
©
Getty Images/iStockphoto
Der diabetische Notfall
Jatros
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Diabetische Notfälle können sowohl Folgen massiv erhöhter als auch zu niedriger Blutzuckerwerte sein. Beides hat für die Patienten kurz- wie auch langfristig Konsequenzen im Sinne erhöhter Morbidität und Mortalität.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Ketoazidose und hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom</h2> <p>„Sowohl die diabetische Ketoazidose (DKA) als auch das hyperglykämische hyperosmolare Syndrom (HHS) sind schwerwiegende akute Komplikationen des Diabetes“, sagt Priv.-Doz. Dr. Gerlies Treiber von der Grazer Universitätsklinik für Innere Medizin. Bei der diabetischen Ketoazidose sind Blutzuckerwerte jenseits der 200mg/dl vorhanden, es liegt infolge einer Hyperketonämie eine metabolische Azidose mit einem pH unter 7,3 vor, der CO2-Partialdruck ist erniedrigt und es besteht eine Anionenlücke. Zu diesem Zustand kommt es meist nur im Rahmen eines Typ-1-Diabetes. Beim Typ-2-Diabetes kommt es eher zu einem hyperglykämischen hyperosmolaren Syndrom mit deutlich höheren Blutzuckerwerten (oft über 600mg/dl) und wenig Azidose. Treiber betont jedoch, dass diese grobe Einteilung in der Praxis nicht immer anwendbar ist. Ketoazidose kommt gelegentlich auch bei Typ-2-Diabetikern vor, bei Typ-1-Diabetikern kann in seltenen Fällen auch die Hyperosmolarität zum Problem werden. Auch Mischformen zwischen den beiden Zustandsbildern kommen vor.<br /> Das zugrunde liegende Problem ist immer ein Insulinmangel. Je nachdem, wie ausgeprägt dieser ist, entwickelt sich entweder eine Ketoazidose oder ein HHS. Obwohl es sich bei der diabetischen Ketoazidose um einen Notfall handelt, ist die Mortalität mit weniger als einem Prozent relativ gering, wobei über die vergangenen Jahre eine deutliche Reduktion erreicht werden konnte.<sup>1</sup> Allerdings steigt die Sterblichkeit bei älteren Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren. Tritt Ketoazidose häufiger auf, sind die Konsequenzen allerdings fatal. Patienten, die mehr als fünfmal eine Ketoazidose durchgemacht hatten, zeigten im Follow-up von weniger als 4 Jahren eine Mortalität von 23,4 % .<sup>2</sup> Das HHS ist für rund 1 % aller Hospitalisierungen von Diabetikern verantwortlich. Die Mortalität kann, abhängig von Patientengruppe und Komorbiditäten, bis zu 20 % betragen.<br /> Die wichtigsten Auslöser sowohl der Ketoazidose als auch des HHS sind akute Infektionen und inadäquate Insulintherapie. Bei Typ-1-Diabetikerinnen besteht in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko. Auch bestimmte Medikamente wie Cortison oder Antipsychotika, die den Insulinbedarf erhöhen, können eine Ketoazidose auslösen. Auch eine euglykämische Ketoazidose ist möglich; diese kann in der Schwangerschaft auftreten, infolge von Fasten unter Insulintherapie oder Therapie mit SGLT2-Inhibitoren. Dies bedeute jedoch nicht, so Treiber, dass Patienten, die SGLT2-Inhibitoren nehmen, regelmäßig auf Ketoazidose gescreent werden müssten. Allerdings sollten sie darüber aufgeklärt werden, dass beispielsweise im Verlauf von Infektionen dieses Risiko besteht. Ein weiterer Sonderfall der Ketoazidose ist die alkalische Ketoazidose, bei der es durch Erbrechen zu einer metabolischen Entgleisung kommt.<br /> Typische Symptome sind Polyurie, Polydipsie und Schwäche, im weiteren Verlauf dann Übelkeit, Erbrechen und Kussmaul- Atmung, die häufig vom Patienten lediglich als Dyspnoe wahrgenommen wird. Treiber: „Nach diesen Symptomen muss man aktiv fragen. Häufig kommen die Patienten mit Dyspnoe und Schwäche. Und wenn man dann nach Durst, Sehstörungen, Gewichtsverlust, Nykturie etc. fragt, ergibt sich schnell das klinische Bild.“ Das erforderliche Management hängt von der Schwere der Ketoazidose ab (Tab. 1). Nur vollkommen wache Patienten mit einem Blut-pH von 7,25–7,3 können ambulant behandelt werden. Bei schwerer Symptomatik, insbesondere mit Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma, ist ein Krankenhausaufenthalt oder eine Aufnahme auf die Intensivstation erforderlich. Bei der DKA lässt der Blutzuckerwert alleine keine Aussagen über die Schwere des Zustandes zu. Patienten mit HHS müssen immer stationär, meist sogar auf die Intensivstation, aufgenommen werden. Beim HHS sind die Blutzuckerwerte immer sehr hoch.<sup>3</sup><br /> Für das Management von DKA und HHS ist in den meisten Fällen zumindest eine Überwachungsstation erforderlich, da auf der Normalstation ein entsprechend engmaschiges Monitoring meist nicht möglich ist. Therapieziel Nummer eins ist die Rehydrierung, für die die Patienten oft relativ viel Flüssigkeit benötigen. Treiber: „Bei der DKA müssen meist vier bis sechs Liter Flüssigkeit ausgeglichen werden, bei der HHS liegen wir oft acht bis zehn Liter im Minus. Die Flüssigkeitszufuhr soll bereits während der Evaluation laufen.“ Azidose und Hyperosmolarität müssen ausgeglichen und allfällige Infektionen behandelt werden. Hypoglykämie und Hypokaliämie als Komplikationen der Therapie sind zu vermeiden. Die in den Leitlinien geforderten Insulindosen sind sehr hoch, Treiber empfiehlt daher einen etwas vorsichtigeren Umgang mit dem Insulin mit 3 U pro Stunde durch den Perfusor für einen 70kg schweren Patienten. Die erste Kontrolle soll nach einer Stunde erfolgen. Zeigt sie keine relevante Blutzuckersenkung, ist die Insulindosis zu verdoppeln. Bei Hypokaliämie muss vor der Insulingabe Kalium substituiert werden. Bikarbonat ist nur bei sehr ausgeprägter Azidose indiziert. Auch eine Phosphatsubstitution kann erforderlich sein. Das Monitoring muss Blutglukose (stündlich), Elektrolyte und Harnausscheidung umfassen. Wenn der Patient wieder essen kann, ist eine Umstellung auf subkutanes Insulin möglich. Sind DKA oder HHS überstanden, sollten umfangreiche Schulungsmaßnahmen, Neueinstellung etc. erfolgen, um weitere hyperglykämische Notfälle zu vermeiden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1803_Weblinks_jatros_dia_1803_s24_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="942" /></p> <h2>Wenn Hypoglykämie nicht wahrgenommen wird</h2> <p>Univ.-Prof. Dr. Susanne Kaser von der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin I weist auf das hohe Risiko infolge schwerer Hypoglykämien hin. Diese sind (unter anderem durch Unfälle) für etwa 10 % aller Sterbefälle bei Typ-1-Diabetikern verantwortlich<sup>4, 5</sup> und erhöhen bei Typ-2-Diabetikern das Sterberisiko erheblich.<sup>6</sup> Von einer schweren Hypoglykämie spricht man, wenn der Patient Fremdhilfe benötigt. Eine klinisch relevante Hypoglykämie ist definiert durch einen Blutzucker unter 54mg/dl.<br /> Beim Typ-1-Diabetes steigt das Hypoglykämierisiko mit der Krankheitsdauer. Beim Typ-2-Diabetes sind vor allem ältere Patienten gefährdet. Beim Typ-2-Diabetes sei auch zu beachten, dass das Hypoglykämierisiko mit einigen Sulfonylharnstoffen ähnlich hoch ist wie bei einer Insulintherapie. Eine ehrgeizige Blutzuckereinstellung erhöht das Risiko – insbesondere dann, wenn eine rasche Einstellung angestrebt wird. Niereninsuffizienz und Störungen der Leberfunktion erhöhen das Risiko ebenfalls. Patienten, die nach der Ursache einer Hypoglykämie gefragt werden, geben meist Probleme mit der Nahrungsaufnahme wie falsche Einschätzung der Kohlenhydrate oder falschen Zeitabstand zur Insulininjektion an.<sup>7</sup> Kaser: „Das zeigt, dass wir sehr genau schulen müssen, was die Nahrungsaufnahme und auch die Bewegung angeht.“<br /> Während beim Gesunden eine Hypoglykämie bereits zwischen 50 und 70mg/ dl wahrgenommen und nach Möglichkeit mit Aufnahme von Kohlenhydraten beendet wird, ist bei vielen Diabetikern, insbesondere nach wiederholten Hypoglykämien, die Hypoglykämie-Wahrnehmung eingeschränkt. Von der reduzierten Hypoglykämie- Awareness sind bis zu 25 % aller Typ-1-Diabetiker und rund 50 % aller Diabetiker mit schweren Hypoglykämien betroffen.<sup>8</sup> Auch die physiologische Gegenreaktion funktioniert beim Diabetiker nicht. Besonders nach längerer Diabetesdauer bleibt der Glukagonanstieg bei Hypoglykämie aus. In diesem Fall kann der Hypoglykämie nur extern durch Zufuhr von Kohlenhydraten und/oder Glukagon begegnet werden.<br /> Neben neurologischen hat eine Hypoglykämie auch vielfältige kardiologische Konsequenzen. Diese halten auch an, wenn die akute Symptomatik längst beendet ist. So bleiben proinflammatorische Zytokine über 48 Stunden erhöht, prokoagulatorische Effekte halten eine Woche an und eine sympathoadrenale Aktivierung bleibt über sechs Tage bestehen.<sup>4</sup> Kaser: „Das bedeutet, dass die gefährliche Situation der Hypoglykämie lange anhält. Patienten mit häufigen Hypoglykämien befinden sich in einem Dauerzustand der Prokoagulation.“ Auch neurologische Veränderungen können persistieren. Eine Assoziation von Hypoglykämie und Demenz wird diskutiert.<sup>9</sup><br /> Die Leitlinien empfehlen die Einnahme reiner Glukose, sofern dies dem Patienten selbst möglich ist. Danach sollte eine Mahlzeit gegessen werden, um die Glykogenspeicher aufzufüllen. Patienten mit erhöhtem Hypoglykämierisiko sollten Glukagon vorrätig haben und Angehörige, Betreuer etc. in der Applikation geschult werden.<sup>10</sup></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Frühjahrstagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft
2018, 20.–21. April 2018, Graz
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Benoit SR et al.: MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2018; 67(12): 362-5 <strong>2</strong> Gibb FW et al.: Diabetologia 2016; 59(10): 2082-7 <strong>3</strong> Kitabchi A E et al.: Diabetes C are 2009; 32(7): 1335-43 <strong>4</strong> Frier BM.: Nat Rev Endocrinol 2014; 10(12): 711- 22 <strong>5</strong> Skrivarhaug T et al.: Diabetologia 2006; 49(2): 298- 305 <strong>6</strong> Zoungas S et al.: N Engl J Med 2010; 363(15): 1410-8 <strong>7</strong> Kedia N.: Diabetes Metab Syndr Obes 2011; 4: 337-46 <strong>8</strong> McNeilly AD, McCrimmon RJ: Diabetologia 2018; 61(4): 743-50 <strong>9</strong> Whitmer RA et al.: JAMA 2009; 301(15): 1565-72 <strong>10</strong> American Diabetes Association: Diabetes Care 2018; 41(Suppl 1): S55-S64</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...