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Makro- und Mikroplastik in der Dermatologie

Die Schattenseiten von Sonnencreme, Zahnpasta & Co

Von der sterilen Verpackung über Produktproben bis hin zu flüssigen Kunststoffen in verordneten Präparaten – Plastik und Mikroplastik sind kaum aus der dermatologischen Praxis wegzudenken. Dabei ist die Verschmutzung unseres Planeten durch Plastik längst zu einer omnipräsenten Krise und, laut WHO, zu einer der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit geworden.

Der dermatologische Alltag ist geprägt von Externa, die verschrieben werden. Mal sind es Magistralrezepturen, mal konventionelle käufliche Externa, mal werden Proben ausgegeben. In den meisten Fällen befinden sich die Therapeutika in Plastiktiegeln, -tuben oder -töpfen. In vielen Externa ist zudem Mikroplastik enthalten. Mikroplastik ist ein Sammelbegriff für additive chemische Zusatzstoffe und neuerdings auch für flüssige Polymere, die z.B. als Emulgatoren, Reibe- oder Konservierungsstoffe in Kosmetika und Pflegeprodukten verwendet werden. Da sie durch Klärwerke noch nicht herausgefiltert werden können, wandern sie weltweit über Abwässer in die Flüsse und ins Meer. Dort werden sie von aquatischen Kleinstlebewesen aufgenommen und gelangen über die Nahrungskette wieder auf unseren Teller. Mikroplastik unterschiedlichster Zusammensetzung lässt sich mittlerweile überall auf der Welt in der Erde, im Wasser und in der Luft nachweisen. Einmal in die Umwelt gelangt, können sie, da biologisch nicht abbaubar, nie wieder eliminiert werden. Forscher der Universität Newcastle, Australien, werteten im Auftrag der Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF) 2018 in einer Metastudie insgesamt 51 internationale Studien aus. Sie fanden heraus, dass jeder Mensch mittlerweile pro Woche ca. 5g Plastik zu sich nimmt, was dem Umfang einer Kreditkarte entspricht. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise darauf, dass manche dieser Stoffe für den menschlichen und tierischen Organismus gesundheitsschädlich sind.

Hormonaktives Mikroplastik gefährdet die Gesundheit

So sind Mikroplastikstoffe bekannt, die im Verdacht stehen, sogenannte endokrine Disruptoren zu sein. Endokrine Disruptoren sind industriell hergestellte chemische Substanzen, die Hormone imitieren können, indem sie an einen Hormonrezeptor einer Zelle binden, eine dem Hormon ähnliche Wirkung verursachen oder den Rezeptor blockieren. Sie verändern so die Funktion des endokrinen Systems und stehen in dringendem Verdacht, zu gesundheitlichen Schäden zu führen. Neben Allergien, Reduktion der Spermienanzahl und damit Rückgang der Fertilität, neurologischen Verhaltensauffälligkeiten wie z.B. ADHS oder Krankheiten wie Parkinson werden sie zudem für die Entstehung von hormonabhängigen Tumoren, wie Mamma-, Prostata- und Hodenkarzinome, verantwortlich gemacht. Konnte man bis 2010 noch messen, dass sich die Intelligenz in den Industrienationen nachweislich von Generation zu Generation erhöhte, muss man nun feststellen, dass diese seitdem um 5 Prozentpunkte gefallen ist. Der Grund: Es wird vermutet, dass Mikroplastik in Teilen plazentagängig ist und neurotoxisch auf die Embryogenese wirkt.1

Triclosan, ein problematischer Stoff

Aktuell werden durch die Europäische Kommission 28 Substanzen und Inhaltsstoffe diskutiert und untersucht, die möglicherweise endokrin aktiv sein könnten. Auf dieser Liste befindet sich auch Triclosan, welches nicht nur von den Dermatologen in den Magistral- und Individualrezepturen verwendet wird, sondern mittlerweile weltweit großzügig als Bakterizid in handelsüblichen Kosmetik- und Reinigungsprodukten eingesetzt wird. Triclosan ist ausgesprochen langlebig. Es akkumuliert durch weltweit zunehmenden Gebrauch in aquatischen Organismen und zeichnet sich hier durch eine sehr hohe Toxizität aus. Bereits 2006 riet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vom großflächigen Einsatz in Haushalten ab, da durch den übermäßigen Gebrauch eine Resistenzbildung von Bakterien zu befürchten sei.2 Mit Entscheidung vom 8. 2. 2016 der EU-Biozidverordnung wurde Triclosan für die Anwendung in Hygieneartikeln, die großflächig auf die Haut aufgetragen werden, verboten.3 Triclosan befindet sich aktuell weiterhin in Produkten wie z.B. Zahnpasta, Mundwässern, Seifen und Duschgelen sowie als Biozid in Arztpraxen oder Krankenhäusern.

Weltweites Korallensterben durch Sonnencremes

Es wird geschätzt, dass rund 14000 Tonnen Sonnencreme pro Jahr über badende Touristen in die Ozeane gelangen, was bereits nachweislich weltweit zur Korallenbleiche geführt hat. Verantwortlich werden dafür vor allem chemische UV-Filter wie Octinoxat, Oxbenzon und Octocrylene gemacht, die sich nach heutigem Wissensstand, trotz Kenntnis der Problematik, weiterhin in zahlreichen Sonnencremes befinden. Die Korallenriffe der Antilleninsel Bonaire sind mittlerweile zu 90% abgestorben, weswegen auf der Insel diese UV-Filter seit 2021 wie auch auf Palau, Key West Florida, Hawaii, der Halbinsel Yukatan/Mexiko und den Jungferninseln verboten sind. Weniger bekannt ist, dass auch die mineralischen UV-Filter Titandioxid und Zinkoxid nicht unbedenklich sind. Zinkoxid ist, laut der European Chemicals Agency (ECHA), hochtoxisch für aquatische Organismen. Die ECHA führt in ihrer Datenbank Titandioxid zudem als mögliche krebserregende Substanz, insofern es inhaliert wird, auf. Zudem werden in den letzten Jahren Zinkoxid und Titandioxid vermehrt als Nanopartikel in einer Größenordnung <100nm eingesetzt, um den Weißungseffekt zu vermeiden. Es wird vermutet, dass diese die Haut abhängig von der Partikelgröße und Intaktheit der Haut passieren können.4 Eine im März 2021 erschienene Studie aus San Francisco wies mittels Massenspektrometrie 109 Industriechemikalien im Blut von 30 Neugeborenen und ihren Müttern nach. Damit wurde klar gezeigt, dass chemische Partikel die Plazentaschranke passieren können. 55 Stoffe wurden zum ersten Mal im menschlichen Blut entdeckt. 28 Stoffe waren eindeutig dem kosmetischen Sektor zuzuordnen. Für 42 chemische Verbindungen konnten die Quellen und Anwendungsbereiche nicht ermittelt werden.5

DDG-Arbeitskreis Plastik gegründet

Seit der Einführung des Plastiks in den 50er-Jahren wurden weltweit 8 Milliarden Tonnen Plastikmüll produziert. Davon lagern 5 Milliarden Tonnen in der freien Natur, auf Deponien und in den Weltmeeren, u.a. laut einer 2020 erschienenen Studie der staatlichen Wissenschaftsbehörde CSIRO (Australien) ca. 14 Millionen Tonnen als Mikroplastik.6 Die Produktion chemischer Stoffe hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Weltweit werden derzeit ca. 350000 chemische Verbindungen unterschiedlichster Natur hergestellt. Ein Drittel dieser Verbindungen sind bisher unzureichend dokumentiert.7 Zwar sind davon nur ein Bruchteil Kunststoffe, doch birgt jede neue weitere Substanz uneinschätzbare Risiken. Sind diverse Mikroplastikarten einmal in die Umwelt gelangt, können ihre möglichen toxischen Interaktionen nicht abgeschätzt werden. Die rasche Reduktion der Umweltverschmutzung durch solche Stoffe ist eine Herausforderung, die nur bewältigt werden kann, indem jeder Bereich der Gesellschaft auf den Prüfstand gestellt wird. Diesem Umstand möchte der neu gegründete Arbeitskreis Plastik der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) Rechnung tragen. Seine Aufgabe sind die Diskussion und die Aufklärung über schädliche Inhaltsstoffe in Externa sowie die Erarbeitung kunststoff- und verpackungsreduzierter Alternativen für den Klinik- und Praxisalltag.

1 Endocrine Disruptors: from scientific evidence to human health protection study requested by the PETI Committee Policy Department for Citizens’ Rights and Constitutional Affairs, Directorate General for Internal Policies of the Union PE 608.866 - March 2019. https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2019/608866/IPOL_STU(2019)608866_EN.pdf

2 Bundesinstitut für Risikobewertung: Triclosan nur im ärztlichen Bereich anwenden, um Resistenzbildungen vorzubeugen. Stellungnahme Nr. 030/2006 des BfR vom 8. Mai 2006. https://www.bfr.bund.de/cm/343/triclosan_nur_im_aerztlichen_bereich_anwenden_um_resistenzbildungen_vorzubeugen.pdf

3 Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT PDF/?uri=CELEX:32012R0528

4 Baroli B: Skin absorption and potentially toxicity of nanoparticulate nanomaterials. J Biomed Nanotechnol 2020; 6(5): 485-96

5 Wang A et al.: Suspect screening, prioritization, and confirmation of environmental chemicals in maternal-newborn pairs from San Francisco. Environ Sci Technol 2021. Online ahead of print

6 Barrett J et al.: Microplastic pollution in deep-sea sediments from the Great Australian BightFront. Mar. Sci., 5. Oktober 2020. https://doi.org/10.3389/fmars.2020.576170

7 Wang Z et al.: Toward a global understanding of chemical pollution: a first comprehensive analysis of national and regional chemical inventories. Environ Sci Technol 2020; 54(5): 2575-84

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