
©
Getty Images
STI – was Sie schon immer darüber wissen wollten
Jatros
30
Min. Lesezeit
24.05.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">assische sexuell übertragbare Krankheiten sind seit den letzten Jahren im Zunehmen. Auch das Lymphogranuloma venereum, das lange Zeit aus dem klinischen Alltag verschwunden war, wird heute wieder deutlich häufiger diagnostiziert, insbesondere in der Gruppe der MSM („men who have sex with men“). Wir sprachen mit Dr. Claudia Heller-Vitouch über die Gründe. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p> <strong><em>Frau Dr. Heller-Vitouch, wo sind die meisten Patienten mit „sexually transmitted infections“ (STI) in Behandlung – beim Gynäkologen, Urologen, Dermatologen oder beim Hausarzt? <br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> Die Fachärzte für Dermatologie und Venerologie haben die Geschlechtskrankheiten im Fachnamen verankert und haben gemäß ihrer Ausbildung größte Expertise sowohl für die klassischen Geschlechtskrankheiten als auch für „sexually transmitted infections“. Dementsprechend suchen viele Patienten mit diesen Fragestellungen ihre Hautärztin oder ihren Hautarzt auf oder werden von Kollegen anderer Fächer überwiesen. Selbstverständlich muss man hier aber fächerübergreifend denken. Bestimmte Fragen werden vielleicht lieber zuerst mit einer vertrauten Person wie dem Hausarzt besprochen, andere Probleme gleich bei der jährlichen gynäkologischen oder urologischen Routinekontrolle vorgebracht.</p> <p><strong><em>Wie hoch ist die Dunkelziffer der Patienten, die aus Scham keinen Arzt konsultieren, sondern sich selbst behandeln? <br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> Hier gibt es keine konkreten Daten. Im Zeitalter von Dr. Google darf man davon ausgehen, dass vor einem Arztbesuch häufig versucht wird, selbst zu recherchieren. Mitunter entstehen dabei aber auch unnötige Ängste und sogar regelrechte Phobien, die man nur mit Mühe ausräumen kann.</p> <p><em><strong>Bei welchen klassischen STI sehen Sie eine Zunahme, wo eine Abnahme?<br /><br /> C. Heller-Vitouch:</strong></em> Weltweit haben in den letzten Jahren die klassischen Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhö und Syphilis deutlich zugenommen. Auch das Lymphogranuloma venereum, das lange komplett aus dem klinischen Alltag verschwunden war, kann wieder deutlich häufiger diagnostiziert werden, vor allem in der Gruppe der „men who have sex with men“. Das Ulcus molle stellt in unseren Breiten eine Seltenheit dar.</p> <p><strong><em>Durch SexarbeiterInnen aus dem Ausland wie ehemaligen Ostblockländern ist die Inzidenz von Gonorrhö und Syphilis wieder gestiegen. Gibt es konkrete Zahlen?<br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> SexarbeiterInnen sind nicht der einzige Grund für eine Zunahme der Inzidenz der klassischen Geschlechtskrankheiten. Vor allem die nachlassende Sorge hinsichtlich einer Ansteckung mit HIV, das als nicht mehr tödliche Infektion wahrgenommen wird, führt leider dazu, dass auf „safer sex“ verzichtet wird. <br />Für Österreich besteht gemäß Geschlechtskrankheitengesetz eine Meldeempfehlung für die klassischen Geschlechtskrankheiten. Leider veröffentlicht das Bundesministerium seit einigen Jahren keine konkreten Zahlen mehr, sodass wir auf Daten aus anderen Ländern angewiesen sind. Das Robert-Koch-Institut (RKI) konnte in Deutschland eine Zunahme der Syphilisfälle von 3172 (2008) auf 7178 Fälle (2016) verzeichnen, also eine Steigerung von 126 % . Die CDC (Centers for Disease Control) erhoben eine Verdoppelung der Syphilisfälle im selben Zeitraum in den USA. Mit der Zunahme der Fallzahlen geht immer auch eine Zunahme der Fälle von konnataler Syphilis einher. Eine Tatsache, der nur durch ein funktionierendes Schwangerschaftsvorsorgesystem mit einem Screening auf Syphilis begegnet werden kann.<br />Für Gonorrhö verzeichnen die CDC 2016 einen Anstieg der Fälle um 18,5 % verglichen mit dem Vorjahr. Hier ist es vor allem die zunehmende Resistenzproblematik, die international Sorge bereitet.</p> <p><strong><em>Raten Sie einem jungen Patienten, der sich mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV) frisch infiziert hat, dazu, seine Sexualpartner darüber zu informieren? <br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> Das ist eine schwierige und auf STI-Kongressen häufig diskutierte Frage, die man nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten kann. Einerseits geht von einer mit dem Herpes-simplex-Virus infizierten Person auch dann Ansteckungsgefahr aus, wenn sie gerade keine akuten Symptome hat. Dieses sogenannte asymptomatische „viral shedding“ tritt im Durchschnitt an etwa 20 % der Tage auf, in den ersten drei Monaten nach der ersten Episode eines Herpes genitalis sogar öfter. Ein potenzieller Sexualpartner würde wahrscheinlich über diese Tatsache informiert werden wollen.<br /> Andererseits sollten der insgesamt relativ geringe Krankheitswert und die hohe Prävalenz (10–30 % ) in der Bevölkerung nicht unerwähnt bleiben. Die Ansteckung kann auch in einer jahrelangen monogamen Partnerschaft durch einen asymptomatischen Partner erfolgen. Die Verwendung von Kondomen sollte jedenfalls zum eigenen Schutz und zum Schutz des Partners selbstverständlich sein.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1802_Weblinks_s14.jpg" alt="" width="250" /></p> <p><em><strong>Empfehlen Sie einen „Eradizierungsversuch“ mit Valaciclovir, beispielsweise über sechs Monate?<br /><br /> C. Heller-Vitouch:</strong></em> HSV kann nicht eradiziert werden. Nach einmal erfolgter Infektion verbleibt das Virus latent im lokalen sensorischen Ganglion. Reaktivierung führt zu symptomatischen Rezidiven oder zu asymptomatischer Virusausscheidung. Eine Langzeittherapie mit einem oralen Virustatikum erfolgt zur Suppression der Rezidive. Inzwischen liegen Sicherheits- und Resistenzdaten für einen Beobachtungszeitraum von etwa 18 Jahren vor. Dabei konnten keine Organschäden durch Langzeitbehandlung beobachtet werden. Die Entscheidung für eine Suppressionstherapie muss unter Abwägung der Häufigkeit der Rezidive, des individuellen Leidensdrucks, des Übertragungsrisikos und der Therapiekosten getroffen werden. Die asymptomatische Virusausscheidung wird unter einer Suppressionstherapie reduziert, die Gefahr der Ansteckung eines serodiskordanten Partners um etwa 50 % gesenkt.</p> <p><strong><em>Was halten Sie davon, dass sich junge sexuell aktive Frauen gegen HPV impfen lassen?</em></strong></p> <p><em><strong>C. Heller-Vitouch:</strong></em> Der beste Zeitpunkt für eine HPV-Impfung ist vor dem sexuellen Debüt. Studien zeigen, dass sehr rasch nach Sexualkontakt mit dem ersten Partner eine HPV-Infektion erfolgen kann. Das Risiko ist dabei abhängig vom Alter des Partners sowie von der Anzahl seiner vorherigen Sexualpartnerinnen. <br /> Auch bereits sexuell aktive Frauen können von der HPV-Impfung profitieren. Es ist besonders wichtig, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, auch nach einer HPV-Impfung das regelmäßige Screening bezüglich Zervixkarzinom beizubehalten.</p> <p><strong><em>Bei Kindern wird ja nun in Österreich als einem der Schlusslichter die HPV-Impfung erstattet. Worin sehen Sie das Pro und das Contra bei dieser Impfung? <br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> Österreich war tatsächlich eines der letzten Länder, die die HPV-Impfung gratis zur Verfügung stellten. Jedoch haben wir uns seit 2014 diesbezüglich vom Schlusslicht zum international viel beachteten Klassenbesten entwickelt, denn in Österreich wird nunmehr der nonavalente HPV-Impfstoff Mädchen und Buben gratis angeboten.<br />Die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffes wurden in zahlreichen Studien nachgewiesen. Nach Millionen weltweit verimpfter Dosen konnten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen registriert werden. <br /> Bezieht man in die Kosten-Nutzen-Rechnung neben den verhinderten Zervixkarzinom-Todesfällen auch die vermeidbaren Konisationen mit allen Komplikationen und Spätfolgen wie etwa der Frühgeburtlichkeit in folgenden Schwangerschaften ein, ergibt sich ein klarer Vorteil zugunsten der Impfung.</p> <p><strong><em>Gibt es für Patienten mit rezidivierenden genitalen Mykosen einen besonderen Tipp? Existiert so etwas wie eine Pilzpersönlichkeit?<br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> Leider gibt es kein Allheilmittel gegen rezidivierende Mykosen. Die Ursache für die immer wiederkehrende Pilzinfektion ist nicht genau bekannt. Verschiedene Virulenzfaktoren der Erreger, jedoch auch Hostfaktoren wie prädisponierende Erkrankungen, hormonelle Faktoren, eine genetische Prädisposition mit Reduktion des Mannose-bindenden Lektins und auch psychische Einflüsse werden in Betracht gezogen. Ein erhöhter Stresslevel konnte bei Personen mit rezidivierender genitaler Candidose objektiviert werden. Ob dieser jedoch ursächlich beteiligt oder doch eher Folge der sehr belastenden Erkrankung ist, konnte bisher nicht restlos geklärt werden.</p> <p><em><strong>Was gibt es Neues auf dem Sektor der STI?<br /><br /> C. Heller-Vitouch:</strong></em> Mycoplasma genitalium wurde erstmals 1980 in Urethralabstrichen von zwei Patienten mit „non-gonococcal urethritis“ (NGU) mittels Elektronenmikroskopie nachgewiesen. Größere Prävalenzstudien sind erst seit Entwicklung eines PCR-Nachweises möglich. Bei Frauen kann Mycoplasma genitalium eine Zervizitis und PID („pelvic inflammatory disease“) verursachen, ein Zusammenhang mit Infertilität erscheint wahrscheinlich.<br /> Die Therapie gestaltet sich teilweise schwierig. Azithromycin gilt als Mittel der ersten Wahl, Resistenzen sind jedoch häufig.</p> <p><strong><em>Und wie lautet Ihre persönliche Botschaft?<br /><br /> C. Heller-Vitouch:</em></strong> Bedenken Sie immer, Sie teilen das Bett nicht nur mit Ihrem Partner, sondern mit allen dessen früheren Sexualpartnern. Kondome schützen. Jedoch alles hat ein Ende, auch ein Kondom.</p> <p><br />Danke für das Gespräch!</p> <p><br />Das Interview führte Dr. Christine Dominkus</p></p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Behandlungspfad „Atopische Dermatitis“
Das Netzwerk onkoderm hat seine Empfehlungen für die ambulante Versorgung von Patienten mit atopischer Dermatitis aktualisiert: Der onkoderm-Behandlungspfad 2025 sowie weitere Tools ...
Perianale Dermatosen
Perianale Dermatosen sind ein klinisch vielgestaltiges und herausforderndes Krankheitsbild, das sowohl dermatologische als auch proktologische Kompetenzen erfordert. Dieser Überblick ...
Neurosyphilis – State of the Art
Nicht nur aufgrund der steigenden Syphiliszahlen in Europa bleibt die Neurosyphilis eine wichtige Differenzialdiagnose bei neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern. ...