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Palmare winkelstabile Verplattung – Tipps und Tricks zur Vermeidung von Komplikationen
Jatros
Autor:
Dr. Johannes Rois
Unfallkrankenhaus Wien Meidling<br> E-Mail: johannes.rois@auva.at
30
Min. Lesezeit
30.03.2017
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<p class="article-intro">Die distale Speichenfraktur ist die häufigste Fraktur des menschlichen Skeletts. Die meistverwendete Operationsmethode zur Versorgung des instabilen distalen Speichenbruches ist die offene Reposition und palmare winkelstabile Verplattung. Diese Behandlung ist oft erfolgreich, es kommt jedoch immer wieder zu postoperativen Komplikationen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die operative Versorgung des instabilen distalen Speichenbruches mit der palmaren winkelstabilen Platte ist weit verbreitet.</li> <li>Eine vollständige Vermeidung von Komplikationen ist sicherlich nicht möglich.</li> <li>Das Bewusstmachen typischer Komplikationen nach palmarer winkelstabiler Verplattung könnte dazu beitragen, einerseits die Anzahl der operativen Komplikationen zu senken und andererseits Komplikationen frühzeitig zu erkennen, um diese entsprechend rechtzeitig therapieren zu können.</li> </ul> </div> <p>Die Komplikationen betreffen nicht nur das Radiokarpalgelenk, sondern auch das distale Radioulnargelenk (DRUG). Viele der Komplikationen (Sehnenirritation, Sehnenruptur, sekundärer Korrekturverlust, intraartikuläre Schraubenlage, vorstehende Platte, Beeinträchtigung des distalen Radioulnargelenkes, …) lassen sich auf die Operationstechnik zurückführen. Das Ziel der Operation ist die anatomische Reposition und das Halten der Reposition, um ein gutes funktionelles Ergebnis zu erreichen. Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass die Verheilung in Fehlstellung ab einem bestimmten Ausmaß das Frühund Langzeitergebnis wesentlich beeinflussen kann. Die Kenntnis der chirurgischen Anatomie der distalen Speiche ist ein essenzieller Bestandteil der Operationstechnik. Verschiedene winkelstabile, meist multidirektionale, anatomisch vorgeformte Plattensysteme stehen zur Verfügung. Die Kenntnis des Verblockungsmechanismus zwischen Platte und Schraube ist für eine stabile Frakturfixation wichtig.</p> <h2>Korrektur – Korrekturverlust</h2> <p>Man unterscheidet zwischen initialer inadäquater Reposition und sekundärem Korrekturverlust infolge unzureichender Fixation von Frakturfragmenten, nicht winkelstabiler Fixation der Schrauben in der Platte oder eines Nachsinterns des Bruches. Ein postoperativer sekundärer Korrekturverlust lässt sich meist in der routinemäßigen Röntgenkontrolle nach Wundheilung erkennen. Notwendige Korrekturoperationen sollten zu diesem Zeitpunkt erfolgen.<br /> Um ein gutes funktionelles und radiologisches Ergebnis zu erzielen, sind die anatomische Reposition und stabile Frakturretention anzustreben. Dies wird durch eine offene Reposition und Fixation mit der winkelstabilen Platte erreicht. Die Unfallbilder und die Repositionsbilder geben uns Informationen über die Frakturanatomie. Für weitere Informationen sind bei komplexen Frakturen präoperative CTUntersuchungen sehr hilfreich. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Mitbeteiligung der lunären Gelenksfacette, insbesondere auf das palmare ulnare Kantenfragment, gelegt werden. Die mittlere Säule des Handgelenkes (lunäre Gelenksfacette, Incisura ulnaris) spielt eine wichtige Rolle in der Kraftübertragung und erfordert eine sichere rigide stabile Fixation. Oft kommt es hier zu einem sekundären Korrekturverlust.<br /> Von entscheidender Bedeutung für die offene Reposition ist der Zugang zum distalen palmaren Radius. Der Standardzugang ist der Zugang nach Henry. Entscheidend ist die Ablösung des Musculus pronator quadratus, um eine gute Sicht auf den distalen Radius zu erhalten. Empfehlenswert ist die L-förmige Inzision des Muskels: längsverlaufend am radialen Rand nach distal bis zur fibrösen Übergangszone des Muskels (zwischen distalem Rand des Musculus pronator quadratus und der palmaren Kapsel); von hier erfolgt eine quere Inzision nach ulnar. Der Vorteil dieses Zugangs besteht darin, dass nach Abschieben des Muskels nach ulnar eine freie Sicht auf den distalen Radius besteht. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Refixation des Muskels in den meisten Fällen möglich ist, um eine Friktion des Implantats mit den Beugesehnen zu vermeiden. Die uneingeschränkte Sicht auf den distalen Radius erleichtert die anatomische Reposition, auch des ulnaren palmaren Kantenfragments, welches auch als Schlüsselfragment des distalen Radius bezeichnet wird. Keine oder eine inkorrekte Reposition dieses Fragments bzw. die nicht stabile Fixation können zur Inkongruenz im DRUG führen oder auch zu einer Subluxation des Karpus. In den meisten Fällen sollte vor Anlegen und Fixation der Platte die Reposition erfolgen. Da es sich oft um instabile Situationen handelt, können eine temporäre Kirschnerdraht-Fixation oder auch die Zuhilfenahme von Repositionsklemmen notwendig sein. Die Bohrdrähte können interfragmentär oder über die Platte in den dafür vorgesehenen Plattenlöchern eingebracht werden. Die Bohrdrähte werden nach stabiler Plattenfixation entfernt.<br /><br /> Radiologische Parameter, die bei der Reposition beachtet werden müssen, sind wie folgt:<br /><br /> – palmare Neigung<br /> – radiale Inklination<br /> – Ellenvorschub – Radiuslänge<br /> – Gelenkstufe bei intraartikulären Frakturen<br /> – radiale Translation des Gelenkfragments<br /> – ulnare Translation des Radiusschaftes<br /><br /> Erst durch die annähernd anatomische Reposition der dorsalen Abkippung ist eine winkelstabile subchondrale Fixation des Gelenkfragments möglich. Bei unzureichender Reposition ist einerseits eine subchondrale Schraubenplatzierung ohne intraartikuläre Schraubenlage nicht möglich, andererseits können beim Versuch der subchondralen Positionierung der Schrauben diese meist nicht im vorgegebenen Winkel eingebracht werden. Somit ist eine winkelstabile Fixation nicht möglich. Die Folge ist ein sekundärer Korrekturverlust.<br /> • Tipps: Zum Halten der Reposition kann das distale Gelenkfragment mit einem über die Platte eingebrachten Bohrdraht temporär fixiert werden. Dadurch wird das Bohren der Schraubenlöcher erleichtert. Bei extrartikulären bzw. nicht dislozierten intraartikulären Frakturen mit erhaltener palmarer Kortikalis (Scharnier) kann die Reposition der dorsalen Neigung auch über die Platte erfolgen. Die Platte wird dazu zuerst im distalen Hauptfragment fixiert (auf korrekte Lage der Platte und winkelstabile Fixation achten). Die Platte steht dadurch entsprechend der dorsalen Neigung vom Speichenschaft ab. Durch Druck auf das proximale Plattenende erfolgt die Reposition und die Platte kann im Schaftbereich fixiert werden.<br /><br /> Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Wiederherstellung und das Halten der Radiuslänge. Verbliebene Radiusverkürzungen bzw. ein relativer Ellenvorschub können zu einer Beeinträchtigung des DRUG im Sinne eines Impaction-Syndroms führen. Gründe können ein sekundärer Korrekturverlust sein, hervorgerufen durch ein Zusammensintern des Bruches infolge inadäquater subchondraler Schraubenplatzierung, oder ein Versagen des winkelstabilen Mechanismus.<br /><br /> • Tipps: Subchondrale Schraubenplatzierung. Oft kann die Wiederherstellung der Radiuslänge Probleme bereiten, besonders dann, wenn die palmare Kortikalis ausgebrochen ist und das „Scharnier“ nicht wirklich funktioniert. In diesen Fällen wird die Platte in Verkürzung des Radius angelegt und fixiert. 2cm proximal des proximalen Plattenendes wird eine monokortikale Schraube eingebracht und ein Wirbelspreizer zwischen dem Plattenende und der Schraube eingesetzt. Durch Lockerung der Schraube im ovalen Schraubenloch und Druck auf den Spreizer erfolgt die Distraktion. Eine andere Möglichkeit der Wiederherstellung der Radiuslänge bei gleichzeitiger dorsaler Abkippung (Abb. 1) ist die weiter oben beschriebene Technik mit der Reposition über die Platte. Die Platte wird vorerst distal fixiert und danach ein Bohrdraht durch ein Schraubenloch am proximalen Plattenende senkrecht auf den Speichenschaft eingebracht. Durch Druck auf das proximale Plattenende erfolgt eine Längenkorrektur und gleichzeitig eine Reposition der dorsalen Neigung.<br /><br /> Neben den gängigen radiologischen Parametern muss auch auf eine Korrektur der radialen Translation des distalen Radius bzw. der ulnaren Translation des Radiusschaftes geachtet werden (Abb. 2). Eine verbliebene Fehlstellung kann insbesondere bei begleitender TFCC-Läsion oder Abriss des Ellengriffelfortsatzes zu einer Instabilität im DRUG führen. Die Erklärung für dieses Phänomen liegt im distalen Anteil der Membrana interossea, im Besonderen im distalen Schrägband. Das distale Schrägband ist ein sekundärer Stabilisator des DRUG. Durch eine distale Radiusfraktur, assoziiert mit einer TFCCLäsion oder einem Abbruch des Ellengriffelfortsatzes, kann es zu einer Lockerung dieses Bandes kommen, was zu einer radialen Translation des distalen Radius bzw. zu einem ulnaren Shift des Radiusschaftes führt. Durch Wiederherstellung des koronalen Alignments kommt es zu einer Anspannung des Bandes. Dadurch lassen sich weitere Eingriffe an der Ulnarseite des Handgelenks vermeiden.<br /><br /> • Tipps: Erkennen und Korrigieren einer radialen Translation. Achten Sie auf die Lage des Ellengriffelfortsatzes. Die Korrektur kann manchmal Probleme bereiten. Als Repositionshilfen können ein Einzinkerhaken am Radiusschaft oder ein Wirbelspreizer bzw. ein Gelpi-Spreizer zwischen Elle und Speiche eingesetzt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s41_abb1.jpg" alt="" width="2150" height="1148" /></p> <p><img style="undefined" src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s41_abb2.jpg" alt="" width="2150" height="962" /></p> <h2>Plattenlage</h2> <p>In der Sagittalebene betrachtet hat das distale palmare Speichenende eine konkave Form. Diese Grube ist bedeckt vom Musculus pronator quadratus. Die Konkavität wird distal begrenzt durch eine transversale Knochenkante, die Watershed- Linie. Die palmare Kapsel und Bänder inserieren distal der Watershed-Linie. Am radialen Rand dieser Knochenkante findet sich ein Knochenvorsprung – die palmare radiale Tuberositas. Die korrekte Plattenlage ist proximal der Watershed-Linie und knapp ulnar der palmaren radialen Tuberositas, in der Fossa des Musculus pronator quadratus. Die Watershed-Linie und die palmare radiale Tuberositas sind tastbare chirurgische Landmarken. Überragt die Platte die Watershed-Linie nach distal, so kann dies zu einem Kontakt der Gleitoberfläche der Beugesehnen mit der Platte führen. Wird die Platte zu weit radial positioniert und kommt sie auf der palmaren radialen Tuberositas zu liegen, so kann dies zu Haut- und Weichteilirritation am radialen Rand führen. Das p.a. Röntgen kann eine korrekte Plattenlage vortäuschen, in der streng seitlichen Aufnahme erkennt man jedoch, dass die Platte nicht am Knochen anliegt.<br /><br /> • Tipps: Ertasten der chirurgischen Landmarken. Plattenlage in der Fossa des Pronator quadratus (präformierte Platte), proximal der Watershed-Linie und innerhalb der palmaren radialen Tuberositas. Plattenlage so weit ulnar wie möglich, um auch ulnare palmare Fragmente sicher stabilisieren zu können. Im Zweifel immer die schmälere Platte verwenden.</p> <h2>Sehnenirritation</h2> <p>Streck- und Beugesehnenkomplikationen nach operativer Versorgung der distalen Speichenfraktur mit einer winkelstabilen Platte äußern sich als Sehnenreizung, Sehnenverwachsung, Tenosynovitiden und als Sehnenruptur. Das Verständnis der Strecksehnenkomplikationen setzt die chirurgische Anatomie des distalen dorsalen Radius voraus. Der dorsale Radius zeigt im Transversalschnitt eine dreieckige Form, mit dem Lister-Tuberkel als höchstem Punkt. Die Strecksehnen verlaufen in den Strecksehnenfächern mit engem Kontakt zum Knochen. Ein dorsalseitiges Überstehen der Schrauben kann eine Reizung der Strecksehnen bis hin zur Ruptur hervorrufen. In einer seitlichen Röntgenaufnahme lässt sich nicht immer die korrekte Schraubenlänge erkennen. Die lange Daumenstrecksehne (EPL) ist die am häufigsten betroffene Sehne. Sehnenrupturen können nicht nur mechanisch, sondern auch primär traumatisch bedingt sein, wie wir es auch von der konservativen Speichenbruchbehandlung kennen.<br /><br /> • Tipps: Das dorsale Überstehen der Schrauben muss vermieden werden. Für eine suffiziente subchondrale Unterstützung des Gelenkfragments ist keine bikortikale Fixation notwendig. Gemäß biomechanischen Untersuchungen genügt eine unikortikale Fixation mit einer Schraubenlänge von 75–80 % der Länge zwischen palmarer und dorsaler Kortikalis. Um eine sichere Schraubenlänge zu gewährleisten, werden von der gemessenen Länge 2mm abgezogen. Die Schrauben müssen jedoch winkelstabil eingebracht werden. Bei erhaltener dorsaler Kortikalis kann bei gefühlvollem Bohren gerade so weit vorgebohrt werden, dass die dorsale Kortikalis nicht perforiert wird. Die eingebrachte Schraube liegt dann sicher innerhalb des Knochens. Die konventionellen Bildwandlerkontrollen in beiden Ebenen geben keine sichere Auskunft über die Schraubenlänge. Erst Schrägaufnahmen oder axiale Tangentialaufnahmen in Hyperflexion des Handgelenks („skyline view“, „dorsal horizon view“) ermöglichen eine sichere Beurteilung der Schraubenlänge.<br /><br /> Eine Beeinträchtigung der Beugesehnen ist meist bedingt durch „Hardware- Irritationen“. Am häufigsten betroffen ist die lange Daumenbeugesehne (FPL). Die Sehnenrupturen treten nicht unmittelbar nach der Versorgung, sondern erst nach einer gewissen Latenzzeit auf. Ursachen für Sehnenirritationen können sein: eine zu weit distal angelegte Platte, initiale inkorrekte Reposition des distalen Fragments oder sekundärer Korrekturverlust mit Beeinträchtigung der Sehnengleitoberfläche trotz Lage der Platte proximal der Watershed-Linie sowie eine gelockerte Schraube (Abreiben der Sehne am Schraubenkopf). Die Tenosynovitis ist häufig ein Grund für die Metallentfernung, die einer Ruptur vorbeugt.<br /><br /> • Tipps: Korrekte Plattenlage. Rückvernähung des Musculus pronator quadratus über der Platte, um eine Gleitschicht zwischen Platte und Sehnen zu bilden. Korrekte Frakturreposition, um eine abstehende Platte zu vermeiden. Sichere winkelstabile Verblockung der Schrauben.</p> <h2>Intraartikuläre Schraubenlage</h2> <p>Eine intraartikuläre Schraubenlage kann sowohl das radiokarpale Gelenk als auch das DRUG betreffen. Die Ursache kann eine inadäquate Darstellung der Gelenksflächen sein, die eine korrekte Positionierung der Schrauben erschwert, oder ein sekundäres Sintern der Fraktur mit Durchschneiden der Schrauben.<br /><br /> • Tipps: Eingeneigte laterale und a.p. Aufnahmen zur besseren Sichtbarmachung der Gelenksfläche, eventuell Kontrolle der Schraubenlage unter Durchleuchtung. Es lässt sich auch mit dem Längenmessgerät das Bohrloch auf eventuelle Gelenksperforationen austasten. Bei lunären Gelenksfacetten-Fragmenten ist es wichtig, dass die Schraubenplatzierung so weit ulnar wie möglich und parallel zur Incisura ulnaris verläuft. Das Risiko einer Fehlplatzierung ist sehr hoch. Zur Beurteilung der späteren Schraubenlage kann der Bohrer kurzzeitig im Schraubenloch belassen werden und die Lage vor Eindrehen der Schraube in beiden Ebenen kontrolliert werden.</p></p>
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