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Das Diabetesregister

Eine Never-ending Story: sinnvoll, lang gefordert, aber nie umgesetzt

Das Diabetesregister hat eine typisch österreichische Geschichte und ist ein „gutes“ Beispiel für viele sinnvolle, aber nie umgesetzte Projekte in der Gesundheitspolitik, mit negativen Folgen für alle im Gesundheitsbereich, die Menschen mit Diabetes betreuen, und natürlich insbesondere für die Patienten selbst.

Keypoints

  • Derzeit gibt es kein österreichweites Diabetesregister. Versuche, dieses zu etablieren, gibt es seit zumindest 17 Jahren.

  • Ein Register würde alle im System erfassten Menschen mit Diabetes inkludieren und Aspekte wie Alter, Geschlecht, Gesundheitsstatus und Sozioökonomie erfassen.

  • Ein Register gibt Aufschluss in Bezug auf die Therapie, Lebensqualität, Lebensdauer und Todesursachen sowie die eingesetzten Mittel, Kosten, Ressourcen, aber auch Mängel.

  • Änderungen und Auswirkungen von neuen medizinischen Möglichkeiten und Betreuungsangeboten lassen sich durch ein Register klar zuordnen und auswerten.

  • Ein Register ermöglicht eine bessere Steuerung des Einsatzes zur Verfügung stehender Ressourcen und gibt Einblick darin, wo sinnvoll Geld eingespart werden kann, ohne Qualität einzubüßen, und wo nicht.

Covid 19 hält die ganze Welt seit über einem Jahr in Atem und zeigt auch den modernen Gesundheitssystemen Europas und der USA ihre Grenzen auf. Die Entwicklung von wirksamen Impfstoffen in extrem kurzer Zeit ist eine wissenschaftliche Meisterleistung, doch die Umsetzung der Impfprogramme stellt sich in den meisten Ländern als große Herausforderung dar. Einerseits muss dafür gesorgt werden, die Impfbereitschaft der Bevölkerung zu maximieren und diese nach Verfügbarkeit der Impfstoffe möglichst rasch zu impfen. Andererseits ist dafür zu sorgen, dass die Reihenfolge, in welcher unterschiedliche Bevölkerungsteile geimpft werden, nicht nur das Alter als natürlichen Risikofaktor, sondern auch diverse Komorbiditäten, die besonders für schwere Verläufe prädisponieren, berücksichtigt.

Erfolgreiches Registervorbild Dänemark

Ein kleines europäisches Land, nämlich Dänemark, machte sehr elegant vor, wie es funktionieren könnte, wenn – ja wenn – die Voraussetzungen für das Erlangen der dafür entsprechend notwendigen Gesundheitsdaten der Bevölkerung gegeben sind – in Form eines Registers.

Auch die österreichischen Verantwortlichen zeigten sich sehr begeistert von der raschen und erfolgreichen Impfstrategie Dänemarks und neben der Bewunderung konnte man auch ein wenig den Neid heraushören und die Frage, warum das nicht auch in Österreich möglich sei – ja, warum eigentlich nicht?

Die Antwort auf die Frage ist simpel und peinlich: weil die österreichische Gesundheitspolitik in den Zeiten vor der Pandemie einfach keinerlei Wert in der Erstellung eines Gesundheitsregisters gesehen hat und schon gar kein Geld dafür in die Hand nehmen wollte.

Jahrelange Bemühungen

Konkret besteht zumindest die Forderung nach einem Diabetesregister nachvollziehbarerweise bereits seit dem Jahr 2004. In diesem Jahr wurde unter der Patronanz der damaligen Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat die erste „Diabetes-Strategie“ in monatelangen Sitzungen von vielen Experten erarbeitet, um dann schubladisiert zu werden. Genauso erging es ca. 10 Jahre später der zweiten „Diabetes-Strategie“.

Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) und deren mittlerweile etliche Präsidentinnen und Präsidenten haben sich über all diese Jahre bemüht, sich mit Politikern und Spitzen der Sozialversicherung ins Einvernehmen darüber zu setzen, dass ein österreichweites Register erstellt wird – leider jedoch bislang ohne Erfolg. Obwohl die Finanzierung sogar zum großen Teil über die pharmazeutische Industrie, die genauso an einer Datenauswertung Interesse gehabt hätte, gesichert gewesen wäre, fehlte es am Willen, die vielen Träger unter einen Hut zu bringen und gesetzlich zur Datensammlung zu verpflichten.

Lesen Sie im Kasten von Prof. Thomas C. Wascher über vergangene und vergebliche Bemühungen sowie ambitionierte Zukunftsaspekte und über die Sinnhaftigkeit des Registers per se …

ÖDG: „Wir geben nicht auf“*

Die Forderung der ÖDG nach einem klassischen Diabetesregister ist also alt und bis dato erfolglos geblieben. Anstatt aufzugeben, gilt es nun, die Forderungen an die heutige Zeit anzupassen und zu präzisieren: Eine Datenerhebung und -erfassung soll nicht nur der nationalen Ressourcenplanung und Qualitätssicherung dienen, sondern auch Patienten und deren behandelnden Ärzten einen unmittelbaren Vorteil bringen. Was ist damit gemeint?

Die Datenerfassung soll dabei helfen, die individuelle Versorgung zu verbessern, indem zum Beispiel noch ausständige Untersuchungen oder benötigte Impfungen automatisch angezeigt werden und gleichzeitig ein entsprechender Therapiealgorithmus bei mangelndem Therapieansprechen oder Auftreten von Komplikationen vorgeschlagen wird. Dies ist deswegen so dringend notwendig, weil die Therapie des Typ-2-Diabetes in den letzten Jahren wesentlich komplexer und aufwendiger geworden ist. Die personalisierte Diabetestherapie kann nur dann Wirkung zeigen, wenn sie auch im Alltag praktikabel ist und umgesetzt wird.

Diese Forderungen finden sich in Form eines angedachten elektronischen Diabetesdokuments im Rahmenkonzept „Integrierte Versorgung Diabetes mellitus Typ 2“ wieder. Dieses sieht vor, dass wichtige Daten, Untersuchungen oder Befunde in einer elektronischen Datei gesichert werden, in die alle behandelnden Ärzte bzw. involviertes Gesundheitspersonal Einblick haben. Im optimalen Fall könnten anhand dieses Dokuments wichtige Daten zur Ressourcenplanung erfasst und dabei auftretende Fragen beantwortet werden, wie z.B.: „Wie sind Menschen mit Diabetes versorgt?“, „Welche Komorbiditäten haben sie?“ und „Welche Ressourcen werden entsprechend benötigt?“

Es ist aber auch möglich, anhand dieser Daten wichtige Befunde oder auch Informationen über noch ausständige Untersuchungen schnell (weiter)behandelnden Ärzten zugänglich zu machen und damit die Versorgung jedes einzelnen Patienten zu optimieren. Ein rascher und unkomplizierter Zugang zu bereits vorhandenen Diabetes-bezogenen Gesundheitsdaten würde zweifellos auch die Zusammenarbeit von Fachärzten und Allgemeinmedizinern in der Behandlung des Typ-2-Diabetes intensivieren und verbessern. Und schließlich ergibt sich aus einer elektronischen Datenerfassung auch ein gesundheitsökonomischer Vorteil, da Mehrfachuntersuchungen bzw. Doppelgleisigkeiten vermieden werden können.

Die Einführung des elektronischen Impfpasses steht kurz bevor, wieso nützen wir nicht die Chance für einen elektronischen Diabetespass – die Zeit dafür ist längst gekommen und gerade aufgrund der Erfahrungen während der Covid-19-Pandemie ist genau jetzt der geeignete Zeitpunkt, innovative, kostengünstige und effiziente Lösungen für unsere Patienten zu implementieren. Die ÖDG unterstützt daher eine im Rahmenkonzept angedachte elektronische Datenerfassung vollends und fordert die rasche Umsetzung wichtiger Eckpfeiler des Rahmenkonzepts Integrierte Versorgung Diabetes mellitus Typ 2.

Wozu brauchen wir ein Diabetesregister?

Vielleicht wird sich der eine oder andere von Ihnen beim Lesen des Vorangegangenen fragen, warum so viel Wind um ein Register gemacht wird, wenn doch allerorts so viele Zahlen, Fakten und Daten zu finden sind und alle Augenblicke eine andere Studie zum Thema Diabetes wieder neue Erkenntnisse bringt.

Darum möchten wir Ihnen kurz die derzeitige Lage zum Stand der Dinge in Österreich darlegen. Wenn man sich den letzten Diabetesbericht aus dem Jahr 2017 durchliest, findet man bei vielen wichtigen Basisdaten das Wort „ca.“ voranstehend. Dies deswegen, weil es sich um Schätzungen bzw. Hochrechnungen auf Basis von kleinen Datensätzen handelt. Wir wissen nämlich nicht genau, wie viele Menschen mit Diabetes es in Österreich wirklich gibt – weil diese nirgends wirklich zwingend erfasst werden. Ebenso wenig wissen wir genau, wie viele Menschen mit Diabetes pro Jahr wegen ihrer Erkrankung sterben bzw. wie viele Patienten mit kardiovaskulären Ereignissen tatsächlich auch einen Diabetes haben.

Ganz zu schweigen von Daten in Bezug auf Therapie, Hypoglykämiehäufigkeit und Kosten derselben, Schulung, Erwerbsunfähigkeit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit etc. Es gibt in Österreich einige kleinere Register wie beispielsweise das Tiroler Diabetesregister oder das Insulinpumpenregister, die diese Daten generieren, auf deren Basis dann auf ganz Österreich rückgeschlossen wird. Dies entspricht natürlich in keiner Weise genauen Zahlen, sondern den vorher genannten Schätzungen.

Die oft zitierten Studien oder Projekte ersetzen ein Register schon deswegen nicht, weil auch sie nur einen kleinen Teil der Population zumeist in einem bestimmten Bundesland repräsentieren und außerdem immer Einschluss- bzw. noch wichtiger Ausschlusskriterien haben, die einen Teil der Diabetespopulation von vornherein nicht inkludieren. Außerdem sind alle Studien oder Projekte zeitlich limitiert. Zusätzlich muss bei ihnen immer hinterfragt werden, was das Ziel und wer der Geldgeber hinter den Projekten oder Studien ist. Denn natürlich stellt beides einen Bias für das Ergebnis dar.

Ein Register, welches österreichweit verpflichtend wäre, würde jedoch tatsächlich alle im System erfassten Menschen mit Diabetes inkludieren und damit sämtliche Alters-, Geschlechts- und sozioökonomische Verhältnisse abbilden. Es würde Ergebnisse in Bezug auf Behandlungsqualität, Lebensqualität, Lebensdauer und Todesursachen einerseits und Gesamtkosten, erforderliche Ressourcen und auch Mängel diesbezüglich andererseits über einen nicht befristeten Zeitraum liefern. Damit würden sich alle Änderungen – sei es durch neue medizinische Errungenschaften oder andere medizinische Betreuungsangebote – klar zuordnen lassen, wie das wie eingangs erwähnt in anderen Ländern wie z.B. Dänemark bereits selbstverständlich ist.

Das bedeutet, dass man daraus auch schließen könnte, wo sinnvoll Geld eingespart werden kann, ohne Qualität einzubüßen, und wo nicht. Mit einem Wort würde ein Register auch eine bessere Steuerung des Einsatzes der ja nicht unbeschränkt zur Verfügung stehenden Ressourcen ermöglichen.

Derzeit obliegt diese Steuerung einer gewissen Willkür und entspricht in Wirklichkeit einem Blindflug ohne Ziel und ohne Kontrolle.


Die Geschichte des Österreichischen Diabetesregisters – ein Zeitzeugenbericht

Während der Konzeption dieses Artikels durfte ich mit großem Interesse feststellen, dass Österreich nun doch – im Jahr 2021 – zu einem Land der Register werden wird. Die Österreichische Bundesregierung ist wild entschlossen, ein „Terroristenregister“ zu erstellen. Ein wichtiger erster Schritt zu Registern, die der Gesundheit der Bevölkerung dienen könnten – Satire off.

Die Geschichte der Versuche, ein Österreichisches Diabetesregister ins Leben zu rufen, reicht bereits zumindest 17 Jahre zurück.

Der Österreichische Diabetesbericht aus dem Jahr 2004 erhebt bereits die Forderung, ein nationales Diabetesregister anzustreben. Dies, um Versorgungsbedarf, Versorgungssituation und Ressourcenplanung zur möglichst guten individuellen Betreuung der Erkrankten optimieren zu können. Handelt es sich bei Diabetes ja um die möglicherweise häufigste chronische, nicht heilbare Erkrankung in Industrieländern.

Im Jahr 2005 wird durch das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen der „Österreichische Diabetesplan“ ins Leben gerufen. An der Erstellung dieses Dokumentes durfte ich als Vertreter der Österreichischen Diabetes Gesellschaft wie auch als klinisch tätiger Diabetologe teilnehmen. Dem Thema eines Diabetesregisters ist dort breiter Raum gewidmet. Ich darf aus den Schlussfolgerungen des Diabetesplans zitieren: „Ein Diabetesregister für Erwachsene ist zu schaffen.“

Und dann …?

Und dann wurde in weiterer Folge auch im Österreichischen Diabetesbericht 2013 auf die Notwendigkeit eines Registers einerseits und sein Fehlen andererseits hingewiesen. Vorgestellt wird in diesem Diabetesbericht das „Diabetesregister Tirol“ – eine hochambitionierte Insellösung, welche in Tiroler Zentren existiert.

Im Jahr 2017 wurde aus dem Plan eine Strategie. Die österreichische Diabetes-Strategie wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen veröffentlicht. So wie aus dem Plan eine Strategie wurde, wurde in diesem Dokument aus dem Register ein „bundesweites Datennetzwerk zur Diabetesepidemiologie und Versorgungsqualität“ als sogenanntes Wirkungsziel.

Und dann …?

Und dann findet sich als Praxisbeispiel für die Umsetzung des o.a. Wirkungszieles im Mai 2021 auf der Homepage der Diabetes-Strategie ausschließlich das Diabetesregister Tirol.

Die geradezu unbändige Entschlossenheit der zentralen Stakeholder, ein Österreichisches Diabetesregister zu etablieren, ist also zweifelsfrei erkennbar.

Was aufrecht bleibt, ist die Forderung von sowohl der Österreichischen Diabetes Gesellschaft als auch der Diabetes Initiative Österreich nach der Umsetzung eines wichtigen Instrumentes zur Optimierung von Versorgung und Ressourcenplanung.

*Der Abschnitt ÖDG: „Wir geben nicht auf“ wurde von Prof. S. Kaser verfasst, der Kommentar von Prof. T. C. Wascher, der weitere Text von Prim. C. Francesconi.

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