
©
Getty Images/iStockphoto
Präventionsstrategien bei Kniegelenksverletzungen
Jatros
Autor:
Assoz. Prof. PD DDr. Patrick Sadoghi, PhD, MBA
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Graz
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Gerald Gruber, MBA
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Gerwin Bernhardt, MBA
E-Mail: gerwin.bernhardt@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Präventionsprogramme können die Inzidenz an VKB-Rupturen verringern und damit auch Folgeverletzungen und Spätfolgen wie die sekundäre Gonarthrose verhindern. Metaanalysen konnten einen signi kanten klinischen Nutzen von Präventionsprogrammen zeigen, wobei dieser bei Frauen geringer als bei Männern ausfällt. Für den Au au von Präventions- programmen ist es wichtig, zwischen intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren einerseits und beein ussbaren und nicht beein ussbaren Faktoren andererseits zu unterscheiden. Die meisten Risken lassen sich beein ussen. Präventionsprogramme beinhalten eine Vielzahl von verschiedenen Trainingsaspekten, wobei auch ein adäquates Aufwärmtraining zur Verletzungsprävention zu berücksichtigen ist.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Eine rezente deutsche Untersuchung zeigt, dass es bei Mannschaftssportarten, im Speziellen Fußball, Volleyball und Basketball, übermäßig häufig zu Verletzungen der unteren Extremitäten kommt. Neben Zerrungen sind Bandverletzungen und Prellungen, gefolgt von Frakturen, die häufigsten Verletzungen. Etwa 60 % dieser Verletzungen geschehen in Wettkampfsituationen, 40 % im Trainingssetting. Im Ballsport entstehen Knieverletzungen bei der Landung nach einem Sprung, während schneller Richtungswechsel oder Abbremsbewegungen. Oft handelt es sich um kombinierte Verletzungen mit Meniskus-, Knochen- und Bandbeteiligung. Etwa jede Stunde kommt es zu einer Ruptur eines vorderen Kreuzbandes (VKB) in Österreich, wobei ca. 10 000 VKB-Rupturen jährlich operiert werden.<br />VKB-Rupturen führen in vielen Fällen zu einer instabilen Kniegelenkssituation. Mit einem instabilen Kniegelenk geht ein höheres Risiko für Meniskus- und Knorpelläsionen einher. Durch unbehandelte VKB-Rupturen, Instabilität und Folgeverletzungen erhöht sich die Inzidenz der Gonarthrose bzw. gilt das beschleunigte Auftreten einer Arthrose als erwiesen. <br />Durch einen Anstieg an Risikosportarten wurde bereits 2009 in einer Arbeit eine jährliche Zunahme von 20 % an VKB-Rupturen postuliert. Daneben ist bekannt, dass vor allem bei jüngeren Patienten einer von drei eine Reruptur innerhalb von 10 Jahren erleidet. Die Gesamtrezidivrate von VKB-Rupturen über alle Altersklassen hinweg wird mit bis zu 23 % beziffert. Darüber hinaus erleiden 7–24 % der Patienten auch eine Ruptur an der kontralateralen Seite. <br />Die steigenden Zahlen an Operationen, daraus folgenden Rehabilitationen, Krankenständen der zumeist im Berufsleben stehenden Personen sowie Folgeschäden nach VKB-Rupturen führen zu enormen Kosten, sodass in besonderem Maße auch eine sozioökonomische Relevanz der VKB-Ruptur in Betracht gezogen werden muss.<br />Aus den genannten Gründen kommt Präventionsmaßnahmen eine wichtige Bedeutung zu, um die Zahl an VKB-Rupturen zu verringern, aber auch volkswirtschaftlich Kosten zu sparen. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass sich die entstehenden Kosten für relativ teure Präventionsprogramme aus Public-Health-Sicht durch entsprechende Einsparungen bei der Unfallvermeidung jedenfalls rentieren.</p> <h2>EBM von Präventionsstrategien</h2> <p>In der Vergangenheit konnte nach evidenzbasierten Kriterien mehrfach gezeigt werden, dass Präventionsprogramme in der Lage sind, Verletzungen im Bereich des Kniegelenks zu reduzieren. Auch die aktuellen S1-Leitlinien der DGU und der ÖGU zur Therapie der VKB-Ruptur beinhalten Empfehlungen zur Prävention, einschließlich der Etablierung von Präventionsprogrammen (Tab. 1). Dabei wird auch auf notwendige Programme speziell für Frauen und Mädchen in Risikosportarten verwiesen, da bekanntermaßen das weibliche Geschlecht bis zu viermal häufiger von VKB-Rupturen betroffen ist. Auch Versicherer setzen auf Prävention, wie beispielsweise die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s12_1.jpg" alt="" width="2150" height="1875" /><br />Studien zeigten, je mehr Prävention ein Sportler betreibt, desto seltener ist er verletzt. In einer Arbeit konnte beispielsweise ein Training von 30 Minuten pro Woche das Verletzungsrisiko bezüglich einer VKB-Ruptur bereits um 70 % reduzieren. Metaanalysen von Präventionsprogrammen konnten mehrfach zeigen, dass es zu einer signifikanten Reduktion von Kreuzbandrupturen nach Präventionsprogrammen im Ausmaß von durchschnittlich 27–51 % kommen kann. Eine Arbeit zeigte sogar eine Risikoreduktion durch Präventionsprogramme von bis zu 85 % bei Männern, bei Frauen hingegen nur von 52 % .<br />Insgesamt ist die Ruptur des VKB in der Prävention die am besten untersuchte Verletzung am Kniegelenk, weshalb dieser Artikel sich auch im Wesentlichen mit Präventionsstrategien zur Vermeidung von VKB-Verletzungen beschäftigt.</p> <h2>Verletzungsanalyse und Risikofaktoren</h2> <p>Um geeignete Präventionsstrategien entwickeln zu können, müssen Unfallursache und -hergang bekannt sein. Als Risikosportarten gelten „Stop and go“-Sportarten wie Ballsportarten, allen voran Fußball, Handball und Basketball, aber auch alpiner Schisport und Kampfsportarten wie Judo. 72–95 % der VKB-Verletzungen entstehen in sogenannten Nichtkontaktsituationen, das heißt ohne Fremdeinwirkung. Interessanterweise zeigt eine aktuelle Arbeit, dass bei der Initialruptur häufiger das linke Kniegelenk betroffen ist. Videoanalysen haben geholfen, die Unfallmechanismen, die im Wesentlichen immer auf einen von drei möglichen Mechanismen zurückzuführen sind, und die Körperposition mit den Krafteinwirkungen, die zur Ruptur führen, zu verstehen (Tab. 2). <br />Neben dem Unfallmechanismus müssen außerdem Risken, die zu Verletzungen prädisponieren, bekannt sein, um sie nach Möglichkeit ausschalten oder reduzieren zu können. Dabei wird zwischen intrinsischen Faktoren, die das Individuum betreffen, und extrinsischen, d.h. äußeren, Umweltfaktoren unterschieden. In beiden Fällen gibt es vermeidbare Risken, aber auch solche, die sich nicht reduzieren lassen (Tab. 3).<br />Wesentliche extrinsische Faktoren, welche die Rate an VKB-Rupturen beeinflussen, sind zum Beispiel Sportschuhe und der Spielbelag oder Wetterbedingungen. So konnte gezeigt werden, dass im American Football die Rate an VKB-Rupturen mit Schuhen mit einer hohen Anzahl an Stollen geringer war. Außerdem kann beispielsweise im Fußball in der Pause durch Wässerung der Spielfläche das Risiko für eine VKB-Ruptur reduziert werden. Die nicht beeinflussbaren intrinsischen Faktoren stellen vor allem für Frauen einen Nachteil dar. Bei den beeinflussbaren intrinsischen Faktoren ist es das Ziel, neuromuskuläre Ungleichgewichte und biomechanische Probleme im Training in der Form auszugleichen, dass es im Wettkampf und Ernstfall korrekte, automatisierte Kontrollabläufe gibt. Einer relativen Beeinflussbarkeit unterliegen zum Beispiel das Körpergewicht und die Beinachse, die operativ korrigiert werden könnte. In Summe zählt die Mehrzahl an Risken zu den beeinflussbaren Faktoren.<br />Der Vollständigkeit halber soll erwähnt sein, dass sportassoziierte Verletzungen durch das Risiko Sport per se vermieden werden können, wenn man keinen Sport ausüben und somit eine gewisse „Expositionsprophylaxe“ betreiben würde.</p> <h2>Präventionszeitpunkte</h2> <p>In der Prävention kann zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterschieden werden. Die Primärprävention von VKB-Rupturen hat das Ziel, die Entstehung von VKB-Rupturen zu vermeiden, und bildet somit den Großteil der Präventionsprogramme. Durch eine Vielzahl von verschiedenen Trainingsprogrammen, die sich aus mehreren Aspekten zusammensetzen (siehe unten), soll das Entstehen einer VKB-Ruptur gänzlich verhindert werden. Die Sekundärprävention soll das Fortschreiten der Erkrankung verhindern, also durch eine frühzeitige Entdeckung der Pathologie Folgeschäden minimieren. Die Tertiärprävention beinhaltet die Rückfallprophylaxe und die Verringerung der Schwere und Ausweitung des Zustandsbildes. In der Regel handelt es sich dabei um bereits operierte Patienten, die dieselben Übungen durchführen wie Patienten in der Primärprävention.</p> <h2>Screeningtests</h2> <p>Mithilfe von definierten Screeningtests, beispielsweise dem Drop Jump Screening Test, kann das Risiko für verschiedene Sportler – wie wahrscheinlich ein VKB-Verletzungsereignis ist – bestimmt werden. Damit wird festgestellt, ob der Sportler von einem Präventionsprogramm profitiert. Diese Screeningtests können initial und dann auch im Verlauf zur Beurteilung des Erfolges der Präventionsprogramme eingesetzt werden. Unterstützend können hier Videoanalysen eingesetzt werden.</p> <h2>Aufbau von Präventions­programmen</h2> <p>Die meisten Präventionsprogramme haben einen standardisierten Aufbau. Dieser Aufbau beinhaltet fünf wichtige Schlüsselpunkte (Tab. 4). Dabei fällt der Schulung und Aufklärung über Unfallursachen sowie der Modifikation potenziell gefährdender Bewegungsmuster eine besondere Bedeutung zu. Das Krafttraining hat die höchste Priorität, wobei vor allem die Knieflexoren, Hüftabduktoren und Rumpfstabilisatoren trainiert werden. Die Rumpfkräftigung erhöht die Kontrollfunktion. Auch ein gutes Aufwärmtraining vermag Knieverletzungen um ca. 27 % und spezifisch VKB-Verletzungen sogar um 50 % zu reduzieren. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an etablierten Programmen. Exemplarisch sind einige der bekanntesten in Tabelle 5 aufgeführt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s12_2.jpg" alt="" width="2150" height="537" /><br />Eine heuer publizierte Arbeit konnte zeigen, dass das FIFA-11-Programm einen größeren biomechanischen Effekt bei jüngeren weiblichen Patienten erzielte als bei älteren Adoleszenten. Gemeinsames Ziel aller Programme ist die sorgfältige und regelmäßige Kontrolle eines korrekten Bewegungsablaufes unter bewusster Vermeidung von Positionen und Stellungen, die Verletzungen nach sich ziehen können. Besonderes Augenmerk wird dabei auf einen dynamischen Knievalgus, eine auswärtsrotierte Fußstellung sowie einen zu aufrechten Oberkörper gelegt. Die verwendeten Techniken dabei sind neuromuskuläres Training, Gleichgewichtstraining (beispielsweise mit einem Kreisel), Plyometrietraining (eine spezielle Art von Schnellkrafttraining, welches die Valgusstellung vermindert), Krafttraining sowie Beweglichkeits- und Agilitätstraining. Einige neuere Techniken wie Partnertraining, Videofeedback, visuelle Simulation und inertialsensorbasiertes Echtzeit-Feedback konnten das motorische Lernen weiter verbessern. Durch einen externen Aufmerksamkeitsfokus lassen sich die automatische Bewegungskontrolle und die Gesamtleistung weiter verbessern. Gemäß der „Constrained action“-Hypothese wird durch einen Fokus auf den Bewegungseffekt die Nutzung unbewusster, automatischer Prozesse begünstigt. Der externe Fokus führt durch eine Automatisierung des Transfers von der Übung zur Anwendung im Sport zu einem langfristigen Erfolg.</p></p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Multiligamentverletzungen im Knie: die ideale Bandplastik
Kombinationsverletzungen mehrerer Bänder im Kniegelenk sind eine Herausforderung in der Orthopädie. Ohne korrekte Therapie ist das Risiko für Rotationsinstabilitäten hoch. Eine vordere ...
Patientenoptimierung in der orthopädischen Chirurgie
Die Patientenoptimierung vor orthopädischen Eingriffen, insbesondere in der Endoprothetik, spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Operation und die Zufriedenheit der ...
Versagensanalyse nach Rotatorenmanschettenrekonstruktion
Die Rotatorenmanschette (RM) besteht aus den Muskeln Supraspinatus, Infraspinatus, Teres minor und Subscapularis. Diese zentrieren den Oberarmkopf in der Gelenkpfanne und tragen jeweils ...