
«Hit hard and early» ist angesagt
Unser Gesprächspartner:
Prof Dr. med. Markus Böhm
Leiter der Poliklinik und Leiter der AG Neuroendokrinologie der Haut Klinik für Hautkrankheiten
Universitätsklinikum Münster (UKM)
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
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Vitiligo wird zu wenig beachtet und Patienten werden mitunter zu spät oder nicht optimal behandelt. Deshalb war es notwendig, eine Vitiligo-Leitlinie1 zu schreiben, erklärte Prof. Böhm aus Münster. Was die wichtigsten Punkte sind und was man dem Patienten unbedingt erklären sollte lesen Sie hier.
Warum war es notwendig, eine Leitlinie zu schreiben? Die Behandlung der Vitiligo scheint nicht besonders schwierig.
M. Böhm: Vitiligo ist bisher in den deutschen Leitlinien stiefmütterlich behandelt worden. Leider kommen zu mir immer wieder Patienten, die eine wahre Arzt-Odyssee hinter sich haben. Die niedergelassenen Kollegen hätten gesagt, erzählen die Betroffenen, man könne eh nichts machen oder man solle sich nicht so anstellen, weil es sich nur um eine kosmetische Störung handelt. Nicht selten erhalten die Patienten zudem keine optimale Therapie oder sie wird viel zu spät begonnen. Deshalb haben wir die Leitlinie geschrieben: Wir wollten den niedergelassenen Kollegen eine wissenschaftlich fundierte Basis geben mit dem Schwerpunkt auf evidenzbasierter Diagnostik und Therapie.
Wenn einzelne Kollegen nicht richtig therapieren, kann man ja nicht davon ausgehen, dass generell schlecht therapiert oder Vitiligo banalisiert wird.
M. Böhm:Sie haben völlig recht. Es gibt schon Daten aus anderen Ländern, die das nahelegen,2,3 in den deutschsprachigen Ländern stehen wir aber noch am Anfang dieser Versorgungsforschung. Meiner Meinung nach behandeln viele Kollegen die Vitiligo am Anfang zudem nicht aggressiv genug oder halbherzig. Das Motto ist: «Hit hard and early» – so wie bei anderen Erkrankungen auch, zum Beispiel rheumatoider Arthritis. Dabei soll die frühe aggressive Therapie bleibenden Destruktionen der Gelenke vorbeugen. Bei Vitiligo reicht es nicht, nur mal schnell eine Crème zu rezeptieren. Man muss sie ausreichend stark und lange genug auftragen, sonst schreitet die Vitiligo immer weiter fort. Hat der Patient erst einmal weisse Haare in den weissen Flecken der Haut, kann man die nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit repigmentieren. Eine rasch progrediente, nichtsegmentale Vitiligo sollte am besten sogar mit einer Dreifachtherapie behandelt werden: systemische Steroide plus potente Steroide Klasse III topisch oder alternativ topische Calcineurin-Inhibitoren plus Schmalband-UVB-Phototherapie.
Manche Menschen meinen, Vitiligo sei ein rein kosmetisches Problem. Was sagen Sie dazu?
M. Böhm: Vitiligo ist eine Krankheit und erfüllt alle Voraussetzungen der Krankheitsdefinition der WHO. Sie ist zudem mit einer hohen Stigmatisierung verbunden und führt oft zu psychosozialen Problemen. Wie belastend die Krankheit ist, kommt darauf an, welchen Hauttyp der Patient hat, wie dunkel seine normale Hautfarbe ist, wo und wie ausgedehnt die Hautveränderungen sind und wie sehr sie den Patienten individuell stören, was für einen Beruf er hat und was er privat so tut. Haben Sie schon mal einen Nachrichtensprecher mit Vitiligo gesehen oder einen Friseur oder eine Verkäuferin? Ich jedenfalls nicht. Anders herum vermarkten sogar manche Patienten ihre Weissfleckenkrankheit, zum Beispiel in der Mode. Das kann sogar ein positiver Abwehrmechanismus sein. Im Gespräch mit dem Patienten müssen wir auf all diese Sorgen und Probleme eingehen. Aber zumindest hier in Deutschland gibt es dafür kaum Zeit, weil das Gespräch mit dem Patienten nicht ausreichend honoriert wird. Dabei wäre es nicht nur wegen der psychosozialen Aspekte wichtig, sich Zeit für den Patienten zu nehmen.
Warum noch?
M. Böhm: Man muss dem Patienten genau erklären, wie die Behandlung funktioniert. Er muss etwa wissen, dass er die Kortison-Crème einmal pro Tag über drei Monate auftragen muss oder einmal täglich für jeweils 15 Tage gefolgt von zwei Wochen Pause, wenn die Behandlung 6 Monate dauert. Er muss wissen, dass sich damit die Vitiligo im Gesicht und Hals am besten behandeln lässt, während Kortison auf Handrücken oder Fussrücken kaum etwas wirkt. Auch die Phototherapie hilft am besten gegen Läsionen im Kopf- und Halsbereich, etwas weniger gut gegen Areale am Stamm und an den Extremitäten und kaum gegen solche an Händen und Füssen. Manche Patienten sind auch erstaunt, wie lange eine solche Behandlung dauert. Phototherapie wird üblicherweise mit einer diskret erythematogenen Dosis über viele Monate zwei- bis dreimal pro Woche in speziellen Ambulanzen oder Facharztpraxen durchgeführt.
Was ist mit dem Krebsrisiko durch die Lichttherapien?
M. Böhm: Ich höre immer wieder von Patienten die Sorge, die Phototherapie könne Hautkrebs auslösen. Hierfür haben wir aber keine klare Evidenz. Die wenigen in der Literatur berichteten Fälle von Hautkrebs bei Vitiligo bezogen sich fast ausschliesslich auf Patienten, die mit PUVA behandelt wurden. Verblüffenderweise gibt es sogar wissenschaftliche Belege, dass in der weissen Haut bei Vitiligo Mechanismen installiert sind, die vor weissem Hautkrebs eher schützen könnten!4
Was sind für Sie die wichtigsten Aspekte in der Leitlinie?
M. Böhm: Zum einen, dass jeder Dermatologe weiss, wie er eine akute Vitiligo erkennt, und dass er die aktuellen Scoring-Systeme anwendet, um den Schweregrad exakt einzuschätzen. Das ist nicht nur für die Auswahl der Therapie notwendig, sondern dient auch zur Verlaufskontrolle. Zum anderen die korrekte Auswahl der Behandlungsmöglichkeiten. Hierzu muss man selbstverständlich auch den Leidensdruck und die Beeinträchtigung der Lebensqualität des betroffenen Patienten mit einbeziehen. Hat eine Patientin beispielsweise Vitiligo-Stellen nur im Bereich des Unterleibes oder der Schamlippen und stört sie das gar nicht oder hat ein Patient eine sehr helle Haut, kann eine spezifische Behandlung bis auf bestimmte supportive Massnahmen (z.B. Lichtschutz) zurückgestellt werden.
Was halten Sie von den neuen Ansätzen zu gezielten Therapien?
M. Böhm: Am meisten verspreche ich mir aktuell von den JAK-Hemmern. Ruxolitinib zeigte kürzlich in einer randomisierten klinischen Studie mit 157 Patienten signifikante Veränderungen im fazialen VASI50 im Vergleich zu Placebo.5 Wir haben Patienten in der Folgestudie mit dieser Crème eingeschlossen und ich bin gespannt, ob sich die initialen positiven Effekte weiter untermauern lassen, sodass womöglich bald das Mittel zugelassen wird.
Wo sehen Sie den Einsatz der JAK-Inhibitoren?
M. Böhm: Vermutlich werden wir Patienten mit limitierter Vitiligo zukünftig mit topischen JAK-Hemmern behandeln, später vielleicht auch in Kombination mit Phototherapie. Patienten mit ausgedehnter und/oder aktiver Vitiligo dürften die Zielpopulation für systemische JAK-Hemmer sein, im zweiten Schritt eventuell kombiniert auch mit der Phototherapie.
Literatur:
1 S1-Leitlinie. Diagnostik und Therapie der Vitiligo. AWMF-Register-Nr.: 013-093, 202. 2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-093.html 2 AlGhamdi KM et al.: Indian J Dermatol Venereol Leprol 2012; 78: 74-81 3 Ongenae K et al.: Eur J Dermatol. 2004; 14: 177-81 4 Salem MM et al.: FASEB J 2009; 23: 3790-807 5 Rosmarin D et al.: Lancet 2020; 396: 110-20
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