Im Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Michael Krebs

Ausblick: Zukunftsperspektive der Endokrinologie und Stoffwechselmedizin

Univ.-Prof. Dr. Michael Krebs, Leiter der Schilddrüsenambulanz der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der MedUni Wien, beantwortete die spannende Frage, was die Zukunft der Endokrinologie und Stoffwechselmedizin bringt. Welche Themen werden zukünftig wichtig sein und was wird es Neues im Bereich der Diabetestherapie bzw. Adipositasprophylaxe geben? Welche Neuerungen sind für Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen, aber auch mit seltenen Stoffwechsel- bzw. endokrinologischen Erkrankungen zu erwarten?

Herr Prof. Krebs, welche Themen bzw. Bereiche werden die Endokrinologie in den nächsten Jahren bestimmen?

M. Krebs:Bestimmendes Thema wird sein,den Patient*innen die Fortschritte und Möglichkeiten, die wir in der Endokrinologie haben, verfügbar zu machen. Wir haben in der Endokrinologie und Stoffwechselmedizin eine große Diskrepanz zwischen einerseits sehr häufigen Erkrankungen und andererseits seltenen, sehr seltenen bis hin zu besonders seltenen angeborenen Stoffwechselerkrankungen und endokrinen Erkrankungen. Zu den häufigsten Pathologien zählen natürlich die Stoffwechselstörungen, wie Diabetes mellitus oder Schilddrüsenerkrankungen. 50 % aller Erwachsenen haben einen Knoten in der Schilddrüse. 10–20 % aller Frauen haben eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung. Durch diese Diskrepanz ist es schwierig, die Ausbildung oder die Versorgungsstrukturen sicherzustellen: d. h., sich zu überlegen, wie man Ärzt*innen und Studierende ausbildet, aber auch die Versorgungsstrukturen in dieser großen Schere zwischen sehr spezialisierten, sehr seltenen und sehr häufigen Erkrankungen aufstellt und aufrechterhält. Ich glaube, dass darin gerade in den Industrieländern in den nächsten Jahren die große Herausforderung für die Endokrinologie liegen wird. Für die häufigen Erkrankungen, wie es bei Diabetes mellitus der Fall ist, benötigen wir wahrscheinlich Disease-Management-Programme.

Im Bereich der Diabetestherapie haben GLP-1-Rezeptoragonisten in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Seit Kurzem ist ein erstes Medikament verfügbar, das neben GLP-1 auch GIP adressiert. Was erwarten Sie sich von dem neuen Therapieansatz? Sind Inkretintherapeutika mit multiplen Targets die Zukunft?

M. Krebs:Bedeutende Themen sind sicher das Übergewicht und die Gewichtsreduktion. GIP („glucose-dependent insulinotropic polypeptide“) und GLP-1-Analoga sind bereits exzellente Therapeutika bei Typ-2-Diabetes. Das ist ganz klar. Was bisher noch nicht möglich war, sind die Gewichtsreduktion und die vorbeugende Wirkung gegen Gewichtszunahme bei übergewichtigen oder adipösen Patienten. Darin werden diese Medikamente einen besonders hohen Stellenwert einnehmen. Die Frage ist, ob mittels neuer Medikamente schwierige Fragestellungen in der Endokrinologie, gerade bei jüngeren Patienten, für die es aktuell nur einen chirurgischen Ansatz gibt, zu lösen sind. Man kann Patienten mit einer Nebennierenüberfunktion oder Schilddrüsenüberfunktion invasivchirurgisch behandeln. Man kann aber auch versuchen, die jeweilige Erkrankung, von der oft jüngere Patienten betroffen sind, mit guten und noch besseren Medikamenten über Jahre und Jahrzehnte medikamentös in den Griff zu bekommen. Es wird zukünftig die große Herausforderung sein, dass wir verstehen, welche Patienten von welcher Behandlungsmethode am besten profitieren, bzw. dass auch in puncto Kosten und der Langzeitsicherheit dieser Medikamente noch viel zu machen ist.

Seit Jahren hört man in diesem Zusammenhang von dualen Pumpen mit Insulin und Glukagon. Wie sieht es mit dem therapeutischen Einsatz von Glukagon aus?

M. Krebs: Große Probleme bei Glukagon sind die Haltbarkeit und Verfügbarkeit der Substanz, sodass es aktuell in Pumpen nicht zur Verfügung gestellt werden kann und nicht wirksam bleibt. Es ist offenbar relativ instabil. Aktuell gibt es von zwei Firmen Glukagonpräparate, die bei Hypoglykämien angewendet werden. Eines davon ist ein Pulver, das vom Betreuenden der Person mit schwerer Hypoglykämie in die Nase gespritzt wird. Die Idee, ein technisches Tool zu haben, das den Blutzucker im Notfall heben und aus der Leber Glukose freisetzen kann, wäre ein sehr spannender Ansatz. Die Algorithmen werden immer besser für die „ClosedLoop“- oder „Semi-ClosedLoop“-Systeme, die Anwendungen für die Patient*innen und auch die Pumpen werden einfacher. Ich denke, in ein paar Jahren, können Insulinpumpen ganz ohne technischen Aufwand mit einem Sensor einfach angelegt werden und zumindest an der Basiseinstellung des Typ-1- und des Typ-2-Diabetes viel von allein regeln. Was die Pumpe noch nicht kann, ist, die Notbremse bei schwerer Hypoglykämie zu ziehen. In einem solchen Fall kann sie nur alarmieren und die Patienten müssen dann etwas essen. Das aktuelle Problem mit Glukagon ist ein pharmakologisches: nämlich das Haltbarmachen von Glukagon in einer Lösung.

Welche neuen Ansätze gibt es in der Hormonersatztherapie?

M. Krebs: Das Instrumentarium der Endokrinolog*innen in Diagnostik und Therapiesteuerung ist die Blutabnahme. Im Blut wird die Konzentration von Hormonen gemessen, aber man weiß, dass es große Diskrepanzen zwischen den Blutkonzentrationen und der Wirkstärke oder der Wirkungder Hormone im Gewebe gibt. Einige Hormone sind nicht dafür geschaffen, im Blut in bestimmten Konzentrationen vorzuliegen, sondern an Zielzellen Rezeptoren zu binden und direkt im Gewebe zu wirken. Und diesen Vorgang verstehen wir in vielen Bereichen noch zu wenig. In den allermeisten Fällen können wir die Wirkung noch nicht gut genug steuern. Insulin ist da eine Ausnahme, da wir die Gewebewirkung durch das Absinken des Blutzuckerspiegels sehr gut messen können und die Insulinkonzentration nicht bestimmen müssen, wenn wir Menschen mit Diabetes betreuen. Aber das ist mit vielen anderen Hormonen, wie den Schilddrüsenhormonen oder den Nebennierenhormonen, nicht so – da werden zur Diagnose und zur Therapie die Blutwerte bestimmt. Es gibt einige sehr spannende Ansätze mit „Omics-Approaches“: Dabei versucht man durch Stoffwechselveränderungen oder -muster im Blut mittels NMR-Spektroskopie die Hormonwirkung im Gewebe sichtbar zu machen. Das ist ein Ausblick in die Zukunft.

Was gibt es Neues im Bereich der Schilddrüsenerkrankungen?

M. Krebs: Bei Ultraschalluntersuchungen der Schilddrüse stellt sich bei mindestens 50 % aller Erwachsenen heraus, dass sie einen Knoten haben. Die Ultraschallbildanalyse rückt hier mehr ins Zentrum, um abzuklären, ob ein Knoten suspekt ist und eine Gewebeprobe durch eine Feinnadelbiopsie gemacht werden muss bzw. der Knoten weiter beobachtet wird. Es gibt hierfür auch sehr hilfreiche Bildanalyse- und Einschätzungstools, die bei der Abklärung des Knotens helfen. Bei dieser großen Anzahl an Patient*innen geht es darum, die herauszufiltern, die möglicherweise ein Problem haben und um die man sich genauer kümmern muss, und alle anderen zu beruhigen.

Welche Bereiche der Endokrinologie erleben Sie darüber hinaus als spannend?

M. Krebs: Was den Blutdruck betrifft: Der primäre Hyperaldosteronismus bei Morbus Conn ist eine relativ häufige Ursache für deutliche Blutdruckerhöhungen. Bei schweren Blutdruckerhöhungen liegt in 10% der Fälle ein Morbus Conn vor. Diese Patienten bedürfen einer zielgerichteten Abklärung und Therapie, die in den allermeisten Ländern, auch in den Industrieländern, nicht erfolgt, weil die Abklärung durch eine Hormonbestimmung relativ komplex und kompliziert ist und die Kosten zum Teil von der Kasse nicht übernommen werden. Hier gibt es ein großes Feld für Entwicklungen. Fragen sind: Wie bringe ich Wissen über die Erkrankung auf Schiene und wie finde ich die Patienten aus der großen Anzahl der Hypertoniker heraus, die ein Problem haben und eine zielgerichtete Behandlung brauchen?

Dann gibt es in diesem Bereich noch die Forschung an speziellen Hormonbestimmungen. Dabei werden spezielle Laborwerte untersucht. Aber es existieren auch ganz viele Überlegungen in den Leitlinienkommissionen und bei Spezialisten, die sich damit beschäftigen, manches zu vereinfachen, sodass es dann auch im niedergelassenen Bereich anwendbar ist. Hierzu gibt es viele Diskussionen und Ideen, wie man das umsetzt. Ich hoffe sehr, dass sich in den nächsten ein bis zwei Jahren auf diesem Feld viel entwickelt, sodass wir diese Patienten auch behandeln und ihr Leben verbessern können.

Wird die Endokrinologie als medizinische Fachrichtung in den nächsten Jahren an Bedeutung insgesamt gewinnen oder verlieren?

M. Krebs: Die Endokrinologie ist schwer zu differenzieren. Sie ist ein extrem spannendes Fach, weil sie den Bogen vom Übergewicht zum Typ-2-Diabetes, von Massenerkrankungen der Schilddrüse bis hin zu ganz seltenen Stoffwechselerkrankungen spannt. Die Anzahl der zu betreuenden Patient*innen wird sicher steigen, weil auch die epidemiologischen Daten in diese Richtung gehen. Die metabolischen Erkrankungen werden mehr werden und Endokrinolog*innen für die häufigen Erkrankungen ganz massiv gebraucht werden.

Eine große Herausforderung liegt in den seltenen Erkrankungen, die wir früher überhaupt nicht diagnostiziert haben. Hier gibt es einen massiven Schub, weil die genetischen Analysen heute viel einfacher verfügbar sind. Was kommen wird, sind breite genetische Analysen, bei denen fast das ganze Genom auf einmal analysiert wird und dadurch bei unklaren Situationen Diagnosen gefunden werden können – beispielsweise in der Pädiatrie, in der man manchmal nicht weiß, was hinter einer Stoffwechselstörung steckt. Für diese neuen Patient*innen sind die Strukturen gerade am Wachsen und werden aufgebaut. Sie werden sich sehr ausweiten müssen, damit diese Patient*innen gut versorgt werden können. Es muss für dieses spezialisierte Wissen eine spezialisierte Ausbildung aufgebaut werden, um Patienten dann an speziellen Zentren versorgen zu können.

Vielen Dank für das Gespräch!
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