
Adipositas und Diabetes
Bericht:
Dr. Albert Brugger
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Übergewichtigkeit und Adipositas und im Gefolge Diabetes, Herz-Kreislauf-Komplikationen und Krebserkrankungen nehmen seit Jahrzehnten weltweit dramatisch zu. Für die Weltgesundheitsorganisation ist Adipositas inzwischen das größte globale chronische Gesundheitsproblem, das die Bedeutung der Malnutrition bei Weitem übertrifft. Aufseiten der pharmakologischen und der operativen Therapien wurden vielversprechende Fortschritte erzielt. Was fehlt, ist ein Gesamtkonzept für die Eindämmung der Adipositas in allen Lebensbereichen.
Die weltweite Prävalenz der Adipositas hat sich seit den 1980er-Jahren in etwa verdoppelt. Nach der gängigen, am Body-Mass-Index (BMI) ausgerichteten Klassifikation ist heute etwa ein Drittel der Weltbevölkerung als übergewichtig (BMI 25–29,9kg/m2) oder adipös (BMI ≥30kg/m2) einzustufen. Der Trend zur zunehmenden Übergewichtigkeit gilt für Männer und Frauen in allen Altersgruppen und weitgehend unabhängig von geografischen, ethnischen und sozioökonomischen Faktoren, wenngleich die absoluten Prävalenzzahlen zwischen den verschiedenen Ländern und Bevölkerungsgruppen zum Teil erheblich variieren (Abb. 1).1
Abb. 1: Entwicklung des durchschnittlichen Body-Mass-Index (in kg/m2) zwischen 1975 und 2016 bei Männern in Österreich und anderen Staaten bzw. Weltregionen (Quelle: EASO; https://ourworldindata.org/obesity )
Weltweit lebten im Jahr 2015 mehr als 600 Millionen Erwachsene mit Adipositas.2 In den Staaten der Europäischen Union waren nach den Ergebnissen der Europäischen Gesundheitsbefragung 20143 etwas mehr als die Hälfte der Erwachsenen übergewichtig (36%) oder adipös (16%). Eindeutige geografische Trends lassen sich nicht festmachen, Österreich lag mit 14,4% der erwachsenen Bevölkerung leicht unter dem europäischen Durchschnitt.3 Insgesamt waren in Österreich rund 3,4 Millionen Erwachsene übergewichtig oder adipös.4 In Österreich ebenso wie in der gesamten Europäischen Union nimmt die Prävalenz der Adipositas mit dem Alter sukzessive zu und fällt erst in der Gruppe der über 75-Jährigen wieder ab (Abb. 2).
Abb. 2: Anteil adipöser Erwachsener in der Europäischen Union nach Altersgruppen (Europäische Gesundheitsbefragung 2014)3
Der Anteil adipöser Männer ist in einigen Ländern, darunter Österreich, etwas höher als jener der Frauen, ein gesamteuropäischer Trend lässt sich in dieser Hinsicht aber nicht ablesen. Einen klaren Zusammenhang gibt es dagegen zwischen der Adipositasprävalenz und dem Bildungsniveau.3 Nach Erhebungen der Global Burden of Disease 2015 Obesity Collaborators stehen weltweit pro Jahr rund 4 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit hohen BMI-Werten, davon 40% bei übergewichtigen, jedoch nicht adipösen Personen.2 Hauptursachen für reduzierte Lebenserwartung und verlorene gesunde Lebensjahre („disability-adjusted life years“, DALY) sind demnach kardiovaskuläre Erkrankungen, gefolgt von Diabetes, chronischen Nierenerkrankungen, Krebserkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats.2,5 Für die Entstehung und den Verlauf von Typ-2-Diabetes gilt Adipositas als Schlüsselfaktor. Adipositas geht der Manifestation von Typ-2-Diabetes häufig voran und gilt als wahrscheinlich wichtigster Faktor für den weltweiten Anstieg der Typ-2-Diabetes-Prävalenz (Abb. 3).6,7
Abb. 3: Schätzungen in Prozent auf County-Ebene (Bezirks-Ebene): Die Kategorisierung in „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ erfolgte anhand natürlicher Stufen auf Basis der Daten aus dem Jahr 2016. Diagnostizierter Diabetes (%): niedrig (<9,0), mittel (9,0–13,9), hoch (>13,9). Adipositas (%): niedrig (<29,1), mittel (29,1–36,0), hoch (>36,0)
Messgrößen der Adipositas
Im Hinblick auf das metabolische und das kardiovaskuläre Risiko ist insbesondere die Akkumulation von viszeralem Fett von Bedeutung. Der BMI ist für die Quantifizierung der intraabdominalen Fettmenge nur bedingt geeignet: Eine viszerale Adipositas liegt bei einem BMI ≥ 30 kg/m2 fast immer, bedingt durch eine ungünstige Relation von Fett- und Muskelgewebe aber auch bei einem Drittel der gemäß BMI-Wert normalgewichtigen Personen vor.7 Besser als der BMI korreliert der Bauchumfang („waist circumference“) mit der intraabdominalen Fettmenge. Für Europäer gelten Werte von mehr als 94cm bei Männern bzw. 80cm bei nicht schwangeren Frauen als Hinweis auf einen erhöhten viszeralen Fettanteil, der ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko im Rahmen des metabolischen Syndroms wahrscheinlich macht; ab 102cm (Männer) bzw. 88cm (Frauen) hat der Bauchumfang durch das Ausmaß der viszeralen Fettmenge selbst Krankheitswert.8 Weitere Informationen über die viszerale Fettakkumulation und weitere Parameter der Körperzusammensetzung liefern das Verhältnis zwischen Bauch- und Hüftumfang („waist-to-hip ratio“) und gerätediagnostische Verfahren wie Magnetresonanztomografie, Dual Energy X-ray Absorptiometry (DEXA) oder bioelektrische Impedanzanalyse.5, 7
Multifaktorielle therapeutische Ansätze
Direkte Ursache für das Entstehen von Übergewicht ist ein langfristiges Ungleichgewicht zwischen dem physiologischen Energiebedarf aus Grundumsatz und physischer Arbeit und der Energiezufuhr über die Nahrungsaufnahme. Adipositas entsteht in einem komplexen Zusammenspiel von (epi)genetischen, verhaltensbiologischen, hormonellen, psychologischen, soziokulturellen und ökonomischen Faktoren. Der rasante Anstieg der Adipositasprävalenz in den vergangenen Jahrzehnten wird wesentlich auf veränderte ökonomische Bedingungen und Lebensweisen (breite Verfügbarkeit vorgefertigter, energiedichter Nahrungsmittel, Rückgang schwerer körperlicher Arbeit, sedentäre Lebensweise, Stress) zurückgeführt.5,7
Die European Association for the Study of Obesity (EASO)5 propagiert in ihren Leitlinien für Adipositasmanagement bei Erwachsenen ein multifaktorielles Vorgehen, das diätetische Beratung, Anleitung zu körperlicher Aktivität, kognitive Verhaltenstherapie, psychologischen und sozialarbeiterischen Support und unterstützende medizinische Therapien (pharmakologisch, operativ) umfasst. Ziel ist es, das Körpergewicht nachhaltig zu reduzieren oder zumindest zu stabilisieren. Primäre Richtgröße ist das Körpergewicht, jedoch ist die Gewichtskontrolle kein Selbstzweck, sondern dient neben der Verbesserung der Lebensqualität und des Selbstwertgefühls vor allem als Maßnahme zur Vermeidung bzw. positiven Beeinflussung von Begleit- und Folgeerkrankungen wie Dyslipidämie, Hypertonie, Diabetes, Gicht, Depressionen oder Krebs. Die Therapieziele sind grundsätzlich individualisiert zu setzen, sie sollten realistisch und auf Nachhaltigkeit ausgelegt sein.5 Klinisch relevante Gesundheitseffekte sind ab einer Gewichtsabnahme von 5–10% des Ausgangsgewichts dokumentiert.9
Gewichtsmanagement bei Personen mit Diabetes
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) widmet dem Adipositasmanagement in ihren Praxisleitlinien (2019) ein eigenes Kapitel: Die Gewichtsreduktion wird darin als eine wichtige therapeutische Maßnahme in der Diabetesprävention bezeichnet. Des Weiteren sind gewichtsreduzierende Maßnahmen geeignet, die Lebenserwartung von Personen mit manifestem Typ-2-Diabetes zu steigern.7 Bei der antidiabetischen Behandlung sollen Medikamente, die gewichtsneutral sind oder die Gewichtsabnahme fördern (Metformin, DPP-4-Inhibitoren, SGLT2-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptor-Agonisten), nach Möglichkeit bevorzugt werden. Gewichtssteigernde Effekte von Begleittherapien, darunter diverse Psychopharmaka, Steroidhormone oder Betablocker, sind bei der Therapieplanung zu berücksichtigen.
Medikamentöse Adipositas-therapien bei Diabetes
Bislang sind von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zwei spezifische Therapien – der GLP-1-Rezeptor-Agonist Liraglutid 3,0mg (Saxenda®) und die Fixkombination aus Naltrexon und Bupropion (Mysimba®) – zugelassen und in Österreich erhältlich.10,11 Beide können, zusätzlich zu Lebensstilmaßnahmen, bei Erwachsenen mit einem BMI ≥30kg/m2 oder aber mit einem BMI ≥27kg/m2 und Typ-2-Diabetes bzw. einer anderen Komorbidität eingesetzt werden. Laut ÖGD-Leitlinien ergibt sich daraus die Möglichkeit, übergewichtige bzw. adipöse Personen mit Typ-2-Diabetes nicht nur hinsichtlich ihrer Gewichtsreduktion zu unterstützen und damit auch die die HbA1c-Einstellung und weitere metabolische Parameter (Blutdruck, Lipide) zu verbessern.7 Von neuen medikamentösen Therapien sind noch deutlich stärkere Gewichtsreduktionen und metabolische Effekte zu erwarten.
Inwieweit diese Therapien die kardiovaskuläre Prognose positiv beeinflussen, ist noch nicht eindeutig zu belegen.12 Die in der LEADER-Studie mit Liraglutid 1,8mg erzielten Ergebnisse wurden in die Fachinformation von Liraglutid 3,0mg10 übernommen. Ergebnisse dezidierter Outcome-Studien, unter anderem mit Semaglutid 2,4mg/Woche (SELECT; NCT03574597) oder dem dualen GLP-1-GIP-Rezeptor-Agonisten Tirzepatid (SURPASS-CVOT; NCT04255433), werden in zwei bis drei Jahren erwartet.
Bariatrische Chirurgie
Bariatrische Operationen sind mit einer Reduktion des Ausgangsgewichtes um 15–40%13 zurzeit die effektivste Option für eine langfristig effektive Adipositastherapie mit günstigen Effekten auf Adipositas-assoziierte Komorbiditäten, darunter Diabetes, und Gesamtmortalität. Derzeit ist die Indikation für bariatrische Operationen bei Personen mit Typ-2-Diabetes bei einem BMI >35kg/m2 gegeben.7 Eine postoperative Nachsorge, unter anderem, um die Supplementation von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und Proteinen sicherzustellen, ist dringend erforderlich.
Literatur:
1 Chooi YC et al.: Metabolism 2019; 92: 6-10 2 GBD 2015 Obesity Collaborators: N Engl J Med 2017; 377: 13-27 3 Eurostat-Pressemitteilung 203/2016 ; https://ec.europa.eu/eurostat 4 Statistik Austria, Bundesministerium für Gesundheit: Österreichische Gesundheitsbefragung 2014 5 Yumuk V et al.: Obes Facts 2015; 8: 402-24 6 Mokhdad AH et al.: JAMA 2003; 289: 76-9 7 Toplak H et al.: Wien Klin Wochenschr 2019; 131(Suppl 1): S71-6 8 Alberti KG et al.: Lancet 2005; 366: 1059-62 9 Garvey WT et al.: Endocr Pract 2016; 22(Suppl 3): 1-203 10 Saxenda EPAR – product information 9/2020 11 Mysimba EPAR – product information 11/2020 12 Wilding JPH, Jacob S: Obes Rev 2021; 22: e13112 13 Sjöström L et al.: N Engl J Med 2004; 351: 2683-93