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Diabetologie von Jung bis Alt
Jatros
30
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14.09.2017
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<p class="article-intro">Das Motto „Fortschritt für unsere Patienten“ war während des Diabetes-Kongresses überall zu spüren. Das merkte man auch in einer der Pressekonferenzen und in Symposien: Dort ging es um Fortschritte, die den Alltag der Patienten erleichtern und verbessern sollen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Weltweit nimmt die Neuerkrankungsrate an Typ-1-Diabetes im Kindesund Jugendalter zu, sie steigt jährlich um drei bis vier Prozent in allen Ländern Europas“, berichtete Andreas Neu (im Foto der Pressekonferenz 2. v. l.) aus Tübingen. Jedes 600. Kind in Deutschland hat einen Typ-1-Diabetes, das sind etwa 31 000 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren.<br /> Warum es immer mehr Kinder werden, die Typ-1-Diabetes bekommen, wird derzeit noch diskutiert. So kann eine bessere Erfassung der Erkrankten eine Rolle spielen, aber auch ein veränderter Genpool, weil durch Schwangere mit Typ-1-Diabetes die Gene entsprechend weitergegeben werden. Möglicherweise beeinflussen auch veränderte Lebensumstände die Diabeteshäufigkeit, allerdings ist auch hier unklar, welche das sein können. Interessant ist, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 die Rate der Menschen mit Typ-1-Diabetes in den östlichen Bundesländern stärker anstieg und sich die Raten in den westlichen und östlichen Bundesländern einander anglichen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s14_pk-foto.jpg" alt="" width="1456" height="686" /></p> <h2>Stoffwechsel geschult hybrid steuern</h2> <p>Der Aufgabe, den Kindern, und auch Erwachsenen, das Leben mit Typ-1-Diabetes zu verbessern und zu erleichtern, haben sich Forscher vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover verschrieben – mit der Entwicklung eines Closed-Loop- Systems. Olga Kordonouri (1. v. l.): „Wir haben akademische Gruppen, aber auch Firmen, die sehr intensiv an diesem Traum arbeiten.“ Inzwischen ist in den USA ein Hybrid-Closed-Loop-System zugelassen: Dieses System kann bei abfallenden Glukosewerten die Insulinzufuhr drosseln, bei steigenden Werten die Insulinzufuhr steigern. „Man hat mittlerweile sehr gut gesehen, dass solche Systeme nachts bei mahlzeitenunabhängiger Insulinversorgung sehr gut funktionieren.“<br /> Aber auch tags bietet das System Vorteile. Eine Aufgabe verbleibt noch bei den Patienten: „Für die Mahlzeiten muss der Patient selbst Insulin verabreichen, den Bolus abgeben – deshalb heißt es hybrides System.“ Eins darf dabei nicht vergessen werden, denn völlig automatisiert läuft das System wie beschrieben noch nicht und die Anwender müssen die vielen Daten verstehen und umsetzen: „Man braucht weiterhin eine Schulung.“</p> <h2>Pflegebedürftige Diabetiker haben besondere Probleme</h2> <p>Um die ältesten Patienten geht es Jürgen Wernecke (1. v. r.) aus Hamburg. Die Zahl der zu pflegenden Menschen, auch mit Diabetes, steigt und wird immer weiter steigen. Dieses Problem muss langfristig angegangen werden, aber auch kurzfristige Lösungsansätze gibt es. „Die Demenzrate bei älteren Menschen mit Diabetes mit schweren Hypoglykämien ist doppelt so hoch. Dem müssen wir einfach mit differenzierten Therapiezielen gegenüberstehen.“ Wahrscheinlich sterben mehr pflegebedürftige Menschen an einer Hypoglykämie, als bekannt ist, weil ein kardialer Tod angenommen wird, wenn sie morgens tot im Bett liegen.<br /> Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat für die Schulung des Pflegepersonals Programme aufgelegt: „Wir haben jetzt schon seit ein, zwei Jahren ein sogenanntes Langzeitprogramm für die Klinik und auch für die stationäre Pflege mit 160 Ausbildungsstunden.“ Es soll aber weitergehen, z.B. mit einem modularen Schulungssystem.</p> <h2>Wie Ältere mit Diabetes therapieren?</h2> <p>Markolf Hanefeld aus Dresden wies in einem Symposium zum Thema Epidemiologie auf den Mangel an Therapiestudien mit Senioren hin. Deshalb ist wegen fehlender Daten eine Therapieentscheidung bei älteren Menschen eher eine Risikoabwägung. Eindrücklich warnte er vor dem Einsatz eines bestimmten Sulfonylharnstoffs: „Glibenclamid, das sollten Sie wirklich niemals mehr alten Menschen verordnen!“<br /> Wie eine Untersuchung gezeigt hat, führt dieses Antidiabetikum häufig wegen schwerer Hypoglykämien zur Krankenhausaufnahme (Greco D et al., 2010), zumal bei älteren Menschen mit Diabetes sowieso einige Risikofaktoren für und Risiken durch Hypoglykämien bestehen (Lecomte P, 2005) (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s15_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1164" /></p> <h2>Versorgung sichern durch Nachwuchsförderung</h2> <p>Damit die Patienten mit Diabetes auch weiterhin ausreichend diabetologisch ausgebildete Ärzte finden, engagiert sich die DDG in der Nachwuchsförderung. Kongress- Präsidentin Annette Schürmann (3. v. l.) erläuterte, dass durch die Ökonomisierung in der Medizin Diabetesabteilungen in Kliniken und diabetologische Lehrstühle an Universitäten verlorengehen. „Da versuchen wir seit geraumer Zeit entgegenzuwirken.“<br /> Deshalb wird der ärztliche und naturwissenschaftliche Nachwuchs mit Stipendien zum Kongress eingeladen, im Jahr 2017 waren es 154 Empfänger, ausgewählt aus 220 Bewerbern.<br /> Während des Kongresses werden die Stipendiaten von Mentoren betreut und können an speziellen Sitzungen teilnehmen, zuvor gab es einen speziellen Nachwuchstag. „Das wird sehr gut angenommen.“ Ein Drittel der Stipendiaten bewirbt sich wiederholt um die Stipendien, worin sich ein nachhaltiges Interesse am Thema Diabetes zeigt. Auch im Medizinstudium muss die Diabetologie einen höheren Stellenwert bekommen – ebenfalls ein Anliegen der DDG.</p> <h2>Versorgung in primärärztlichen Praxen unklar</h2> <p>Wie aber funktioniert die Patientenbetreuung in der Primärversorgung? Eine ernüchternde Feststellung dazu machte Wolfgang Rathmann aus Düsseldorf: „Wir wissen eigentlich so gut wie gar nichts über die Behandlung und vor allem die Effektivität und Qualität der antihyperglykämischen Therapie in diesen primärärztlichen Praxen.“ Was man weiß, sind die entscheidenden Prädiktoren für den Beginn einer Kombinationstherapie auf der Basis einer Metformintherapie: das HbA<sub>1c</sub> und der Nüchternglukosewert (Rathmann W et al., 2017). Außerdem zeigt sich, dass Dipeptidylpeptidase- 4-Hemmer (DPP-4-Hemmer) inzwischen die Sulfonylharnstoffe von Platz 1 der Kombinationspartner verdrängt haben (Rathmann W et al., 2016).</p> <h2>Nachwuchsmangel fördert Hypoglykämien</h2> <p>Das Problem des Nachwuchsmangels bei Ärzten spielte auch bei ihm eine Rolle, und zwar der Nachwuchsmangel in ländlichen Regionen.<br /> In einer Studie (Kostev K et al., 2014) wurde deutlich, dass Diabetiker mit einer Insulintherapie, die in kleineren Städten leben, ein um 26 % höheres Risiko für eine schwere Hypoglykämie haben. Die Begründung, die Rathmann dazu gab: „Je größer die räumliche Entfernung ist, desto geringer ist wahrscheinlich die Visitenfrequenz – und das hat Auswirkungen auf die Qualität der Stoffwechseleinstellung.“</p> <h2>Diabetesrucksack erleichtern durch Selbsthilfe</h2> <p>Die medizinische Versorgung ist das eine, die Beteiligung der Diabetiker selbst das andere: Selbsthilfe ist das Stichwort. Jens Kröger, Vorstandvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe: „Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir den Patienten eine Stimme geben und mehr für Gehör sorgen aus Sicht der Patienten.“ Denn: „Ein Mensch mit Diabetes hat einen Rucksack zu tragen – ich wünsche dem Menschen immer, dass er viele Phasen hat, wo dieser Rucksack möglichst leicht ist.“<br /> In diesem Rucksack befinden sich viele Wackersteine, z.B. Unterzuckerungen, Blutzuckermessen und -dokumentieren, Gedankenmachen über Ernährung. Die SHILD-Studie zeigt, wie Diabetiker Selbsthilfe bewerten: „Viele haben gesagt, dass sie sich durch die Selbsthilfe entlasteter fühlen, weil sie sich austauschen können.“ Aber auch die organisierte Selbsthilfe findet Kröger wichtig: „Patienten müssen aus unserer Sicht ein Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss haben – oder traut man ihnen nicht zu, mündig genug zu sein, um ein Urteil abzugeben? Ich glaube, das kann auf keinen Fall der Fall sein!“ Er wurde deutlich: „Ich glaube, Selbsthilfe wird zunehmend an Bedeutung gewinnen.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Aus Diabetes Kongress Report 3/2017, Seiten 20-22
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Greco D et al.: Exp Clin Endocrinol Diabetes 2010; 118: 215-9 <strong>2</strong> Kostev K et al.: Prim Care Diabetes 2014; 8: 127-31 <strong>3</strong> Lecomte P: Diabetes Metab 2005; 31: 5S105-11 <strong>4</strong> Rathmann W et al.: Diabetes Obes Metab 2016; 18: 8403 <strong>5</strong> Rathmann W et al.: Diabetes Obes Metab 2017; 19: 866-73</p>
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