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Klein und grossartig
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Jürg Hafner
Abt. Stationäre Dermatologie und Chirurgische<br> Dermatologie<br> Universitätsspital Zürich<br> E-Mail: juerg.hafner@usz.ch
30
Min. Lesezeit
19.12.2019
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<p class="article-intro">Der «World Congress on Advanced Treatments and Technologies in Skin Cancer» war ein Weltkongress im Taschenformat und fand im April 2019 in Wien statt. Das Programm war umfassend, und die Referentinnen und Referenten hielten bei bester Stimmung hochkarätige Präsentationen. Für mich persönlich war der Kongress ein «Highlight». </p>
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<p class="article-content"><h2>Diagnostik</h2> <p>Drei Vorträge haben mich nachhaltig beeindruckt: Aimilios Lallas (Thessaloniki) hielt diesmal einen Vortrag zur dermoskopischen Diagnostik des spinozellulären Karzinoms (SCC). Wie immer sprühte er vor Ideen und Charme, aber vor allem zeigte er uns eine Reihe typischer dermoskopischer Merkmale, welche wahrscheinlich nicht allen von uns in dieser Klarheit bekannt waren: Gut differenzierte SCC zeigen unter dem Dermoskop Schuppen und Keratin. Perifollikuläre Kreise und perivaskuläre Halos sowie generell weisse und gelbe Areale sprechen für das Vorliegen eines gut differenzierten SCC, während eine hohe Blutgefässdichte und rote Gesamtfarbe für ein wenig differenziertes SCC sprechen. Ich kaufte mir darauf in der Kaffeepause am Ausstellerstand ein Taschen-Dermoskop der Marke Dermlite. Das war an einem Freitagmorgen, und 3 Tage später, am Montagmorgen um 10.00 Uhr traf das nigelnagelneue Gerät in einem kleinen Kartonpaket bei mir am USZ ein – Absender: 3 Gen LLC in San Juan Capistrano, California, USA – verrückte Welt! Jivko Kamarachev (Zürich) erklärte die Möglichkeiten und Grenzen der Dermatohistopathologie, einen dysplastischen Nävus von einem Melanom zu unterscheiden. Sein Vortrag erinnerte haarscharf an die «Kritik der reinen Vernunft» (Immanuel Kant).<br /> Schliesslich erklärte Harald Kittler (Wien) die Fortschritte der Molekulargenetik des dysplastischen Nävus und der Melanome (es gibt molekulargenetisch recht viele Schattierungen von Melanomen …), der Übergänge und sinnierte über die zahlreichen harmlosen Melanome, welche bestimmt nie die Absicht haben, biologisch aggressives Verhalten an den Tag zu legen. Später beim Kaffee verstieg er sich zur Bemerkung, das Melanom sei im Lichte dieser neuen Erkenntnisse wahrscheinlich eine der harmloseren Krankheiten der Humanpathologie. Dies führt natürlich wieder zur häufig gewälzten und quälenden Frage, ob wir mit der systematischen Entfernung dysplastischer Melanozytennävi Gutes tun: Wir waren «confused at a higher level» (Albert Einstein). Ich beschloss für mich, die dysplastischen Melanozytennävi einstweilen weiterhin zu exzidieren. Man weiss ja nie …</p> <h2>Prophylaxe</h2> <p>Zur Prophylaxe von Hautkrebs hielt Günther Hofbauer (Zürich) einen bestechenden Vortrag. Er hat mit seiner Gruppe und befreundeten Forschern in den vergangenen Jahren klinisch hochrelevante Resultate zur verbesserten dermatologischen Betreuung organtransplantierter Patienten publiziert. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Azathioprin nicht nur die Photosensitivität auf UVA erhöht – eine Eigenschaft, welche das ähnlich wirkende Mycophenolat nicht hat –, sondern auch gemeinsam mit den Calcineurin­Inhibitoren (Ciclosporin, Tacrolimus) das Molekül «activating transcription factor 3» (ATF3), einen Krebspromotor, ansteigen lässt. Die Umstellung von Calcineurin-Inhibitoren auf mTOR&-Inhibitoren, z.B. Sirolimus, senkt die Hautkrebsinzidenz organtransplantierter Patienten. Bouwes-Bavinck zeigte bereits 1995 den Benefit von Acitretin (Zieldosis 30mg/Tag; erreiche ich persönlich nur selten) zur Senkung der Hautkrebsinzidenz, und HPV-Impfungen sollten ebenfalls wirksam sein. So weit zu den «normalen» Dingen, die ich als beschränkter Dermatochirurg auch schon wusste (dank der Nähe zu G. Hofbauers Forschung natürlich). Nun zündete der Referent aber gleich mehrere Raketenstufen zur Zukunft der Immunmodulation nach Organtransplantation: Alemtuzumab, ein CD52­-Antagonist, der die peripheren T-Lymphozyten depletiert, kann in der Zeitperiode unmittelbar vor der Organtransplantation verabreicht werden. So wird das Terrain für eine mildere Immunsuppression, beispielsweise mit mTOR-Inhibitoren, vorbereitet. Darunter wird das Hautkrebsrisiko relevant gesenkt. Allerdings steigt das Risiko ernsthafter Infektionen. Bortezomib, ein Proteasom-Inhibitor zur Behandlung der schweren Abstossungsreaktion, könnte in Zukunft auch standardisiert eingesetzt werden, was eine Reduktion der klassischen Immunsuppression zulässt und die Hautkrebsinzidenz voraussichtlich absenken würde. Nebenwirkung sind Sensibilitätsstörungen und zum Teil starke Verdauungsstörungen. Belatacept, ein CTLA4- IgGFc-Fusionsmolekül, bindet an CD80 und CD86 und hemmt damit das kostimulatorische «second signal». Es erlaubt eine Calcineurininhibitoren-freie Immunsuppression. Lymphoproliferative Krankheiten, Herpes-simplex-Infektionen und Tuberkulose treten gehäuft auf. Belimumab schliesslich bindet an den «soluble human B-lymphocyte activating factor» (BAFF) und wirkt so immunmodulierend. Die spektakulärste Lösung gegen die Abstossungsreaktion ist allerdings die Nieren-Knochenmark-Kotransplantation, die bisher bei 10 publizierten Patienten gelang. Diese nierentransplantierten Patienten benötigen keine Immunsuppression mehr und alle blieben frei von Abstossungsreaktionen. Bei zweien kam es aufgrund eines Rezidivs der nephrologischen Grunderkrankung zu Organschäden an der transplantierten Niere.</p> <h2>Adjuvante und neoadjuvante Therapien beim metastasierten Melanom (Stadium IIIA–C und IV)</h2> <p>Claus Garbe (Tübingen) fasste in einem sehr klar aufgestellten Vortrag das Design und die Resultate der Checkmate- 238Studie, der EORTC 1325-MG/Key note054-, der Combi-AD-Studien zusammen und gab einen Ausblick auf die NCT01972347-, NCT02036086-, NCT02303951- und die NCT03554083-Studie. Sowohl die neoadjuvante Behandlung mit PD1-Antikörpern als auch die neoadjuvante Behandlung mit einem BRAF- plus einem MEK-Inhibitor in Kombination sind sehr wirksam und erhielten inzwischen die Zulassung der Behörden. Die Verträglichkeit der neuen Systemtherapien ist insgesamt (überraschend) gut.</p> <h2>Wesentlich mehr Möglichkeiten zur Therapie der Mycosis fungoides und des Sézary-Syndroms</h2> <p>Zu diesem Thema sprach Julia Scarisbrick, Chefärztin der Dermatologischen Universitätsklinik Birmingham. Der dynamische Vortrag war gepackt mit neuen Informationen zur Diagnostik und Behandlung des kutanen T-Zell-Lymphoms (CTCL). Diagnostisch stand das verfeinerte Staging des Blutes von CTCL-Patienten im Zentrum (Merkmal «B»1-3).<br /> Atemberaubend sind aber vor allem die stark verbesserten Behandlungsmöglichkeiten bei kutanen Lymphomen. Beispielsweise können die CD30-positiven Lymphome (z. B. Hodgkin-Lymphom, grosszelliges anaplastisches T-Zell-Lymphom) mit Brentuximab-Vedotin (CD30-Antikörper, an Monomethyl-Auristatin gekoppelt) innert kürzester Zeit in eine vollständige Remission gebracht werden. Alemtuzumab, ein CD52-Antikörper, ist hochwirksam gegen die fortgeschrittene Mycosis fungoides im Stadium 3–4.<br /> Neuerdings kommt für Patienten mit fortgeschrittenem kutanem T-Zell-Lymphom mit anderenfalls infauster Prognose die Stammzelltransplantation in Betracht. Bisher sind kleinere Fallserien publiziert. Das Therapiekonzept scheint zu funktionieren. Ein Teil der Patienten geht in eine komplette und lang anhaltende Remission. Wichtig ist der richtige Zeitpunkt. Die Transplantation darf nicht zu spät erfolgen.</p> <h2>Hautkrebschirurgie</h2> <p>Prof. Joseph Alcalay (Tel Aviv), selbst ein sehr bekannter Mohs-Surgeon, sorgte als Kongresspräsident für ein abgerundetes Dermatochirurgie-Programm, welches von der Aufarbeitung der Histologieschnitte mit der Mohs-Technik über die Melanomchirurgie bis zur gesamten rekonstruktiven Hautkrebschirurgie das ganze Spektrum abdeckte. Auch dieser Kongressteil war umfassend und von einem ausgezeichneten Niveau. Nur ein bis zwei Flaps werde ich vielleicht zuerst an einer Banane ausprobieren und dann wohl nie in die Praxis umsetzen.<br /> Alles in allem ist der «World Congress on Advanced Treatments and Technologies in Skin Cancer» aufgrund seiner Teilnehmerzahl ein kleiner bis mittelgrosser Kongress. An seinem Inhalt bemessen ist es aber einer der besten Kongresse auf diesem Gebiet und hat sich seinen Namen daher durchaus verdient. Der «Skin Cancer 2020» findet vom 2. bis 3. April 2020 in Berlin statt.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: World Congress on Advanced Treatments and Technologies in Skin Cancer 2019, 4.–5. April 2019, Wien
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