
Stand der pädiatrischen Dermatologie in Europa 2021
Autorin:
Prim. i. R. Univ.-Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer
Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten
Präsidentin der Gesellschaft der Ärzte in Wien
Vizepräsidentin der Karl Landsteiner Gesellschaft
Leiterin des Karl Landsteiner Instituts für Pädiatrische Dermatologie
E-Mail: office@volc-platzer.at
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Es sollte ein Highlight der internationalen pädiatrischen Dermatologie in Wien werden, vom 11. bis 13. Juni 2020, im Kongresszentrum der Wiener Hofburg. Doch dann kam die Corona-Pandemie. Das „20th Annual Meeting der European Society of Pediatric Dermatology (ESPD)“ musste wie so viele Kongresse um ein Jahr verschoben und in ein digitales Format transformiert werden, welches schließlich vom 12. bis 14. Mai 2021 online abgehalten wurde.
Geblieben ist ein exzellentes Programm, welches ich gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Komitee der ESPD unter der Leitung von Talia Kakourou, Athen, und den Past Presidents Antonio Torrelo, Madrid, und Regina Fölster-Holst, Kiel, bereits für 2020 konzipieren durfte. Den aktuellen Entwicklungen Rechnung tragend, lag ein Schwerpunkt auf der Diagnose und Therapie von Genodermatosen, zumeist (sehr) seltenen Erkrankungen, die aber aufgrund ihres Modellcharakters für viele pathophysiologische Prozesse und für die Entwicklung gezielter Therapieansätze sehr wichtig sind. Trotzdem wurde auf eine Ausgewogenheit mit den praktischen und alltäglichen Problemen in der Kinderdermatologie geachtet, mit klinischen Vorträgen über neonatale Dermatologie, chronisch-entzündliche Dermatosen wie atopische Dermatitis, Netherton-Syndrom, aber auch Psoriasis, Autoimmun- und autoinflammatorische Erkrankungen, Vaskulitiden, Akne, infektiöse Erkrankungen, mukokutane Veränderungen bei Kindern, Mastozytose, vaskuläre Malformationen, Erkrankungen von Haaren und Nägeln und zum Stellenwert der Histopathologie in dem Spezialgebiet der pädiatrischen Dermatologie. Passend zu den einzelnen Parallelsitzungen wurden klinische Fallberichte ausgewählt, um die Themen noch anschaulicher zu gestalten. Sieben Plenarvorträge wurden „Highlights“ der pädiatrischen Dermatologie gewidmet.
Rasante Entwicklungen bei Harlequin-Ichthyose und Epidermolysis bullosa
In den ersten beiden Plenarvorträgen wurden die rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet zweier seltener, aber wichtiger Genodermatosen, der Harlequin-Ichthyose (HI) und der Epidermolysis bullosa (EB), besprochen.
Edel O’Toole (Newcastle upon Tyne, UK) sprach in der „ESPD-ESDR Joint Lecture“ über neue pathogenetische Erkenntnisse bei der HI. Die HI wird durch Mutationen im ABCA12-Gen, das ein Transporterprotein des Lipidmetabolismus der Haut codiert, verursacht. Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass die topische Anwendung von Aminosalicylderivaten wie z.B. 5ASA (bekannt als Mesalazin zur Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen) die Differenzierung und Schutzfunktion der Hautbarriere deutlich verbessert. Neben der „etablierten“ Therapie mit Acitretin 1mg/kg KG tgl. werden heute Biologika gegen Interleukin(IL)-23 und IL-36R eingesetzt, um die T(h)17-getriebene Entzündung zu stoppen. JAK-Inhibitoren und gentherapeutische Ansätze befinden sich im experimentellen Stadium.
Lena Bruckner-Tuderman (Freiburg, Deutschland) spannte in der „Urs Schnyder Lecture“ den Bogen über die Meilensteine der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Epidermolysis bullosa und deren Anwendung auf das klinische Management der Patienten, von der „Schnyder Aera bis heute“. Lena Bruckner-Tuderman, anfangs selbst Schülerin von Urs Schnyder in Zürich, leitet heute die Klinik für Dermatologie und Venerologie in Freiburg und hat dort das „Kompetenzzentrum für fragile Haut und Epidermolysis bullosa“ eingerichtet, welches Patienten mit blasenbildenden Erkrankungen, Wundheilungsstörungen und anderen Zuständen mit fragiler Haut eine umfassende Betreuung auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse bietet.
Gefahren und Fallstricke der pädiatrischen Dermatologie
Peter Höger (Hamburg, Deutschland) hielt die „Arnold Oranje Lecture“ mit dem Titel „Paediatric Dermatology – Perils and Pitfalls“. In seinem Vortrag betonte er einmal mehr den unterschiedlichen Verlauf von Hautkrankheiten bei Kindern und Erwachsenen und damit den Unterschied im Management. Beispiele dafür sind das juvenile Xanthogranulom (JXG) oder die kutane Mastozytose, die sich bei Kindern spontan zurückbilden. Oder auch die infantilen Hämangiome (IH), bei denen in 80–85% der Fälle eine „Wait and see“-Strategie wegen der hohen spontanen Regressionsrate ausreichend ist. „To do as much nothing as possible“ war auch der Leitspruch des britischen Kinderdermatologen John I. Harper, der international mit seinem Lehrbuch „Harper’s Pediatric Dermatology“ bekannt wurde und dessen erste Ausgabe Harper 1980 gemeinsam mit Neil Prose und Arnold Oranje, einem weiteren Pionier der pädiatrischen Dermatologie aus Rotterdam und Namensgeber der Plenarvorlesung, verfasste. Der Name John Harper ist untrennbar mit dem Great Ormond Street Hospital (GOSH) in London verbunden, wo er die pädiatrische Dermatologie zu einer weltbekannten Subspezialität der Dermatologie entwickelte, mit den Schwerpunkten atopische Dermatitis, Ichthyosen, Sklerodermie, vaskulären Anomalien und kongenitalen Naevi, Gentherapie für schwere Genodermatosen wie das Netherton-Syndrom. Sowohl er als auch Arnold Oranje waren in diversen Fachgesellschaften tätig, begründeten die ESPD mit und investierten viel Zeit und Energie in den Aufbau von Patienten-Selbsthilfegruppen, für eine Reihe von Hautkrankheiten bei Kindern. Tragischerweise verband die beiden zuletzt der unerwartete und plötzliche Tod, der sie aus einem noch sehr aktiven Berufsleben riss. John Harper verstarb am 5. April 2021, kurz bevor er den ersten „ESPD Masters Award“ für seine lebenslangen Leistungen in der pädiatrischen Dermatologie in Empfang nehmen hätte sollen. Peter Höger, als einer der international bekanntesten Schüler von John Harper, hielt den Nachruf.
Arzneimittelreaktionen bei Kindern
36% aller Arzneimittelreaktionen manifestieren sich bei Kindern an der Haut. Die meisten verlaufen harmlos und klingen spontan wieder ab. Ein kleinerer Teil jedoch ist mit signifikanter Morbidität und manchmal auch Mortalität verbunden. Michelle Ramien (Toronto, Kanada) sprach in der vierten Plenarvorlesung über die Probleme bei der Diagnostik von „EEM – SJS – TEN in children“, da sowohl diagnostische Kriterien als auch Therapieempfehlungen überwiegend von erwachsenen Patienten stammen.
Die Probleme dabei:
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Im Unterschied zu Erwachsenen haben Kinder häufig Infekte; kleinere Kinder bis zu 10, ältere Kinder bis zu 5 Virusinfektionen pro Jahr. Vor allem EBV-, Adenovirus- und Enterovirusinfektionen verursachen Exantheme, die leicht mit kutanen Arzneimittelreaktionen verwechselt werden können.
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Die Trigger für kutane Reaktionen wie das SJS sind bei Erwachsenen und Kindern unterschiedlich. Bei Erwachsenen sind die Hauptauslöser Medikamente, bei Kindern eben überwiegend Infektionen.
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Kausalitätstools wie „ALDEN“ (ALgorithm of Drug causality for Epidermal Necrolysis) wurden für Erwachsene und nicht primär für Kinder entwickelt.
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Standards für Therapieempfehlungen für Kinder fehlen weitgehend, da schwere kutane Unverträglichkeitsreaktionen bei Kindern weitaus seltener auftreten.
Besonders schwierig sind die Fälle, bei denen überwiegend die Schleimhaut involviert ist. Durch die Beobachtungen von Canavan et al. (2014) konnte unter dem Akronym MIRM („Mycoplasma pneumoniae-Induced Rash and Mucositis“) eine Entität ähnlich dem Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) charakterisiert werden, aber mit einem deutlich überwiegenden Schleimhautbefall im Gegensatz zu Manifestationen an der Haut, im Gefolge einer Infektion mit M.pneumoniae. M. Ramien ist federführend an einer neuen Klassifikation für pädiatrische kutane Unverträglichkeitsreaktionen beteiligt. Mit der Einführung der Begriffe DEN („Drug-induced Epidermal Necrolysis“) für SJS und TEN und RIME („Reactive Infectious Mucocutaneous Eruption“) für infektassoziierte Unverträglichkeitsreaktionen an der Haut werden Letztere als eigene Entität berücksichtigt.
Lineare Porokeratose als Beispiel für Mosaizismus der Haut
Christina Has (Freiburg, Deutschland) hielt die „Rudolf Happle Lecture“ über „Mosaicism in human skin: from bedside to bench and back“. Am Beispiel der linearen Porokeratose (LPK) zeigte sie, wie es durch eine Kombination von einer Keimbahnmutation, die in allen Körperzellen auftritt, mit einer „Second hit“-Mutation nur in Keratinozyten zum segmentalen Typ-2-Mosaizismus kommt. Die Mutationen betreffen unterschiedliche Gene des Mevalonat-Pathways oder des Connexin 26, zuständig für die Kalziumregulation in Keratinozyten. Zwei Varianten der linearen PK lassen sich unterscheiden, eine verrukös-inflammatorische mit PVK- und MVK-Genmutationen und eine nicht inflammatorische, oberflächlich lokalisierte Variante mit Mutationen im MVD-Gen. Am Beispiel der LPK lässt sich auch die praktische Bedeutung molekulargenetischer Untersuchungen zur Differenzierung vom inflammatorischen lineären verrukösen epidermalen Naevus (ILVEN) einerseits und andererseits für die Korrelation von Phänotyp und Genotyp illustrieren.
Neue Therapieansätze und Forschungsergebnisse
Den umfassendesten Plenarvortrag (Marcel Jonkman Lecture) hielt John McGrath, London. Unter dem Titel „On being original“ erinnerte er an die Hauptinteressen des Namensgebers der sechsten Plenarvorlesung: seltene Genodermatosen und häufige Dermatosen bei Kindern. Neben zahlreichen Beispielen für die Entwicklung von Therapieansätzen basierend auf den neuesten Forschungsergebnissen für Krankheitsmechanismen zeigte auch McGrath, wie die Anwendung molekularer Methoden nicht nur die Diagnosestellung erleichtern kann, sondern auch zur Beschreibung neuer Krankheitsbilder führt. Beispielsweise bei einem Säugling mit kongenitaler Poikilodermie, für die es viele Differenzialdiagnosen gibt. Mittels „whole exome sequencing“ wurde eine neue, heterozygote Mutation des FAM111B-Gens identifiziert und damit die Diagnose einer hereditären fibrosierenden Poikilodermie mit Kontrakturen, Myopathie und Lungenfibrose gestellt. Oder bei einer zunächst unklaren progressiven Hyperpigmentierung konnte eine Mutation im ABCD4-Gen identifiziert werden, die für eine angeborene Störung des Cobalamin-Metabolismus verantwortlich ist.
Als Beispiele für Pathomechanismus-basierte Therapien führte McGrath unter anderem den Einsatz des MEK-Inhibitors Trametinib bei arteriovenösen Malformationen, bei denen eine Mutation im MAP2- Kinase-1-Gen nachgewiesen wurde, an, weiters das Olmsted-Syndrom, für das lange Zeit nur Retinoide zur Verfügung standen, aber durch den Nachweis von Gain-of-Function-Mutationen im TRPV3-Gen, welche zu einer Transaktivierung des EGFR führen, heute EGFR-Inhibitoren gezielt eingesetzt werden. Schließlich werden zunehmend Genodermatosen mit Biologika behandelt: Ustekinumab für Netherton-Syndrom, SAM(„Severe dermatitis, multiple Allergies, Metabolic wasting“)- Syndrom und Pityriasis rubra pilaris, Dupilumab bei Netherton und dystropher EB („EB pruriginosa“), Secukinumab bei Netherton-Syndrom, anderen autosomal-rezessiven Ichthyosen und bei generalisierter und palmoplantarer Pustulose.
Österreicherin erhält Preis für Publikation
Im abschließenden Plenarvortrag ließ Antonio Torello aus Madrid, Past President und Herausgeber des Journals „Pediatric Dermatology“, in „The year in review“ die wichtigsten Publikationen Revue passieren.
Zu meiner großen Freude hatten wir nicht nur mit 203 zahlreiche Abstrakteinreichungen, sondern mit 26 über 10% alleine aus Österreich! Einen der beiden Preise für die besten Vorträge erhielt Christine Prodinger für den Bericht über 6 Kinder mit dem sehr seltenen laryngo-onycho-kutanen Syndrom, einer Variante der junktionalen EB. Der andere Preis ging an Joanna Olk aus Würzburg, gemeinsam mit Henning Hamm und Judith Fischer, für ihren Vortrag über die Diagnostik des ebenfalls sehr seltenen Huriez-Syndroms.
Für die zwei Posterpreise wurden Corinne Brunner aus Zürich mit „Production of educational videos with the method of storytelling for parents of children with atopic dermatitis (AD)“ und Alexia Maillard, Paris, mit „P63-related disorders: dermatological characteristics in 22 patients“ ausgewählt.
Wer am Schluss der Tagung noch nicht wusste, was die Europäische Gesellschaft für pädiatrische Dermatologie anzubieten hat und warum sich eine Mitgliedschaft auszahlt, sollte sich nochmals die umfassende Leistungsschau, präsentiert von Veronica Kinsler, London, der amtierenden Präsidentin der ESPD, unter dem Titel: „What the ESPD can do for you!“ ansehen. Mitglieder der ESPD können monatlich auf der Scientific Website State-of-the-Art- Vorlesungen zu ausgewählten Themen verfolgen und in der laufend aktualisierten „Lecture Database“ Zusammenfassungen der neuesten Publikationen nachlesen. Auch ein Trainingsprogramm für pädiatrische Dermatologie wird angeboten ( www.espd.info ).
Die österreichische pädiatrische Dermatologie hat heuer zum Erfolg des 20th Annual Meeting of the ESPD einen entscheidenden Beitrag geleistet, mit vielen interessanten Fallberichten. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass auch die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Dermatologie ( www.agpd.at ) Förderungen vor allem für junge Ärzte anbietet, die sich mit diesem Spezialgebiet beschäftigen wollen. Last, but not least daher auch die Einladung zum 12. Kinder-Haut-Tag, der am 22. Oktober 2021, wieder im Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien, mit einem spannenden Programm aufwarten wird ( www.kinder-haut-tag.at ).
Literatur:
bei der Verfasserin
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