
Infektionen „unter der Gürtellinie“
Jatros
Autor:
Dr. Claudia Heller-Vitouch
Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten<br> Ärztliche Leiterin Pilzambulatorium Hietzing, Wien<br> E-Mail: ordination@heller-vitouch.at
30
Min. Lesezeit
30.04.2020
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<p class="article-intro">Herpesviren bleiben oft lange Zeit unentdeckt bzw. unerkannt, das Risiko der Übertragung ist dementsprechend hoch. Besonders in der Schwangerschaft kann ein Herpes genitalis zu lebensbedrohlichen Komplikationen bei Neugeborenen führen. Der nachfolgende Artikel gibt einen Überblick über Diagnose und Therapie von Herpes-simplex-Virus(HSV)-Infektionen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Durch Herpes-simplex-Virus- Typ 1 oder 2 (HSV 1, HSV 2) hervorgerufene Infektionen sind klinisch nicht zu unterscheiden, HSV 1 verursacht im Genitalbereich seltener Rezidive.</li> <li>Die Erstinfektion kann charakteristische Effloreszenzen an der Eintrittspforte mit oder ohne systemische Symptome verursachen, aber auch gänzlich asymptomatisch verlaufen.</li> <li>Die asymptomatische Virusausscheidung spielt eine große Rolle in der Transmission der Erkrankung.</li> <li>Besondere Bedeutung kommt dem Herpes genitalis in der Schwangerschaft als möglicher Infektionsquelle für das Neugeborene zu.</li> <li>Essenzieller Bestandteil eines erfolgreichen Herpesmanagements ist die sorgfältige und empathische Beratung der Patientinnen und Patienten.</li> </ul> </div> <p>Herpes genitalis wird durch sexuellen Kontakt (genitalen, analen oder oralen Verkehr) mit einer infizierten Person erworben. Asymptomatische Virusausscheider dürfen als Ansteckungsquelle nicht unterschätzt werden: Seroepidemiologische Studien zeigen, dass etwa 50 % der Personen, in deren Serum Antikörper gegen HSV 2 nachgewiesen werden konnten, von dieser Infektion nichts ahnten, das heißt, eine asymptomatische Primärinfektion durchgemacht hatten. Weitere 20 % der Befragten konnten vorangegangene Symptome erst nach eingehender Aufklärung einer Herpesinfektion zuordnen. In beiden Gruppen sowie zwischen klinischen Episoden kann es zur Virusausscheidung und somit zur Ansteckung des Partners kommen, ohne dass die Beteiligten sich dieser Gefahr bewusst sind. Für die Verbreitung der Erkrankung sind diese Virusausscheider von großer Bedeutung.<br /> Klinisch sind die durch Herpes-simplex-Virus-Typ 1 oder 2 (HSV 1, HSV 2) ausgelösten Infektionen nicht zu unterscheiden. HSV 1 verursacht jedoch im Genitalbereich seltener Rezidive. Ging man früher von der Annahme aus, dass Herpesinfektionen „unter der Gürtellinie“ hauptsächlich durch HSV 2 verursacht werden, konnten rezente Studien zeigen, dass in 44 % der Fälle HSV 1 für Herpes genitalis verantwortlich ist. Episoden bei jungen Erwachsenen unter 20 Jahren waren in über 80 % der Fälle auf HSV 1 zurückzuführen. Man geht davon aus, dass geänderte Sexualpraktiken, aber auch die geringere Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung mit Herpes labialis und folglich Antikörpern gegen HSV 1 die Ursachen für diese epidemiologische Veränderung darstellen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Derma_2002_Weblinks_jat_derma_2002_s26_abb1_heller-vitouch.jpg" alt="" width="275" height="359" /></p> <h2>Erstinfektion – charakteristische Effloreszenzen oder gänzlich asymptomatisch?</h2> <p>Die Primärinfektion ist definiert als Erstkontakt einer Person mit dem Herpes- simplex-Virus. Die Übertragung erfolgt durch Schmierinfektion bei direktem Körperkontakt mit einem Virusausscheider, das Virus dringt bevorzugt an der Haut-Schleimhaut-Grenze oder an vorgeschädigter Haut ein. Obwohl experimentelle Studien gezeigt haben, dass Herpesviren an Oberflächen wie Gläsern, Handtüchern oder Toilettensitzen für etwa 30 min überleben können, gibt es keinen nachgewiesenen Fall der Ansteckung auf diesem Weg.<br /> Der erste Kontakt des menschlichen Organismus mit dem HSV kann mit schwerer Lokalsymptomatik einhergehen, begleitet von Allgemeinerscheinungen wie Fieber, Neuralgien und Beschwerden beim Urinieren. Im Genitalbereich treten nach einer Inkubationszeit von 3–7 Tagen Vorzeichen wie Kribbeln, Brennen und Juckreiz sowie neuralgiforme Beschwerden auf. Diese werden bald begleitet von gruppierten Bläschen, die rasch aufbrechen. Innerhalb einer Gruppe können Effloreszenzen unterschiedlicher Entwicklungsstadien vorkommen. In der Leiste zeigen sich meist schmerzhaft geschwollene Lymphknoten. Die meist besonders schmerzhaften Läsionen im Analbereich werden von Obstipation, analem Fluor und Schmerzen beim Stuhlgang begleitet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Derma_2002_Weblinks_jat_derma_2002_s27_abb2_heller-vitouch.jpg" alt="" width="425" height="378" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Derma_2002_Weblinks_jat_derma_2002_s27_abb3_heller-vitouch.jpg" alt="" width="425" height="378" /></p> <h2>HSV verbleibt latent im lokalen sensorischen Ganglion</h2> <p>Nach einmal erfolgter Infektion verbleibt der Erreger im Körper. Er nistet sich in den Ganglien der sensiblen Nerven ein und kann von dort jederzeit reaktiviert werden, meist an der gleichen Körperstelle. Auslösende Faktoren für diese Rückfälle sind Fieber, Krankheit, UV-Licht, Menstruation, aber auch emotionaler Stress, also alles, was das Immunsystem negativ beeinflusst. Zwischen den Episoden sind über mehr oder weniger lange Perioden kein Virus, keine DNA oder auch nur virale Proteine an der Hautoberfläche nachweisbar. Die Krankheitsverläufe sind durchaus unterschiedlich. Nach einigen Tagen heilt die Läsion von selbst ab, um eventuell wenig später wieder aufzutreten.</p> <h2>Herpes genitalis in der Schwangerschaft</h2> <p>Erfolgt die Ansteckung während der Geburt aufgrund eines Herpes genitalis der Mutter oder durch infiziertes Pflegepersonal, kann beim Neugeborenen eine lebensbedrohliche Herpesenzephalitis oder -sepsis auch ohne vorangehende Hauteffloreszenzen auftreten. Die rasche antivirale Therapie ist hier entscheidend.</p> <h2>Herpesenzephalitis</h2> <p>In Industrieländern ist HSV die häufigste Ursache für sporadisch auftretende Enzephalitis. Das Virus breitet sich entlang der Nervenbahnen zentralwärts aus und verursacht eine nekrotisierende, hämorrhagische Enzephalitis, meistens der Temporallappen. Gleichzeitige oder vorangegangene Herpesepisoden an der Haut sind nicht obligat. Die Erkrankung beginnt plötzlich mit hohem Fieber, Kopfschmerzen und Verwirrtheit bzw. Temporallappensymptomen wie Aphasie, epileptischen Anfällen und Wesensänderung. Die Verdachtsdiagnose wird klinisch gestellt, in der Magnetresonanztomografie zeigen sich typisch lokalisierte Läsionen temporal. Der Erregernachweis aus dem Liquor mittels Viruskultur oder PCR ist anzustreben. Zu bedenken ist jedoch, dass die Herpesenzephalitis unbehandelt in 70 % der Fälle zum Tod führt und der rechtzeitige Therapiebeginn mit systemisch verabreichten Virostatika die Prognose entscheidend verbessert. Aciclovir sollte daher bei jedem klinischen Verdacht auf eine Herpesenzephalitis noch vor Erhalt des endgültigen virologischen Befundes in ausreichender Dosierung intravenös verabreicht werden.</p> <p><strong>Eczema herpeticatum</strong><br /> Auf vorgeschädigter Haut, besonders häufig bei atopischer Dermatitis, kann es zu einer massiven Ausbreitung eines herpetischen Geschehens kommen. Nach einer Inkubationszeit von 2–5 Tagen tritt das Krankheitsbild ohne Prodrome akut auf. Allgemeinsymptome wie Fieber bis zu 40°C und Kopfschmerzen sowie Schwellung der regionären Lymphknoten sind charakteristisch. Es bilden sich rasch zahlreiche isoliert stehende gedellte Bläschen bis zu Linsengröße aus, deren Inhalt sich vor dem Platzen eintrübt. Hämorrhagische Erosionen, manchmal exsudative Hautnekrosen sind die Folge. Kompliziert wird der Verlauf der Erkrankung häufig durch bakterielle Superinfektionen.</p> <h2>Keratoconjunctivitis herpetica</h2> <p>Die Keratitis dendritica ist die oberflächliche Infektion der Hornhaut des Auges mit HSV. Neben einem begleitenden Hornhautepithelödem tritt nur eine mäßige ziliare Injektion auf. Charakteristisch ist eine deutlich herabgesetzte Hornhautsensibilität bei stark ausgeprägtem Fremdkörpergefühl. Lang andauernde und häufig rezidivierende Herpesinfektionen der Kornea können in ein Ulkus übergehen.</p> <h2>Postherpetisches Erythema exsudativum multiforme</h2> <p>Bei manchen Patienten tritt regelmäßig etwa 5–10 Tage nach einem Herpesrezidiv ein Erythema exsudativum multiforme (EEM) auf. Mittels PCR konnte in den EEM-Herden virale DNA nachgewiesen werden. Eine immunologische Reaktion als Auslöser erscheint wahrscheinlich. Wird das Herpesrezidiv rechtzeitig mit systemisch verabreichten Virostatika behandelt, bleibt das EEM aus.</p> <h2>Diagnose</h2> <p>Der Direktnachweis mittels HSV-1/2-Typisierung sollte bei jedem Verdacht auf Herpes genitalis angestrebt werden. Der Nachweis von HSV-DNA mittels PCR wird als Goldstandard angesehen, andere Methoden sollten in der Routine nicht mehr eingesetzt werden. Der Virusnachweis gelingt am besten bei frischen, unbehandelten Läsionen, Abstriche bei asymptomatischen Patienten werden nicht empfohlen. Die HSV-Serologie ist nicht zur Routinediagnostik geeignet.</p> <h2>Management der HSV-Infektionen</h2> <p><strong>Erstinfektion</strong><br />Die virostatische Therapie ist hocheffektiv bezüglich der Schwere und Dauer der Episode und soll so rasch wie möglich nach Auftreten der Symptome initiiert werden, im Zweifelsfall alleine aufgrund des klinischen Verdachtes.<br /> Der Einsatz einer oralen antiviralen Therapie wird bis fünf Tage nach Beginn der Episode sowie bei weiterem Auftreten neuer Läsionen empfohlen (Tab. 1).<br /> Die Lokaltherapie ist deutlich weniger effektiv und aufgrund der Gefahr der Resistenzentwicklung nicht empfohlen.<br /> Analgetika und Lidocain-Creme zur Schmerzlinderung sowie Sitzbäder in Kochsalzlösung können unterstützend angewendet werden. Bei schwerer Dysurie kann Patientinnen das Urinieren im lauwarmen Wasserbad empfohlen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Derma_2002_Weblinks_jat_derma_2002_s28_tab1_heller-vitouch.jpg" alt="" width="575" height="300" /></p> <p><strong>Behandlung von Rezidiven</strong><br />Rezidive verlaufen in aller Regel milder als die Erstinfektion. Die therapeutischen Maßnahmen richten sich nach dem Schweregrad der Symptome, der Häufigkeit der Rezidive sowie dem Beziehungsstatus und den Bedürfnissen der Patienten.<br /> Bei geringer Symptomatik ist indifferente Lokaltherapie häufig ausreichend. Orale Virostatika reduzieren die Schwere und Dauer der Episode. Dabei ist der innerhalb von 24 Stunden Patienten-initiierten Therapie der Vorzug zu geben (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Derma_2002_Weblinks_jat_derma_2002_s28_tab2_heller-vitouch.jpg" alt="" width="575" height="145" /></p> <p><strong>Suppression eines Rezidivs</strong><br />Die Suppressionstherapie mit einem oralen Virostatikum bewirkt eine deutliche Reduktion der Rezidivhäufigkeit (Tab. 3). Inzwischen liegen Sicherheits- und Resistenzdaten für einen Beobachtungszeitraum von etwa 18 Jahren vor. Dabei konnten keine Organschäden durch Langzeitbehandlung beobachtet werden. Eine Dosisanpassung ist bei schwerer renaler Insuffizienz nötig.<br /> Nach Absetzen der Suppressionstherapie konnte keine signifikante Änderung des Krankheitsverlaufes bezüglich Schwere und Rezidivhäufigkeit nachgewiesen werden. Die Entscheidung für eine Suppressionstherapie muss unter Abwägung der Häufigkeit der Rezidive, des individuellen Leidensdrucks, des Übertragungsrisikos und der Therapiekosten getroffen werden.<br /> Die asymptomatische Virusausscheidung wird unter Suppressionstherapie reduziert, die Gefahr der Ansteckung eines serodiskordanten Partners um etwa 50 % gesenkt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Derma_2002_Weblinks_jat_derma_2002_s29_tab3_heller-vitouch.jpg" alt="" width="575" height="165" /></p> <h2>Management in der Schwangerschaft</h2> <p><strong>Erstinfektion im ersten oder zweiten Trimenon</strong><br />Die Therapie erfolgt mit Aciclovir in der Standarddosierung, abhängig vom klinischen Bild.<br /> Auch wenn die Sicherheit von Aciclovir und Valaciclovir in der frühen Schwangerschaft noch nicht vollständig bewiesen ist, wird die Verwendung in dieser Indikation in den internationalen Leitlinien als sicher angesehen und befürwortet.*<br /> Die Suppression mit Aciclovir 400 mg 3 x täglich ab der 36. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Vermeidung einer Kaiserschnittentbindung kann erwogen werden.*</p> <p><strong>Erstinfektion im dritten Trimenon</strong><br />Da das Risiko der HSV-Übertragung auf das Neugeborene bei einer vaginalen Geburt hoch ist (30–50 % ), sollte ein Kaiserschnitt durchgeführt werden, vor allem wenn die Erstinfektion nach der 34. SSW auftritt.</p> <p><strong>Rezidivierender Herpes genitalis in der Schwangerschaft</strong><br />Die Patientin sollte informiert werden, dass das Risiko für eine Übertragung der Herpesinfektion auf das Neugeborene gering ist (<1 % ).<br /> Beim Fehlen sichtbarer Läsionen kann eine vaginale Entbindung durchgeführt werden.</p> <p><strong>Rezidiv in der Spätschwangerschaft</strong><br />Die Suppression mit Aciclovir 400 mg 3 x täglich ab der 36. SSW zur Vermeidung eines Rezidivs kann erwogen werden.*<br /> Bei sichtbaren Läsionen zum Zeitpunkt der Geburt kann eine Sectio in Betracht gezogen werden.</p> <p><strong>Rezidiv in der Frühschwangerschaft</strong><br />Aciclovir und Valaciclovir werden nicht generell empfohlen. Die Therapieentscheidung muss im Einzelfall erfolgen.*</p> <p>* Aciclovir und Valaciclovir sind in der Schwangerschaft nicht zugelassen. Außer einer vorübergehenden Neutropenie konnten keine unerwünschten Ereignisse bezüglich der Schwangerschaft oder des ungeborenen Kindes/Neugeborenen nachgewiesen werden. Dennoch sollen Aciclovir und Valaciclovir nur angewendet werden, wenn der mögliche Nutzen der Behandlung die möglichen Risiken überwiegt. Famciclovir sollte vermieden werden.<br /> Empfehlenswert ist neben der Diskussion mit den beteiligten Fachgruppen (FÄ für Geburtshilfe) stets die Durchsicht der aktuellen Empfehlungen von „Embryotox“, https://www.embryotox.de/einfuehrung. html.</p> <h2>Beratung der Patientinnen und Patienten von großer Bedeutung</h2> <p>Patientinnen und Patienten sollen über den Verlauf der Erkrankung sowie über Behandlungsoptionen aufgeklärt werden. Das Übertragungsrisiko inklusive asymptomatischer Virusausscheidung und die diesbezüglich mögliche, aber limitierte Wirksamkeit von Kondomen, selektiver Abstinenz und Virostatika sollen in der Beratung angesprochen werden. Männer und Frauen müssen über die Bedeutung der Erkrankung in der Schwangerschaft informiert werden. Die psychische Belastung durch eine Herpesinfektion im Genitalbereich darf nicht unterschätzt werden. Dementsprechend dürfen der insgesamt relativ geringe Krankheitswert und die hohe Prävalenz in der Bevölkerung zur Entlastung nicht unerwähnt bleiben. Häufig ist es wichtig zu erwähnen, dass die Ansteckung auch in einer jahrelangen monogamen Partnerschaft durch den asymptomatischen Partner erfolgen kann.</p></p>
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