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Ein Patient mit Leistungsknick und niedrigem Testosteron nach Semicastratio

<p class="article-intro">Die niedrige Testosteronkonzentration kurz nach einer Orchiektomie könnte als Ursache der Beschwerden des Patienten der folgenden Kasuistik missinterpretiert werden. Die genauere endokrine Abklärung führt zur Diagnose eines bisher unbekannten Hypophysenadenoms und zur notwendigen Therapie.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Anamnese</h2> <p>Im Mai 2017 wurde ein damals 49-j&auml;hriger Patient zur endokrinologischen Abkl&auml;rung unserer Abteilung zugewiesen. Bei ihm war im Herbst 2016 ein Hodenkarzinom als Zufallsbefund diagnostiziert und im November 2016 eine Semicastratio rechts durchgef&uuml;hrt worden. Es handelte sich um ein 2cm gro&szlig;es Seminom, wobei histologisch keine H&auml;mangio- oder Lymphangioinvasion sowie kein Kapseldurchbruch festzustellen waren, der Resektionsrand war tumorfrei, die Tumormarker AFP und &beta;-hCG waren negativ, dem Tumorstadium pT1, N0, M0, S0 entsprechend. Bei ausgezeichneter Prognose in diesem fr&uuml;hen Stadium ist Observation die Therapie der Wahl. <br />Circa zwei Monate nach der Operation kam es bei dem Patienten zu einem Leist&shy;ungsknick mit zunehmender M&uuml;digkeit, Antriebsarmut, k&ouml;rperlicher Schw&auml;che, Polyarthralgien und Schlafst&ouml;rungen. Bei einer urologischen fach&auml;rztlichen Kontrolle im M&auml;rz 2017 wurde klinisch ein regelrechter postoperativer Befund, ohne Hinweise auf Rezidiv, erhoben. Laborchemisch war eine stark erniedrigte Testosteronkonzentration von 0,06ng/ml (2,5&ndash;8,4ng/ml)* festzustellen &ndash; eine empfohlene MRT-Untersuchung des Beckens wurde vom Patienten abgelehnt. In der Folge stimmte dieser bei zunehmenden Beschwerden einer station&auml;ren Abkl&auml;rung jedoch zu.</p> <h2>Endokrinologische Abkl&auml;rung</h2> <p><br />Bei der Aufnahme zeigte sich der mit 94kg, 186cm und einem BMI von 27 &uuml;bergewichtige Patient in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand. Der Blutdruck betrug 145/90mmHg. In der physikalischen Krankenuntersuchung fanden sich keine wesentlichen Auff&auml;lligkeiten. Im EKG zeigten sich ein Sinusrhythmus mit einer Frequenz von 52/min sowie ein bereits zuvor bekannter Rechtsschenkelblock. <br />Laborchemisch fanden sich abgesehen von einem erh&ouml;hten Cholesterinspiegel (265mg/dl mit erh&ouml;hter LDL-Fraktion 170mg/dl) sowie einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel (37mmol/l) weitgehend unauff&auml;llige Routineparameter und negative Tumormarker (AFP und &beta;-hCG). Bei praktisch nicht nachweisbarer Testosteronkonzentration (&lt;0,025ng/ml) fanden sich erniedrigte Spiegel von LH, 1,18mU/ml (1,7&ndash;8,6), und niedrige FSH-Spiegel, 2,3mU/ml (1,5&ndash;12,4), die gegen eine testikul&auml;re Ursache des Testosteronmangels (prim&auml;rer Hypogonadismus) sprachen. Aufgrund eines negativen Feedback-Mechanismus hemmt ein hoher Testosteronspiegel die Produktion von Gonadotropinen (LH, FSH indirekt) auf hypophys&auml;rer Ebene, w&auml;hrend umgekehrt ein niedriger Testosteronspiegel die Gonadotropinsekretion (LH) stimuliert. Es handelt sich somit um einen sekund&auml;ren, hypogonadotropen Hypogonadismus, sodass eine St&ouml;rung der hypothalamen/hypophys&auml;ren Achse angenommen werden muss. <br />Nach der hormonellen Abkl&auml;rung wurde daher eine MRT-Untersuchung der Hypophysen-Sella-Region veranlasst, wobei eine 2,8x1,5x1,9cm gro&szlig;e Raumforderung der Hypophyse gefunden wurde, die am ehesten einem Hypophysenmakroadenom entspricht. Die Raumforderung zeigt ein deutliches Enhancement nach Kontrastmittelgabe und f&uuml;hrt zu einer Verlagerung des Hypophysenstiels nach rechts. Der Sinus cavernosus links war ausgedehnt infiltriert, w&auml;hrend die nur kleinen suprasell&auml;ren Anteile nicht zu einer Kompression des Chiasma opticum f&uuml;hrten. Dementsprechend zeigten sich keine Gesichtsfeldausf&auml;lle.<br />In der Abkl&auml;rung der hypophys&auml;ren Hormonachsen (Tab.1 ) fand sich ein fast kompletter Ausfall der kortikotropen Achse (stark erniedrigter Serum-Cortisol-Morgenwert, niedriges ACTH) sowie eine niedrige fT4-Konzentration. Der TSH-Spiegel, die Werte f&uuml;r das Wachstumshormon und IGF1 lagen im Normbereich; wobei das Wachstumshormon nur eingeschr&auml;nkt stimulierbar war (von 0,17 auf 3,1ng/ml). Die Prolaktinkonzentration war deutlich erh&ouml;ht. Insgesamt waren daher alle Hormon&shy;achsen des Hypophysenvorderlappens in unterschiedlicher Auspr&auml;gung betroffen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s50.jpg" alt="" width="300" /></p> <h2>Therapie und weiterer Verlauf</h2> <p>Von neurochirurgischer Seite wurde keine akute Operationsindikation gestellt und vorerst weitere Observation empfohlen. Eine Hormonsubstitution mit Hydrocortison (Hydrocortone 15-5-0 mg Tabl.), Testosteron transdermal (Testogel 50mg/die) sowie sp&auml;ter Thyroxin (Euthyrox 25&micro;g) wurde begonnen; obwohl ein Prolaktinom (dabei Indikation zur medikament&ouml;sen Therapie) unwahrscheinlich erschien, erhielt der Patient aufgrund der erh&ouml;hten Prolaktinkonzentration und einer m&ouml;glichen antiproliferativen Wirkung Cabergolin (Dostinex 0,5mg 2x/Woche). Die Beschwerden des Patienten besserten sich prompt und er war in der Folge beschwerdefrei. Die hormonellen Laborbefunde waren unter Therapie im Normbereich. <br />Nach 2&ndash;3 Monaten kam es zu vermehrtem Auftreten von Schmerzen im Bereich der Wange und von Cephalea, sodass eine Operationsindikation gestellt wurde, im September 2017 wurde transsphenoidal eine fast vollst&auml;ndige Tumorresektion durchgef&uuml;hrt. Der Patient erholte sich rasch von dem Eingriff, die Hormontherapie (au&szlig;er Cabergolin) wurde bei subjektivem Wohlbefinden postoperativ fortgesetzt. Histologisch fanden sich Anteile eines Hypophysenadenoms, immunhistochemisch ohne signifikante Hormonproduktion.</p> <h2>Diskussion und Fazit</h2> <p>Ein kompletter Ausfall der Testosteronsekretion nach Semicastratio tritt in der Regel nicht auf, auch ein Rezidiv ist im vorliegenden Tumorstadium des Semi&shy;noms sehr unwahrscheinlich, sodass sofort eine weiterf&uuml;hrende hormonelle Abkl&auml;rung der Beschwerden erforderlich ist. Die prompte Besserung nach Hormonsubstitution l&auml;sst annehmen, dass der Gro&szlig;teil der Symptomatik durch den Ausfall der kortikotropen Achse zu erkl&auml;ren ist. Die erh&ouml;hte Prolaktinkonzentration ist vermutlich durch Kompression des Hypophysenstiels (Wegfall der Inhibition) verursacht und w&auml;re bei einem Makroprolaktinom noch st&auml;rker ausgepr&auml;gt. Ob der Ausfall der hypophys&auml;ren Hormone postoperativ reversibel ist, bleibt abzu&shy;-warten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>* Normwerte in Klammern</p> </div> </p>
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