
©
Getty Images/iStockphoto
Neue Möglichkeiten der computergestützten Diagnose in der Dermatologie
Jatros
30
Min. Lesezeit
24.05.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die computergestützte Diagnostik hat auch in der Dermatologie bereits Einzug gehalten. Derzeit sind die Einsatzmöglichkeiten noch begrenzt, doch die Entwicklung schreitet rasch voran. In Zukunft sollen computergestützte Verfahren den Dermatologen vermehrt unterstützen und ihm die Arbeit erleichtern. Einen Einblick in die derzeitige Forschung gibt Prof. Harald Kittler von der Universitätsklinik für Dermatologie, Wien.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>In welchen Bereichen der Dermatologie wird eine computergestützte Diagnostik sinnvollerweise eingesetzt?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Die computergestützte Diagnostik kann prinzipiell in allen Bereichen eingesetzt werden, in denen Bildmaterial zur Verfügung steht. Da die Dermatologie ein visuelles Fach ist, arbeiten wir mit unterschiedlichen bildgebenden Verfahren. Das einfachste ist die Auflichtmikroskopie. Moderne biophysikalische Methoden sind unter anderem die konfokale Lasermikroskopie, die eine hochauflösende Darstellung der Epidermis ermöglicht, und die optische Kohärenztomografie, die primär zur Diagnostik epithelialer Tumoren eingesetzt wird.</p> <p><strong>Könnten Sie die konfokale Lasermikroskopie und die optische Kohärenztomografie etwas näher erläutern?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Die konfokale Lasermikroskopie oder KLM ist bereits seit den 1990er-Jahren etabliert. Sie liefert eine hochauflösende, nicht invasive Darstellung der Epidermis und oberen Dermis mit einer Auflösung auf Zellebene. Sie wird vor allem dann eingesetzt, wenn die Auflichtmikroskopie keine sichere Diagnose liefern kann. Bei der KLM wird ein Laserstrahl auf eine Ebene der Zielstruktur fokussiert und Schritt für Schritt das ganze Untersuchungsgebiet abgetastet. Dadurch, dass die verschiedenen Gewebebestandteile das Laserlicht unterschiedlich stark reflektieren, entsteht der Kontrast in den Bildern. Keratin und Melanin erscheinen dabei besonders hell.<br /> Bei der optischen Kohärenztomografie, kurz OCT, handelt es sich ebenfalls um ein Konfokalverfahren, bei dem Licht mit geringer Kohärenzlänge und ein Interferometer zur Entfernungsmessung in streuenden Materialien eingesetzt werden. Die OCT hat eine Eindringtiefe von etwa einem Millimeter, eine Auflösung nahezu im zellulären Bereich und kann sowohl horizontale wie auch vertikale Schnitte liefern. Die Methode eignet sich besonders für die Diagnose von epithelialen Proliferationen wie Basaliomen und aktinischen Keratosen. Die OCT zeigt sehr gut die Grenzen zwischen diesen pathologischen Veränderungen und normaler Haut und erleichtert daher die Randkontrolle.</p> <p><strong>Und solche Aufnahmen können computergestützt ausgewertet werden?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> In der Praxis beschränkt sich der Einsatz computergestützter Verfahren derzeit auf die Diagnose pigmentierter Hautveränderungen anhand von klinischen Fotos oder auflichtmikroskopischen Bildern, beispielsweise die Unterscheidung eines Melanoms von einem Nävus. Ein anderer Bereich, in dem die Methoden in naher Zukunft angewandt werden können, ist die Dermatopathologie.<br /> Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, wo zunehmend computergestützte Analysen angeboten werden. Man kann sogar schon eine App aus dem Internet herunterladen, die automatisch die Muttermale analysiert. Wie aussagekräftig dies ist, sei dahingestellt. Wichtig ist, dass die Verfahren bisher noch nicht so ausgereift sind, dass sie ohne Einschränkungen in der Routinediagnostik eingesetzt werden können.</p> <p><strong>Es ist also nach wie vor die Expertise des Dermatologen gefragt.</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Ja, das wird auch noch sehr lange so bleiben. Wir müssen uns davon freimachen, die technische Entwicklung als Rivalität zwischen Mensch und Maschine anzusehen. Der Alltag ist doch, dass Maschinen uns unterstützen – und so wird es bei der computergestützten Diagnostik ebenfalls sein. Das gilt übrigens nicht nur in der Dermatologie, sondern auch in anderen medizinischen Disziplinen. Es gibt Tätigkeiten, die für den Menschen eintönig und langweilig sind, zum Beispiel das Vergleichen von Bildern, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommen wurden. Oft kommt es dabei nach einiger Zeit zu Fehlern. Maschinen können diese Aufgabe viel effizienter ausführen, und vor allem mit konstanten Ergebnissen.</p> <p><strong>Welche Verfahren werden dazu angewandt? Können Sie diese kurz beschreiben?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Früher musste man mittels aufwendiger Bildanalysen den erkrankten Teil vom gesunden Hintergrund trennen. Heutzutage nutzen wir Verfahren des „deep learning“ und „transfer learning“, die diesen Schritt der Analyse entbehrlich machen. Die Grundlage, die dies erst möglich macht, ist „big data“, also das Sammeln Tausender Daten und Bilder mitunter aus nicht medizinischen Bereichen. Diese Bilder nutzen die Netzwerke, um zu lernen, wie man einfache geometrische Strukturen erkennt und unterscheidet. Diese allgemein trainierten Netzwerke werden dann für spezifische Fragen wie die Melanomdiagnose umtrainiert – daher „transfer learning“. Was diese Algorithmen dann genau „sehen“, ist für Menschen nicht vollständig nachvollziehbar.</p> <p><strong>Wie korrekt sind die Diagnosen des Computers und wie korrelieren sie mit dem, was der Arzt sieht?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Die computergestützten Diagnosen sind schon auf Expertenniveau, allerdings nur unter Laborbedingungen, wo alles optimal eingestellt ist. Zur praktischen Nutzung in der Klinik gibt es noch keine guten Studien. Derzeit sind die Ergebnisse in der Praxis noch etwas schlechter als im Labor. Man darf allerdings auch nicht davon ausgehen, dass die in der Medizin eingesetzten Systeme eine „superhumane Intelligenz“ haben, also besser sind als der Mensch. Das ist nicht vergleichbar mit Computern, die etwa die besten Schachspieler schlagen. In der Medizin wird es für komplexe Entscheidungen in naher Zukunft keine Computer geben, die besser sind als der Arzt. Für einfache visuelle Aufgaben jedoch, die für Menschen ermüdend sind, wird es sicher bald in vielen Bereichen eine Computerunterstützung geben.</p> <p><strong>Was sind zusammengefasst die besonderen Vorteile einer computergestützten Diagnostik?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Computersysteme können große Datenmengen in kurzer Zeit analysieren, ohne müde zu werden. Ihre Leistung lässt nicht nach, sie haben keine Vorurteile und sind niemals abgelenkt oder schlecht gelaunt. In dieser Hinsicht sind sie effizienter als Menschen. Sie sind aber nicht empathisch und können menschliche Sorgen, Hoffnungen und Ängste nicht verstehen, aber genau das spielt bei medizinischen Entscheidungen oft eine große Rolle. Empathie kann vielleicht eines Tages von Computern simuliert werden, wird aber niemals authentisch sein.</p> <p><strong>Wo stoßen die Verfahren an ihre Grenzen und sind nicht mehr sinnvoll?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Die endgültige Diagnose muss immer der Arzt stellen. Dazu sind die Computersysteme nicht in der Lage. Außerdem können sie sehr kleine Läsionen, beispielsweise sehr frühe Veränderungen beim Melanom, nicht erkennen. Das kann allerdings auch kein Arzt. Diese Grenze wird es immer geben, die kann auch der ausgefeilteste Algorithmus nicht überwinden.</p> <p><strong>Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Verfahren und ihrer Einsatzmöglichkeiten?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Durch die Verarbeitung immer größerer Datenmengen („big data“) werden natürlich auch die Algorithmen immer besser. Daraus werden sich in Zukunft neue Einsatzmöglichkeiten der Systeme in der Klinik ergeben, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Derzeit haben wir computergestützte Verfahren zur Verfügung, wissen aber noch nicht, in welcher Form sie am sinnvollsten angewandt werden können. Zuvor müssen wir noch zahlreiche Fragen beantworten, zum Beispiel, was der Output der Systeme sein soll oder wer die Daten interpretiert, die sie liefern. Die Algorithmen sind schon einsatzbereit, aber der Kontext, in dem sie eingesetzt werden sollen, fehlt noch.</p> <p><strong>Sie haben zur nicht invasiven multimodalen optischen Kohärenz und fotoakustischen Tomografie geforscht. Können Sie erklären, wie dieses Verfahren eingesetzt wird?</strong></p> <p><strong>H. Kittler:</strong> Das ist eines der vielen bildgebenden Verfahren, die wir in der Dermatologie anwenden. Es ist multimodal, weil es zwei Methoden kombiniert: Die schon beschriebene OCT ist der eine Teil. Diese kann man auch wie einen Doppler-Ultraschall, der sich bewegende Korpuskeln nachweist, anwenden, um Blutgefäße in der Haut zu untersuchen. Das Problem ist, dass der vaskuläre Plexus der Haut tiefer reicht als einen Millimeter. Hier kommt die fotoakustische Tomografie, kurz PAT, ins Spiel. Bei der PAT werden durch sehr schnelle Laserpulse Schallwellen im Gewebe erzeugt, die wie beim Ultraschall die Darstellung verschiedener Strukturen ermöglichen. Die PAT hat zwar eine schlechtere Auflösung als die OCT, dafür aber eine größere Eindringtiefe. Deshalb können auch die Gefäße in den tieferen Hautschichten untersucht werden. Der Vorteil des multimodalen Verfahrens ist, dass man den gesamten Gefäßplexus von den Kapillaren in den dermalen Papillen bis zu den Gefäßen in der tiefen retikulären Dermis und im Fettgewebe darstellen kann. Derzeit erforschen wir noch in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik an der MUW, was die beste Einsatzmöglichkeit für diese Methode ist. Die Forschung läuft, aber bis es zu einem Einsatz in der Klinik kommt, wird es – wie bei allen Innovationen – sicher noch einige Jahre dauern.</p> <p><strong>Herr Professor Kittler, vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Narbenbehandlung ohne Devices
Für die Behandlung von Narben hat sich der Einsatz moderner Lasertechnologien als effektiv erwiesen. Doch wie kann man den Betroffenen helfen, wenn kein ablativer fraktionierter CO2- ...
Update atopisches Ekzem
In den vergangenen Jahren haben sich das Verständnis des atopischen Ekzems (AE) sowie die therapeutischen Möglichkeiten deutlich weiterentwickelt. Und der Weg ist noch nicht zu Ende ...
Coaching für Ärzt:innen: Klarheit finden, an Stärke gewinnenEinblicke in den Coachingprozess
Die Anforderungen an Ärztinnen und Ärzte in Kliniken und Praxen sind enorm. Neben fachlichem Können werden täglich auch persönliche Ressourcen wie Resilienz und Entscheidungsstärke ...