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Einfluss der Wohngegend auf das Diabetesrisiko
Jatros
Autor:
Dr. Christian Tatschl
ist freier Journalist und anerkannter Experte im Bereich Diabetes<br/> E-Mail: christian.tatschl@telic-nutshell.at
30
Min. Lesezeit
07.03.2019
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<p class="article-intro">Menschen, welche in sozioökonomisch benachteiligten Wohngegenden leben, zeigen – unabhängig vom individuellen sozioökonomischen Status – schlechtere klinische Ergebnisse als Menschen, die in wohlhabenderen Gegenden wohnen. Die Resultate der Young Finns Study zeigen, wie frühzeitig sich im Lebensverlauf bei Bewohnern benachteiligter Wohngegenden kardiometabolische Risikofaktoren negativ zu entwickeln beginnen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Einfluss der sozioökonomischen Situation einer Wohngegend auf das Wohlbefinden der dort lebenden Menschen gilt mittlerweile als anerkannt. So haben große epidemiologische Studien gezeigt, dass beispielsweise die Prävalenz von Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen im Zusammenhang mit der sozioökonomischen Benachteiligung der jeweiligen Wohngegend steht.<sup>1–3</sup> Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Menschen, denen im Rahmen sozialer Unterstützungsprogramme die Möglichkeit geboten wurde, in weniger arme Wohngegenden zu übersiedeln, nach 10 bis 15 Jahren weniger häufig an extremer Adipositas und Diabetes litten.<sup>4</sup> Bislang war jedoch wenig darüber bekannt, wann im Verlauf von Kindheit und Erwachsenenalter verschiedene kardiometabolische Risikofaktoren beginnen, zwischen den Bewohnern sozioökonomisch unterschiedlicher Wohngegenden divergierende Verläufe zu nehmen. Eine eindrückliche Antwort auf diese Frage liefert nun die Young Finns Study.<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1901_Weblinks_a5-abb1.jpg" alt="" width="664" height="376" /></p> <h2>Sozioökonomische Benachteiligung wirkt sich frühzeitig aus</h2> <p>Kivimäki et al.<sup>5</sup> nutzten die Daten der landesweit durchgeführten Young Finns Study und verfolgten die kardiometabolische Entwicklung von 3467 Personen über einen Zeitraum von über 30 Jahren von der Kindheit (6–21 Jahre) bis ins Erwachsenenalter (22–48 Jahre) vor dem Hintergrund des sozioökonomischen Status der Wohngegend, in der die Teilnehmer während der Studie lebten. Dabei wurde der soziökonomische Status anhand von Statistics Finland berechnet, einer Datenbank, die Bildungsgrad, Arbeitslosigkeit und Wohneigentum in Rastern von 250m<sup>2</sup> bewertet. Die Teilnehmer wurden während der Studie acht biomedizinischen Evaluierungen unterzogen. <br />Es zeigte sich, dass die untersuchten kardiometabolischen Risikofaktoren bei Bewohnern von sozioökonomisch sehr benachteiligten Wohngegenden gegenüber Bewohnern wenig benachteiligter Nachbarschaften sehr frühzeitig ungünstige Verläufe nehmen: Bereits ab dem 6. Lebensjahr war das Ernährungsverhalten (weniger Gemüse/Obst) ungünstiger (p<0,0001). Ab dem 12. Lebensjahr wurde häufiger täglich geraucht (p<0,0001) und weniger körperliche Aktivität ausgeübt (p=0,007). Ab dem 21. Lebensjahr hatten die Teilnehmer aus den stark benachteiligten Wohngegenden einen höheren Body- Mass-Index (p=0,0004) und ab dem 24. Lebensjahr auch einen höheren systolischen Blutdruck (p=0,05). Die Nüchternglukose war ab dem 27. Lebensjahr (p<0,0001) erhöht und die Insulinsensitivität geringer (p=0,0004). <br />Nach dem 31-jährigen Follow-up hatten Bewohner stark benachteiligter Wohngegenden gegenüber jenen aus Nachbarschaften mit geringer Benachteiligung ein um 44 % höheres Risiko für Adipositas, ein um 83 % erhöhtes Risiko für Hypertonie und ein um 73 % höheres Risiko für das Vorhandensein einer Fettleber (Abb. 1). Das Diabetesrisiko der Teilnehmer mit hoher kumulativer Benachteiligung war fast um das Vierfache erhöht (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1901_Weblinks_a5-abb2.jpg" alt="" width="658" height="382" /></p> <h2>Schlussfolgerung der Autoren</h2> <p>Den Daten der Young Finns Study zufolge stellt das Wohnen in einer soziökonomisch benachteiligten Nachbarschaft einen starken Prädiktor für das Auftreten von Diabetes mellitus dar und wirkt sich bereits frühzeitig im Lebensverlauf durch den Einfluss auf Lebensstil und modifizierbare kardiovaskuläre Risikofaktoren aus.</p> <div id="fazit"> <h2>ZUM NACHDENKEN</h2> <p>Die Resultate der Young Finns Study unterstreichen die Bedeutung von Strategien zur Verbesserung der Situation von Einwohnern sozioökonomisch benachteiligter Wohngegenden für deren Gesundheitsentwicklung.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Diez Roux AV et al.: Neighbourhood of residence and incidence of coronary heart disease. N Engl J Med 2001; 345: 99-106 2 Christine PJ et al.: Longitudinal associations between neighbourhood physical and social environments and incident type<strong> 2</strong> diabetes mellitus: the Multi- Ethnic Study of Atherosclerosis (MESA). JAMA Intern Med 2015; 175: 1311-20 <strong>3</strong> Halonen JI et al.: Childhood psychosocial adversity and adult neighbourhood disadvantage as predictors of cardiovascular disease: a cohort study. Circulation 2015; 132: 371-79 <strong>4</strong> Ludwig J et al.: Neighbourhoods, obesity, and diabetes—a randomized social experiment. N Engl J Med 2011; 365: 1509-19<strong> 5</strong> Kivimäki M et al.: Neighbourhood socioeconomic disadvantage, risk factors, and diabetes from childhood to middle age in the Young Finns Study: a cohort study. Lancet Public Health 2018; 3(8): e365-e373</p>
</div>
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