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Prävention, neue Therapieziele und personalisierte Medizin

Ausblick: klinische Forschung in der Diabetologie

In den letzten 25 Jahren, in denen uns JATROS Diabetologie & Endokrinologie begleitet hat, haben sich die wissenschaftlichen Ergebnisse in der Diabetologie nahezu überschlagen. Die Anzahl der großen Endpunktstudien ist schlagartig in die Höhe geschnellt, diese erfordern immer raschere Anpassungen der Leitlinien. Gleichzeitig sind die therapeutischen Optionen für Menschen mit Typ-2-Diabetes vielfältiger, erste Ansätze der personalisierten Medizin mit Clusteranalysen-basierten Subgruppendefinitionen gesetzt worden und wir sind der künstlichen Bauchspeicheldrüse einige Schritte nähergekommen.

Keypoints

  • Die heterogene Pathophysiologie des Typ-1-Diabetes zukünftig besser zu verstehen könnte neue Ansätze für die Prävention der Erkrankung ermöglichen.

  • Innovationen in der Therapie des Typ-2-Diabetes liegen im Bereich der „Diabetesremission“ und der frühzeitigen pharmakologischen Prävention von pathologischer Adipositas.

  • Um Subgruppen von Menschen mit Typ-2-Diabetes zu definieren und neue Klassifikationssysteme für die personalisierte Medizin im Diabetesbereich zu entwerfen, braucht es weiterhin umfangreiche Forschungsarbeit.

  • Durch die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte könnten Vorteile von RCT-Studien mit Real-World-Settings (Endpunkte in Routinekodierungen) zusammengeführt werden.

Auch wenn wir wissen, dass der Weg von den wissenschaftlichen Arbeiten bis zur Routineversorgung weit sein kann, so sprechen die epidemiologischen Daten der letzten 25 Jahre doch eine klare Sprache, mit signifikanten Reduktionen der Mortalität und kardiovaskulärer Komplikationen bei Menschen mit Diabetes Typ 1 und Typ 2.1 Was bleibt also wissenschaftlich noch zu tun? Im Folgenden ein Ausblick auf die Zukunft aus subjektiver Perspektive bezüglich meines Schwerpunkts der klinischen Forschung in der Diabetologie.

Prävention Typ-1-Diabetes

Wie Daten aus dem DPV(Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation)-Register darlegen, steigt auch in Österreich und Deutschland die Inzidenz von Typ-1-Diabetes.2 Inwiefern Covid-19 einen weiteren negativen Effekt auf die Typ-1-Diabetesinzidenz hat, sei dahingestellt, jedenfalls ist der Wunsch groß, das Auftreten der Erkrankung zu verhindern. Zahlreiche Immuntherapien wurden bereits versucht und der Großteil davon war bisher erfolglos.3 Die bisher am erfolgversprechendsten Ergebnisse lieferte der Anti-CD3-Antikörper Teplizumab.4 Der bisher fehlende durchschlagende Erfolg der Interventionen bringt uns zur Frage der genauen Pathophysiologie bei Typ-1-Diabetes zurück oder zur Frage, ob Typ-1-Diabetes eine klare Krankheitsentität ist, wie wir sie seit Jahrzehnten diagnostizieren. Möglicherweise liegt das Problem der Präventionsansätze in der genetischen, immunologischen und metabolischen Heterogenität der Erkrankung, sodass die gewählten immunologischen Therapieansätze zu breit und zu wenig auf die vorliegenden pathophysiologischen Gegebenheiten abzielen.5 Hier bleibt sowohl in prospektiven Kohorten als auch Interventionsstudien noch viel zu tun, um einerseits die Erkrankung und deren Auslöser besser zu verstehen und andererseits potenziell krankheitsbeeinflussend einzugreifen.

Typ-2-Diabetes – was sind die Therapieziele?

Über die letzten Jahre hat sich der Fokus des Diabetesmanagements von einer primär Glukose-fokussierten Therapie hin zu einem metabolischen Management mit Fokus auf Verbesserung des kardiovaskulären/renalen Outcomes verändert, wodurch die Diabetologie bzw. die metabolische Medizin eine wesentliche Komponente im Patientenmanagement geworden ist. Mit der Publikation der ersten Daten zum GLP-1-/GIP-Dual-Rezeptoragonisten Tirzepatid und zur GLP-1-RA-/Amylinanalogon-Kombination Semaglutid/Cagrilintid, die im Mittel Gewichtsreduktionen bis knapp 20% vom Ausgangskörpergewicht erzielen, rücken zwei potenzielle neue Therapieaspekte in den Blickpunkt.6–8 Einerseits liegen diese Innovationen im Bereich der Diabetesremission, an deren Definition und Auswirkungen für das Patienten-Outcome noch gearbeitet werden muss, andererseits im Bereich der Prävention des Typ-2-Diabetes durch frühzeitige pharmakologische Beeinflussung der „adiposopathy“.9 Über die nächsten Jahre sind gerade in diesem Bereich viele neue klinische Daten zu erwarten, die sich mit der Definition derjenigen Patientengruppen beschäftigen werden, die besonders von einer Gewichtsabnahme mit diesen Substanzen profitieren, da gesundheitsökonomische Aspekte eine wesentliche Rolle bei der pharmakologischen Behandlung von Adipositas spielen werden.

Personalisierte Medizin

Seit Jahren werden Ansätze der personalisierten Medizin in der metabolischen Medizin und im kardiovaskulären Management diskutiert, allerdings stehen wir weiterhin noch am Anfang. Mit dem Vorschlag für eine Definition von Subtypen des Diabetes mellitus haben Ahlqvist et al. einen wichtigen Schritt gemacht.10 Entscheidend ist die Frage, ob wir durch spezifische Therapieinterventionen in den einzelnen Subgruppen auch ein besseres Therapieansprechen und am Ende eine verbesserte Reduktion des Komplikationsrisikos erreichen als mit den aktuellen Leitlinientherapieempfehlungen für alle Menschen mit Typ-2-Diabetes. Denn nur wenn sich eine therapeutische Konsequenz aus einer Neuklassifikation ergibt, macht es Sinn, diese in der Routineversorgung zu implementieren. Hier wartet also noch viel Forschungsarbeit, um die Idee der personalisierten Therapie voranzutreiben.

Forschungsthemen

Studiendesigns

Randomisierte, kontrollierte Studien stellen den Goldstandard in der klinischen Forschung dar, um den Einfluss einer speziellen Intervention auf vordefinierte Outcomes zu untersuchen. Diese Studien sind jedoch sehr teuer und es wird immer herausfordernder, Studienteilnehmer längerfristig (über mehrere Jahre) in den Studien zu halten. Weiters finden wir aktuell nur sehr wenige Studien, die Substanzen head-to-head miteinander vergleichen. Mit der Etablierung von elektronischen Gesundheitsakten in immer mehr Ländern wären zukünftig Untersuchungen im Rahmen der Routineversorgung denkbar, bei denen es auch zu einer Randomisierung der Intervention kommen könnte. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Studiendurchführung wäre deutlich günstiger, Endpunkte könnten im Rahmen der Routinekodierung erfasst werden, die Fallzahlen wären deutlich größer und die Untersuchungen hätten ein längeres Follow-up – so könnten die Vorteile von randomisierten, kontrollierten Studien mit dem Real-World-Setting zusammengeführt werden.11

Durch die längere Laufdauer und die Ereigniserfassungen über elektronische Gesundheitsakten würden auch Endpunkte erfasst und analysiert werden, die in klassischen kardiovaskulären Outcom-Studien momentan nur eine untergeordnete Rolle spielen (wie etwa Tumorerkrankungen). Derartige Studienansätze wären gerade für personalisierte Therapieansätze essenziell, da große Endpunktstudien sonst wohl kaum durchführbar sein werden.

Forschung in Österreich

Während der Covid-19-Pandemie ist es gelungen, seitens der Österreichischen Diabetes Gesellschaft eigene multizentrische Forschungsprojekte aufzustellen, die mitgeholfen haben, das Risiko von Menschen mit Diabetes und Covid-19 besser zu verstehen und auch zu quantifizieren.12–14 Diese Initiative sollte jedenfalls fortgeführt werden, da durch die nationale Zusammenarbeit wissenschaftliche Fragestellungen doch rascher und mit aussagekräftigeren Fallzahlen beantwortet werden können als durch monozentrische Kleinprojekte.

Die Zukunft der Forschung, nicht nur in der Diabetologie, ist nicht nur in der Interdisziplinarität, sondern jedenfalls auch in der multizentrischen Gestaltung zu suchen.

1 Rawshani A et al.: Mortality and cardiovascular disease in type 1 and type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 376: 1407-18 2 Kamrath C et al.: Frequency of autoantibody-negative type 1 diabetes in children, adolescents, and young adults during the first wave of the Covid-19 pandemic in Germany. Diabetes Care 2021; 44(7): 1540-6 3 Dayan CM et al.: Changing the landscape for type 1 diabetes: the first step to prevention. Lancet 2019; 394(10205): 1286-96 4 Herold KC et al.: An anti-cd3 antidbody, teplizumab, in relatives at risk for type 1 diabetes. N Engl J Med 2019; 381: 603-13 5 Battaglia M et al.: Introducing the endotype concept to address the challenge of disease heterogeneity in type 1 diabetes. Diabetes Care 2020; 43(1): 5-12 6 Enebo LB et al.: Safety, tolerability, pharmacokinetics, and pharmacodynamics of concomitant administration of multiple doses of cagrilintide with semaglutide 2.4 mg for weight management: a randomised, controlled, phase 1b trial. Lancet 2021; 43(1): 5-12 7 Ludvik B et al.: Once-weekly tirzepatide versus once-daily insulin degludec as add-on to metformin with or without SGLT2 inhibitors in patients with type 2 diabetes (SURPASS-3): a randomised, open-label, parallel-group, phase 3 trial. Lancet 2021; 398(10300): 583-98 8 Jastreboff AM et al.: Tirzepatide once weekly for the treatment of obesity. N Engl J Med 2022; 387: 205-16 9 Lingvay I et al.: Obesity management as a primary treatment goal for type 2 diabetes: time to reframe the conversation. Lancet 2022; 399(10322): 394-405 10 Ahlqvist E et al.: Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6(5): 361-9 11 Holman RR et al.: Cardiovascular outcome trials of glucose-lowering drugs or strategies in type 2 diabetes. Lancet 2014; 383(9933): 2008-17 12 Sourij H et al.: COVID-19 fatality prediction in people with diabetes and prediabetes using a simple score upon hospital admission. Diabetes, Obesity and Metabolism 2021; 23(2): 589-98 13 Aziz F et al.: COVID-19 in-hospital mortality in people with diabetes is driven by comorbidities and age-propensity score-matched analysis of Austrian national public health institute data. Viruses 2021; 13(12): 2401 14 Aziz F et al.: Biomarkers predictive for in-hospital mortality in patients with diabetes mellitus and prediabetes hospitalized for Covid-19 in Austria: an analysis of Covid-19 in Diabetes Registry. Viruses 2022; 14(6): 1285

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