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Spannende Mundschleimhauterkrankungen interdisziplinär
Jatros
30
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23.11.2017
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<p class="article-intro">Eine fachübergreifende, mit rund 150 Ärzten aus Dermatologie, Zahnheilkunde und HNO erstaunlich gut besuchte abendliche Fortbildungsveranstaltung zum Thema Erkrankungen der Mundschleimhaut am 18. Oktober 2017 bei den Elisabethinen in Linz gab interessante Einblicke in dieses spannende immunologische Organ.</p>
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<p class="article-content"><p>Fortbildungen habe ich schon in Innsbruck gerne organisiert“, erzählte Univ.-Prof. Dr. Norbert Sepp. „Ich widme mich dieser Vorliebe nun auch hier in Linz in dreimonatigen Abständen, und die Besucherzahl bestätigt uns.“ Mit über 300m<sup>2</sup> Gesamtoberfläche ist die Schleimhaut ein wichtiges Organ des Menschen, das permanent Umwelteinflüssen ausgesetzt ist. Vor allem die Mund- und Rachenschleimhaut ist pausenlos mit potenziell pathogenen Erregern und verschiedenen Noxen konfrontiert. Dementsprechend vielfältig können sich die Krankheitsbilder im oberen Aerodigestivtrakt darstellen, erklärte Prof. Dr. Martin Burian, Leiter des HNO-, Kopf- und Halszentrums am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, der mit Prof. Sepp zur gemeinsamen Fortbildung geladen hatte. Jeweils ein Mitarbeiter aus beiden Abteilungen, OA Dr. Michael Reisinger für die HNO-Abteilung und OÄ Dr. Barbara Ernst für die Dermatologie, beleuchtete gemeinsam mit den Vorständen die Pathologien der Mundschleimhaut.</p> <h2>Epiglottitis kommt wieder</h2> <p>Reisinger machte darauf aufmerksam, dass Bienen- und Wespengiftallergiker für den Notfall geschult werden müssen und ihre Notfallmedikation (Notfallset) immer dabeihaben sollten. Eine gute Behandlungsoption bei Grad-2-Reaktionen stellt die spezifische Immuntherapie (SIT) dar. Die Epiglottitis, eine bis zur breitflächigen Anwendung der Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ B (HiB) hochakute lebensbedrohliche Erkrankung, ist leider wieder im Vormarsch. Bei Erwachsenen selten, tritt die Epiglottitis bei unzureichendem Impfstatus dennoch wieder häufiger im Zusammenhang mit Infektionen mit HiB oder anderen Bakterien auf. Die Therapie besteht in stationärer Gabe von Cephalosporinen der 3. und 4. Generation plus hoch dosierten Kortikosteroiden zur Abschwellung der Schleimhaut. Die Letalität liegt bei 20 % .</p> <h2>Hereditäres Angioödem vor allem in der Steiermark</h2> <p>Das hereditäre Angioödem, ein autosomal vererbter Gendefekt, ist selten und betrifft in Österreich rund 180 Personen; es tritt meist in der 1. und 2. Lebensdekade auf. Besonders in der Steiermark ist eine hohe Prävalenz zu finden. Klinische Symptome sind Schwellungsattacken der Haut (Gesicht, Extremitäten und Genitalien) sowie Schleimhautödeme. Die Therapie besteht in der Gabe von Buscopan bei leichten Fällen und dem Plasmaderivat Berinert oder Firazyr-Injektionen. Östrogene, Sartane und ACE-Hemmer müssen sofort abgesetzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind Kortison, Antihistaminika und Adrenalin wirkungslos.</p> <h2>Fälle von Tonsillenkarzinom im Steigen</h2> <p>Prof. Burian klärte darüber auf, dass Schwellungen am Hals nach Anamnese, Erscheinungsbild, Lokalisation und Palpationsbefund zu unterscheiden sind. Der Hals wird in sechs Areale unterteilt, welche den Lymphabfluss verschiedener Schleimhautbezirke repräsentieren (Abb. 1) Essenziell sei es, simple mediale oder laterale Halszysten von Metastasen eines Primärtumors zu unterscheiden. Vermehrt werden in letzter Zeit HPV+-Oropharynxkarzinome bei jüngeren Männern mit häufig wechselnden Sexualpartnerinnen und häufigem Oralsex diagnostiziert. Burian verwies darauf, dass das HPV+-Tonsillenkarzinom das bereits rückläufige Zervixkarzinom überholen wird. Die HPV-Impfung, die auch in Österreich für Mädchen und Knaben zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr kostenfrei ist, wird unbedingt empfohlen, um die Verbreitung von HPVViren und deren Folgen einzudämmen. In Australien, wo die HPV-Impfung seit 10 Jahren zum staatlichen Impfprogramm gehört, gibt es so gut wie keine Condylomata acuminata mehr, ergänzte Prof. Sepp. Die „take home messages“ lauten: Bei fehlenden entzündlichen Schleimhautveränderungen im Rachenraum und Bestehen einer Schwellung des Halses über 3 Wochen ist eine genaue Abklärung durch Sonografie, ein CT und eine Feinnadelbiopsie ratsam. Vor einer Biopsie oder Exstirpation einer Raumforderung am Hals ist ein HNO-Status bzw. eine HNO-ärztliche Abklärung sinnvoll.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s32_abb1.jpg" alt="" width="684" height="798" /></p> <h2>Neue Guidelines zur CSU</h2> <p>Über die akuten und chronischen spontanen Urtikariaformen, die hohen Leidensdruck sowie eine Beeinträchtigung der Lebensqualität mit sich bringen, referierte OA Dr. Barbara Ernst. 40 % der Patienten leiden unter Angioödemen und Quaddeln. Zur primären Routinediagnostik zählen ein Blutbild mit Differenzialblutbild, CRP/BSG, aber auch die Erhebung von Komorbiditäten wie Depression, somatoformen Erkrankungen etc. NSAR und ACE-Hemmer sind abzusetzen. In der täglichen Praxis ist unter den Dermatologen der Einsatz eines Patientenfragebogens (Urticaria Activity Score) beliebt, in dem u.a. nach Zeitpunkt, Dauer, zeitlichem Bezug, Verteilungsmuster der Quaddeln, psychosomatischen oder psychiatrischen Erkrankungen gefragt wird. Interessant ist auch, dass sogar positiver Stress wie Vorfreude Urtikaria auslösen kann. Wichtig sei es, an seltene Formen wie die aquagene oder anstrengungsinduzierte Urtikaria oder an eine autoinflammatorische Erkrankung zu denken. Zur Behandlung der Urtikaria sind 2017 neue Leitlinien herausgekommen, in denen Omalizumab eine bedeutende Rolle nach Versagen der modernen, nicht sedierenden (ns) H1-Blocker wie beispielsweise Levocetirizin trotz Steigerung bis zur 4-fachen Dosis spielt. Denn nur 55 % der Patienten sprechen auf die nsH1-Blocker an.</p> <h2>Potpourri</h2> <p>Gastgeber Prof. Sepp führte abschließend durch ein Potpourri der Mundschleimhauterkrankungen von A bis Z. Von der Gingivostomatitis herpetica über Morbus Reiter, Lupus erythematodes und Lues bis zu hämatologischen Erkrankungen, Riesenzellarteriitis, schlichten infektiösen Enanthemen oder dem oralen Erythema exsudativum multiforme zeigte der immunologisch interessierte Dermatologe dem Auditorium einen kleinen Ausschnitt seiner beruflichen Welt. Warum die Veranstaltung interdisziplinär angelegt war? Weil der Zahnarzt wahrscheinlich derjenige ist, der etwa die typischen Veränderungen, hervorgerufen durch Pemphigus vulgaris, eine schwere blasenbildende Autoimmunerkrankung, als Erster sieht. „Der Pemphigus vulgaris fängt mit Erosionen in der Mundschleimhaut an“, sagte Sepp und rief zur Kooperation mit der Fachgruppe der Zahnheilkunde auf. Cave Differenzialdiagnose Lichen ruber und Leukoplakie. Dunkle Flecken an der Mundschleimhaut können sich als Melanom herausstellen, bei Aphten an der Zunge ist an Herpes simplex zu denken. Jedenfalls sollte bei unklaren Läsionen an der Mundschleimhaut eine Biopsie, im optimalen Fall durch den Zahnarzt oder Kieferchirurgen, durchgeführt werden, der Dermatologe gibt exakt die Lokalisation an.<br /> Diese Fortbildung zeigte in vorbildlicher Weise die in Linz gut gelebte Interdisziplinarität.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Fortbildungsveranstaltung „Mundschleimhauterkrankungen
aus Sicht des Dermatologen, Allergologen und
HNO-Arztes“, 18. Oktober 2017, Ordensklinikum
Linz Elisabethinen
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