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Behandlung therapieresistenter Wunden
Jatros
30
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15.03.2018
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<p class="article-intro">Um die Wundbehandlung im deutschsprachigen Raum auf höchstem wissenschaftlichem Niveau zu organisieren, wurde 2012 die länderübergreifende WundD.A.CH-Gesellschaft gegründet. Alle drei Jahre findet der WundD.A.CH-Dreiländerkongress statt, 2017 in St. Gallen. Eines der Hauptprobleme sind nach wie vor schlecht heilende Wunden, die selbst mit den besten neuartigen Wundauflagen nicht zu sanieren sind.</p>
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<p class="article-content"><h2>Ulcus cruris</h2> <p>„Indessen hat ein von Serenissimo höchstselbst verordneter Schnürstrumpf Wunder gethan, und wenn sich das Übel so fort und fort vermindert, so werde ich’s gar bald los“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe am 5. Juni 1817 in einem Brief an Christian Gottlob von Voigt, Dichter und Minister in Weimar. Mit dem „Serenissimo“ meinte Goethe den Großherzog Carl August, und das Übel sei höchstwahrscheinlich ein Ulcus cruris gewesen, so Dr. Ulf Benecke, Kantonsspital St. Gallen, einleitend zum Themenblock Ulkus. „Der Großherzog scheint gewusst zu haben, wie wichtig das Wickeln mit Kompressionsstrümpfen bei chronischer venöser Insuffizienz (CVI) ist.“<br /> Wird eine chronische venöse Insuffizienz nicht konsequent behandelt, kommt es zu venösen Abflussbehinderungen, Zirkulationsstörungen, trophisch bedingten Veränderungen an Unterschenkeln und Füßen bis hin zur schwersten Form der CVI, dem Ulcus cruris venosum. Ein Ulcus cruris ist eine der häufigsten Ursachen nicht spontan heilender Wunden. „Der Schlüssel zur Therapie ist die korrekte Diagnose, denn davon hängt die Behandlung ab“, sagte Prof. Dr. Severin Läuchli, Dermatologe am Universitätsspital Zürich und Kongresspräsident. Das Ulcus cruris sei ein Symptom einer zugrunde liegenden Krankheit, am häufigsten der CVI, die wie bei Goethe mit einer Kompressionstherapie behandelt wird. Ein Teil ist aber auch durch eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) bedingt oder ein Mischbild aus CVI und PAVK. Wann immer möglich, sollte eine CVI kausal behandelt werden. Hierzu steht eine Vielzahl von Therapien zur Verfügung: zum einen die klassische Venenchirurgie, zum anderen endoluminale Verfahren mit Laser, Radiowellen, Schaumsklerosierung, Dampf oder Kleber. „Das grundlegende Konzept ist immer dasselbe“, sagte Dr. Hans-Joachim Hermanns, niedergelassener Gefäßchirurg und Phlebologe in Luzern. „Wir wollen die Druckund Volumenüberlastung im Venensystem reduzieren, damit Ödeme zurückgehen, das Ulkus abheilt und kein Rezidiv auftritt.“ Die meisten Ulzera heilen durch konservative Maßnahmen, aber rund 25 % gelten als therapieresistent.<sup>1</sup> Therapieresistent bedeutet, dass nach drei Monaten optimaler Behandlung keine Heilungstendenz mehr erkennbar ist oder das Ulkus nach 12 Monaten nicht abgeheilt ist. Als operative Möglichkeiten stehen Eingriffe, die die Fascia cruris miteinbeziehen, wie die paratibiale Fasziotomie und Fasziektomie, sowie die Shave-Therapie als tangentiale suprafasziale Nekrosektomie und Fibrosektomie zur Verfügung. Dabei werden die Ulzera einschließlich der umgebenden Dermatoliposklerose operativ entfernt und die Defekte direkt mit „gemeshter“ Spalthaut gedeckt. „Es ist eine operationstechnisch relativ einfache und sehr wirkungsvolle Methode, mit der wir gute Kurzund Langzeitergebnisse erreichen können“, so Dr. Hermanns. Die klassische Indikation für die Shave-Therapie ist das therapieresistente Ulcus cruris aufgrund tiefer Veneninsuffizienz. Das Verfahren eignet sich ferner bei Ulkusrezidiven nach Venen- Stripping, Perforansdissektion, paratibialer Fasziotomie oder „klassischer“ Spalthautdeckung. Ideal sei es auch bei Gamaschenulzera. „Essenziell ist, ein schwer heilendes Ulkus frühzeitig zu erkennen“, bestätigte Prof. Läuchli. „Zeigt ein venöses Ulkus innerhalb vier Wochen nicht eine Flächenreduktion von mindestens 40 Prozent, ist die Chance klein, dass es nach drei Monaten abheilen wird.“ Für solche Ulzera solle man frühzeitig andere Verfahren für die Behandlung erwägen, in erster Linie chirurgische oder auch Hautersatzverfahren mittels Bioengineering. Prof. Hermanns führte das erste Shave-Verfahren 1998 durch, inzwischen hat er Daten zu 1580 Patienten. Bei 77 % dieser Patienten heilte das Ulkus komplett, was den Abheilungsraten von 70 bis 80 % in der Literatur entspricht. 2003 gründete Dr. Hermanns die AG Operative Ulkus Therapie, die regelmäßig Workshops zur Shave-Therapie anbietet. Der nächste findet im Juni 2018 in Bochum statt (Kontakt: hermanns@ venen-praxis.ch).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1801_Weblinks_jatros_derma_1801_s55_abb1-5.jpg" alt="" width="2150" height="1089" /></p> <h2>Stiefkind palliative Wunden</h2> <p>Als Stiefkind in der Wundbehandlung gelten Wunden in der Palliativsituation. Das sind nicht nur Wunden durch fortgeschrittenen Krebs am Lebensende, sondern auch andere nicht heilende Wunden wie Gangräne, Dekubitus, Wunden nach Bestrahlungen, aber auch Wunden bei Neugeborenen oder immungeschwächten Patienten jeden Alters. Ziel der palliativen Wundpflege ist es, wundspezifische Symptome zu verhindern oder zumindest zu lindern, um die Lebensqualität zu verbessern. Es ginge nicht nur um reines Wundmanagement, sondern auch darum, wie man den Patienten in seiner Gesamtsituation unterstützen könne, sagte Dr. Otto Gehmacher, Internist und Schmerztherapeut in der Palliativstation Hohenems.<br /> Einen guten Überblick über die Strategien hat Kevin Woo von der School of Nursing an der Queens Universität in Ontario gegeben.<sup>2</sup> Die wichtigsten Maßnahmen bestehen darin, Hautschäden durch die Mangeldurchblutung und eine weitere Verschlechterung von Ulzera zu verhindern, Beschwerden wie Schmerzen zu bessern, für psychisches Wohlbefinden zu sorgen, bei optimaler lokaler Wundpflege. Ein großes Problem sei die Schmerzstillung, so Dr. Gehmacher. Was tun, wenn ein Patient mit fortgeschrittenem Plattenepithelkarzinom bei jedem Verbandswechsel trotz oraler Analgetika so starke Schmerzen hat, dass er schreien muss? Wenn die Schmerzen mit stärkerer Analgesie stationär gut beherrschbar wären, der Betroffene allerdings nicht mehr ins Krankenhaus möchte? In diesem Fall bietet Dr. Gehmacher bei jedem ambulanten Verbandswechsel Midazolam und Ketamin intranasal an. Die Pharmakotherapie bleibt der Hauptpfeiler in der Schmerzbehandlung. Gemäß WHO-Stufenschema kommen bei leichten bis moderaten Schmerzen zum Beispiel nichtsteroidale Antiphlogistika zur Anwendung.<sup>3</sup> Gut würden sich bei Verbandswechseln auch topische Anwendungen eignen, etwa Morphin- Hydrogel oder Ketamin-Gel, erläuterte Dr. Gehmacher. „Reinigt man die Wunde so vorsichtig wie möglich, vermeidet man Reize wie Luftzug oder Rubbeln und lenkt den Patienten ab, kann das den Verbandswechsel ebenfalls erträglicher machen“, ergänzte Hilde Kössler, Vizepräsidentin der AG Palliativpflege der Österreichischen Palliativgesellschaft, Baden bei Wien. Bei schwereren neuropathischen Schmerzen und begleitender Angst oder Depression eignen sich Opioide und Antidepressiva, Schmerzhemmer wie Gabapentin bzw. Pregabalin, die zusätzlich anxiolytisch und sedierend wirken, oder topisches Lidocain. Als Faustregel sollte man die Schmerzmittel in regelmäßigen Abständen einnehmen, bis der Schmerz kontrolliert ist. Bei schmerzhaften Verbandswechseln können kurz wirksame potente narkotische Analgetika eingesetzt werden wie Fentanyl sublingual. Hilft dies nichts, bleiben noch die Allgemeinnarkose oder eine Lokal- oder Spinalanästhesie.<br /> Exulzerierende maligne Wunden treten bei 5 bis 10 % aller Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung auf. Am häufigsten sind Brust, Kopf und Hals betroffen. „Eine Kruste, die nicht abheilt, charakterisiert eine maligne Wunde treffend“, erklärte Gehmacher. Sie wächst schnell, schmerzt, bildet Fisteln oder Krater, riecht oft stark, es kann zu massiven Exsudationen kommen und es ist unwahrscheinlich, dass sie heilt. Dies müsse man im Behandlungsplan berücksichtigen.<br /> Der Geruch entsteht, weil proteolytische Bakterien Amine und Diamine produzieren. „Diesen Geruch verbindet man mit dem von verwesendem Fleisch“, erläuterte Prof. Dr. Sebastian Probst, Professor für Wundpflege an der Fachhochschule Westschweiz in Genf. „Kein Wunder, dass das die Patienten extrem stört.“ Gegen den Geruch kann man Antiseptika einsetzen, Metronidazol als Gel, Schaum oder systemisch, Silber- oder Aktivkohleverbände.<br /> Außerdem lässt sich der Geruch mittels Raumlufterfrischern, ätherischen Ölen, Schalen mit Balsamessig, Rasierschaum oder auch mit Katzenstreu überdecken. „Mit ein bisschen Kreativität können wir die Lebensqualität der Betroffenen enorm erhöhen“, betonte Kössler. Ein großes Problem sind zudem Blutungen aus den Wunden, die unvermittelt auftreten. „Das kann die Angehörigen sehr belasten, denn sie leben ständig mit der Angst, die nächste Blutung könne lebensbedrohlich sein“, sagte Kössler. Zur Verhinderung von Blutungen gibt es diverse topische Strategien, alternativ auch eine einmalige Radiotherapie. Dr. Gehmacher rät zu einem Notfallplan mit den Angehörigen und gibt einen Tipp: „Große und dunkle Tücher bereitlegen.“<br /> Eine nicht heilende Wunde verändert das ganze Leben – nicht nur das des Patienten, sondern auch das der Angehörigen. Die wundbezogenen Probleme sind oft unkontrollierbar oder unberechenbar, sie können Tag und Nacht auftreten. Die Wunde fängt zum Beispiel plötzlich an zu stinken, Exsudat abzusondern, zu jucken, zu schmerzen oder zu bluten. „Das ist eine enorme physische und psychische Herausforderung“, sagte Probst. Die Grenzen des Körpers lösten sich auf und man verliere die Kontrolle.<sup>4</sup> „Man muss sich das mal vorstellen: Auf einmal fließt es unkontrolliert aus einem heraus und man kann nichts tun, um es zu stoppen.“<br /> „Aufklärung ist das A und O, um die Schmerzkontrolle zu verbessern“, so Prof. Probst, etwa die Mechanismen der Schmerzentstehung erklären oder mit Fehlinformationen zur Abhängigkeit von Schmerzmitteln aufräumen. Mit Entspannungstechniken oder einer Verhaltenstherapie können die Betroffenen beispielsweise lernen, die Schmerzen nicht mehr so stark wahrzunehmen. Unterstützend können physikalische Maßnahmen wirken, ebenso wichtig sind Mittel, mit denen man die Haut um die Wunde herum schützt, etwa mit Silikon, Zinkoxid oder Hydrokolloiden.<sup>5</sup><br /> „Was alle Studien durchwegs zeigen, ist, dass nur ein ganzheitlicher empathischer Ansatz Erfolg hat“, so das Fazit des Wundexperten. „Damit der gelingt, müssen Arzt und nicht ärztliche Mitarbeiter palliative Wunden beurteilen können, in der Lage sein, einfühlsam über das sensible Thema mit dem Patienten und Angehörigen zu sprechen. Sie müssen die psychologischen Auswirkungen für den Patienten und seine Familie verstehen und natürlich die Wunde adäquat versorgen.“<sup>6</sup> Um das zu lernen, brauche es einiges Engagement der Mitarbeiter.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1801_Weblinks_jatros_derma_1801_s56_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1034" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1801_Weblinks_jatros_derma_1801_s54_fotos.jpg" alt="" width="891" height="977" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: WundD.A.CH-Kongress, 28.–30. September 2017,
St. Gallen
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Stücker M et al.: Vasomed 2001; 13: 160-1 <strong>2</strong> Woo KY et al.: Adv Skin Wound Care 2015; 28: 130-140 <strong>3</strong> Coutts P et al.: Nurs Stand 2008; 23(10): 42-6 <strong>4</strong> Probst S et al.: Eur J Oncol Nurs 2013; 17: 38-45 <strong>5</strong> Leitlinien der DGP Sektion Pflege: Exulzerierende Wunden. Stand 6/2015 <strong>6</strong> Alvarez OM et al.: Wounds 2002; 14: 13-18</p>
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