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Amnionmembran verhindert perineurale Adhäsionen und Fibrose
Jatros
Autor:
Susanne Wolbank, Ph.D.
AUVA Forschungszentrum, Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie, Wien
Autor:
Mag. med. vet. James Ferguson
AUVA Forschungszentrum, Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie, Wien
Autor:
Angela Lemke, Ph.D.
Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Chirurgische Forschung, Medizinische Universität Wien<br> AUVA Forschungszentrum, Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie, Wien<br> E-Mail: angela.lemke@meduniwien.ac.at
30
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12.07.2018
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<p class="article-intro">Perineurale Adhäsionen entstehen häufig nach Verletzungen und sind fibrotische Verbindungen, die den Nerv mit dem umliegenden Gewebe verkleben und dadurch starke, chronische Schmerzen verursachen können. Die bisher häufigste Behandlungs methode, die Neurolyse, ist oft nur eine temporäre Lösung, da die Adhäsionen häufig von Neuem entstehen. Unser Team konnte in einer experimentellen Studie nachweisen, dass die humane Amnionmembran eine sehr effektive Barriere gegen die Wiederentstehung von perineuralen Adhäsionen darstellt. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Adhäsionen sind fibrotische Verbindungen, die Gewebe und Organe miteinander verkleben.</li> <li>Chirurgische Eingriffe stellen das höchste Risiko für die Entstehung von Adhäsionen dar.</li> <li>Adhäsionen bilden sich nach chirurgischer Entfernung häufig erneut.</li> <li>Die humane Amnionmembran erwies sich als sehr vielversprechende Barriere, um die Reformation von perineuralen Adhäsionen zu verhindern.</li> </ul> </div> <p>Adhäsionen, Entzündungen und Fibrose stellen schwerwiegende Komplikationen nach operativen Eingriffen dar. Adhäsionen bestehen aus einer abnormen Anhäufung von fibrotischen Fasern, die aufgrund beeinträchtigter Heilungsprozesse nach Trauma nahezu unvermeidbar entstehen und Gewebe miteinander verkleben, die normalerweise unabhängig voneinander agieren. Sie können nach beinahe jeglicher Art von Verletzung und Trauma entstehen, wobei chirurgische Eingriffe das höchste Risiko für die Bildung solcher Verwachsungen darstellen. Obgleich sie in manchen Fällen klinisch asymptomatisch bleiben, verursachen sie oft starke chronische Schmerzen, sogar Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, und können somit zu einer drastischen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.<br /> Solche Schmerzen entstehen häufig durch Adhäsionen um periphere Nerven, die aufgrund ihrer Einbindung in fibrotische Fasern ihre Gleitfähigkeit verlieren, was zur Bewegungseinschränkung bis hin zur Funktionsunfähigkeit führen kann.<br />Die meistverwendete Therapie besteht aus der Resektion des vernarbten Gewebes und somit der Wiederfreilegung des Nervs, was als Neurolyse bezeichnet wird (Abb. 1). Jedoch bilden sich die Verwachsungen nach der chirurgischen Entfernung der fibrotischen Fasern häufig als sekundäre Adhäsionen erneut. Obwohl die Verwendung verschiedener Materialien, inklusive Fettgewebe, Muskellappen oder Kollagenfolien, getestet wurde, um die Neuentstehung von Adhäsionen zu verhindern, gibt es keine effektive Behandlung, die bereits routinemäßig in der Klinik verwendet wird.<br /> Das AUVA Forschungszentrum/Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie testete im Zuge einer neuen Studie die Verwendung eines „medizinischen Abfallmaterials“ als neuen Therapieansatz, nämlich die humane Amnionmembran (Abb. 2), um wiederkehrende Adhäsionen zu verhindern. Diese kombiniert einige der Eigenschaften, die einer idealen Therapie zugeschrieben werden. Die Amnionmembran ist eine biokompatible, abbaubare Gleitstruktur, die antiinflammatorische und antifibrotische Eigenschaften aufweist und deren Transplantation keine starken Immunreaktionen hervorruft, sondern gut verträglich ist. Außerdem haben wir kürzlich gezeigt, dass sie oberflächenaktive Substanzen ähnlich dem „pulmonary surfactant“ in der Lunge produziert.<sup>1</sup> Zudem ist sie ein medizinisches Abfallprodukt, sodass für die Verwendung keine ethischen Bedenken bestehen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1804_Weblinks_jatros_ortho_1804_s57_abb1+2.jpg" alt="" width="1417" height="1200" /></p> <h2>Material und Methoden</h2> <p>Um die Wirksamkeit der Amnionmembran präklinisch zu testen, wurde ein Rattenmodell verwendet, in dem Fibrosen und wiederkehrende, starke Adhäsionen am Nervus ischiadicus hervorgerufen wurden.<sup>2</sup> Um die klinische Situation nachzuahmen, wurde eine externe Neurolyse durchgeführt und somit das gesamte fibrotische Narbengewebe um den Nerv entfernt. Anschließend wurde die humane Amnionmembran als antiadhäsives Gleitgewebe um den Nerv gelegt (Abb. 2, rechts); in der Kontrollgruppe wurde der Nerv nicht behandelt. Über zwölf Wochen hinweg wurde die Reformation der Adhäsionen und der Fibrose untersucht.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Die Transplantation der humanen Amnionmembran verhinderte zu allen Zeitpunkten effektiv die Wiederkehr von starken perineuralen Adhäsionen. Der stärkste Unterschied zwischen den experimentellen Gruppen konnte vier Wochen nach der externen Neurolyse festgestellt werden (Abb. 3, 4). Die behandelten Ratten wiesen nur schwache Adhäsionen auf, wohingegen sich bei den unbehandelten Kontrollen überwiegend starke Verwachsungen gebildet hatten. Zudem wiesen die behandelten Nerven weit weniger fibrotische Bereiche auf als die der Kontrollen.<br /> Diese Ergebnisse spiegelten sich außerdem in der Analyse des Funktionsindexes, der anhand des Gangbildes berechnet wird, wider (Abb. 4 rechts). Es ist klar ersichtlich, dass die Nervenfunktion der Ratten, denen die humane Amnionmembran transplantiert wurde, schneller wie derkehrte als bei den Ratten ohne Behandlung. Diese Studie wurde unlängst in „Acta Biomaterialia“ veröffentlicht.<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1804_Weblinks_jatros_ortho_1804_s58_abb3+4.jpg" alt="" width="1417" height="1709" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>In dieser Studie, die am AUVA Forschungszentrum/Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie in Wien durchgeführt wurde, wurde die humane Amnionmembran als antiadhäsive Gleitstruktur in der Ratte getestet, um wiederkehrende perineurale Verwachsungen zu verhindern. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Transplantation von Amnion einen sehr effektiven, neuen therapeutischen Ansatz darstellt. Es konnte nicht nur die Reformation von starken Adhäsionen um den Nervus ischiadicus verhindert werden, sondern zudem ein proregenerativer Effekt im Gangbild der behandelten Ratten festgestellt werden.<br /> Da die humane Amnionmembran bereits als kryokonserviertes Produkt, beispielsweise bei der Gewebebank des Oberösterreichischen Roten Kreuzes in Linz, verfügbar und zugelassen ist, kann das Amnion schon am Patienten verwendet werden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Lemke A et al.: Human amniotic membrane as newly identified source of amniotic fluid pulmonary surfactant. Sci Rep 2017; 7(1): 6406 <strong>2</strong> Lemke A et al: A novel experimental rat model of peripheral nerve scarring: reliably mim icking post-surgical complications and recurring adhesions. Dis Model Mech 2017; 10(8): 1015-25 <strong>3</strong> Lemke A et al.: Transplantation of human amnion prevents recurring adhesions and ameliorates fibrosis in a rat model of sciatic nerve scarring. Acta Biomater 2018; 66: 335-49 <strong>4</strong> Bain JR et al.: Functional evaluation of complete sciatic, peroneal, and posterior tibial nerve lesions in the rat. Plast Reconstr Surg 1989; 83(1): 129-38</p>
</div>
</p>