Im Gespräch mit Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Julia Mader

Ausblick: Algorithmen & Devices – technologische Trends in der Diabetestherapie

Die technikbasierte Unterstützung von Menschen mit Diabetes mittels Pumpen, Apps und vieler weiterer Devices ist heute aus dem therapeutischen Management des Diabetes mellitus nicht mehr wegzudenken. Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Mader gab in einem kurzen Interview Ausblicke auf Innovationen und Herausforderungen, die in diesem Sektor zukünftig zu erwarten sein werden.

Frau Prof. Mader, technologische Innovationen hatten in den letzten Jahren einen substanziellen Anteil an der Verbesserung des Diabetesmanagements, vor allem bei Typ-1-Diabetes. In welchen Bereichen werden gerade die größten Fortschritte erzielt?

J. Mader: Am meisten ist im Moment bei den automatisierten Insulindosierungssystemen im Gange. Es gibt viele Systeme, die sich in Entwicklung befinden, aber auch Systeme, die ohne Pumpe arbeiten – also Pen-Therapien unterstützen. Diese sind dann vor allem für Personen geeignet, die keine Pumpe tragen möchten. In Kombination mit schnelleren Insulinen tut sich auf dem Sektor der besseren Diabeteseinstellung sehr viel. Parallel entwickelt sich die Sensorik weiter. Es gibt langlebigere und handlichere Systeme, kleinere Sensoren – und die bessere Darstellung der Daten wird auch immer wichtiger, damit Menschen mit Diabetes mellitus gut damit arbeiten können. Auch andere Arten von Systemen, im Sinne der implantierbaren Glukosesensoren, sind in Entwicklung, weil nicht jeder Mensch mit Diabetes mellitus ständig einen sichtbaren Sensor auf der Haut kleben haben möchte und so problemlos Tragepausen einhalten kann.

Was tut sich im Bereich des Typ-2-Diabetes?

J. Mader: Die neuesten Daten sprechen dafür, dass auch Menschen mit Typ-2-Diabetes von einer Sensortechnologie profitieren können, auch wenn das eventuell Sensoren ohne Alarme sein werden. Die Abbildung der Sensorsignale alleine hat gezeigt, dass es durch Glukosesensoren zu einer Änderung im Verhalten, zu einer besseren Adhärenz in der Basalinsulintherapie und zu einem veränderten Essverhalten bei Menschen mit Typ-2-Diabetes kommt und die glykämische Kontrolle verbessert wird.

Was sind die wichtigsten Trends in der Pumpentechnik?

J. Mader: Was man sieht, ist, dass die Tendenz zur Pumpentherapie zunimmt, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die nichts anderes gewohnt sind. Sie gehen ganz anders damit um als Personen, die bis dato Pens benutzt haben. Bei den Pumpen wird an kleineren Pumpen gearbeitet, zum Teil an Pumpen mit länger tragbaren Schlauchsystemen, in welchen der Katheter nicht mehr jeden dritten Tag gewechselt werden muss, sondern stattdessen nur alle 7 Tage bzw. evtl. alle 14 Tage. Weiters wird auch an Sensoren und Algorithmen gearbeitet, die erkennen, wann der Katheter zu wechseln ist, indem dadurch zum Beispiel detektiert wird, dass die Insulinwirkung nicht mehr die gleiche ist. Dadurch bekommen Anwender die Warnung, dass der Katheter jetzt gewechselt werden sollte. Zusätzlich könnte damit Material eingespart werden, wenn beispielsweise manche Katheter problemlos 7 Tage funktionieren, andere aber vielleicht schon nach drei oder vier Tagen gewechselt werden müssen.

Was sind die wichtigsten Trends in der Sensortechnik?

J. Mader:Aktuelle Trends, die relativ bald verfügbar sein werden, sind kleinere Sensoren, die vor allem die Auflagefläche der Transmitter immer kleiner werden lassen. Das ist auf jeden Fall ein großes Thema. Manche Firmen beschäftigen sich mit dem Umweltaspekt, mit dem Upcycling und dem Wiederverwerten von Geräten. Zusätzlich besteht Interesse an günstigeren Systemen. Es werden in nächster Zeit einige Studien zu innovativeren Sensoren durchgeführt, die in der Herstellung günstiger sein sollen, sodass diese Systeme auch in Ländern mit geringerem Einkommen umsetzbar sein werden.

Dann gibt es noch Sensoren, die beispielsweise mit Licht funktionieren, also nicht amperometrisch. Sie sind implantierbar und können im Körper verbleiben. Sie geben Licht an LEDs ab und bilden damit das Glukosesignal ab. Der Vorteil ist, dass keine Verbindung zur Haut besteht, und wenn man den Transmitter verliert, geht der Sensor nicht verloren. Das hat gerade im Sommer den Vorteil, dass Menschen mit Diabetes mellitus etwas mehr Flexibilität im Freibad oder mit kurzen Ärmeln haben und nicht immer den Sensor zeigen müssen, wenn sie das nicht möchten. Das ist gerade bei Jugendlichen ein Thema. Generell wird es aber seltener, dass Menschen mit Diabetes nicht zeigen wollen, dass sie Diabetes haben. Aber wenn jemand es tatsächlich nicht zeigen möchte, dann könnte dies damit vermieden werden.

Welche anderen innovativen Technologien befinden sich in Entwicklung?

J. Mader: Innovationen gehen in Richtung von „connected pens“, „connected devices“ und diversen mobilen Apps. Es gibt aber auch schon Ansätze in der Telemedizin der Augenheilkunde, dass man mit günstigen Kameras gute Retinabilder machen kann, die dann an Spezialisten verschickt werden können, die nicht vor Ort sind. Gerade in verschiedenen afrikanischen Ländern und Indien gibt es große Initiativen aufgrund der geringen Augenarztdichte. Dadurch können Retinabilder zentralisiert ausgewertet oder an Spezialisten in anderen Ländern geschickt werden.

Woran wir aktuell arbeiten, sind Drucksensoren für das diabetische Fußsyndrom. In Schuhsohlen oder auch bei Prothesen sollen dadurch Druckveränderungen erfasst werden, wodurch einerseits Sekundärprävention, aber andererseits auch Primärprävention bei gefährdeten Füßen betrieben werden kann.

Digitale Gesundheitsanwendungen, sogenannte DiGAs, werden derzeit viel diskutiert und von Krankenkassen in Deutschland zum Teil auch bezahlt. Welche Rolle könnten DiGAs in Österreich spielen?

J. Mader: Ich nehme an, dass DiGAs auch in Österreich relevant sein werden. Gerade wenn man an Algorithmen für Closed-Loop-Systeme denkt, laufen diese häufig über Mobiltelefone. Es gibt mehrere Anwendungen in der Pipeline, die nicht von Pumpen- oder Sensorherstellern kommen und möglicherweise frei verfügbar sein werden – damit meine ich frei verfügbar am Markt und in dem Sinne, dass die Applikationen mit verschiedenen Devices kombiniert werden können, aber dennoch mit Kosten für Nutzer verbunden sind. Wie dann die Erstattung der Kassen aussehen wird, ist noch relativ unklar. Wahrscheinlich werden Hersteller dann Leistungsdaten zeigen müssen – das ist zumindest in Deutschland die Anforderung dafür, dass ein digitales System gefördert wird. Von der Vorschussförderung möchte man in Deutschland wegkommen. Die Firmen müssen zumindest erste Daten liefern, bevor sie finanziert werden.

In welchen Bereichen sehen Sie Potenzial für DiGAs im Diabetesbereich?

J. Mader:Es gibt einerseits DiGAs, die Insulindosen und Glukosewerte dokumentieren können, andererseits Applikationen, die helfen, den Kohlenhydratgehalt von Mahlzeiten abzuschätzen. Die Hilfe bei der Abschätzung der Kohlenhydrate ist eine Möglichkeit der Anwendung, sofern die Algorithmen zukünftig nicht selbst so gut werden, dass der Algorithmus automatisch auf eine Mahlzeit reagiert.

Weiters gibt es Bestrebungen hinsichtlich einer App, die beim Management der Spritzstellen helfen soll, damit keine Lipohypertrophien entstehen. Zusätzlich wird sogar daran gearbeitet, Lipohypertrophien mit Fotodetektion zu erkennen. Gerade bei den Problemstellen, die es in der Insulinapplikation gibt, könnte das helfen.

Es gibt aber auch Systeme, die überlappend miteinander arbeiten, was sinnvoll ist, wenn es häufige Ortswechsel bei Menschen mit Diabetes mellitus gibt – beispielsweise zwischen dem Krankenhaus, dem eigenen Heim, der Arztpraxis oder der Ambulanz. So müssten die Daten von einzelnen Systemen nicht immer von Neuem zusammengesucht werden, sondern es könnte über ein System quasi „connected care“ betrieben werden.

Wie können die Behandler mit dem technischen Fortschritt Schritt halten und den Überblick über immer mehr und komplexere Systeme behalten?

J. Mader: Bei allen Systemen, die sich tatsächlich in der Erstattung befinden, sind wir Ärzte im regen Austausch mit den Vertretern der einzelnen Firmen, damit klar ist, was wirklich aktiv verfügbar ist. Ich denke, das ist für den Großteil der Behandler relevant. Innovationen, die vielleicht kommen könnten, interessieren Personen im Bereich der niedergelassenen Ordinationen wenig, weil sie noch nicht zur Anwendung kommen können. Aber natürlich möchten Menschen mit Diabetes mellitus öfters über Innovationen diskutieren, die sie im Internet oder auf einem Treffen gesehen haben. Doch bei dieser Fülle an verfügbaren neuen Technologien ist es hier nicht immer ganz einfach, über alle verfügbaren Informationen auf diesem Gebiet auf dem Laufenden zu sein. Technologiekongresse und Newsletter von einzelnen Gesellschaften helfen dabei, up to date zu bleiben, aber bei Innovationen, die vielleicht nur in Publikationen oder als Abstract erscheinen, ist es schwieriger für Behandler, den Überblick zu behalten. Der Austausch mit Kollegen, die selbst in der Forschung sind, hilft dabei.

Vielen Dank für das Gespräch!
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