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Rezidivierende Spontanaborte: aktuelle Diagnostik und Therapie
Jatros
Autor:
Dr. Anna Aulitzky
E-Mail: anna.aulitzky@tirol-kliniken.at
Autor:
Ass.-Dr. Kilian Vomstein
Autor:
Dr. Katharina Feil
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Bettina Toth
Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Medizinische Universität Innsbruck
30
Min. Lesezeit
01.06.2020
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<p class="article-intro">Als rezidivierende Spontanaborte werden mehrere aufeinanderfolgende Spontanaborte definiert. Die Ursachen dafür sind komplex und die Abklärung umfasst viele Aspekte. Aborte gelten nach wie vor noch oft als gesellschaftliches Tabuthema und sind insbesondere für die Frauen schambesetzt.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Genaue Indikationsstellung durch gute Anamnese und Berücksichtigung der reproduktionsmedizinischen Gesamtkonstellation des Paares</li> <li>Leitlinienorientierte Diagnostik</li> <li>Zielgerichtete Therapie anhand der erhobenen Befunde</li> </ul> </div> <p>Gemäß der WHO bezeichnet der Begriff „Abort“ den Verlust einer Schwangerschaft von der Konzeption bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW) oder bis zu einem Gewicht des Feten von 500 g.<sup>1</sup> Rezidivierende Spontanaborte (RSA) definiert die WHO als drei oder mehr konsekutive Aborte vor der 20. SSW, während die Amerikanische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) bereits nach zwei konsekutiven Aborten von RSA spricht.<sup>1, 2, 26</sup> Circa 1–3 % der Paare mit Kinderwunsch sind von RSA betroffen, mit zum Teil schwerwiegenden Konsequenzen für Partnerschaft und Lebensqualität.<sup>3</sup> Nicht zuletzt sind Aborte gesellschaftlich oft noch ein Tabuthema und insbesondere für die Frauen schambesetzt.<br /> Bei betroffenen Paaren mit RSA unterscheidet man zwischen primären RSA, wobei das Paar bislang noch keine erfolgreiche Schwangerschaft hatte, und sekundären RSA, hierbei kommt es nach einer oder mehreren Lebendgeburten zu wiederholten Aborten.<sup>4</sup> Aufgrund des zunehmenden Alters der Paare zum Zeitpunkt der ersten Schwangerschaft nimmt das Auftreten von RSA insgesamt zu. Eine adäquate Diagnostik sollte die relevanten Ursachen für RSA umfassen sowie gleichermaßen das Alter des Paares und die reproduktionsmedizinische Ausgangslage und damit die Therapierelevanz und Kosteneffizienz beachten. Vorausgehend sollte immer eine ausführliche und zielgerichtete Anamnese erhoben werden. Im Rahmen des Erstgesprächs kann anhand der Wiederholungswahrscheinlichkeit für einen Spontanabort (Tab.1) die Notwendigkeit einer weiteren Abklärung mit dem Paar erörtert werden, da mit zunehmender Anzahl an vorangegangenen Aborten auch die Wiederholungswahrscheinlichkeit steigt, wobei gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für eine embryonale chromosomale Auffälligkeit sinkt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Gyn_2001_Weblinks_jat_gyn_2001_s32_tab1_aulitzky.jpg" alt="" width="850" height="197" /></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Ätiologie und Pathologien, welche für RSA ursächlich sein können, sind vielfältig. Das Spektrum reicht von genetischen Ursachen (der Eltern bzw. des Embryos/Fötus) bis hin zu anatomischen Fehlbildungen und sollte differenziert und leitlinienorientiert abgeklärt werden (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Gyn_2001_Weblinks_jat_gyn_2001_s33_tab2_aulitzky.jpg" alt="" width="850" height="394" /></p> <h2>Genetik</h2> <p>Chromosomenaberrationen des ungeborenen Kindes stellen die häufigste Ursache für den Verlust einer Schwangerschaft dar.<sup>6, 7</sup> Hiervon sind insbesondere Schwangere über 35 Jahre betroffen, da mit dem steigenden maternalen Alter auch das Risiko für Chromosomenaberrationen zunimmt. Die Prävalenz einer Chromosomenanomalie bei einem spontanen Abort beträgt bis zu 45 % , zudem ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Chromosomenstörung umso höher, je früher es in der Schwangerschaft zu einer Fehlgeburt kommt.<sup>8</sup><br /> Neben dem mütterlichen Alter spielen auch balancierte Chromosomenanomalien bei phänotypisch gesunden Eltern eine Rolle, da diese zu manifesten Chromosomenstörungen beim Kind führen können. In der Folge kommt es gehäuft zu frühen Spontanaborten.<br /> Die S2k-Leitlinie der Österreichischen, Deutschen und Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG, DGGG, SGGG) empfiehlt eine Analyse der elterlichen Chromosomen im Rahmen der Abklärung von RSA. Darüber hinaus sollte bei erneut auftretenden Aborten eine zytogenetische Aufarbeitung des Abortmaterials erfolgen, um eine mögliche chromosomale Auffälligkeit des Fötus zu erfassen. Eine Präimplantationsdiagnostik zum Zwecke der Abortprophylaxe wird bei genetisch unauffälligen Paaren derzeit nicht routinemäßig empfohlen.</p> <h2>Anatomische und strukturelle Faktoren</h2> <p>Anatomische Veränderungen des Uterus wie Uterussepten, Myome, Polypen oder andere strukturelle Fehlbildungen sollten abgeklärt werden. Die Inzidenz uteriner Anomalien bei RSA-Patientinnen wird in der Literatur mit 10 % bis 25 % beziffert, im Vergleich zu 5 % in der Kontrollgruppe.<sup>9</sup> Erworbene Uterusanomalien wie Myome, Polypen und Synechien werden ebenfalls als Risikofaktoren für Fehlgeburten diskutiert.<sup>10, 11</sup> Je nach Lokalisation können sie ebenfalls zum Abortgeschehen beitragen, wobei Studien darauf hindeuten, dass submuköse Myome dabei die größte Rolle spielen.<sup>12, 13</sup> Diese strukturell-anatomischen Faktoren werden im Rahmen der Abklärung mittels Vaginalsonografie, 3D-Sonografie oder Hysteroskopie diagnostiziert und sollten operativ therapiert werden.</p> <h2>Immunologische Faktoren</h2> <p>Bereits 1953 wurde von Medawar mit der Bezeichnung der fetoplazentaren Einheit als „fetoplazentares Allograft“, also als genetisch nicht zur Mutter identisches Transplantat, die Reproduktionsimmunologie mitbegründet.<sup>14, 15</sup> Um eine Abstoßung des Fetus durch das Immunsystem der Mutter zu verhindern, sind verschiedene Mechanismen notwendig. Bisherige Studien zu immunologischen Aspekten bei RSA konzentrieren sich auf das Antiphospholipid-Syndrom (APS), Autoantikörper (ANA), Zytokine, T- und B-Zellen sowie natürliche Killerzellen im peripheren Blut oder Endometrium. Das APS tritt bei 5–20 % der RSA-Patientinnen auf und beruht auf klinischen und laborchemischen Diagnosekriterien. Bei nachgewiesenem APS wird die Gabe von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (100 mg) bis zur 34 + 0 SSW sowie niedermolekulares Heparin (NMH) bis 6 Wochen postpartal empfohlen.<sup>16–19</sup><br /> Der Nachweis von erhöhten ANA-Titern gibt unspezifische Hinweise für eine allgemeine Aktivierung des Immunsystems und kann sowohl bei Patientinnen mit Autoimmunkrankheiten als auch bei gesunden Frauen vorkommen. Sollte bei einer Patientin eine definierte Autoimmunkrankheit vorliegen, sind eine enge Kooperation und Kommunikation mit den rheumatologischen Fachdisziplinen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit sinnvoll.<sup>20, 21</sup> Der Grenzwert für eine Titererhöhung bewegt sich zwischen 1 : 80 bis 1 : 160.</p> <h2>Thrombophilien</h2> <p>Zu den hereditären Thrombophilien gehören Mutationen im Faktor-V-, Prothrombin-Gen sowie MTHFR-Gen-Polymorphismen. Darüber hinaus sind Protein C/S- und Antithrombin-Mangel sowie eine Faktor-VIII-Erhöhung mit RSA assoziiert. Als Pathomechanismus wird eine uteroplazentare Thrombosierung diskutiert, welche in der Folge zu einer Minderperfusion der Plazenta und weiter zum Abort führt. Bis zu 15 % der kaukasischen Bevölkerung zeigen veränderte Thrombophilie-Parameter.<sup>22–26</sup> Eine umfassende Gerinnungsabklärung sollte nicht bei allen Patientinnen, sondern nur bei nachweislichem Risiko für das Vorhandensein einer Thrombophilie durchgeführt werden. Bei Hinweisen auf das Vorliegen eines prokoagulatorischen Gerinnungsstatus wird in den aktuellen S2k-Leitlinien die Gabe von NMH empfohlen.<sup>21, 23–26</sup></p> <h2>Infektionen</h2> <p>Eine chronische Endometritis verläuft meist asymptomatisch. Mögliche Symptome umfassen chronische Unterbauchschmerzen, auffälligen Fluor oder rezidivierende vaginale Schmierblutungen. Den Goldstandard der Diagnostik stellt der Nachweis von Syndecan-1 (CD138) in einer Endometriumbiopsie dar. Als typische Erreger hierbei sind unter anderem Ureaplasmen, Mykoplasmen und Chlamydien zu erwähnen.<sup>27, 28</sup> In diesem Fall sollte eine zielgerichtete Therapie mit Antibiotika erfolgen. Studien konnten erhöhte Lebendgeburtenraten nach einer erfolgreichen Therapie einer chronischen Endometritis bei RSA-Patientinnen zeigen.<sup>28</sup></p> <h2>Endokrinologische Faktoren</h2> <p>Eine weitere wichtige Rolle im Rahmen von RSA können endokrinologische Faktoren spielen. Zu nennen sind hier mitunter Schilddrüsendysfunktionen, vorwiegend die Hypothyreose, Glukosetoleranzstörungen, insbesondere schlecht eingestellter Diabetes mellitus, der gesamte Formenkreis des metabolischen Syndroms mit Adipositas und assoziierter Hyperandrogenämie sowie das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS).<sup>29–31</sup> Vor allem vor dem Hintergrund einer fehlenden Definition einer Lutealphaseninsuffizienz liegt derzeit noch keine eindeutige Datenlage zur Therapie dieser vor. Sie sollte jedoch im Rahmen einer Abklärung von RSA gemäß Leitlinie berücksichtigt werden.<sup>21</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Gyn_2001_Weblinks_jat_gyn_2001_s33_tab3_aulitzky.jpg" alt="" width="850" height="334" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die Ursachen für RSA sind komplex und die Abklärung umfasst viele Aspekte. Eine umfassende Anamnese stellt die Grundlage eines sinnvollen Vorgehens dar. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit sollte bei Vorerkrankungen wie z. B. rheumatischen oder anderen immunologischen Erkrankungen gesucht werden. Als Fundament der diagnostischen Abklärung bzw. des therapeutischen Vorgehens dient die aktuelle AWMF-Leitlinie.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> WHO: recommended definitions, terminology and format for statistical tables related to the perinatal period and use of a new certificate for cause of perinatal deaths. Modifications recommended by FIGO as amended October 14, 1976. Acta Obstet Gynecol Scand 1977; 56(3): 247-53 <strong>2</strong> ASRM Practice Committee: Definitions of infertility and recurrent pregnancy loss. Fertil Steril 2008; 90(5): S60 <strong>3</strong> Carrington B et al.: Recurrent miscarriage: pathophysiology and outcome. Curr Opin Obstet Gynecol 2005; 17(6): 591-7 <strong>4</strong> van de Vijver MJ et al.: A gene-expression signature as a predictor of survival in breast cancer. N Engl J Med 2002; 347(25): 1999-2009 <strong>5</strong> Andersen A-MN: Maternal age and fetal loss: population based register linkage study. 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