei einem positiven Befund am Work-up der US-amerikanischen SD-Gesellschaft (ATA) zu orientieren (Abb. 1).<sup>5</sup> Dieser empfiehlt, Knoten, die kleiner sind als 1cm, in der Regel nicht zu punktieren. «Gemäss Guidelines könnte bei einem sonografisch wenig verdächtigen Muster sogar komplett auf eine Feinnadelpunktion verzichtet werden», so Krützfeldt. Zu den Ultraschallkriterien mit der höchsten Spezifität für ein SD-Karzinom gehören Mikrokalzifikationen. Auffällig sind auch echoarme Knoten mit einer irregulären Begrenzung sowie einer vertikalen Knotenform («taller than wide»). Die Frage, ob eine konservative Verlaufskontrolle mittels Ultraschall der Feinnadelpunktion vorzuziehen ist, stellt sich vor allem auch bei sehr alten Patienten und Personen mit einer geringen Lebenserwartung und kann, wie der Spezialist betonte, «durch die Allgemeinpraktiker gesteuert werden».<br /> Die für die Patienten relevante Frage, wie hoch das Risiko sei, dass ein Knoten wachse, beantwortete der Spezialist anhand einer grossen multizentrischen Studie aus Italien.<sup>6</sup> Diese hatte gezeigt, dass etwa 15 % der SD-Knoten wuchsen und weitere ca. 15 % spontan kleiner wurden, während die restlichen unverändert blieben. Ob sich die Grösse verändert, zeigte sich allerdings schon nach einem Jahr. «Aus diesem Grunde empfehle ich, nach einem Jahr die Ultraschalluntersuchung zu wiederholen und bei unverändertem Befund zur klinischen Kontrolle überzugehen », so der Spezialist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s32_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="834" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Update Refresher Innere Medizin, 23. November 2016, Zürich
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Biondi B, Cooper DS: The clinical significance of subclinical thyroid dysfunction. Endocr Rev 2008; 29: 76-131 <strong>2</strong> Díez JJ, Iglesias P: Spontaneous subclinical hypothyroidism in patients older than 55 years: an analysis of natural course and risk factors for the development of overt thyroid failure. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 4890-7 <strong>3</strong> Garmendia Madariaga A et al: The incidence and prevalence of thyroid dysfunction in Europe: a meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 2014; 99: 923-31 <strong>4</strong> LeFevre ML; U.S. Preventive Services Task Force: Screening for thyroid dysfunction: U.S. Preventive Services Task Force recommendation statement. Ann Intern Med 2015; 162: 641-50 <strong>5</strong> Haugen BR et al: 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for adult patients with thyroid nodules and differentiated thyroid cancer: The American Thyroid Association Guidelines Task Force on Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer. Thyroid 2016; 26: 1-133 <strong>6</strong> Durante C et al: The natural history of benign thyroid nodules. JAMA 2015; 313: 926-35</p>
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