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Zu viel oder zu wenig Glukose

Der diabetische Notfall

<p class="article-intro">Diabetische Notfälle können sowohl Folgen massiv erhöhter als auch zu niedriger Blutzuckerwerte sein. Beides hat für die Patienten kurz- wie auch langfristig Konsequenzen im Sinne erhöhter Morbidität und Mortalität.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Ketoazidose und hyperglyk&auml;misches hyperosmolares Syndrom</h2> <p>&bdquo;Sowohl die diabetische Ketoazidose (DKA) als auch das hyperglyk&auml;mische hyperosmolare Syndrom (HHS) sind schwerwiegende akute Komplikationen des Diabetes&ldquo;, sagt Priv.-Doz. Dr. Gerlies Treiber von der Grazer Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Innere Medizin. Bei der diabetischen Ketoazidose sind Blutzuckerwerte jenseits der 200mg/dl vorhanden, es liegt infolge einer Hyperketon&auml;mie eine metabolische Azidose mit einem pH unter 7,3 vor, der CO2-Partialdruck ist erniedrigt und es besteht eine Anionenl&uuml;cke. Zu diesem Zustand kommt es meist nur im Rahmen eines Typ-1-Diabetes. Beim Typ-2-Diabetes kommt es eher zu einem hyperglyk&auml;mischen hyperosmolaren Syndrom mit deutlich h&ouml;heren Blutzuckerwerten (oft &uuml;ber 600mg/dl) und wenig Azidose. Treiber betont jedoch, dass diese grobe Einteilung in der Praxis nicht immer anwendbar ist. Ketoazidose kommt gelegentlich auch bei Typ-2-Diabetikern vor, bei Typ-1-Diabetikern kann in seltenen F&auml;llen auch die Hyperosmolarit&auml;t zum Problem werden. Auch Mischformen zwischen den beiden Zustandsbildern kommen vor.<br /> Das zugrunde liegende Problem ist immer ein Insulinmangel. Je nachdem, wie ausgepr&auml;gt dieser ist, entwickelt sich entweder eine Ketoazidose oder ein HHS. Obwohl es sich bei der diabetischen Ketoazidose um einen Notfall handelt, ist die Mortalit&auml;t mit weniger als einem Prozent relativ gering, wobei &uuml;ber die vergangenen Jahre eine deutliche Reduktion erreicht werden konnte.<sup>1</sup> Allerdings steigt die Sterblichkeit bei &auml;lteren Patienten mit zus&auml;tzlichen Risikofaktoren. Tritt Ketoazidose h&auml;ufiger auf, sind die Konsequenzen allerdings fatal. Patienten, die mehr als f&uuml;nfmal eine Ketoazidose durchgemacht hatten, zeigten im Follow-up von weniger als 4 Jahren eine Mortalit&auml;t von 23,4 % .<sup>2</sup> Das HHS ist f&uuml;r rund 1 % aller Hospitalisierungen von Diabetikern verantwortlich. Die Mortalit&auml;t kann, abh&auml;ngig von Patientengruppe und Komorbidit&auml;ten, bis zu 20 % betragen.<br /> Die wichtigsten Ausl&ouml;ser sowohl der Ketoazidose als auch des HHS sind akute Infektionen und inad&auml;quate Insulintherapie. Bei Typ-1-Diabetikerinnen besteht in der Schwangerschaft ein erh&ouml;htes Risiko. Auch bestimmte Medikamente wie Cortison oder Antipsychotika, die den Insulinbedarf erh&ouml;hen, k&ouml;nnen eine Ketoazidose ausl&ouml;sen. Auch eine euglyk&auml;mische Ketoazidose ist m&ouml;glich; diese kann in der Schwangerschaft auftreten, infolge von Fasten unter Insulintherapie oder Therapie mit SGLT2-Inhibitoren. Dies bedeute jedoch nicht, so Treiber, dass Patienten, die SGLT2-Inhibitoren nehmen, regelm&auml;&szlig;ig auf Ketoazidose gescreent werden m&uuml;ssten. Allerdings sollten sie dar&uuml;ber aufgekl&auml;rt werden, dass beispielsweise im Verlauf von Infektionen dieses Risiko besteht. Ein weiterer Sonderfall der Ketoazidose ist die alkalische Ketoazidose, bei der es durch Erbrechen zu einer metabolischen Entgleisung kommt.<br /> Typische Symptome sind Polyurie, Polydipsie und Schw&auml;che, im weiteren Verlauf dann &Uuml;belkeit, Erbrechen und Kussmaul- Atmung, die h&auml;ufig vom Patienten lediglich als Dyspnoe wahrgenommen wird. Treiber: &bdquo;Nach diesen Symptomen muss man aktiv fragen. H&auml;ufig kommen die Patienten mit Dyspnoe und Schw&auml;che. Und wenn man dann nach Durst, Sehst&ouml;rungen, Gewichtsverlust, Nykturie etc. fragt, ergibt sich schnell das klinische Bild.&ldquo; Das erforderliche Management h&auml;ngt von der Schwere der Ketoazidose ab (Tab. 1). Nur vollkommen wache Patienten mit einem Blut-pH von 7,25&ndash;7,3 k&ouml;nnen ambulant behandelt werden. Bei schwerer Symptomatik, insbesondere mit Bewusstseinstr&uuml;bung bis hin zum Koma, ist ein Krankenhausaufenthalt oder eine Aufnahme auf die Intensivstation erforderlich. Bei der DKA l&auml;sst der Blutzuckerwert alleine keine Aussagen &uuml;ber die Schwere des Zustandes zu. Patienten mit HHS m&uuml;ssen immer station&auml;r, meist sogar auf die Intensivstation, aufgenommen werden. Beim HHS sind die Blutzuckerwerte immer sehr hoch.<sup>3</sup><br /> F&uuml;r das Management von DKA und HHS ist in den meisten F&auml;llen zumindest eine &Uuml;berwachungsstation erforderlich, da auf der Normalstation ein entsprechend engmaschiges Monitoring meist nicht m&ouml;glich ist. Therapieziel Nummer eins ist die Rehydrierung, f&uuml;r die die Patienten oft relativ viel Fl&uuml;ssigkeit ben&ouml;tigen. Treiber: &bdquo;Bei der DKA m&uuml;ssen meist vier bis sechs Liter Fl&uuml;ssigkeit ausgeglichen werden, bei der HHS liegen wir oft acht bis zehn Liter im Minus. Die Fl&uuml;ssigkeitszufuhr soll bereits w&auml;hrend der Evaluation laufen.&ldquo; Azidose und Hyperosmolarit&auml;t m&uuml;ssen ausgeglichen und allf&auml;llige Infektionen behandelt werden. Hypoglyk&auml;mie und Hypokali&auml;mie als Komplikationen der Therapie sind zu vermeiden. Die in den Leitlinien geforderten Insulindosen sind sehr hoch, Treiber empfiehlt daher einen etwas vorsichtigeren Umgang mit dem Insulin mit 3 U pro Stunde durch den Perfusor f&uuml;r einen 70kg schweren Patienten. Die erste Kontrolle soll nach einer Stunde erfolgen. Zeigt sie keine relevante Blutzuckersenkung, ist die Insulindosis zu verdoppeln. Bei Hypokali&auml;mie muss vor der Insulingabe Kalium substituiert werden. Bikarbonat ist nur bei sehr ausgepr&auml;gter Azidose indiziert. Auch eine Phosphatsubstitution kann erforderlich sein. Das Monitoring muss Blutglukose (st&uuml;ndlich), Elektrolyte und Harnausscheidung umfassen. Wenn der Patient wieder essen kann, ist eine Umstellung auf subkutanes Insulin m&ouml;glich. Sind DKA oder HHS &uuml;berstanden, sollten umfangreiche Schulungsma&szlig;nahmen, Neueinstellung etc. erfolgen, um weitere hyperglyk&auml;mische Notf&auml;lle zu vermeiden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1803_Weblinks_jatros_dia_1803_s24_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="942" /></p> <h2>Wenn Hypoglyk&auml;mie nicht wahrgenommen wird</h2> <p>Univ.-Prof. Dr. Susanne Kaser von der Innsbrucker Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Innere Medizin I weist auf das hohe Risiko infolge schwerer Hypoglyk&auml;mien hin. Diese sind (unter anderem durch Unf&auml;lle) f&uuml;r etwa 10 % aller Sterbef&auml;lle bei Typ-1-Diabetikern verantwortlich<sup>4, 5</sup> und erh&ouml;hen bei Typ-2-Diabetikern das Sterberisiko erheblich.<sup>6</sup> Von einer schweren Hypoglyk&auml;mie spricht man, wenn der Patient Fremdhilfe ben&ouml;tigt. Eine klinisch relevante Hypoglyk&auml;mie ist definiert durch einen Blutzucker unter 54mg/dl.<br /> Beim Typ-1-Diabetes steigt das Hypoglyk&auml;mierisiko mit der Krankheitsdauer. Beim Typ-2-Diabetes sind vor allem &auml;ltere Patienten gef&auml;hrdet. Beim Typ-2-Diabetes sei auch zu beachten, dass das Hypoglyk&auml;mierisiko mit einigen Sulfonylharnstoffen &auml;hnlich hoch ist wie bei einer Insulintherapie. Eine ehrgeizige Blutzuckereinstellung erh&ouml;ht das Risiko &ndash; insbesondere dann, wenn eine rasche Einstellung angestrebt wird. Niereninsuffizienz und St&ouml;rungen der Leberfunktion erh&ouml;hen das Risiko ebenfalls. Patienten, die nach der Ursache einer Hypoglyk&auml;mie gefragt werden, geben meist Probleme mit der Nahrungsaufnahme wie falsche Einsch&auml;tzung der Kohlenhydrate oder falschen Zeitabstand zur Insulininjektion an.<sup>7</sup> Kaser: &bdquo;Das zeigt, dass wir sehr genau schulen m&uuml;ssen, was die Nahrungsaufnahme und auch die Bewegung angeht.&ldquo;<br /> W&auml;hrend beim Gesunden eine Hypoglyk&auml;mie bereits zwischen 50 und 70mg/ dl wahrgenommen und nach M&ouml;glichkeit mit Aufnahme von Kohlenhydraten beendet wird, ist bei vielen Diabetikern, insbesondere nach wiederholten Hypoglyk&auml;mien, die Hypoglyk&auml;mie-Wahrnehmung eingeschr&auml;nkt. Von der reduzierten Hypoglyk&auml;mie- Awareness sind bis zu 25 % aller Typ-1-Diabetiker und rund 50 % aller Diabetiker mit schweren Hypoglyk&auml;mien betroffen.<sup>8</sup> Auch die physiologische Gegenreaktion funktioniert beim Diabetiker nicht. Besonders nach l&auml;ngerer Diabetesdauer bleibt der Glukagonanstieg bei Hypoglyk&auml;mie aus. In diesem Fall kann der Hypoglyk&auml;mie nur extern durch Zufuhr von Kohlenhydraten und/oder Glukagon begegnet werden.<br /> Neben neurologischen hat eine Hypoglyk&auml;mie auch vielf&auml;ltige kardiologische Konsequenzen. Diese halten auch an, wenn die akute Symptomatik l&auml;ngst beendet ist. So bleiben proinflammatorische Zytokine &uuml;ber 48 Stunden erh&ouml;ht, prokoagulatorische Effekte halten eine Woche an und eine sympathoadrenale Aktivierung bleibt &uuml;ber sechs Tage bestehen.<sup>4</sup> Kaser: &bdquo;Das bedeutet, dass die gef&auml;hrliche Situation der Hypoglyk&auml;mie lange anh&auml;lt. Patienten mit h&auml;ufigen Hypoglyk&auml;mien befinden sich in einem Dauerzustand der Prokoagulation.&ldquo; Auch neurologische Ver&auml;nderungen k&ouml;nnen persistieren. Eine Assoziation von Hypoglyk&auml;mie und Demenz wird diskutiert.<sup>9</sup><br /> Die Leitlinien empfehlen die Einnahme reiner Glukose, sofern dies dem Patienten selbst m&ouml;glich ist. Danach sollte eine Mahlzeit gegessen werden, um die Glykogenspeicher aufzuf&uuml;llen. Patienten mit erh&ouml;htem Hypoglyk&auml;mierisiko sollten Glukagon vorr&auml;tig haben und Angeh&ouml;rige, Betreuer etc. in der Applikation geschult werden.<sup>10</sup></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Frühjahrstagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft 2018, 20.–21. April 2018, Graz </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Benoit SR et al.: MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2018; 67(12): 362-5 <strong>2</strong> Gibb FW et al.: Diabetologia 2016; 59(10): 2082-7 <strong>3</strong> Kitabchi A E et al.: Diabetes C are 2009; 32(7): 1335-43 <strong>4</strong> Frier BM.: Nat Rev Endocrinol 2014; 10(12): 711- 22 <strong>5</strong> Skrivarhaug T et al.: Diabetologia 2006; 49(2): 298- 305 <strong>6</strong> Zoungas S et al.: N Engl J Med 2010; 363(15): 1410-8 <strong>7</strong> Kedia N.: Diabetes Metab Syndr Obes 2011; 4: 337-46 <strong>8</strong> McNeilly AD, McCrimmon RJ: Diabetologia 2018; 61(4): 743-50 <strong>9</strong> Whitmer RA et al.: JAMA 2009; 301(15): 1565-72 <strong>10</strong> American Diabetes Association: Diabetes Care 2018; 41(Suppl 1): S55-S64</p> </div> </p>
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