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Inflammation & Mangelernährung: Prognose- Scores für Herzinsuffizienzpatienten
Jatros
Autor:
Dr. Henrike Arfsten
Universitätsklinik für Innere Medizin II<br>Klinische Abteilung für Kardiologie<br>Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: henrike.arfsten@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
07.11.2019
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<p class="article-intro">Unkompliziert zu erhebende inflammatorisch und nutritiv basierte Risiko-Scores könnten in der medizinischen Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion dabei helfen, Patienten mit einer schlechten Prognose ihrer Erkrankung zu identifizieren und erweiterte Therapieverfahren zeitnah zu etablieren.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Als wesentlicher Progressor bei der chronischen Herzinsuffizienz gilt eine erhöhte Aktivität inflammatorischer Mediatoren.</li> <li>Mangelernährung bei chronisch kranken Patienten ist häufig und ein unabhängiger Risikofaktor für Morbidität und Mortalität.</li> <li>Die Prävalenz einer Mangelernährung liegt für Patienten mit Herzinsuffizienz bei etwa 25 % und steigt auf über 50 % für hospitalisierte Patienten.</li> <li>Scores wie der mGPS (Inflammation) und der PNI (Ernährung) könnten dabei helfen, Herzinsuffizienzpatienten mit einer schlechten Prognose zu identifizieren.</li> </ul> </div> <p>Trotz erfreulicher Fortschritte in der Diagnostik und der Therapie der Herzinsuffizienz in den vergangenen Jahren ist die chronische Herzinsuffizienz mit weiterhin steigender Inzidenz nahezu als Volkskrankheit der westlichen Welt zu verzeichnen und zunehmend als Multisystemerkrankung erkannt. Als facettenreiches Syndrom inkludiert sie multiple Begleiterkrankungen wie Anämie, Insulinresistenz, immunologische Dysfunktion und kardiale Kachexie.<sup>1, 2</sup> Im Synergismus führen diese pathologischen Mechanismen auf systemischer und myokardialer Ebene zu strukturellen und funktionalen Umbauprozessen und kumulieren in homöostatischer Imbalance und Krankheitsprogression.<sup>3</sup></p> <h2>Herzinsuffizienz und Inflammation</h2> <p>Als ein wesentlicher Progressor bei der chronischen Herzinsuffizienz gilt eine erhöhte Aktivität inflammatorischer Mediatoren mit gesteigerter zellulärer und humoraler Immunaktivität.<sup>4–6</sup> Durch lokale und systemische Stimuli wie oxidativen Stress kommt es zu einer übersteigerten Leukozytenaktivierung bzw. Neutrophilenaktivität.<sup>7</sup> Dies setzt die Aktivierungskaskade proinflammatorischer Zytokine in Gang. Diese chronische Expression inflammatorischer Mediatoren, auch sogenannte „Zytokin- Hypothese“, und Akute-Phase-Proteinen (u. a. C-reaktives Protein, CRP) führt zu generalisierter Apoptose mit myokardialem Remodeling, folgender ventrikulärer Dysfunktion und prognostischer Verschlechterung. <sup>8, 9</sup> Ähnliche Beobachtungen der „sterilen Inflammation“ (ohne Einwirkung exogener Noxen)<sup>10</sup> sind auch für andere chronische Erkrankungen beschrieben und stehen im Zusammenhang mit natürlichen Alterungsprozessen, Mangelernährung und körperlicher Frailty.<sup>11</sup> Die klinischen Daten sind limitiert, aber es bestehen Ansätze, das Level der inflammatorischen Aktivität in der chronischen HFrEF als Marker der Krankheitsprogression zu erwägen.</p> <h2>Herzinsuffizienz und Mangelernährung</h2> <p>Frailty und Mangelernährung chronisch kranker Patienten sind häufig und zählen als unabhängige Risikofaktoren für Morbidität und Mortalität. Die Konditionen sind durch eine geringe Toleranz gegenüber biologischen Stressoren gekennzeichnet. Die Prävalenz bei Patienten mit Herzinsuffizienz liegt bei etwa 25 % und steigt auf über 50 % unter hospitalisierten Patienten.<sup>12</sup> Neben der durch chronische Inflammation getriggerten katabolen Stoffwechsellage gilt v. a. bei der Herzinsuffizienz auch die vom Inflammationsstatus unabhängige allgemeine Gefahr der Mangelernährung.<sup>13</sup> Verstärkte Flüssigkeitseinlagerung, Aszites, die medikamentöse Therapie und häufig ein verminderter Antrieb mit depressiver Stimmungslage führen zu vermindertem Appetit und kardialer Kachexie.<sup>1, 2, 13</sup> Der Körper steht durch die Erkrankung unter chronischem Stress, was ein katabol-anaboles Ungleichgewicht hervorruft.<sup>2</sup> Eine Assoziation zwischen Ernährungszustand, Hospitalisationsdauer und Outcome ist in der Literatur für die Herzinsuffizienz beschrieben, gilt aber auch u. a. für onkologische und weitere chronische Erkrankungen.<sup>14–17</sup> Entwicklung und Implementierung von ernährungs- und inflammationsbasierter prognostischer Risiko-Scores liegen vor und finden vor allem in der Onkologie Anwendung. Obgleich für andere chronische Erkrankungen untersucht, sind die Daten zum Einfluss des Ernährungszustandes und der Immunaktivität als Tool zur zuverlässigen prognostischen Abschätzung bei der chronischen Herzinsuffizienz limitiert.</p> <h2>Prognose</h2> <p>Mit fortschreitender Erkrankung ist eine Risikostratifizierung chronisch erkrankter Patienten zur Entscheidungsfindung hinsichtlich der Prognose und des therapeutischen Managements mit gegebenenfalls der Implementierung erweiterter Therapieoptionen wesentlich. Vor allem in der Onkologie haben Inflammationsstatusbasierende Marker und Scores prognostische Wertigkeit erwiesen. Dazu zählen das C-reaktive Protein (CRP)<sup>18</sup>, die Neutrophilen- zu-Lymphozyten-Ratio (NLR)<sup>19, 20</sup>, die Thrombozyten-zu-Lymphozyten-Ratio („platelet- to-lymphocyte ratio“, PLR)<sup>20</sup> sowie der modifizierte Glasgow Prognostic Score (mGPS)<sup>21</sup>. Ein weiterer, vor allem auch den Ernährungsstatus berücksichtigender Score ist der Nutritional Risk Index (NRI)<sup>22</sup>.<br /> Für die akute Herzinsuffizienz konnte eine prognostische Signifikanz zwischen Neutrophilen-zu-Lymphozyten-Ratio (NLR) bei Aufnahme und der Rehospitalisierung innerhalb von 30 Tagen sowie der Gesamtmortalität gezeigt werden.<sup>23</sup> Gleiches gilt für den NRI, mit signifikanter Korrelation zwischen Score, Dauer des Spitalsaufenthalts und Mortalität.<sup>24</sup> In der stabilen chronischen Herzinsuffizienz sind genannte inflammatorisch und nutritiv basierte prognostische Scores und deren prognostische Validität bis dato nicht untersucht.</p> <h2>Studie der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz</h2> <p>Die Arbeitsgruppe für Herzinsuffizienz der Medizinischen Universität Wien (Leitung Univ.-Doz. Dr. Martin Hülsmann) hat die prognostische Wertigkeit etablierter prognostischer Scores unter Berücksichtigung von inflammatorischer Aktivität und inflammationsassoziiertem Ernährungszustand bei HFrEF-Patienten analysiert. Die Daten wurden am Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2019 (ESC) in Paris vorgestellt.<br /> An der Medizinischen Universität Wien ambulant betreute Patienten mit stabiler chronischer Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) wurden prospektiv in ein Register eingeschlossen. Mortalität aus jeglichem Grund galt als primärer Endpunkt. Zu den analysierten Risiko-Scores zählten:</p> <ul> <li>modifizierter Glasgow Prognostic Score (mGPS) 0/1/2 basierend auf C-reaktivem Protein (CRP) und Albumin</li> <li>Neutrophilen/Lymphozyten-Ratio (NLR)</li> <li>Monozyten/Lymphozyten-Ratio (MLR),</li> <li>Thrombozyten/Lympozyten-Ratio (PLR)</li> <li>Nutritional Risk Index: NRI = (1519 × Serum-Albumin, g/dl) + (41,7 × aktuelles Körpergewicht (kg)/ideales Körpergewicht (kg)</li> <li>Prognostic Nutritional Index: PNI = Albumin (g/l) × Gesamt-Lymphozytenzahl × 10<sup>9</sup>/l)</li> </ul> <p>Die Assoziation zwischen erfassten Scores, dem Schweregrad der Herzinsuffizienz und dem Impact auf das Gesamtüberleben wurde analysiert.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Daten von 443 Patienten unter leitliniengerechter Herzinsuffizienztherapie und überwiegend in stabilem „New York Heart Association (NYHA)“-Stadium II–III wurden analysiert.<br /> Alle analysierten Risiko-Scores korrelierten mit dem Schweregrad der Herzinsuffizienz, gemessen am NT-proBNP (p<0,001 für alle) und dem NYHA-Stadium (p<0,001 für alle).<br /> Eine signifikante Assoziation zwischen Mortalität und Score konnte im univariaten Modell für alle untersuchten Risiko- Scores gezeigt werden. Im multivariaten Modell blieben die zwei Risiko-Scores PNI und mGPS auch unabhängig vom NT-proBNP signifikant mit dem primären Endpunkt Mortalität assoziiert (p<0,05 für mGPS und PNI; Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1904_Weblinks_jatros_kardio_1904_s23_abb1_arfsten.jpg" alt="" width="550" height="708" /></p> <h2>Schlussfolgerungen</h2> <p>Es kann geschlussfolgert werden, dass verstärkte inflammatorische Prozesse und Mangelernährung häufig bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) auftreten und mit dem Schweregrad der Erkrankung zunehmen. Unter den etablierten Risiko-Scores sind in der vorliegenden Studie mGPS und PNI mit dem Überleben von stabilen HFrEF-Patienten assoziiert. Diese Assoziation ist unabhängig vom aktuellen Schweregrad der Erkrankung – erhoben mittels NT-proBNP und NYHA-Stadium – und unterstreicht daher die Bedeutung der individuellen subklinischen Entzündungsprozesse für die Prognose der Patienten.</p> <h2>Für die Praxis</h2> <p>Unkompliziert zu erhebende und in anderen Erkrankungen bereits evaluierte Scores wie der mGPS und der PNI könnten auch in der medizinischen Betreuung von HFrEF-Patienten dabei helfen, Patienten mit einer schlechten Prognose ihrer Erkrankung zu identifizieren und womöglich erweiterte Therapieverfahren zeitnah zu etablieren.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Die Ergebnisse wurden auch auf dem ESC-Kongress 2019,
31. August bis 4. September 2019 in Paris, vorgestellt.
</p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Mijan-de-la-Torre A: Recent insights on chronic heart failure, cachexia and nutrition. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2009; 12: 251-7 <strong>2</strong> Anker SD, Sharma R.: The syndrome of cardiac cachexia. Int J Cardiol 2002; 85: 51-66<strong> 3</strong> Mill JG et al.: Remodeling in the ischemic heart: the stepwise progression for heart failure. Braz J Med Biol Res 2011; 44: 890-8 <strong>4</strong> Chen D et al.: Cytokines and acute heart failure. Critical Care Medicine 2008; 36: S9-16 <strong>5</strong> Tousoulis D et al.: Conflicting effects of nitric oxide and oxidative stress in chronic heart failure: potential therapeutic strategies. Heart Fail Rev 2012; 17: 65-79 <strong>6</strong> Frangogiannis NG: Regulation of the inflammatory response in cardiac repair. Circ res 2012; 110: 159-73 <strong>7</strong> Delcea C et al.: The neutrophil to lymphocyte ratio in heart failure: a comprehensive review. Romanian Journal of Internal Medicine 2019. https://doi. org/10.2478/rjim-2019-0018 <strong>8</strong> Jiang L et al.: Cardiomyocyte apoptosis is associated with increased wall stress in chronic failing left ventricle. Eur Heart J 2003; 24: 742-51 <strong>9</strong> Hartupee J, Mann DL: Positioning of inflammatory biomarkers in the heart failure landscape. J Cardiovasc Transl Res 2013; 6: 485-92 <strong>10</strong> Nishida K, Otsu K.: Sterile inflammation and degradation systems in heart failure. Circ J 2017; 81: 622-8 <strong>11</strong> Bellumkonda L et al.: Pathophysiology of heart failure and frailty: a common inflammatory origin? Aging Cell 2017; 16: 444-50 <strong>12</strong> Stollhof LE et al.: The continuous downgrading of malnutrition in the german DRG system: possible effects on the treatment of patients at risk for malnutrition. EXCLI Journal 2019; 18: 370-81 <strong>13</strong> Jacobsson A et al.: Emotions, the meaning of food and heart failure: a grounded theory study. J Adv Nurs 2004; 46: 514- 22 <strong>14</strong> Paccagnella A et al.: Early nutritional intervention improves treatment tolerance and outcomes in head and neck cancer patients undergoing concurrent chemoradiotherapy. Supportive Care Cancer 2010; 18: 837-45 <strong>15</strong> Cotogni P et al.: Nutritional therapy in cancer patients receiving chemoradiotherapy: Should we need stronger recommendations to act for improving outcomes? J Cancer 2019; 10: 4318-25 <strong>16</strong> Ivers LC et al.: Hiv/aids, undernutrition, and food insecurity. Clin Infect Dis 2009; 49: 1096-102 <strong>17</strong> Dumler F, Kilates C.: Prospective nutritional surveillance using bioelectrical impedance in chronic kidney disease patients. J Ren Nutr 2005; 15: 148-51 <strong>18</strong> Allin KH, Nordestgaard BG: Elevated creactive protein in the diagnosis, prognosis, and cause of cancer. Crit Rev Clin Lab Sci 2011; 48: 155-70 <strong>19</strong> Templeton AJ et al.: Prognostic role of neutrophil-to-lymphocyte ratio in solid tumors: a systematic review and meta-analysis. J Natl Cancer Inst 2014; 106: dju124 <strong>20</strong> Lochowski M et al.: Prognostic value of neutrophil-to-lymphocyte, platelet-tolymphocyte and lymphocyte-to-monocyte ratio ratios in patients operated on due to non-small cell lung cancer. J Thorac Dis 2019; 11: 3377-84 <strong>21</strong> Silva GAD et al.: Clinical utility of the modified glasgow prognostic score to classify cachexia in patients with advanced cancer in palliative care. Clinical nutrition (Edinburgh, Scotland) 2019 <strong>22</strong> Bouillanne O et al.: Geriatric nutritional risk index: a new index for evaluating atrisk elderly medical patients. Am J Clin Nutr 2005; 82: 777- 83 <strong>23</strong> Uthamalingam S et al.: Utility of the neutrophil to lymphocyte ratio in predicting long-term outcomes in acute decompensated heart failure. Am J Cardiol 2011; 107: 433-8 <strong>24</strong> Aziz EF et al.: Malnutrition as assessed by nutritional risk index is associated with worse outcome in patients admitted with acute decompensated heart failure: an ACAP-HF data analysis. Heart Int 2011; 6: e2</p>
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