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Geschätzte Kolleginnen, geschätzte Kollegen!

<p class="article-content"><p>Ist es wirklich so, dass sich erst ab einem gewissen Alter der Blick sch&auml;rft (bis er sich dann langsam zu tr&uuml;ben beginnt)?<br /> <br /> Die ersten Berufsjahre ist man auf die eigene Ordination, den eigenen Kredit, auf vielerlei Privates konzentriert. Hauptsache, &bdquo;alles rennt&ldquo; und man geh&ouml;rt dazu. Mit Begeisterung, statt mit von Erfahrung gepr&auml;gter Zur&uuml;ckhaltung, st&uuml;rzt man sich auf jede Neueinf&uuml;hrung, frequentiert Fortbildungen mit ansprechendem Rahmenprogramm, l&auml;sst sich vom Bezirks&auml;rztevertreter beraten oder auch beschwichtigen. Es dauert Jahre, bis man sich als wohl funktionierendes Rad eines profitorientierten Systems erkennt, das einen so sehr beansprucht hat, dass kritische Selbstbetrachtung zu kurz gekommen ist.<br /> <br /> Diese Situation ist weder originell noch berufsspezifisch. Eine ganze Regenerations-, Wellness- und Freizeitindustrie lebt davon, den Erwerbst&auml;tigen Freizeitstress als Erholung zu verkaufen, damit sie wieder unkritisch und mit dem Gef&uuml;hl, gest&auml;rkt zu sein, in den Berufsstress zur&uuml;ckkehren k&ouml;nnen. Eine zukunftsweisende Gesundheitsreform sollte diesem Ph&auml;nomen Aufmerksamkeit schenken &ndash; ganz allgemein in Anbetracht einer bis zur Menschenverachtung profitorientierten Arbeitswelt und im Besonderen als Reaktion auf eine finanzbasierte Medizin (John P. A. Ioannidis). <br /> <br /> Wenn aber dieser Entwicklung ernsthaft gegengesteuert werden soll, dann wird eine selbstbewusste Allgemeinmedizin unverzichtbar sein. Eine selbstbewusste Allgemeinmedizin wird getragen von vollwertigen Lehrst&uuml;hlen an allen medizinischen Fakult&auml;ten, von freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen, die einzeln oder in selbstgew&auml;hlten und selbstverwalteten Gemeinschaften arbeiten, von einer Ausbildungskultur, in der die Lehrpraxis ihren festen Platz hat. Gerade dort werden den jungen Kolleginnen und Kollegen die Sinne gesch&auml;rft, damit sie nicht erst alt werden m&uuml;ssen, um so manche prestigetr&auml;chtige Gesch&auml;ftigkeit zu hinterfragen.<br /> <br /> Aktuell ist nicht nur die allgemeinmedizinische Ausbildung schlecht, auch die Zahl derer, die in Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin, zum Allgemeinmediziner stehen, ist dramatisch gering.<br /> <br /> &bdquo;Trotz alledem, ich bleibe stur voll rabenschwarzer Zuversicht&ldquo; (Wolf Biermann) und w&uuml;nsche Ihnen und allen, die Sie in Phasen der Regeneration gerne um sich haben, erf&uuml;llte und best&auml;rkende Ferientage!<br /> <br /> Ihr Dr. Christian Euler</p></p>
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